7. An George Sand

[22] O naht mit Lorbeerkränzen, naht mit Palmen!

Der Freiheit Majestät ist neu erwacht;

Ein Evangelium kam über Nacht,

Herniederrauschend in Gewitterpsalmen;

Und, was vom alten Wahn umnachtet

Nach Rettung und Erlösung schmachtet:

Das eile zu des neuen Geistes Fahnen!

Das streu' ihm Blumen auf die Siegerbahnen!
[22]

Nicht Jeanne d'Arc mit Frankreichs Heldensöhnen

Hat sich dem neuen, heil'gen Kampf geweiht;

Nicht Königen, nicht Völkern gilt der Streit:

Den freien Menschen gilt es jetzt zu krönen!

Nicht winkt der Andacht Lebenssonne,

Das Bild der himmlischen Madonne;

Ein and'res Bild wird schützend uns umschweben,

Aus andern Zügen spricht ein and'res Leben.


Mag jener Traum die Träumenden beglücken;

Längst schwand dahin der Heil'gen Wundermacht.

Es ziehn die Irdischen zur Freiheitsschlacht,

Es gilt des Geistes machtvoll Schwert zu zücken!

Empor, aus trauriger Bethörung!

Empor, in heiliger Empörung!

Ein Heldenweib, mit flammenden Panieren,

Wird euch zum Sieg, wird euch zur Freiheit führen!
[23]

Auf ihren Bannern glänzt im Morgenlichte

Das freie Weib, das keinem fremden Wahn,

Das nur dem eig'nen Geiste unterthan,

Dem Losungswort der neuen Weltgeschichte!

Das freie Weib, es schmückt die Fahne!

Von Sünden frei, weil frei vom Wahne,

Dem Vater Wahn mit seiner Tochter Sünde,

Dem blöden Vater mit dem blöden Kinde.


Hört ihr des neuen Geistes lautes Mahnen?

O, nicht der Geist allein; das Herz sei frei!

Zum Himmel klagend dringt der Schmerzensschrei,

Der Hülferuf von hundert Indianen!

Soll ich mich sprödem Stolze fügen,

Als Lelia mein Herz besiegen?

Soll ich, Pulcherien gleich, dem Wahn entsagen,

Das Glück zugleich nur mit der Schande tragen?
[24]

Doch all' der Kampf, der in der Brust der Frauen

So schmerzensreich, doch zukunftsvoll, sich regt,

Der schon im Schoß ein schön'res Leben trägt,

Das wir nur ahnen, nur prophetisch schauen: –

Du zaubertest sein mächtig Walten

In lebenskräftige Gestalten!

Den Kampf der Zeit in ihren echten Töchtern

Vermachtest du den spätesten Geschlechtern!


Du heiligtest mein Sinnen und mein Trachten,

Du gabst mir Muth in einsam herber Qual;

Berührt von deines Geistes Zauberstrahl,

Kann kühner ich der Menge Spott verachten:

Mag sie vor gold'nen Kälbern beten,

Und frevelnd lästern die Propheten;

Ich steh' bei Dir, verhüllt vor ihren Blicken,

Auf freien Höh'n in heiligem Entzücken!
[25]

Quelle:
Louise Aston: Wilde Rosen. Berlin 1846, S. 22-26.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Apuleius

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der goldene Esel. Metamorphoses, auch Asinus aureus

Der in einen Esel verwandelte Lucius erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn in absonderliche erotische Abenteuer mit einfachen Zofen und vornehmen Mädchen stürzen. Er trifft auf grobe Sadisten und homoerotische Priester, auf Transvestiten und Flagellanten. Verfällt einer adeligen Sodomitin und landet schließlich aus Scham über die öffentliche Kopulation allein am Strand von Korinth wo ihm die Göttin Isis erscheint und seine Rückverwandlung betreibt. Der vielschichtige Roman parodiert die Homer'sche Odyssee in burlesk-komischer Art und Weise.

196 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon