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[254] Amrei wußte sich im Hause bald so heimisch zu machen, daß sie schon am zweiten Tage darin lebte, als wäre sie von Kindheit an hier aufgewachsen, und der Alte träppelte ihr überall nach und schaute ihr zu, wie sie Alles so geschickt aufnahm und so stet und gemessen vollführte; ohne Hast und ohne Rast.
Es giebt Menschen, die, wenn sie gehen und nur das Kleinste holen, einen Teller, einen Krug, da scheuchen sie die Gedanken aller Sitzenden auf, sie schleppen so zu sagen Blick und Gedanken der Sitzenden und Zuschauenden mit sich herum. Amrei dagegen verstand Alles so zu thun und zu leisten, daß man bei ihrem Hantieren die Ruhe nur um so mehr empfand und ihr für Jegliches nur um so dankbarer war.
Wie oft und oft hatte der Bauer darüber gescholten, daß allemal, wenn man Salz brauche, Eines vom Tische aufstehen müsse. Amrei deckte den Tisch und auf das ausgebreitete Tischtuch stellte sie immer zuerst das Salzfaß. Als der Bauer Amrei darüber lobte, sagte die Bäuerin lächelnd: »Du thust jetzt, als ob du vorher gar nicht gelebt hättest, als ob du Alles hättest ungesalzen und ungeschmalzen essen müssen,« und der Johannes erzählte, daß man Amrei auch die Salzgräfin[255] hieße, und fügte dann die Geschichte von dem König und seiner Tochter hinzu.
Das war ein glückseliges Beisammensein in der Stube, im Hof und auf dem Felde, und der Bauer sagte immer: es habe ihm seit Jahren das Essen nicht so geschmeckt wie jetzt, und er ließ sich von Amrei drei- viermal des Tages, zu ganz ungewöhnlichen Zeiten Etwas herrichten und sie mußte bei ihm sitzen bis er gegessen hatte.
Die Bäuerin führte Amrei mit innerstem Behagen in den Milchkeller und in die Vorrathskammern und auch einen großen buntgemalten Schrank voll schön geschichteter Leinwand öffnete sie und sagte: »Das ist deine Aussteuer; es fehlt nichts als die Schuhe. Mich freut's besonders, daß du dir deine Dienstschuhe so aufgespart hast. Ich habe da meinen besondern Aberglauben.«
Wenn Amrei sie über Alles fragte wie es bisher im Hause gehalten worden, nickte sie und schluckte dabei vor Behagen, sie drückte aber ihre Freude als solche nicht aus, sondern nur in dem ganzen anheimelnden Ton, mit dem die gewöhnlichsten Dinge gesprochen wurden, lag die Freude selbst als innewohnender Herzschlag. Und als sie nun begann Barfüßele Einzelnes im Hauswesen zu übergeben, sagte sie: »Kind, ich will dir was sagen: wenn dir was im Hauswesen nicht gefällt, an der Ordnung wie's bis jetzt gewesen ist, mach's nur ohne Scheu anders wie dir's ansteht; ich gehöre nicht zu denen, die meinen, wie sie's eingerichtet haben, so müsse es ewig bleiben und da ließe sich gar nichts daran ändern. Du hast freie Hand und[256] es wird mich freuen, wenn ich frischen Vorspann sehe. Aber wenn du mir folgen willst, ich rath' dir's zu Gutem, thu's nach und nach.«
Das war eine wohlthuende Empfindung, in der sich geistig und körperlich jugendfrische und allbewährte Kraft die Hand reichten, indem Amrei von Grund des Herzens erklärte, daß sie Alles wohlbestellt finde und daß sie hochbeglückt und beseligt sein werde, wenn sie einst als alterlebte Mutter das Hauswesen in einem solchen Zustande wie jetzt zeigen könne.
»Du denkst weit hinaus,« sagte die Alte. »Aber das ist gut, wer weit vor denkt, denkt auch weit zurück und du wirst mich nicht vergessen, wenn ich einmal nicht mehr bin.« –
Es waren Boten ausgegangen, um den Söhnen und dem Schwiegersohne des Hauses das Familienereigniß anzukündigen und sie auf nächsten Sonntag nach Zusmarshofen zu entbieten und seitdem träppelte der Alte immer noch mehr um Amrei herum, er schien Etwas auf dem Herzen zu haben und es wurde ihm schwer, es herauszubringen.
Man sagt von vergrabenen Schätzen, daß ein schwarzes Unthier darauf hockt und in den heiligen Nächten erscheint auf der Oberfläche, wo solch ein Schatz begraben ist, ein blaues Flämmchen und ein Sonntagskind kann es sehen, und wenn es sich dabei ruhig und unerschütterlich verhält, kann es den Schatz heben. Man hätte es nicht glauben sollen, daß in dem alten Landfriedbauer auch solch ein Schatz vergraben wäre und darauf hockte der schwarze Trotz und die Menschenverachtung,[257] und Amrei sah das blaue Flämmchen darüber schweben und sie wußte sich so zu verhalten, daß sie den Schatz erlöste. Es ließ sich nicht sagen, wie sie's dem Alten angethan, daß er das sichtliche Bestreben hatte: vor ihr als besonders gut und treumeinend zu erscheinen; schon daß er sich um ein armes Mädchen so viel Mühe gab, das war ja fast ein Wunder. Und nur das war Amrei klar: er wollte es seiner Frau nicht gönnen, daß sie allein als die Gerechte und Liebreiche erschien und er als der Bissige und Wilde, vor dem man sich fürchten müsse; und eben das, daß Amrei bevor sie ihn erkannt, ihm gesagt hatte: sie glaube, es sei ihm nicht der Mühe werth, vor den Menschen gut zu erscheinen – eben das machte ihm das Herz auf. Er wußte, so oft er sie allein traf, jetzt so viel zu reden, es war als hätte er alle seine Gedanken in einem Spartopf gehabt, den er nun aufmachte: und da waren gar wunderliche alte abgeschätzte Münzen, große Denkmünzen, die gar nicht im Umlauf sind, die nur bei denkwürdigen Gelegenheiten geprägt wurden, auch unvergriffene und zwar ganz von Silber, ohne Kupferzuthat. Er konnte seine Sache nicht so gut vorbringen wie damals die Mutter zu Johannes. Seine Sprache war steif in allen Gelenken, aber er wußte doch Alles zu treffen und er benahm sich fast, als ob er der Annehmer Amrei's gegen die Mutter sein müsse und es war nicht uneben als er ihr sagte: »Schau, die Bäuerin ist die gut Stund' selber, aber die gut Stund' ist noch nicht gut Tag, gute Woch' und gut Jahr. Es ist halt ein Weibsbild, bei denen ist immer[258] Aprilwetter und ein Weibsbild ist nur ein halber Mensch, darauf besteh' ich, und da bringt mich Keines davon.«
»Ihr redet uns schönes Lob nach,« sagte Amrei.
»Ja, es ist wahr,« sagte der Alte, »ich red' ja zu Dir, aber wie gesagt: die Bäuerin ist seelengut, nur zu viel, und da verdrießt sie's gleich, wenn man nicht macht, was sie will, weil sie's doch so gut meint, und sie glaubt, man wisse nicht wie gut sie sei, wenn man ihr nicht folgt. Sie kann sich nicht denken, daß man ihr eben nicht folgt, weil's manchmal ungeschickt ist was sie will, wenn sie's auch noch so gut meint. Und das merk' dir besonders: thu' ihr nichts nach grad so wie sie's macht, mach's auf deine eigene Art wie's recht ist, das hat sie viel lieber. Sie hat's gar nicht gern, wenn's den Schein hat als ob man ihr unterthänig sei, aber das wirst du Alles schon merken. Und wenn dir was vorkommt, um Gotteswillen, mach' deinen Mann nicht wirbelsinnig; es giebt nichts Aergeres, als wenn der Mann dasteht zwischen der Mutter und der Söhnerin und die Mutter sagt: ich gelte nichts mehr vor der Söhnerin, ja die Kinder werden Einem untreu – und die Söhnerin sagt: jetzt seh' ich wer du bist, du läßt deine Frau unterdrücken. Ich rathe dir, wenn dir einmal so etwas vorkommt, was du nicht allein klein kriegen kannst, sag's mir im Stillen; ich will dir schon helfen; aber mach' deinen Mann nicht wirbelsinnig, er ist ohnedies ein bischen stark verkindelt von seiner Mutter, aber er wird jetzt schon herber werden, fahre du nur langsam und laß[259] dich's immer dünken: ich wäre von deiner Familie und bin dein natürlicher Annehmer und es ist auch so: von deiner Mutter Seite her bin ich weitläufig etwas verwandt mit dir.«
Und nun suchte er eine seltsam gegliederte Verwandtschaft auseinanderzuhaspeln, aber er fand den rechten Faden nicht und verwirrte die Gliederung immer mehr wie einen Strang Garn, und dann schloß er immer zuletzt mit den Worten: »Du kannst mir's auf's Wort glauben, daß wir verwandt sind; ja wir sind verwandt, aber ich kann's nur nicht so aufzählen.«
Es war nun doch noch vor seinem Ende die Zeit gekommen, daß er nicht mehr blos die falschen Groschen aus seinem Besitzthum herschenkte; es that ihm wohl, nun endlich das wirklich Geltende und Werthvolle anzugreifen.
Eines Abends rief er Amrei zu sich hinter das Haus und sagte zu ihr: »Schau, Mädle, du bist brav und gescheit, aber du kannst doch nicht wissen, wie ein Mann ist. Mein Johannes hat ein gutes Herz, aber es kann ihn doch einmal wurmen, daß du so gar nichts gehabt hast. Da, komm her, da nimm das, sag' aber keiner Menschenseele was davon, von wem es ist. Sag', du habest es mit Fleiß verborgen. Da nimm!« Und er reichte ihr einen vollgestopften Strumpf voll Kronenthaler und setzte noch hinzu: »Man hätte das erst nach meinem Tod finden sollen, aber es ist besser, er kriegt es jetzt und meint, es wäre von dir. Eure ganze Geschichte ist ja gegen alle gewöhnliche Art, daß auch das noch dabei sein kann, daß du einen geheimen[260] Schatz gehabt hast. Vergiß aber nicht, es sind auch zwei und dreißig Federnthaler dabei, die gelten einen Groschen mehr als gewöhnliche Thaler. Heb's nur gut auf, thu's in den Schrank, wo die Leinwand drin ist, und trag' den Schlüssel immer bei dir. Und am Sonntag, wenn die Sippschaft bei einander ist, schüttest du's auf den Tisch aus.«
»Ich thue das nicht gern, ich mein' das sollte der Johannes thun, wenn's überhaupt nöthig ist.«
»Es ist nöthig, aber mag's meinetwegen der Johannes thun; aber still, versteck's schnell, da, thu's in deine Schürze, ich hör' den Johannes, ich glaub', er ist eifersüchtig.«
Die Beiden trennten sich rasch.
Noch am selben Abend nahm die Mutter Amrei mit auf den Speicher und holte einen ziemlich schweren Sack aus einer Truhe; das Band daran war auf's Abenteuerlichste verknüpft und sie sagte zu Amrei: »Mach' mir das Band auf.«
Amrei versuchte, es ging schwer.
»Wart, ich will eine Scheere nehmen, wir wollen's aufschneiden.«
»Nein,« sagte Amrei, »das thu' ich nicht gern; habt nur ein bischen Geduld, Schwieger, werdet schon sehen, ich bring's auf.«
Die Mutter lächelte, während Amrei mit vieler Mühe, aber mit kunstgeübter Hand den Knoten doch endlich aufbrachte, und jetzt sagte sie: »So, das ist brav, und jetzt schau einmal hinein was drin ist.«
Amrei sah Silber- und Goldstücke, und die Mutter[261] fuhr fort: »Schau Kind, du hast am Bauer ein Wunder gethan, ich kann's noch nicht verstehen, wie er's zugegeben hat; aber ganz hast du ihn doch noch nicht bekehrt. Mein Mann redet immer drauf herum, daß es doch gar so arg sei, daß du so gar Nichts habest; er kann's noch nicht verwinden, er meint immer, du müßtest im Geheimen ein schönes Vermögen besitzen und du habest uns nur angeführt, um uns auf die Probe zu stellen, ob wir dich allein ohne Alles gern annehmen; er läßt sich das nicht ausreden und da bin ich auf einen Gedanken gefallen. Gott wird uns dies nicht zur Sünde anrechnen. Schau, das hab' ich mir erspart in den sechs und dreißig Jahren, die wir mit einander hausen, ohne Unterschleif und es ist auch noch Erbstück von meiner Mutter dabei. Und jetzt nimm du's und sag' nur, es sei dein Eigenthum. Das wird den Bauer ganz glücklich machen, besonders weil er so gescheit gewesen ist und das im Voraus geahnt hat. Was guckst du so verwirrt drein? Glaub' mir, wenn ich dir was sage, kannst du es thun, es ist kein Unrecht, ich hab' mir's überlegt hin und her; jetzt versteck's und red' mir kein Wort dagegen, gar kein Wort, sag mir keinen Dank und gar nichts, es ist ja eins, ob's mein Kind jetzt kriegt oder später, und es macht meinem Mann noch bei Lebzeiten eine Freud'. Jetzt fertig, bind's wieder zu.«
Am andern Morgen in der Frühe erzählte Amrei dem Johannes Alles was die Eltern ihr gesagt und gegeben hatten, und Johannes jubelte: »O Gott im Himmel verzeih' mir! Von meiner Mutter hätt' ich so[262] was glauben können, aber von meinem Vater hätte ich mir das nie träumen lassen. Du bist ja eine wahre Hexe, und schau, es bleibt dabei, daß wir Keinem vom Andern etwas sagen, und das ist noch das Prächtige, daß Eins das Andere anführen will, und Jedes ist wirklich angeführt, denn Jedes muß meinen: Du habest das andere Geld noch wirklich im Geheimen für dich gehabt. Juchhe! Das ist lustig zum Kehraus. –«
Mitten in aller Freude im Hause herrschte aber doch auch wieder allerlei Besorgniß.
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