93.

Die seligste Vermählung.

[272] Ihr Nymphen/ die ihr noch die Liebe nicht empfunden/

Die JESUS reiner Geist in freye Hertzen schickt.

Hört an/ wie seine Treu mit meiner sich verbunden/

Und mich als liebste Braut an seine Brust gedrückt:

Ich hiesse noch ein Kind/ und war kein Kind zu nennen

An Boßheit und Betrug/ die Blindheit hielte mich/

Ich wust nicht/ wer ich war/ und konnt mich selbst nicht kennen/

Es stunde umb mein Heyl und Hoffnung jämmerlich.

Man schaute mich damals im eigen Willen gehen/

Es lag der arme Geist im Irrthum trüber Nacht/[272]

Must ohne Schmuck/ geschändt/ dürr/ arm und heßlich stehen/

Vom Feinde krumm und lahm/ stumm/ blind und taub gemacht

Und grausam zugericht; doch ließ sich das nicht schrecken

Die Hoheit/ so der Chor der Engel tieff verehrt.

Vor der die Seraphim ihr Angesicht bedecken/

Der ward die Neigung nicht durch meinen Koth verwehrt/

Besondern noch gestärckt; mit 1000. Liebekosen.

Und 1000. noch dazu war seine Gunst vermengt.

Der Mund war Anmuth-reich/ die Wangen voller Rosen/

Die Augen voller Blitz/ und gar als wie versengt

Von der Begierde Brunst. So trat er zu mir Armen/

Und wollte gleich von mir das Ja-Wort nehmen hin.

Wie aber wehrt ich mich! Ich solt darinn erwarmen/

Und seht/ noch kälter ward mein sonst schon kalter Sinn.

Wie schüchtern war das Hertz! wie zitterten die Glieder/

Als er nun allgemach zu säubern mich begunt!

So offt ich ihn vertrieb/ so offte kam er wieder/

Und machte mir die Treu beständig/ klar und kund.

Da zeigten sich mit Macht des Geistes obre Kräffte;

Ich war nicht/ die ich war; die gantz verborgne Gluth

Gieng in dem innern auff; die fleischlichen Geschäffte

Erstorben mählich hin: Ich ward dem Liebsten gut/

Den ich zuvor verwarff. Zwar wolte sich noch regen/

Ich weiß nicht was vor Scham und allzu grosse Scheu/

Biß ich auch diese must zu seinen Füssen legen/

Und im Vertrauen sprach: Wie ich die deine sey,

Und du mein eigen bleibst! So ward ich auserkohren

Zu eines Königs Braut: Es zog mich sein Magnet

Nach seinen Lippen hin. Die Wollust ward gebohren/

Als er mich selbst umbfieng. Wer solche Lieb versteht/

Der kennt auch ihre Pracht/ ihr wunderbahres Wesen/

Ihr Lachen und ihr thun; Wenn zarte Unschuld schertzt/

Und wenn man ihren Trieb kan auß den Augen lesen/

Wenn seine lincke Hand mich deckt/ die Rechte hertzt.

Nunmehr bestrahlt Er mich mit 1000. holden Blicken/

Verknüpfft mich ewig Ihm durch seines Geistes Band.

Jetzt kan ich kennen erst das himmlische Geschicke/

Wenn er drückt Hertz auff Hertz/ und Mund auf Mund und Hand.

Nun ist das meine Pflicht/ Ihm treu und hold zu bleiben/

Und nur getrost in Fried auff seinem Schos zu ruhn/[273]

Mißtrauen Scham und Furcht auß Geist und Seel zu treiben/

Und in Vertraulichkeit/ was ihm beliebt/ zu thun.

So fängt mein Leben dann recht frölich an zu grünen/

Wenn ich Ihm niemals Hand und Hertz und Mund entzieh.

Mir soll sein sanfftes Joch zu einem Polster dienen/

Das mir die Liebe weist. So kan ich lustig hie/

Und dorten selig seyn. So darff ich nichts verlangen/

Mein Liebster flöst mir ein den Zucker süsser Ruh.

Kömmt er zu meinem Schlaff mit sanfftem Schritt gegangen/

So schließ ich auch mit Ihm die frohen Augen zu.

Ich weiß, ich will mit Ihm und in Ihm endlich sterben/

Nicht sterben/ sondern erst recht leben ewiglich.

Es kan ja keine Braut beym Bräutigam verderben.

Ihr Nymphen werdet doch so selig/ als wie ich!

Quelle:
Gottfried Arnold, München 1934, S. 272-274.
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