[264] In derselben Nacht rückten 3000 Mann Preußen und Oesterreicher ein.
Als die Abgeordneten sich nach der Paulskirche zur Sitzung begaben, fanden sie dieselbe vom Militär umringt. Zwar wurden die Truppen auf die Reclamationen der Linken Anfangs zurückgezogen, bald jedoch, als die Masse des Volks immer größer und seine Haltung immer drohender wurde, wieder herbeigerufen. Aber das Volk hatte einmal Posto gefaßt und setzte dem andringenden Militär Widerstand entgegen.
In der Paulskirche hatte man nach Absolvirung der Waffenstillstandsfrage die Berathung der Grundrechte wieder aufgenommen und Artikel 4,[264] welcher über »Lehrfreiheit« handelt, zur Debatte gestellt, als plötzlich der Tumult draußen so anwächst, daß des Präsidenten Stimme ihn kaum zu übertönen vermag. – –
Schläge donnern an die Thür. Erschreckt springen die ehrenwerthen Herren von ihren Sitzen empor. Das Haus geräth in Unruhe – – – man flüstert sich das Schreckenswort »Barrikade« zu – – von der Rechten begeben sich einige Mitglieder nach der Thür, um die Soldaten zum Widerstande zu ermuntern.
Da knallt der erste Schuß in das Volk; ein 60jähriger Greis stürzt zusammen.
Das Volk stiebt auseinander, voller Wuth über den frischen Mord. Rasch organisirt sich der Widerstand. Barrikaden wachsen mit wunderbarer Schnelligkeit aus der Erde empor und werden von Offenbacher, Isenburger und Hanauer Republikanern besetzt, die in zahllosen Schaaren herbeigeeilt waren, die Schmach, welche die Nationalversammlung über Deutschland gebracht, abzuwaschen. Um Mittag entbrennt der Kampf auf allen Punkten,[265] das schwere Geschütz donnert durch die Scheuer- und Fahrgasse und gegen die Barrikaden am Römerberge.
Das Volk kämpft mit einem Muthe, den nur die Verzweiflung zu erwecken im Stande ist.
Die Stadt wurde in Belagerungszustand erklärt und das Standrecht proklamirt.
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Zweimal begab sich eine Deputation der Linken zum Erzherzog Johann und bat ihn, die Truppen zurück ziehen und dem Blutbade ein Ende machen zu lassen.
Der Reichsverweser war bereit, dem Wunsche Folge zu leisten, wenn das Volk verspräche, die Barrikaden zertrümmern zu wollen, aber die Minister verweigerten dem schon ausgefertigten Befehl ihre Contrasignatur.
Dagegen gestatteten die Minister um 4 Uhr eine halbstündige Waffenruhe, um den Insurgenten Zeit zur Abtragung der Barrikaden zu gewähren.
Die Frist lief ab und der Angriff begann aufs Neue.[266]
Um 8 Uhr Abends war der Kampf so gut wie beendet, obgleich noch einige Schüsse gehört wurden. Die Kartätschen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Zu Hunderten lagen die Verwundeten und Todten in den Häusern und auf den Straßen umher. Blut röthete die Trümmer der Barrikaden. –
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Alice saß während des heftigsten Kampfes auf ihrem Zimmer in der Allerheiligengasse, dort, wo sie an die Zeil mündet. Dicht unter ihrem Fenster erhob sich eine starke Barrikade, welche von österreichischen Soldaten angegriffen wurde. Sie dachte an die Berliner Märznacht und seufzte aus tiefer Brust. Welch' ein Unterschied zwischen dem Jetzt und Damals! Wie freudig, mit wie muthiger Zuversicht des Sieges war sie damals auf die Straße hinabgestiegen und hatte die wackern Kämpfer angefeuert – wie zaghaft, mit wie schmerzlicher Bekümmerniß blickte sie heute auf den unseligen Kampf herab.
Unbewußt flossen ihre Thränen, da fuhr sie[267] plötzlich mit einem Schrei des Schreckens empor. Sie glaubte Gilbert auf der Barrikade gesehen zu haben. Eine Reihe von Gedanken durchflog ihre Seele.
Schnell entschlossen eilte sie hinab. Sie drängte sich durch den Haufen hindurch, unbekümmert um die Kugeln, welche sie umsausten.
Endlich erreichte sie ihn. –
– Gilbert! – rief sie mit aller Anstrengung, deren sie fähig war.
Er wandte sich und stürzte mit geschwungener Büchse auf sie zu. Unfehlbar hätte er ihr das Hirn zerschmettert, wenn nicht ein Arbeiter, ihre Gefahr sehend, den Rasenden zurückgerissen und festgehalten hätte.
Angst, Verzweiflung raubten Alice im ersten Augenblicke fast die Sprache. Die Hände über der Brust zusammenpressend, flüsterte sie ihm zu:
– Der Fürst ist in Gefahr! Komm, ihn retten!
In Gilbert ging bei diesen Worten eine merkwürdige Verwandlung vor. – Mit dem Ausdruck[268] eines unauslöschlichen Hasses, dessen Gegenstand aber nicht Alice zu sein schien, ballte er die Faust und murmelte: – Schnell, ehe es zu spät ist!
Die entgegengesetzte Seite der Haasengasse war noch frei. Rasch eilten sie durch einige Quergassen und kamen ins Freie. Alice wußte, daß der Fürst sich häufig in dem Landhause des Herrn v. Bethmann aufhielt, das nicht nur seiner reizenden Lage, sondern auch anderer reizender Gegenstände wegen, wie böse Zungen behaupteten, die Aufmerksamkeit des Fürsten erregt hatte.
Als sie die Chaussee Friedberg erreichten, stießen sie auf einen Trupp Turner, welche sie nach dem Fürsten fragten.
– Wir suchen ihn selbst – war die Antwort. – Hier herum muß er versteckt sein, wir hörten, er sei vor einer halben Stunde nach dem Eschenheimer Thor geritten.
Schweigend eilten die Beiden der Stadtmauer entlang, nach dem Eschenheimer Thore zu. Alice vergaß Alles, was der Fürst gegen sie und die heilige Sache, für die sie kämpfte, gesündigt. In[269] diesem Augenblicke stand nur der lebensmuthige, ritterliche Mann vor ihrer Seele, und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er sterben solle, den sie einst geliebt.
Gilbert blieb stehen. Alice folgte der Richtung seiner Blicke. Zwei Reiter sprengten vom Eschenheimer Thor im Galopp auf sie zu.
– Er ist's – rief sie, Gilberts Hand fassend, der, sie heftig von sich schleudernd, auf das kleine Gebüsch, welches den Stadtgraben bezäumt, und aus welchem ein zweiter Trupp Turner und Arbeiter hervortrat, zueilte.
Sie waren mit Sensen, Piken und Büchsen bewaffnet und schaarten sich um eine blutrothe Fahne, die hoch in der Luft flatterte.
– Auf, Brüder! – rief Gilbert, seinen Säbel schwingend – seht dort! Es ist Lichnowski.
– Hurrah! – brüllten die Turner, den beiden Reitern entgegenstürzend.
Die Reiter stutzten und wandten ihre Pferde. Da knallten einige Schüsse und der Begleiter des Fürsten, der General von Auerswald, stürzte vom[270] Pferde herab, das, sich hochaufbäumend, in gewaltigen Sätzen queer über die Felder davonjagte.
Der Fürst, welcher ebenfalls durch einen Streifschuß verwundet worden war, sprengte von der Straße hinab auf das Landhaus des Herrn von Bethmann zu, welches kaum fünfhundert Schritt entfernt war. Aber sei es, daß sein Pferd in dem feuchten Boden nicht gut fort konnte, oder daß es ebenfalls verwundet war: Er hielt plötzlich, stieg ab und eilte, so schnell er konnte, dem Bethmannschen Garten zu.
Mit wüthendem Geschrei folgten ihm die Turner, Gilbert voran.
An der Ecke des Gartens steht ein kleines, freundliches Haus, das dem Kunstgärtner Schmidt gehörte. Als Lichnowski bis zu diesem Hause gekommen war, öffnete sich eine Thür. Er schlüpfte hinein.
Wenige Minuten darauf hatten auch die Turner das Haus erreicht. Stürmisch verlangten sie Einlaß. Vergebens, die Thür war von innen fest verrammelt.[271]
– Wartet Freunde! sagte ein junger, schmächtiger Mann, welcher sich durch eine scharlachrothe seidene Schärpe, aus der der Griff eines prächtigen Dolchs hervorsah, auszeichnete – ich werde Euch Eingang verschaffen. Folgt mir!
Sie eilten die Gartenmauer hinab bis zu einer kleinen Pforte.
Der junge Mann zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete. Das Haus wurde von allen Seiten umzingelt. Wüthend über den Widerstand ergriffen die Turner einen Balken und rannten mit demselben die innere Thüre ein.
Indessen hatte Alice, welche, über Gilberts Verfahren entsetzt, keiner Bewegung fähig, aber eine Beute wahnsinniger Angst, eine schweigende Zuschauerin der eben beschriebenen Scene gewesen war, ihre letzten Kräfte gesammelt, um den letzten Versuch zu seiner Rettung zu wagen.
Sie stürzte dem Hause zu und gelangte auf demselben Wege, den die Turner sich geöffnet hatten, hinein.[272]
Aber es war zu spät. Der Haufen kam ihr schon tobend und jubelnd, den Fürsten mit sich schleppend, entgegen. Sie drängte sich durch die Menge hindurch.
Felix! – rief sie mit herzzerreißendem Tone, in welchem sich der ganze unendliche Jammer ihrer Seele aussprach.
Der Fürst, der aus mehreren Wunden blutete, wandte seinen Blick nach der wohlbekannten Stimme. Seine Augen strömten einen geisterhaften Glanz aus, als er Alicen sah. Er bewegte die Lippen, aber kein Laut entfuhr denselben.
Man ließ ihn auf den Boden sinken. Die Rasenden, deren Wuth befriedigt war, wollten ihn freilassen und sich entfernen.
– Ha, ihr elenden Wichte! – rief da ein Turner, dessen edles, feingeschnittenes Gesicht von rabenschwarzen Locken umschattet wurde. – Ist das Eure Rache? Gedenkt Ihr nicht der höhnenden Worte, die dieser Verräther noch heute, als der Kampf schon begonnen, an der Hauptwache sprach:[273]
»Ich will doch einmal zusehen, wie sich die Canaille schlägt!«
Nein, er muß sterben, sage ich. Wir wollen ihn ausstellen, als Zielscheibe für unsere Kugeln.
– Hurrah! – rief der zu neuer Wuth entflammte Haufen – der Verräther muß hingerichtet werden.
Während man die Vorbereitungen dazu traf, hatte sich Alice zur Seite des Fürsten niedergelassen. Da trat jener Turner mit den schwarzen Locken auf sie zu und sagte mit düsterer Stimme:
– Das ist kein Platz für Euch, Sennora! Steht auf! –
– Ines! – rief Alice. Ines! Ihr seid ein fürchterliches Weib.
– Meine Rache ist furchtbar, wie mein Schmerz. –
Mit festem Blick schaute Ines auf den Fürsten herab, dessen Augen geschlossen waren.
– Willst Du wissen, mein Geliebter – sagte sie kalt – wessen Hand den Dolch führte, der zuerst in Deine Brust sich senkte? –[274]
– Salvador wars, Dein Sohn und meiner. –
– O, tödtet mich! um des Ewigen Barmherzigkeit willen! –
Alice, die jetzt bis zu demjenigen Punkte des innern Seelenschmerzes gekommen war, in dem der Geist selbst gegen das Ungeheuerste abstumpft, fragte mechanisch:
– Wo ist Salvador? sein unglücklicher Sohn? –
– Todt! – antwortete eintönig Ines. – Er stieß sich selbst den Dolch ins Herz.
In diesem Augenblicke kehrten die Turner aus dem Hause zurück. Einer von ihnen trug eine Tafel, auf welcher mit großen Buchstaben geschrieben war:
»So stirbt ein Verräther des Vaterlandes!«
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