[79] Um vier Uhr hielten die gesattelten Reitpferde vor dem Wiesenthale. Madame Oburn sah reizend aus in ihrem stahlgrünen, enganschließenden Reitkleide, mit dem keck in die Locken gedrückten schwarzen Sammetbarett. Sie ritt sicher und kühn, mit Grazie in jeder Bewegung. Stolz auf seine Begleiterinn ritt Stein ihr zur Seite. Unter leichten, scherzhaften Gesprächen, den Eingebungen des Augenblickes, erreichten sie den Schloßgarten Schlackenwerths. Leicht sprang die Reiterinn vom Pferde, übergab es dem Diener und warf sich nachlässig auf eine geflochtene Weidenbank, die in der alten Kastanienallee, unter dem Schatten hoher Bäume, stand. »Hier ist mir wohl und heimlich,« rief sie aus; »hier erinnert mich alles an meine Jugendzeit! Drüben die alte Dorfkirche, das kleine trauliche Pfarrhaus. O welches friedliche Glück mag jene engen Räume bewohnen! Wie[79] thöricht, sich immer hinauszusehnen in's Weite, während allein in dem nächsten Kreis, in enger Umgränzung wahre Befriedigung möglich ist!«
»Sie sind auf dem Lande erzogen, gnädige Frau? O schildern Sie mir Ihre Kindheit! Meine aufrichtige Theilnahme macht mich ihres Vertrauens werth.«
»Mein Vater war Prediger auf dem Lande; ich sein einziges Kind! Aus den engen Lebensverhältnissen sehnte ich mich hinaus und vor meiner Seele stand, als einzig erstrebenswerth, ein bewegtes Leben mit allen Freuden der Welt: Ich war bis zu meinem sechszehnten Jahre fast nie über die Gränzen unseres Dorfes hinaus gekommen; nur meine Phantasie, deren angeborene Glut durch mannigfache Lektüre genährt war, schuf mir, jenseits des idyllischen Bereichs, ein Eldorado voll unbestimmten Glückes. Jedes Posthorn, das von ferne her durch die einsame Gegend schmetterte, entlockte mir Thränen der Sehnsucht. Ich wollte in die Welt; ich wollte glücklich sein! Jetzt« – fuhr sie bewegter fort; – »jetzt habe ich die Welt, und was darin Glück heißt,[80] kennen lernen; Reichthum, ein glänzendes Leben hat mir das Schicksal geschenkt, und nun ich alles das erreicht, alles genossen – nun ist es mir werthlos – hat in Wahrheit nie für mich Werth gehabt. Das habe ich mir längst mit Schmerz bekannt, und fühle es stündlich drückender! Und so sehne ich mich jetzt zurück nach der friedlichen Heimlichkeit engumschlossener Verhältnisse, die ich einst in jugendlicher Hast zu durchbrechen wünschte!«
»Sie sind ungerecht gegen sich, gegen andere, gnädige Frau! Ein freundliches Schicksal hat sie in die Welt geführt – uns allen zum Heil! Es liegt in Ihrem Wesen etwas Freies und Frisches, das Erlösung bringt von all' den verknöcherten morschen Verhältnissen, von all' der Heuchelei einer in sich zerfallenen Gesellschaft! Und ist es nicht lohnender Beruf genug, auch nur einzelne Geister erquickend aufzurichten, welche in der allgemeinen Erschlaffung und Zerrüttung sonst rathlos untergehen würden! Solche Erlösung haben Sie mir gebracht; solche Erlösung werden Sie noch Vielen bringen!«[81]
»O Egoismus der Männer! Auch die besten denken nur an sich selbst!« entgegnete die Oburn scherzend.
Der Abend war drückend schwül geworden; ein schweres Gewitter war am Horizont heraufgezogen, einzelne Blitze zuckten durch grauschwarze Wolken, denen kein kühlendes Naß enttropfte. Es ging ein stummer, drückender Schmerz durch die Natur, und das Auge des Himmels schien fast krampfhaft seine Thränen zurückzuhalten. Die Blitze fuhren hin und her, angstvoll, wie prophetische Boten eines nahen Unheils, und unheimlich dumpfe Ahnungen bemächtigten sich der Gemüther der Menschen. Schweigend ritt Madame Oburn mit ihrem Begleiter wieder dem imposanten Carlsbad zu. Sie war sehr ernst geworden. Ihre Brust hob sich unter tiefen Seufzern, und ihr Auge folgte den kreuzenden Blitzen in stiller Melancholie. Stein sah nichts außer ihr. Fast verzückt, mit der Inbrunst des Sünders, der die verklärte Himmelsköniginn um Gnade fleht, hingen seine Blicke an ihrem Antlitz, an der jugendlich idealen Gestalt, und nahmen dies Bild in sich auf, unvergeßlich, unverlöschbar! Er suchte ihre Gedanken zu enträthseln[82] und erkannte wohl an dem schmerzlichen Ausdruck ihrer Züge, daß sie nicht von Liebe träumte; denn die Liebe mußte diese Züge ja wunderbar lichten und erhellen, wie die Frühlingssonne die Erde nach starrem Winter! Mit einer ihr nur eigenen, holden Biegung des Halses sah die Oburn jetzt zu ihrem Begleiter herüber: »Ich bin maßlos langweilig, lieber Stein, vergeben Sie mir! Ich gab meinen Gedanken Audienz! Wie wechselvoll ist doch das Innere des Menschen! Früher erfaßte mich stets eine große Bangigkeit während des Gewitters! Um den Blitz nicht zu sehen, verbarg ich als Kind mein Köpfchen in den Schooß der Mutter, als wäre ich hier gegen jede Gefahr gefeit. Heute weitet sich meine Brust bei dem Rollen des Donners, mein Auge labt sich an den feurigen Strahlen, die so keck, wie junge, lebensfrische Gesellen, den Wolkenvorhang zerreißen, als wollten sie der Natur in's Herz sehen. Ja, ich kann es mir schön denken, zu verglühen, von diesen Strahlen getroffen! O, die Welt mit ihren Freuden ist mir oft zu verächtlich!« Auf diese Worte aus dem Munde[83] einer ein und zwanzigjährigen, schönen, gefeierten Frau wußte der junge Mann nichts zu erwiedern, und stumm langten Beide in dem Wiesenthale an.
»Mögen die guten Geister der Liebe Sie in dieser Nacht umschweben!« rief der Baron bedeutungsvoll zum Abschiedsgruß.
Kaum war Madame Oburn unter ihr schützendes Dach getreten, als sich das Gewitter gewaltig entlud. Frau Meier, als gute Katholikin, lag vor ihrem Crucifix, das auf einer Art Betpult im Schlafzimmer stand, auf den Knieen. Sie betete ihr Ave Maria, flehte die Mutter Gottes um Schutz an, zankte dann wieder mit ihrer Therese, und wechselte so mit himmlischen und irdischen Gedanken. Sobald die Heftigkeit des Donners etwas nachgelassen, öffnete sie die Hausthüre und sah sich rings mit spähenden Blicken um. Endlich gab ein heftiger, großtropfiger Regenguß dem krampfhaft zusammengezogenen Gewölk, das in schwüler Spannung am Himmel lagerte, und den durch Angst zusammengepreßten Menschenherzen die ersehnte Erleichterung. Frau Meier wünschte der Madame Oburn, wie sie es gewöhnlich[84] zu thun pflegte, eine sanfte Nacht, versicherte »Dero Gnaden,« das Gewitter sei vorüber; sie brauche sich nicht zu ängstigen, und solle es ja wiederkehren, so schlafe sie dicht neben Madame und sei zu jedem Dienst bereit. Hierauf öffnete sie noch einmal die Pforte, um den Himmel zu observiren, und ließ dabei leise eine hohe, dicht in den Mantel gehüllte Gestalt hereinschlüpfen. Dann verrichtete sie ihr übliches Nachtgebet und entschlief mit dem stolzen Bewußtsein, einen wichtigen Tag verlebt zu haben.
Madame Oburn hingegen ging unruhig im Zimmer auf und ab. Endlich öffnete sie die Fenster wieder und sah in die schöne, nun stille Nacht hinaus. Die Luft war prächtig frisch und kühl geworden. Die Oburn konnte dem Verlangen nicht widerstehen, noch im Freien umherzuwandeln. Rasch warf sie über das leichte Nachtkleid eine Mantille, steckte die zarten Füßchen in feste Schuhe, und huschte gedankenleise zum Saal hinaus. Es war gerade die reichste, üppigste Blüthenzeit des Jahres; tausend erschlossene Blüthen strömten süß betäubenden[85] Duft aus, der wie ein magisches Netz die Sinne gefangen hielt. Von Rose zu Rose ging die junge Frau, trank mit durstigen Lippen aus jedem Kelch die frischen Regentropfen, und nachdem sie so erquickende Frische eingesogen, brach sie noch tyrannisch die beraubten Blüthen und warf sie zerpflückt den Wellen der Eger zu. Einzelne helle Sterne lauschten dem kindischen Spiel und blickten doch so heilig ernst dazu, als begriffen sie des Spieles tiefe Bedeutung. »Ich bin mild gegen euch, ihr schönen, schönen Blumen; ich vernichte euch in eurer Schönheit; ich erspare euch den Schmerz nach und nach verwelken zu müssen! Ich bin gerechter als die Natur, die auch uns nur so kurze Zeit das Recht auf Glück und Liebe ertheilt, und uns dann, wenn die Tage der Jugend vorüber, zu den Qualen langer Entsagung verdammt!« So wühlte die junge, schöne Frau gedankenvoll in den unheimlichen Tiefen des Lebens. Am Ufer des Flusses stehend, sah sie starr in das Wasser hinein, so lange, bis es ihr unheimlich wohl ward und die Fluth sie lockend herab zu ziehen drohte![86] Da eilte sie rasch fort, als wollte sie der Gefahr entfliehen, und es war ihr, als ob sie hinter sich leise Fußtritte hörte. Geängstigt beflügelte sie ihren Schritt, dem Schlafgemach zu.[87]
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Aus dem Leben einer Frau
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