[226] Als die Sonne längst gesunken war und nur noch eine falbe Röthe am nordwestlichen Horizont die Stelle ihres Untergangs zeigte, stieß ein leichter Nachen vom innern Ufer des Hafens ab. Drei Personen befanden sich darin. Die eine, ein junger Mann mit gebräuntem Gesicht, führte mit kräftigen Armen zwei Ruder, welche sich fast unhörbar in die schwärzlich-grüne Fluth tauchten, obschon die Schnelligkeit, mit der das Boot die Wogen durchschnitt, bewies, mit welcher Kraft es in Bewegung gesetzt wurde. Am Hintertheil des Bootes, den linken Arm nachlässig um das Steuer geschlungen, den rechten auf den Bord[226] des Fahrzeugs gestützt saß, oder lag vielmehr ein dem feinen von unzähligen kleinen Locken beschatteten Gesicht und der üppig schlanken Gestalt nach, um welche sie die enge, einfache Uniform der schleswigschen Freischärler schmiegte, zu urtheilen, eine junge Dame, die mit scheinbarer Gedankenlosigkeit in die grünliche Fluth starrte. Der dritte war ein Jüngling, welcher nur erst kürzlich das Knabenalter verlassen haben konnte. Er stand aufrecht mit im Boot und schaute trübe der geschiedenen Sonne nach. Keines von den dreien sprach ein Wort. Man hörte nur den eintönigen Taucherschlag des Ruders und das Zischen der Wogen, die sich am Kiel des Bootes brachen und zuweilen hoch aufspritzten.
Als der Nachen sich bereits mitten auf dem Hafen befand, wandte Ralph – den meine Leser wohl schon in dem Ruderer erkannt haben werden – seinen Blick nach dem Meere, dem er den Rücken zukehrte und sagte halblaut, als fürchte er das Schweigen zu unterbrechen:[227]
– Ich meine, wir müssen mehr rechts halten. Hier auf offnem Hafen sind wir zu sehr der Beobachtung ausgesetzt.
Alice, welche das Steuer führte, fuhr aus ihrer Träumerei empor. Sie blickte jetzt ebenfalls auf den Hafen, nickte bejahend mit dem Kopfe und wandte das Steuer. Das Boot beschrieb einen Bogen und schoß dann in grader Richtung auf die südliche Landzunge zu.
– Setze dich, Salvador! – sagte sie zu dem Stehenden, zog das Fernrohr Gilberts hervor und richtete es auf die dänische Fregatte, die einen Kanonenschuß entfernt, wie ein dunkler Koloß über den Spiegel des Wassers emporragte.
Du hast heute eine Zusammenkunft mit dem Prinzen von N....r gehabt? – sagte Ralph mit anscheinender Gleichgültigkeit.
– Erinnere mich nicht an diese Menschen, die mit ihrem Golde Seele wie Körper kaufen zu können glauben! Er wollte mich für die Reaktion gewinnen, und fing nach der gewöhnlichen Manier damit an, mir Schmeicheleien zu sagen, zuerst[228] über meine Schönheit, als das nicht glückte, über mein Talent und meine Kühnheit, als auch dies keine Wirkung that, über meinen Einfluß auf die Freischaaren. Jetzt verstand ich ihn. Man wünschte nämlich, ich solle, bei etwa »eintretenden Ereignissen«, die nicht im Sinne unserer Partei seien, dazu beitragen, daß keine Aufregung entstände, oder wenigstens mich passiv zu verhalten. Ich lehnte das Anerbieten natürlich keineswegs ab, um das schön aufblühende Vertrauen des edlen Herrn nicht zu früh zu verscherzen, ohne mich indeß zu etwas Bestimmtem zu verpflichten. So habe ich denn einen Blick in das Intriguengewebe gethan, worin die contrerevolutionäre Partei den Willen des Volks fangen will, der mir von Nutzen sein wird. Nun, die Zeit ist nahe, wo das Conto geschlossen und die Abrechnung gehalten wird. Wehe dann den diplomatischen Thierbändigern, wenn der starke Löwe sich erhebt und das Netz wie Spinnengewebe zerreißt.
Ralph sagte nichts, aber die doppelt kräftigen Schläge, welche seine pfeifenden Ruder dem[229] schäumenden Meere versetzte, verriethen seinen Ingrimm.
– Wo weilt jetzt deine Mutter, Salvador? – fragte Alice, von dem Thema abweichend.
– Ich weiß es nicht – versetzte dieser – aber Pater Angelikus sagte mir, ich würde sie wiedersehen, wenn der Augenblick gekommen.
Alice fragte nicht, welchen Augenblick der Pater gemeint habe. Sie verstand nur zu gut. Sie seufzte. – – Dieser Seufzer barg eine tiefe, unheilvolle Bedeutung. Sie dachte an den Fürsten Lichnowski, der Vorkämpfer der Volksfreiheit in Wien, und Lichnowski, der Verräther an der Volkssache in Berlin! Jenen hatte sie mit Leidenschaft geliebt, auf diesen blickte sie mit schmerzlicher Verachtung herab. Aber nicht blos diese Verachtung war es, die wie ein Winterreif auf die Liebesglut in ihrer Brust gefallen war und sie bis auf den letzten Funken gelöscht hatte, so daß nur noch die kalte Asche der Erinnerung übrig geblieben war – nicht nur diese Verachtung war es, was ihr Herz schmerzlich in diesem Augenblicke[230] zusammenzog, sondern der Gedanke an das Verhängniß, welches wie ein Damoklesschwert über seinem ahnungslosen Haupte schwebte, und dessen Erfüllung mit Sturmschritten herannahte. Sie schauerte oft wie in einem Fiebertraume zusammen, wenn sie auf den bleichen Salvador blickend schon das Racheschwert in seiner Hand zu sehen glaubte.
Sie sprach mit dem Knaben nie von seinem Vater, aber sie wußte, daß in seiner Brust nur zwei Gedanken und zwei Empfindungen lebten, das Gefühl der Erbitterung bei dem Gedanken an den Verführer seiner Mutter und das Gefühl der zerstörendsten Liebe bei dem Gedanken an Lydia.
Diese beiden Gefühle waren zuletzt trotz ihres völligen Gegensatzes zu einer einzigen Empfindung zusammengeschmolzen, und in der That hatten sie Eins gemein: das Gefühl einer stets unbefriedigten Sehnsucht und der daraus entspringenden tiefen Bitterkeit.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das Boot landete. Das letzte Roth war vom Himmel verschwunden, die Nacht senkte sich auf[231] das Meer herab. Ralph erhob sich zuerst. Er ergriff seine Doppelbüchse und lehnte sie vorsichtig an eine junge Birke am Fuße des Hügels. Dann reichte er Alicen die Hand, die diese jedoch nicht annahm, sondern mit einem graziösen Sprunge das Ufer erreichte. Salvador folgte ihr.
Ralph zog das Boot in die Bucht. Alle drei stiegen jetzt behutsam den Hügel hinan. Nachdem das Terrain rekognoscirt und sicher befunden war, wurde auf dem alten Runensteine Posto gefaßt.
– Wir müssen nach zwei Seiten hin auf Gäste gefaßt sein – sagte Alice, welche in der Erwartung des Abenteuers ihre düstere Stimmung gegen eine ausgelassene Munterkeit vertauscht hatte. – Es ist sehr wahrscheinlich, daß Gilbert den heutigen Abend selber zu einem Rendezvous benutzen wird. Salvador achte du auf die Landseite und melde Alles, was du siehst.
– Es ist nothwendig, Ralph, daß mich der Capitain allein trifft – sagte sie zu diesem. – Ist er nicht zu stark bewaffnet, so werde ich wohl schon mit ihm allein fertig. Jedenfalls kommst[232] du mir nicht eher zu Hülfe, als bis ich das verabredete Zeichen gebe. Das Andre wird sich finden. Hast du die Laterne und die Stricke in Bereitschaft?
– Alles in Ordnung – erwiederte Ralph, die Pistons der Büchse mit Zündhütchen versehend – schreiten wir bald zur Ausführung?
– Noch ist's nicht Zeit! – wollte Alice sagen, aber das Wort erstarb auf ihren Lippen; als ganz in ihrer Nähe, in der Richtung nach der Stelle hin, wo sie Salvador postirt hatte, ein Pistolenschuß fiel. Alice erbleichte. Ralph sprang mit dem Ausrufe: Wir sind verrathen – Salvador zu Hülfe. Alice folgte ihm.
Als sie die Stelle erreichten, bot sich ihnen ein unerwartetes Schauspiel dar. Gilbert lag, das abgeschossene Pistol krampfhaft in der Hand haltend, regungslos am Boden. Salvador knieete, mit der linken Hand seine Gurgel umschließend, auf seiner Brust, während die Rechte den funkelnden Dolch nach seinem Herzen zuckte.[233]
– Halt! – gebot Alice vortretend – tödte ihn nicht. Wir müssen ihn noch gebrauchen.
Salvador erhob sich und ließ Gilbert frei, welcher nun mit einem raschen Sprunge auf Alice zustürzen wollte. Da streckte sich ihm der Büchsenlauf Ralphs entgegen und bestürzt zurücktaumelnd wollte er sein Heil in der Flucht versuchen.
– Ein Schritt und du bist ein Sohn des Todes. –
Da brach die Kraft des Elenden zusammen.
– Was wollt ihr mit mir beginnen? – stammelte er zitternd, als Salvador Stricke herbeiholte und Gilberts Hände auf den Rücken zusammenband.
– An uns ist es jetzt, zu fragen, an dir, zu antworten – versetzte Alice. – Ins Boot mit ihm! – wandte sie sich zu Ralph.
Gilbert wurde ins Boot hinabgebracht und ihm bedeutet, daß bei dem geringsten Laut seinerseits eine Kugel sein Gehirn zerschmettern würde. Salvador wurde ihm zur Gesellschaft zurückgelassen. Dann wurde die Laterne angezündet, doch so,[234] daß nur von der Meerseite das Licht sichtbar war. Hierauf begab sich Alice zu Gilbert in das Boot hinab, welcher halsstarrig ihren Fragen ein consequentes Schweigen entgegensetzte.
– Da Ihr nicht antwortet, Chevalier – sagte sie endlich – so werde ich mir auf andere Weise Aufklärung verschaffen müssen. Ralph! – durchsuche ihn und bringe mir alle Briefschaften, welche er bei sich führt.
Nach wenigen Minuten kam Ralph mit einem Packet Briefe den Hügel hinauf. Alice öffnete es sogleich, begnügte sich jedoch, die Adressen und wenn sie an Gilbert selbst gerichtet waren, die Unterschriften zu lesen. – Von der provisorischen Regierung in Rendsburg – sagte sie – stecke ihn ein, Ralph, er kann uns als Empfehlungsschreiben dienen. – An den Capitain Falkson am Bord des Dannebrog. Wir wollen ihn ihm selbst vorlesen. Lege ihn zur Seite. – Vom General von Below an den General von Wrangel. Der kommt zum ersten.
An – – – – o Himmel! – rief Alice,[235] den Brief sowie einen andern, zu dem jener wohl die Antwort sein mochte, in ihre eigene Brusttasche steckend. – Es ist gut, daß ich meinen Brief heute früh nicht abgeschickt. Wer weiß, ob ich überhaupt noch an ihn schreibe, wenn ich diese hier gelesen. – Hier ist noch eine topographische Karte von der Ostküste Schleswigs und – – das ist Alles – – – –. Hatte er es sehr versteckt?
– Er trug das Packet auf bloßer Brust.
– St! Hörtest du nichts?
– In der That, es schien mir, als ob in der Entfernung sich ein Ruder ins Meer senkte.
– Er ists. Auf deinen Posten, Ralph!
Man hörte jetzt deutlich das Boot sich dem Lande nähern.
– Gieb mir doch den Brief an den Capitain zurück – sagte Alice, überlegend, daß dieser Brief ihr als Mittel dienen könnte, wenn der Capitain, durch die fremde Erscheinung überrascht, es für besser halten sollte, sich wieder in sein Boot zurückzuziehen.[236]
Ralph seufzte, als er den Brief wieder herausgab. Denn er verstand Alicens Gedanken sehr wohl. Auf den Rückzug des Capitains hatte er seine letzte Hoffnung gesetzt, die Wette zu gewinnen. Wie die Sachen nun standen, mußte er sie verlieren, wenn er nicht Alicen ins Verderben stürzen wollte.
Das Boot landete. Man hörte die Schritte des Capitains durch das hohe Gras streifen. Jetzt hatte er den Steig, der zum Gipfel führte, erreicht.
– Guten Abend – schallte Alicen eine Stimme entgegen. Sie erschrack. Das war nicht das Organ des Capitains. Dennoch erwiederte sie den Gruß, vergaß jedoch in der Verwirrung ihre Stimme zu vertiefen; der Fremde stutzte und trat dann mit größerer Vorsicht näher. Alice hatte sich indeß gesammelt.
– Warum ist der Capitain nicht selbst gekommen? – fragte sie, einen Schritt vortretend. – Ich kenne Sie nicht, mein Herr, und erwarte Sie auch nicht.[237]
– Wir scheinen in gleichem Falle – versetzte Jener, ein junger Mann in der Uniform eines dänischen Seeofficiers – doch, eine Frage erlauben Sie: Kennt und erwartete der Capitain Sie?
– Natürlich, was soll die Frage? Würde er sonst meiner Aufforderung gefolgt sein?
Der Officier wußte nicht, was er aus der merkwürdigen Erscheinung dieses in Freischärleruniform ihm entgegentretenden Weibes machen sollte. In ihrem Anschauen verloren, fiel es ihm nicht ein, daß sie wahrscheinlicher Weise nicht allein hieher gekommen sein dürfte.
– Kommen wir zur Sache! – fuhr Alice fort. – Sind Sie im Auftrage des Capitains hier, so wird er Ihnen ohne Zweifel eine Vollmacht ausgestellt haben. Sind Sie damit versehen?
– Allerdings – erwiederte jener zögernd. – Allein, dieselbe ist für den Chevalier – – –[238]
– Chevalier St. Just, ich weiß es. Indeß da er zu kommen verhindert ist und mich beauftragt hat, seine Stelle einzunehmen. – – –
– Auch Sie besitzen dann natürlich eine Vollmacht? – fragte der Officier. – –
– Wozu? Da mich der Capitain kennt. Indessen wird Ihnen dies genügen. Sie hielt den Brief an den Capitain so, daß das Licht der Laterne darauf fiel.
Der Officier verneigte sich. Ich bin befriedigt – doch habe ich einen Wunsch – – – –
– Der wäre?
– Zu wissen, mit wem mich das Schicksal zu diesem wunderbaren Rendezvous zusammengeführt hat.
– Es thut mir leid, daß ich Ihnen in diesem Augen blicke nicht genügen kann, doch werden Sie noch heute meinen Namen erfahren. Lassen Sie jetzt hören, wie weit die Verhandlungen vorgeschritten sind.
– So weit, daß übermorgen der Abschluß des Waffenstillstandes zu erwarten steht. Es waren[239] seitens des Reichscommissarius der deutschen Centralgewalt und des Generals Wrangel einige Schwierigkeiten gemacht worden. Da drohte das preußische Cabinet mit einem Separatfrieden und dem General Wrangel mit Entlassung aus dem preußischen Dienste; und die Herren gaben nach.
– Wie aber, wenn die preußische Regierung in Frankfurt desavouirt wird?
– Dafür ist gesorgt. Es wird vielleicht einige Stürme setzen, und die Majorität schließlich die Sache als fait accompli betrachten und darüber zur Tagesordnung übergehen.
– Woher wissen Sie das?
– Der Capitain hat es von Herrn von Reetz gehört. Es wird versichert, daß der Fürst Lichninsky, Herrn von V. und einige andere Mitglieder der Rechten sich für die Majorität verbürgt hätten.
– Wahrhaftig! – rief Alice in einem Tone, der die bittere Ironie, welche ihre Lippen umzog, nicht hinlänglich versteckte. – Das sind in der[240] That erfreuliche Nachrichten – – – und glauben Sie, daß dem Waffenstillstande ein Frieden folgen wird?
– Schwerlich. Ein Frieden liegt gar nicht in der Absicht des dänischen Kabinets. Es würde den Krieg fortführen, wenn es die Möglichkeit eines Erfolges sähe. Allein wir wissen recht gut, daß, wenn wir so lange warten, bis vielleicht ein strenger Winter die Blokade der Häfen unmöglich, dagegen den Uebergang der feindlichen Truppen nach Alsen und Fünen möglich macht, die Abschließung eines Waffenstillstandes seine Schwierigkeiten haben könnte. Der Zweck des Waffenstillstandes ist kein anderer, als den Winter in Ruhe und Sicherheit auf die Vorbereitungen zu einem Frühlingsfeldzuge bedacht sein zu können. Deshalb wird auch derselbe spätestens bis zum März dauern.
– Und die Paulskirche ist in diesen Landesverrath eingeweiht? – rief Alice, die ihre Entrüstung nicht länger bemeistern konnte, voller Hohn aus.[241]
Der Officier sah sie erstaunt an. – Ich verstehe Sie nicht – sagte er.
– O, armes, betrogenes Vaterland, daß diese Elenden es wagen dürfen, dich zum Spielball der Fürstenlaunen herabzuwürdigen! – Sie sind mein Gefangener, Lieutenant – wandte sie sich an den Erstaunten, der einen Schritt zurücktretend die Hand an den Degen legte.
In demselben Moment aber fühlte er sich von zwei starken Händen an den Schultern gefaßt und zu Boden gezogen. Ehe er einen Ruf nach Hülfe ausstoßen konnte, war sein Mund mit einem Schnupftuch verstopft.
Nachdem die Hände des Officiers zusammengebunden waren, bat Alice ihn mit der liebenswürdigsten Freundlichkeit, sich zu erheben; worauf alle Drei sich nach dem Boote in Bewegung setzten.
– Chevalier – sagte scherzend Alice – unsere Gesellschaft hat sich vermehrt.
Erlauben die Herren, daß ich Sie einander vorstelle; Chevalier von St. Just und – – –[242] ja so, ich weiß Ihren Namen noch nicht. So muß der Chevalier noch das Vergnügen entbehren, Ihre Bekanntschaft zu machen.
Ralph stieß das Boot vom Lande ab. Da ließ der Chevalier, dessen Mund frei war, auf einen bezeichnenden Blick des Officiers, plötzlich einen gellenden Pfiff ertönen.
– Guter Gilbert, Du wirst Dich noch um Deinen Kopf pfeifen – rief Alice, auf ihn zueilend und ihr eigenes Schnupftuch ihm zwischen die Zähne schiebend. – Zieh' die Ruder fester an, lieber Ralph; und das Boot durchschnitt, trotz der großen Last, die es trug, pfeilschnell die hochaufzischenden Wogen.
Doch zeigte es sich bald, daß der Pfiff seine Wirkung nicht verfehlt hatte. Das Boot des Officiers, von zwei rüstigen Matrosen bemannt und fast leer, wie es war, hatte nicht sobald die Spur des fliehenden Fein des bemerkt, als es mit einer Geschwindigkeit, die der des Fahrzeugs unserer Freunde um das Doppelte überlegen war, die Jagd begann.[243]
– Halt ein, Ralph, es nützt zu Nichts, daß wir fliehen. Du kannst Deine Kräfte besser brauchen. Zieh' die Ruder ein und nimm die Büchse zur Hand. Salvador, Du, nimm das Pistol Gilberts. So!
Das Boot kam mit furchtbarer Schnelligkeit näher. Doch da die Dunkelheit, selbst die nächsten Gegenstände, nur als ungewisse Schatten erscheinen ließ, so konnten die Angreifer unmöglich die Distance zwischen ihrem und dem feindlichen Boote berechnen. Sie hatten sich nur durch den Schall der Ruder leiten lassen und waren jetzt, da diese schwiegen, in völliger Ungewißheit über die Richtung, welche sie einzuschlagen hätten. Indessen verminderten sie die Schnelligkeit nicht, in der Meinung, daß durch ein Umschlagen des Windes der Schall nach einer andern Seite geführt werde.
Alice saß, den starren Blick auf das näherkommende Boot gerichtet, am Steuer. Jetzt sah sie es heranschießen. Ein Druck am Steuer und das gehorsame Fahrzeug beschrieb einen Halbkreis[244] und stieß im nächsten Augenblick dem heranstürmenden Feinde den Kiel in die Flanke. Während es selbst nur von der Erschütterung getroffen, tief stöhnte, verloren die beiden Männer des feindlichen Bootes das Gleichgewicht und stürzten über Bord ins Meer.
– Jetzt, Ralph! – sagte Alice – mit einem Lächeln der Zufriedenheit – lege die Ruder wieder ein! –
Von Neuem setzte sich das Fahrzeug in Bewegung, während die beiden Matrosen, wieder auftauchend, den Bord des Bootes zu erfassen suchten. In der That gaben sie, durch ihren Unfall erbittert, nachdem sie sich glücklich ins Boot zurückgerettet hatten, nicht nur nicht die Verfolgung auf, sondern setzten sie mit noch größerem Eifer fort. Aber theils der Umstand, daß sie ein Ruder eingebüßt, theils die große Entfernung, in der sich bereits das verfolgte Boot befand, ließen sie bald von ihrem Vorhaben abstehen.
Als Ralph gelandet war, wurde Kriegsrath über die Gefangenen gehalten und beschlossen,[245] daß sie so lange im Boote unter der Aufsicht Salvadors und Alicens zurückbleiben sollten, bis Ralph vom General von Wrangel Bescheid darüber erhalten, was mit dem dänischen Officier geschehen solle.
Nach kurzer Zeit kehrte Ralph niedergeschlagen und erbittert durch die Antwort zurück, daß, da die Abschließung des Waffenstillstandes nahe bevorstehe, der Officier nicht zurückgehalten werden dürfte, weil eine solche Gefangennehmung, besonders unter den Umständen, wie sie veranstaltet worden, moralisch als ein Friedensbruch betrachtet werden würde.
– Ich hab's Dir ja vorhergesagt – erwiederte Alice ruhig. Binde ihnen die Hände los und lasse sie frei.
– Auch Gilbert? – fragte Salvador.
– Ja! – erwiederte Alice, die ein unbezwingliches Gefühl davon abhielt, den Elenden der tausend Mal verdienten Strafe anheimzugeben.
Schweigend lösten Salvador und Ralph die Stricke, mit denen die Hände der Gefangenen gefesselt[246] waren. Ohne ein Wort zu wechseln, entfernten sich diese.
Die drei Freunde aber bestiegen wieder ihr Boot und begaben sich, am Ufer hinsteuernd, auf den Rückweg.
Alice schien über einen Entschluß zu sinnen.
– Woran denkst Du? – – fragte Ralph, sich zu ihren Füßen kauernd, während Salvador gemächlich das Boot in Bewegung setzte.
– Ich überlege, ob ich schon Morgen reisen soll, oder erst den Abschluß des Waffenstillstandes abwarte.
– Reisen! – fragte bestürzt Ralph, sich halb aufrichtend.
– Wie kann Dich das wundern? Ich halte es hier nicht mehr aus, nachdem abermals alle Hoffnungen verschwunden, die ich auf das frisch aufblühende Leben, auf die politische Regeneration Deutschlands, die – wie ich meinte – hier in Schleswig ihren Anfang nehmen würde, gesetzt hatte.[247]
– Du siehst zu schwarz, Alice. – Wenn irgendwo, so finden wir hier diejenigen Elemente, welche die erste Bedingung jedes volksthümlichen Staatslebens sind, ich meine: nirgends hat die demokratische Bildung und das Bewußtsein des Volks über seine eigene Souverainität tiefere Wurzeln geschlagen, als in dem »meerumschlungenen« Schleswig.
– Du irrst, mein Lieber – sagte traurig Alice – die demokratischen und selbst republikanischen Elemente, welche hier sein mögen, concentrirten sich in den Freischaaren und den süddeutschen Truppen. Die Schleswiger selbst sind reine Bourgois, die nur einen einzigen erregbaren Punkt in ihrer indifferenten Seele besitzen, ihren Haß gegen Dänemark; und selbst über diesen Haß beginnt sich bereits eine Decke zu legen. Ziehen die Truppen aus dem Lande, werden die Freischaaren aufgelöst, und geht der brave Major von der Tann nach München zurück, dann ist hier Alles zu Ende.
– Es mag sein, daß dadurch Schleswig aufhört,[248] der Schauplatz der Entscheidung über das künftige Schicksal Deutschlands zu sein, indessen werden nicht alle Truppen zurückgezogen, und wenn auch die Freischaaren aufgelöst werden, so bleiben doch unter der Linie noch tüchtige Kräfte.
– Zum Beispiel? –
– Zum Beispiel der Major von H. Auch er gehörte, wie Du weißt, den Freischaaren Tann's an, und Du wirst nicht leugnen, daß er zu den ehrlichsten Republikanern gehört.
– Dein Beispiel ist unglücklich gewählt. Herr v. H. ist meiner gewissen Ueberzeugung nach der entschiedenste Absolutist, den sich die Regierung nur wünschen kann.
– Ah, Du scherzest! – sagte Ralph ungläubig lächelnd.
– Ich könnte Dir die Biographie des sehr ehrenwerthen Herrn Magnus H. – so wie manche Historien über den Republikanismus unserer »entschiedensten Demokraten« erzählen – sagte mit Bitterkeit Alice. –[249]
Aber die Zeit wird kommen, wo nicht nur ihre Maske, sondern der ganze Kopf herabfallen wird. – Trotzdem – setzte sie nach einer Pause hinzu – würde ich es jetzt als eine Pflicht betrachten, hier zu bleiben, wo ich zuerst nur aus Vergnügen war – wenn mich nicht andere Pflichten abriefen.
– Andere Pflichten? – sagte traurig Ralph. – Ich begleite Dich – Alice.
– Nein, ich gehe allein. – Nur Salvador kommt mit mir. Du, Ralph, mußt bleiben, weil es auch für Dich hier Pflichten giebt.
– Und wohin gehst Du? – fragte er noch einmal.
– Nach Frankfurt.
– Nach Frankfurt! – wiederholte mit zitternder Stimme Ralph, indem er einen halb ängstlichen, halb vorwurfsvollen Blick auf Alicen warf.
– Hast Du Vertrauen zu mir? – sagte mit Ernst Alice.[250]
– Ja! – erwiederte aus voller Seele Ralph, die Hand auf's Herz legend.
– Nun, dann frage nicht weiter, leb' wohl und denke meiner. Wir sind am Ziele.[251]
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