V

[78] Es war eine kleine ärmliche Wohnung, die Ines und Salvador inne hatten, denn sie bestand nur aus einer Stube mit wurmstichigen Möbeln, und einer Kammer, die nichts enthielt, als einen Strohsack und einen daneben stehenden hölzernen Schemel. Hier wohnte oder vielmehr schlief Salvador, denn wenn ihn sein rastloses Temperament nicht auf der Straße umhertrieb, so saß er wohl Abends zuweilen neben seiner Mutter auf dem altmodischen Sopha, dem Prachtstück des Zimmers und erzählte ihr von den blühenden Mandelwäldern in den schönen Thälern Kataloniens. Dann pflegte der schwere Trübsinn, der wie eine düstre Wolke auf ihrer edlen[78] Stirn gelagert war, einer sanfteren Stimmung zu weichen und das Eis stolzer Gleichgültigkeit, welche den majestätischen Zügen ihres bleichen Gesichts tief eingegraben war, in einige warme Thränen der Wehmuth zu schmelzen. Das waren des Knaben glücklichste Stunden – denn mit dem zartfühlenden Instinkt halb barbarischer Naturen vermied er jeden Versuch des Trostes, der Ines nur beleidigt und gereizt, aber nicht beruhigt hätte, während für sie, die von der Zukunft nichts erwartete, als den einstigen Triumph der Rache über den, der ihres Lebens Keim für immer vergiftet, die Erinnerung an die schöne Vergangenheit noch die einzige Quelle milderer Gefühle war. Ines Charakter war aus zwei – scheinbar widersprechenden und doch bei höheren Naturen so oft zusammenkommenden – Elementen gebildet: aus ruhiger, nie ihres Zieles vergessender Consequenz im Handeln und maßloser Leidenschaftlichkeit im Empfinden. Die Einheit dieser beiden Elemente prägte sich auch in ihrem ganzen Wesen aus. Ihre stolze schlanke Gestalt – Ines zählte[79] erst 32 Jahre – war in Bewegung und Ruhe der vollkommenste Ausdruck eines festen, thatkräftigen aber zugleich sich selbst beherrschenden Geistes: wenn sie einherschritt, oder sich mit irgend Etwas – mochte es auch das Unbedeutendste sein – beschäftigte, stets lag auf jeder ihrer Bewegungen das Gepräge einer ihres eigenen Werthes und ihrer Macht bewußten, königlichen Seele. Regte aber irgend eine Erinnerung, ein vergilbtes Blättchen aus den Zeiten ihres Glücks oder auch nur ein Gedanke an jene für sie unvergeßliche Zeit ihre Empfindung an, so gab augenblicklich der düstere glutgetränkte Glanz, welcher aus ihren großen schwarzen Augen strahlte und das Zittern ihrer feingeschnittenen Lippen Zeugniß von den tiefern Wogen der Leidenschaft in ihrem stolzen Herzen.

Ines Gefühle und Gedanken bewegten sich wie der Magnet nur stets nach einer und derselben Richtung. Das ehemalige Glück ihrer Liebe und der Verrath ihrer Liebe: das waren die beiden Pole ihrer Empfindung. War ihre Liebe[80] gewaltig und Titanen gleich gewesen, so war es jetzt ihr Haß und das Bedürfniß der Rache. Aber sie verschloß beide Gefühle, die Erinnerung an ihre Liebe und die Hoffnung auf Rache tief in ihrer Brust. Selbst mit Salvador hatte sie nur einmal davon gesprochen; es war an seinem 15. Geburtstage, als sie ihn in ihr ganzes Leiden einweihte. Salvador hatte mit zerrissenem Herzen zugehört, aber ohne auch nur durch einen Laut zu verrathen, was in jenen Augenblicken in ihm vorging: aber als sie geendet, war er zu ihren Füßen gekniet, und hatte ihr mit fester Stimme den Schwur geleistet, sie zu rächen. Da hatte Ines die rothseidene Schärpe hervorgeholt und sie dem Knaben um den Leib gewunden, und einen Dolch aus dem Busen gezogen und ihn in die Schärpe gesteckt. – Salvador hatte sie verstanden – und es war weiterhin keine Rede mehr darüber zwischen ihm und seiner Mutter, aber das natürliche, unbefangene Verhältniß zwischen ihnen war seitdem verändert worden. Nicht als wenn die Liebe und Verehrung, welche Salvador[81] für seine Mutter empfunden, an Tiefe und Innigkeit verloren; im Gegentheil, er gelangte nun erst zum vollen Bewußtsein darüber, wie heiß diese Liebe, wie lebendig diese Verehrung war: aber es mischte sich diesen rein kindlichen Gefühlen eine neue bis dahin ihm unbekannte Empfindung bei, wel che mit einem Worte zu bezeichnen unmöglich ist. Er wurde seit jenem Tage stiller und in sich gekehrter. Sein Frohsinn, seine muntere Laune war verschwunden. Er war, ein 15 jähriger Knabe, zum Manne gereift. Er fiel jetzt nicht mehr, wie früher, wenn er von seinem tagelangen Umherschweifen nach Hause zurückkehrte, seiner Mutter jubelnd um den Hals, um ihre Vorwürfe über sein langes Fortbleiben durch Küsse zu ersticken – er fragte nicht mehr, wie früher, wenn sie zuweilen seinen Liebkosungen mit einem schweren Seufzer oder gar mit Thränen antwortete, mit trauriger Miene, ob sie ihm zürne: er küßte nur zuweilen ihre noch immer schönen Hände und blickte sie – wenn sie es nicht bemerkte – mit einem Blicke an, in dem[82] sich eine an Schwärmerei grenzende Liebe und Verehrung abspiegelte.

Ines beunruhigte sich zuerst über diese plötzliche Aenderung in dem Charakter ihres Sohnes, allmälig aber gewöhnte sie sich daran, besonders als sie gewahrte, daß seine Liebe zu ihr keinen Abbruch erlitt. Denn sie besaß ja nichts weiter, als dieses Kindes Liebe.

Es ist natürlich, daß zwei Menschen, die einen gemeinsamen Schmerz haben, selten, ja fast nie davon mit einander reden, obgleich jeder weiß, daß derselbe in des Andern Gedanken eben so wie in seinen eigenen fortlebt. So war's auch mit Ines und Salvador. Sie zeigten einander nie ihre Trauer, noch sprachen sie davon, so daß ein Dritter, der sie nicht kannte und nicht in ihr Inneres zu schauen vermochte, vielleicht glaubte, daß sie wenig für und mit einander fühlten, sondern in frivoler Gleichgültigkeit neben einander hinlebten. Denn da ihre Gedanken fast stets dem einen Gegenstande, der ihrem Leben die Richtung gegeben hatte, zugewandt waren, so waren sie[83] überhaupt einsylbig und äußerlich indifferent in ihrem täglichen Umgange, außer wenn – wie wir schon erwähnt – Salvador Abends in der Mußestunde von der Heimath erzählte, dann brach durch die Rinde jener scheinbaren Indifferenz die tiefe Gemeinschaft ihrer Empfindungen und Gedanken durch – dann weinten sie wohl lautlose Thränen, Salvador, indem er seinen Kopf in den Schooß der Mutter legte, Ines, indem sie ihren heißen Mund in die schwarzen Locken des Sohnes drückte.

Heute aber war Salvador ein Anderer.

Er hatte Lydia kennen gelernt; er hatte dem Fürsten in's trotzige Auge geblickt: zwei Erinnerungen, deren jede – so entgegengesetzter Natur und Wirkung auf ihn sie waren – hinreichte, um seine Bewegung zu rechtfertigen. Vielleicht wäre diese noch heftiger gewesen, wenn nicht der Eindruck der einen, wechselsweise von dem der andern paralysirt worden wäre.

Ines bemerkte mit einem Blicke seine Unruhe. Doch schwieg sie, weil sie wußte, daß er ihr nie[84] Etwas verhehlte, das von Wichtigkeit war. Als er aber, im Zimmer angelangt, anfing, die Livree, welche er auf Geheiß des Paters angelegt, von seinem Körper zu reißen und mit Füßen zu treten, während die Röthe des Zorns und der Schaam aus seinen Augen blitzte und seine Wangen mit tiefem Purpur bedeckte: – da konnte Ines ihr Erstaunen nicht länger verbergen.

– Salvador!? – fragte sie mit halb vorwurfsvollem, halb fragendem Tone.

Aber Salvador hörte nicht. Halb entblößt stand er mitten in der Stube auf den Trümmern der unschuldigen Livree, die Hände geballt und Thränen der Wuth in den Augen.

– Salvador!? sagte noch einmal Ines, deren Erstaunen zur Bestürzung wurde, mit dem Accent mütterlicher Angst, indem sie die Hand auf seine Schulter legte.

Da brach des Knaben Leidenschaft in ein wildes Schluchzen aus. Er sank in die Kniee und barg sein Haupt in der Mutter Schooß.[85]

– Was ist Dir, Kind? Sprich, was ist geschehen? –

Lange konnte der arme Knabe keinen Laut hervorbringen. Endlich stammelte er die Worte:

– Ich habe Ihn gesehen, Mutter. –

Wie ein Blitzstrahl, so erschütterten diese wenigen Worte das stolze Herz der Spanierin. Sie erbleichte und schwankte. Salvador fing sie in seinen Armen auf und so knieten sie beide, die Arme in einander geschlungen, das Haupt auf des andern Schulter gelehnt. Mochte es der furchtbare Eindruck sein, den Salvador durch die Mittheilung auf seine Mutter hervorgebracht, und der eine beruhigende Rückwirkung auf ihn ausübte, oder war es vielleicht auch der Gedanke daran, daß er nicht nur »ihn«, sondern auch sie gesehen: genug, er richtete sich zuerst empor und sagte fast vorwurfsvoll:

– Warum weint die stolze Ines? Deine Thränen kommen zu früh, meine Mutter. Ich habe gesagt, daß ich Ihn gesehen. Ich habe nicht gesagt, daß ich ihn getödtet. –[86]

Ines sprang empor. Der Pfeil hatte getroffen.

– Du hast recht, Knabe. Aber ich glaubte, wenn mein Salvador sagte, daß er ihn gesehen, so wäre es überflüssig, zu fragen, ob er ihn getödtet. –

Salvador senkte den Kopf, dann wies er auf die an der Erde liegende Livree und murmelte: – Der Tio ist daran schuld, daß er noch lebt.

– Und er wird recht gehabt haben – erwiederte Ines, die sich jetzt gefaßt hatte. – Verzeih' mir, mein Sohn, Beides: meine kleinliche Schwäche und meinen ungerechten Vorwurf.

Salvador erzählte jetzt seine Abenteuer vom heutigen Tage. Als er Lydias erwähnte, stockte er anfangs. Doch Ines war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um darauf zu merken. Er hatte vollendet. Doch schien es, als habe er seiner Mutter noch eine andere Mittheilung zu machen, über deren Einkleidung er nur noch zweifelhaft war. Er erwählte den kürzesten Weg.[87]

– Ich werde Dich Morgen verlassen, Mutter – sagte er mit niederschlagenden Augen und leiser Stimme.

– Verlassen? Ich verstehe Dich nicht.

– Auf einige Wochen – oder Monate – oder –

– Und wohin willst Du gehen? – fragte Ines erstaunt.

– Nach dem Norden, in eine große Stadt. Berlin, glaube ich, heißt sie.

– Und morgen schon? das ist hart von Angelikus, uns so schnell und gerade jetzt wieder zu trennen.

– Der Tio weiß nichts davon, Mutter. Es ist mein eigener Entschluß. –

– Dein eigener Entschluß?! So geht Er auch nach dem Norden? – – –

– Ich weiß es nicht. Aber sie geht nach dem Norden. – Nur mit Zittern brachte er diese Worte heraus.

Sie? – fragte erstaunt Ines, die an Lydia nicht mehr dachte, jetzt aber genauer nachforschte.[88] Salvador erzählte das Zusammentreffen zwischen Lydia, dem Fürsten und dem Pater noch einmal. Jetzt begriff sie seinen »Entschluß« und war sehr bestürzt darüber, nicht nur, weil sie sich von dem Sohne ungern, zumal jetzt, trennte, sondern besonders, weil sie die Gewalt fürchtete, die eine so frühzeitige Liebe über ihn ausüben würde, und die ihn vielleicht von ihrem gemeinsamen Plane, wenn nicht entfremden, so doch für einige Zeit entfernen könnte. Sie versuchte ihm das Zwecklose seines Unternehmens darzustellen. Vergebens, er blieb fest und bat seine Mutter, nicht ferner in ihn dringen zu wollen. Er könne nicht anders. Eine innere Stimme sage ihm, daß sein »Entschluß« gut und nützlich sei. Auch werde Pater Angelikus schon dafür sorgen, daß Ines ihm bald nachfolgen könne.

Während sie eben im Begriff war, das letzte Mittel – die Erinnerung an seinen ihr geleisteten Schwur – anzuwenden, um ihn zum Bleiben zu zwingen, trat Pater Angelikus ein und sah mit erstauntem Blick bald auf den entkleideten[89] Salvador, bald auf die am Boden liegende Livree.

– Was bedeutet das, mein Sohn? – fragte er mit leisem Stirnrunzeln, nachdem er Ines mit einem warmen Händedruck begrüßt hatte. Salvador bückte sich, die Stücke aufzuheben, um sein Erröthen zu verbergen.

– Ich bin gekommen, theure Ines – fuhr der Pater fort, ohne die Antwort des Knaben abzuwarten – nun Euch auf eine neue Trennung von Eurem Sohne vorzubereiten. Er wird schon morgen in Begleitung zweier Damen nach Berlin reisen.

Salvador horchte hoch auf. Sein Herz klopfte ungestüm, doch wagte er nicht zu fragen, was für Damen es seien, mit denen er reisen solle.

Während Salvador sein bescheidenes Bündel packte, und vor allen Dingen seine Schärpe und seinen Dolch sorgfältig einwickelte, theilte Angelikus mit leiser Stimme Ines die Gründe mit, die ihn bewogen hätten, ihren Sohn als Begleiter Alicens und Lydias nach Berlin reisen zu[90] lassen. Diese Gründe mußten wohl sehr überzeugender Natur sein, denn Ines drückte befriedigt beim Abschiede dem Pater die Hand, preßte Salvador einen Kuß auf die Stirn und empfahl sie Beide dem Schutze ihres Heiligen.[91]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 1, Mannheim 1849, S. 78-92.
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