Eine Frau, die ihre Privat-Angelegenheiten vor das Forum der Öffentlichkeit bringt, muß entweder grenzenlos eitel sein oder von der äußersten Nothwendigkeit zu diesem Schritte gezwungen werden, einer Nothwendigkeit, gegen welche sich aus falschem Schamgefühl zu sträuben, eben so feig als ehrlos wäre. In diesem letzten Falle befinde ich mich. Vielfache Verläumdungen in öffentlichen Blättern, die meinen Namen mit Bewegungen und Tendenzen in Verbindung brachten, die mir theils gänzlich fern liegen, theils nie in der brutalen Weise, die man mir Schuld giebt, von mir vertreten wurden; zuletzt die[5] Maßregel der Polizei, die mich in Folge jener öffentlichen Denunciationen aus Berlin verwies: alles das berechtigt, ja zwingt mich, mit einer Rechtfertigung vor dem Publikum aufzutreten, um meine Ehre zu retten, und von der öffentlichen Meinung den Schutz zu erbitten, den die Gewalten des Staates dem schutzlosen Weibe hartnäckig versagten.
Der Mann, der seine Ehre gekränkt glaubt, hat Mittel, sie zu rächen, Mittel, die zwar das Gesetz ächtet, die Meinung der Menschen aber anerkennt. Die Frau ist rathlos und hülflos, jeder Anfeindung ausgesetzt. Denn der ritterliche Schutz, den die rohe Zeit des Faustrechts den Frauen gewährte, mußte dem Lichte der Aufklärung, dem Geiste der fortschreitenden Welt, und dem sichern Schutze des Gesetzes weichen. Kein Ritter bricht mehr für die Ehre seiner Dame eine Lanze; und nur in den Don-Quixotiaden hoher und niederer Abentheurer feiert das Ritterthum seine Unsterblichkeit.
Wir Frauen aber, die wir das alte Recht verloren,[6] verherrlicht zu werden in den süßesten Liedern und den blutigsten Kämpfen, am Minnehof und im Turnier, zu herrschen über die ideale Welt, wie die Himmelskönige über ihr Reich: wir verlangen jetzt von der neuen Zeit ein neues Recht; nach dem versunkenen Glauben des Mittelalters Antheil an der Freiheit dieses Jahrhunderts; nach der zerrissenen Charte des Himmels einen Freiheitsbrief für die Erde!
Unser höchstes Recht, uns're höchste Weihe ist das Recht der freien Persönlichkeit, worin all uns're Macht und all unser Glauben ruht, das Recht, unser eigenstes Wesen ungestört zu entwickeln, von keinem äußern Einfluß gehemmt; den innern Mächten frei zu gehorchen, die Harmonie der Seele durchzubilden, mag sie auch ein Mißklang scheinen gegenüber dem herrschenden Glauben der Welt.
Wer dies Recht der Persönlichkeit antastet, begeht einen brutalen Akt der Gewalt; wer unser Fühlen und Glauben, das Resultat unserer Schicksale, unser[7] höchstes Eigenthum, aus dem Allerheiligsten unseres Herzens herausreißt auf den Markt, auf die Gerichtsstube, vor den Pöbel, mag er auch die Wage der Gerechtigkeit in den Händen halten: der versündigt sich gegen das wahre Heil unserer Seele; der begeht einen Tempelraub, einen Gottesfrevel, von dem ihn die richtende Geschichte nimmer freisprechen kann. Dies Recht der freien Persönlichkeit ist in mir beleidigt; so stehe mir die einzige Schutzwehr der freien Rede zu! Meine Sache spricht für sich selbst, sie ist ihr eigner Advocat. Doch ist sie nicht bloß meine Sache. Ihr Interesse ist ein Allgemeines. Denn, wenn äußere Gewalt schon das Denken und Glauben des Weibes strafbar findet: wie steht es da mit der geistigen Freiheit der Männer? – Darum übergebe ich diese Blätter dem Publikum, als einen Beitrag zur Charakteristik der neuesten preußischen Gewissensfreiheit, und zur Geschichte der Verweisungen. Die polizeilichen Maßreglungen der Männer haben durch ihre Alltäglichkeit den Reiz des Pikanten verloren; so[8] muß es als ein glücklicher Einfall, als ein Witz des Schicksals erscheinen, durch die außergewöhnliche Ausweisung einer Frau eine interessantere Variation zu dem abgeleierten Thema zu liefern. Denn da der Mensch aus Gemeinem gemacht, und die Gewohnheit seine Amme ist, so gewöhnt er sich auch an jede Art der Sclaverei, und sucht sich zuletzt in der Entwürdigung selbst heimisch zu fühlen. Da bedarf es des Ungewöhnlichen, um ihn aus seinem Schlummer emporzureißen, um ihm seine ganze Erniedrigung und Knechtschaft in ihrer ertödtenden Wahrheit zu zeigen. – O du schönes Griechenland mit deinen untergegangenen Göttern! Deine Altäre und Tempel sind zertrümmert, dein heiteres Leben ist versunken, und nur sein schwacher Nachglanz lebt in den Werken der Dichter; und in der Sehnsucht edler Gemüther: – geblieben ist, was deine Geschichte geschändet, die finstere Gewalt, die sich zur Richterin aufwirft über freie Geister; die einen Sokrates den Giftbecher trinken läßt und eine Aspasia wegen Gotteslästerung[9] vor die Schranken ruft! Die Geschlechter vergehen, und die Völker, und ihre Götter; aber der Wahn ist unsterblich! –
Köpenick, den 25sten Juny 1846.
Louise Aston.
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