7. Die barmherzige Schwester.

[84] Das war nun ein volles Leben im Hause des Rodelbauern. Barfüßele, so hieß man nun fortan Amrei, war zu allem anstellig und wußte sich gleich bei Allen beliebt zu machen: sie wußte der jungen Bäuerin, die fremd in's Dorf und in's Haus gekommen war, zu sagen, was hier der Brauch sei, lehrte sie die Eigenschaften ihrer nächsten Angehörigen kennen und sich danach richten, und dem alten Rodelbauer, der den ganzen Tag trotzte und sich nicht zufrieden geben konnte, weil er sich so frühe zur Ruhe gesetzt, wußte sie allerlei Gefälligkeiten zu erweisen und ihm zu erzählen, wie gar gut die Söhnerin sei, und es nur nicht so von sich zu geben wisse; und als nach kaum einem Jahre das erste Kind kam, zeigte sich Amrei darüber so glücklich und in allen Erfordernissen so geschickt, daß Jedes im Hause ihres Lobes voll war; aber nach Art dieser Leute so voll, daß man sie bei dem kleinsten Ungeschick eher dafür auszankte, als daß man sie je in der That lobte.

Aber Amrei wartete auch nicht darauf; und namentlich dem Großvater wußte sie das erste Enkelchen immer so gut zuzutragen und zur geschickten Zeit wieder zu entziehen, daß man seine Freude daran haben mußte. Beim ersten Zahne des Enkels, den sie dem Rodelbauer[85] zeigen konnte, sagte dieser: »Ich schenke dir einen Sechsbätzner, weil du mir die Freude machst. Aber weißt du? den, den du mir gestohlen hast an der Hochzeit; jetzt darfst du ihn ehrlich behalten.«

Dabei war aber die schwarze Marann' nicht vergessen. Es war allerdings ein schwer Stück Arbeit, mit ihr wieder in's Geleise zu kommen. Die Marann' wollte vom Barfüßele nichts mehr wissen, und ihre neue Herrschaft wollte es nicht dulden, daß sie zu ihr hinginge, besonders nicht mit dem Kinde, da man noch immer fürchtete, daß ihm durch die Hexe ein Leid geschehe. Es bedurfte großer Kunst und Ausdauer, um diese Feindseligkeit zu besiegen; aber es gelang dennoch. Ja, Barfüßele wußte es dahin zu bringen, daß der Rodelbauer die schwarze Marann' mehrmals besuchte. Das wurde als ein wahres Wunder im ganzen Dorf berichtet. Aber die Besuche wurden bald wieder eingestellt, denn die schwarze Marann' sagte einmal: »Ich bin jetzt bald siebzig Jahre und ohne die Freundschaft eines Großbauern ausgekommen; es ist mir nicht der Mühe werth, das noch zu ändern.«

Auch Dami war natürlich oft bei seiner Schwester, aber der junge Rodelbauer wollte das nicht dulden, denn er sagte nicht mit Unrecht, er müsse dadurch den großgewachsenen Burschen auch ernähren, man in einem solchen Hause nicht aufpassen, ob ein Dienstbote ihm nicht allerlei zustecke. Er verbot daher außer Sonntag Nachmittags Dami den Besuch des Hauses. Dami hatte indeß selbst zu sehr in das Behagen hineingeschaut, in einem so reich erfüllten Bauernwesen zu[86] stehen; ihm wässerte der Mund danach, auch so mitten drinn zu sein und sei es nur als Knecht. Das Steinmetzenleben war gar so hungrig. Barfüßele hatte viel zu widersprechen; er solle bedenken, daß er nun schon das zweite Handwerk habe und dabei bleiben müsse; das sei nichts, daß man immer wieder Anderes anfange und glaube, dabei sei man glücklich; man müsse auf dem Fleck, auf dem man steht, es sein, sonst werde man es nie. Dami ließ sich eine Zeitlang beschwichtigen, und so groß war bereits die unwillkürliche Geltung Barfüßele's, und so natürlich die Annahme, daß sie für ihren Bruder sorge, daß man ihn immer nur »des Barfüßele's Dami« hieß, als wäre er nicht ihr Bruder, sondern ihr Sohn, und doch war er um einen Kopf größer als sie, und that nicht als ob er ihr unterthan sei. Ja, er sprach es oft aus, wie es ihn wurme, daß man ihn für geringer halte als sie, weil er nicht solch Maulwerk habe. Die Unzufriedenheit mit sich und seinem Beruf ließ er zuerst und immer an der Schwester aus. Sie trug es geduldig, und weil er nun vor der Welt zeigte, daß sie ihm gehorchen müsse, gewann sie dadurch nur immermehr an Ansehen und Uebermacht in der Oeffentlichkeit. Denn Jeder sagte: es sei brav von dem Barfüßele, was sie an ihrem Bruder thäte, und sie stieg dadurch noch, daß sie sich von ihm gewaltthätig behandeln ließ, während sie für ihn sorgte wie eine Mutter. Sie wusch und nähte ihm in den Nächten, daß er zu den Saubersten im Dorf gehörte, und bei zwei Paar Rahmenschuhen, die sie als Theil ihres Lohnes jedes halbe Jahr bekam, hatte sie beim[87] Schuhmacher noch daraufbezahlt, damit er solche ihrem Dami mache, und sie selber ging allzeit barfuß und nur selten sah man sie einmal des Sonntags in Schuhen in die Kirche gehen. Barfüßele hatte viel Kummer davon, daß Dami, man wußte nicht wie, allgemeine Zielscheibe des Spottes und der Neckerei im Dorfe geworden war. Sie ließ ihn scharf darum an, daß er das nicht dulden solle, er aber verlangte: sie möge es den Leuten wehren und nicht ihm, er könne nicht dagegen aufkommen. Das war nun nicht thunlich, und innerlich war es dem Dami auch eigentlich gar nicht unlieb, daß er überall gehänselt wurde; es kränkte ihn zwar manchmal, wenn Alles über ihn lachte und viel Jüngere sich etwas gegen ihn herausnahmen, aber es wurmte ihn noch weit mehr, wenn man ihn gar nicht beachtete, und dann machte er sich gewaltsam zum Narren und gab sich der Neckerei preis.

Bei Barfüßele dagegen war allerdings die Gefahr, der Einsiedel zu werden, den die Marann' immer in ihr erkennen wollte. Sie hatte sich an eine einzige Gespielin angeschlossen, es war die Tochter des Kohlenmathes, die aber nun schon seit Jahren in einer Fabrik im Elsaß arbeitete und man hörte nichts mehr von ihr. Barfüßele lebte so für sich, daß man sie gar nicht zur Jugend im Dorfe zählte; sie war mit ihren Altersgenossen freundlich und gesprächsam, aber ihre eigentliche Gespielin war doch nur die schwarze Marann'. Und eben weil Barfüßele so abgeschieden lebte, hatte sie keinen Einfluß auf das Verhalten Dami's, der, wenn auch geneckt und gehänselt, doch immer des Anschlusses[88] bedürftig war und nie allein sein konnte wie seine Schwester.

Jetzt aber hatte sich Dami plötzlich ganz frei gemacht, und eines schönen Sonntags zeigte er seiner Schwester die Drangabe, die er bekommen hatte, denn er hatte sich als Knecht zum Scheckennarr von Hirlingen verdungen.

»Hättest du mir das gesagt,« sagte Barfüßele, »ich hätte einen bessern Dienst für dich gewußt. Ich hätte dir einen Brief gegeben an die Landfriedbäuerin im Allgäu, und da hättest du's gehabt wie der Sohn vom Haus.«

»O schweig' nur von der,« sagte Dami hart, »die ist mir nun schon bald dreizehn Jahr ein paar lederne Hosen schuldig, die sie mir versprochen hat. Weißt du noch? Damals, wie wir klein gewesen sind und gemeint haben, wir könnten noch klopfen, daß Vater und Mutter aufmachen. Schweig' mir von der Landfriedbäuerin, wer weiß, ob die noch mit Einem Wort an uns denkt, wer weiß ob sie gar noch lebt.«

»Ja sie lebt noch, sie ist ja eine Verwandte von meinem Haus und es wird oft von ihr gesprochen, und sie hat alle ihre Kinder verheirathet bis auf einen einzigen Sohn, der den Hof kriegt.«

»Jetzt willst du mir nur meinen neuen Dienst verleiden,« klagte Dami, »und sagst mir, ich hätte einen bessern kriegen können. Ist das recht?« Seine Stimme zitterte.

»O, sei nicht immer so weichmüthig,« sagte Barfüßele. »Schwätz' ich dir denn was von deinem Glück[89] herunter? Du thust immer gleich, als ob dich die Gänse beißen. Ich will dir nur noch sagen: jetzt bleib' einmal bei dem was du hast, sei darauf bedacht, daß du auf deinem Platz bleibst. Das ist nichts, so wie ein Kukuk jede Nacht auf einem andern Baum schlafen. Ich könnt' auch andere Plätze kriegen, aber ich will nicht, und ich hab's dahin gebracht, daß mir's hier gut geht. Schau, wer jede Minut' auf einen andern Platz springt, den behandelt man auch wie einen Fremden; man weiß, daß er morgen nicht mehr zum Haus gehören kann und da ist er schon heut nicht daheim drin.«

»Ich brauch' deine Predigt nicht,« sagte Dami, und wollte zornig davon gehen. »Gegen mich thust du immer kratzig und gegen die ganze Welt bist du geschmeidig.«

»Weil du eben mein Bruder bist,« sagte Barfüßele lachend.

Es gelang ihr jetzt den Bruder zu beschwichtigen und sie sagte: »Schau, mir fällt was ein, aber du mußt vorher gut sein, denn auf einem bösen Herzen darf der Rock nicht ligen. Der Rodelbauer hat ja noch die Kleider von unserm Vater selig; du bist ja groß, die sind dir jetzt grad recht und du giebst dir auch ein Ansehen, wenn du mit solchem rechtschaffenen Gewand auf den Hof kommst, da sehen deine Nebendiensten auch, wo du her bist und was du für ordentliche Eltern gehabt hast.«

Das leuchtete Dami ein, und trotz vielem Widerspruch, denn er wollte die Kleider jetzt noch nicht[90] hergeben, brachte Barfüßele den alten Nodelbauer dazu, daß er dieselben Dami einhändigte und dann führte Barfüßele den Dami hinauf in ihre Kammer und er mußte sogleich den Rock und die Weste des Vaters anziehen; er widerstrebte, aber was sie einmal wollte, das mußte doch geschehen. Nur den Hut ließ sich Dami nicht aufzwingen, und als er den Rock anhatte, legte sie die Hand auf die Schulter und sagte:

»So, jetzt bist du mein Bruder und mein Vater, und jetzt geht der Rock zum Erstenmal wieder über Feld und es ist ein neuer Mensch drum. Schau Dami, du hast das schönste Ehrenkleid, was es geben kann auf der Welt; halt' es in Ehren, sei drin so rechtschaffen wie unser Vater selig gewesen ist.«

Sie konnte nicht mehr weiter sprechen und legte ihr Haupt auf die Schulter des Bruders und Thränen fielen auf das Kleid des Vaters.

»Du sagst, ich sei weichmüthig,« tröstete sie Dami, »und du bist es weit eher.«

Allerdings war Barfüßele von Allem schnell tief ergriffen, aber sie war dabei auch stark und leichtlebig wie ein Kind; es war wie damals die Marann' bei ihrem ersten Einschlafen bemerkt hatte, Wachen und Schlafen, Weinen und Lachen hart neben einander; sie ging in jedem Ereigniß und jeder Empfindung voll auf, kam aber auch rasch wieder darüber hinweg und in's Gleichgewicht.

Sie weinte noch immer.

»Du machst Einem das Herz so schwer,« jammerte Dami, »und es ist schon schwer genug, daß ich fort[91] muß aus der Heimath unter fremde Menschen. Du hättest mich eher aufheitern sollen, als jetzt so, so –«

»Rechtschaffenes Denken ist die beste Aufheiterung,« sagte Barfüßele, »das macht gar nicht schwer. Aber du hast Recht, du hast geladen genug, und da kann ein einziges Pfund, das man darauf thut, Einen niederreißen. Aber komm, ich will jetzt sehen, was die Sonne dazu sagt, wenn der Vater jetzt zum Ersten mal wieder vor sie kommt. Nein, das hab' ich ja nicht sagen wollen. Komm, jetzt wirst schon wissen, wo wir noch hingehen wollen, wo du noch Abschied nehmen mußt; und wenn du nur eine Stunde weit fortgehst, du gehst doch aus dem Ort, und da muß man dort Abschied nehmen. Ist mir auch schwer genug, daß ich dich nicht mehr bei mir haben soll, nein, ich meine, daß ich nicht mehr bei dir sein soll; ich will dich nicht regieren, wie die Leute sagen. Ja, ja, die alte Marann' hat doch Recht: allein, das ist ein großes Wort, das lernt man nicht aus was da drin steckt. So lang du noch da drüben über der Gasse gewesen bist, und wenn ich dich oft acht Tage nicht gesehen habe, was thut's? Ich kann dich jede Minute haben, das ist so gut als wenn man bei einander ist; aber jetzt? Nun, es ist ja nicht aus der Welt. Aber ich bitt' dich, verhebe dich nicht, daß du keinen Schaden leidest, und wenn du was zerrissen hast, schick' mir's nur; ich flick' und strick' dir noch, und jetzt komm', jetzt wollen wir auf den Kirchhof.«

Dami wehrte sich dagegen und wieder mit dem Vorhalte, daß es im schon schwer genug sei, und daß er[92] sich's nicht noch schwerer machen wolle. Barfüßele willfahrte auch hierin. Er zog die Kleider des Vaters wieder aus und Barfüßele packte sie in den Sack, den sie einst beim Gänsehüten als Mantel getragen hatte und auf dem noch der Name des Vaters stand. Sie beschwor aber Dami, daß er ihr den Sack mit nächster Gelegenheit wieder zurückschicke.

Die Geschmister gingen mit einander fort. Ein Hirlinger Fuhrwerk fuhr durch das Dorf. Dami rief es an und packte schnell seine Habseligkeiten auf. Dann ging er Hand in Hand mit der Schwester das Dorf hinaus und Barfüßele suchte ihn zu erheitern, indem sie sagte:

»Weißt du noch, was ich dir da beim Backofen für ein Räthsel aufgegeben habe?«

»Nein!«

»Besinn' dich: was ist das Beste am Backofen? Weißt's nicht mehr?«

»Nein!«

»Das Beste am Backofen ist, daß er das Brod nicht selber frißt.«

»Ja, ja, du kannst lustig sein, du bleibst daheim.«

»Du hast's ja gewollt, und du kannst auch lustig sein; wolle du nur recht.«

Still geleitete sie ihren Bruder bis auf den Holderwasen, dort beim Holzbirnenbaum sagte sie:

»Hier wollen wir Abschied nehmen. Behüt' dich Gott und fürcht' dich vor keinem Teufel.«

Sie schüttelten sich wacker die Hände und Dami ging Hirlingen zu, Barfüßele nach dem Dorf. Erst unten[93] am Berg, wo Dami sie nicht mehr sehen konnte, wagte sie es, die Schürze aufzuheben und sich die Thränen abzutrocknen, die ihr die Wangen herabrollten, und laut vor sich hin sagte sie:

»Verzeih' mir's Gott, daß ich das von dem Allein auch gesagt hab'; ich danke dir, daß du mir einen Bruder gegeben hast. Laß mir ihn nur, so lang ich lebe.«

Sie kehrte in's Dorf zurück, es kam ihr leer vor, und in der Dämmerung, als sie die Kinder des Rodelbauern einwiegte, konnte sie nicht ein einziges Lied über die Lippen bringen, während sie sonst immer sang wie eine Lerche. Sie mußte immer denken, wo jetzt ihr Bruder sei, was man mit ihm rede, wie man ihn empfange, und doch konnte sie sich das nicht vorstellen. Sie wäre gern hingeeilt und hätte gern allen Menschen gesagt, wie gut er sei und daß sie gegen ihn auch gut sein mögen; aber sie tröstete sich wieder, daß Niemand ganz und überall für den Andern sorgen könne. Und sie hoffte, es würde ihm gut thun, daß er sich selber forthelfe.

Als es schon Nacht war, ging sie in ihre Kammer, wusch sich auf's Neue, zöpfte sich frisch und kleidete sich nochmals an, als ob es Morgen wäre; und mit dieser seltsamen Verdoppelung des neuen Tages begann ihr fast nochmals ein neues Erwachen.

Als Alles schlief, ging sie noch einmal hinüber zur schwarzen Marann' und ohne Licht saß sie Stundenlang bei ihr am Bett in der dunklen Stube; sie sprachen davon wie das sei, wenn man einen Menschen draußen in der Welt habe, der doch ein Stück von Einem sei,[94] und erst als die Marann' eingeschlafen war, schlich sich Barfüßele davon. Sie nahm aber noch den Kübel und trug Wasser für die Marann' und legte das Holz auf den Herd und so geschichtet, daß es am andern Morgen nur angezündet zu werden brauchte. Dann erst ging sie nach Hause.

Was ist Wohlthätigkeit, die in Geldspenden besteht? Eine in die Hand gelegte fremde Kraft, die wiederum von ihr entäußert wird. Wie anders ist es, die eingeborne Kraft selbst einzusetzen, ein Stück Leben hinzugeben und noch dazu das einzige das verblieben ist. Die Stunden der Ruhe, die Sonntagsfreiheit, die Barfüßele gegeben war, opferte sie alle der schwarzen Marann' und sie ließ sich dabei noch zanken und schelten, wenn sie Etwas gegen die Gewohnheit der Eigenbrätlerin gethan hatte; und es fiel ihr nicht ein, dabei zu denken oder zu sagen: wie könnt' Ihr mich noch zanken und schelten über etwas was ich Euch schenke? Ja sie wußte kaum mehr daß sie es that. Nur wenn sie an Sonntagsabenden bei der Vereinsamten still vor dem Hause saß und zum Tausendstenmale gehört hatte, welch ein schmucker Bursch der Johannes am Sonntag gewesen sei und wenn dann die jungen Burschen und Mädchen durch das Dorf zogen und allerlei Lieder sangen, da wurde sie etwas davon gewahr, daß sie hier saß und ihre Lustbarkeit opferte und sie sang leise vor sich hin die Lieder mit, die von den Wandelnden im Verein gesungen wurden; aber wenn sie die Marann' ansah, hielt sie inne und sie dachte darüber nach, wie es doch eigentlich gut wäre, daß der Dami nicht[95] mehr im Dorf sei. Er war nicht mehr die Zielscheibe allgemeiner Neckerei und wenn er zurückkam, war er gewiß ein Bursch vor dem alle Respekt haben mußten.

An Winterabenden, wenn im Hause des Rodelbauern gesponnen und gesungen wurde, da allein durfte Barfüßele mitsingen, und obgleich sie einen hellen, lauten Ton hatte, ließ sie sich doch dazu herbei, fast immer die zweite Stimme zu singen. Die Rosel, des Rodelbauern noch ledige Schwester, die um ein Jahr älter als Barfüßele war, sang immer die erste Stimme, und es verstand sich von selbst, daß auch die Stimme Barfüßele's ihr dienen mußte, wie denn überhaupt die Rosel, eine stolze und schneidige Person, das Barfüßele durchaus als Lastthier im Hause betrachtete und behandelte; allerdings weniger vor den Leuten als im Geheimen. Und eben weil Barfüßele im ganzen Dorf dafür angesehen war, daß sie im Hauswesen des Rodelbauern wacker angriff und Alles in Stand hielt, war es eine Hauptangelegenheit der Rosel, sich bei den Leuten zu berühmen, wie viel Geduld man mit dem Barfüßele haben müsse; wie ihm die Gänsehirtin in allen Stücken nachginge, und wie sie es als ein Werk der Barmherzigkeit betrachte, das Barfüßele nicht so vor den Augen der Welt erscheinen zu lassen wie es eigentlich sei.

Ein besonderer Gegenstand des Aufziehens und des nicht immer wähligen Spottes waren die Schuhe des Barfüßele. Trotzdem es fast immer barfuß ging, und höchstens im Winter in abgeschnittenen Stiefeln des Bauern, ließ es sich dennoch bei jedem halbjährigen[96] Lohne die gebräuchlichen Rahmenschuhe geben; sie standen aber oben in der Kammer unberührt und Barfüßele ging doch so stolz, als hätte es alle die Schuhe auf Einmal an.

Sechs Paar Schuhe standen neben einander seitdem Dami beim Scheckennarren diente. Die Schuhe waren mit Heu ausgestopft und von Zeit zu Zeit tränkte sie Barfüßele mit Fett, damit sie geschmeidig blieben. Barfüßele war vollauf herangewachsen, nicht sehr hoch, aber stämmig untersetzt. Sie kleidete sich immer ärmlich, aber sauber und anmuthig, und Anmuth ist die Pracht der Armuth, die nichts kostet und nicht zu kaufen ist. Nur weil der Rodelbauer es der Ehre des Hauses angemessen hielt, zog Barfüßele des Sonntags ein besseres Kleid an, um sich vor den Leuten zu zeigten; dann aber kleidete sie sich rasch wieder um, und saß bei der schwarzen Marann' in ihrem Werktagskleide oder sie stand auch bei ihren Blumen, die sie vor ihrem Dachfenster in alten Töpfen pflegte. Nelken, Gelbveigelein und Rosmarin gediehen hier vortrefflich, und wenn sie auch manchen Ableger davon auf das Grab der Eltern gepflanzt hatte, es wucherte Alles doppelt nach, und die Nelken hingen in windenartigen Büscheln fast hinab bis auf den Laubengang, der sich um das ganze Haus zog. Das weit vorgeneigte Strohdach des Hauses bildete aber auch einen vortrefflichen Schutz für die Blumen und wenn Barfüßele daheim war, fiel im Sommer kein warmer Regen, bei dem sie nicht die Blumenscherben in den Garten trug, um sie dort ganz nahe dem mütterlichen Boden vollregnen zu lassen.[97] Besonders ein kleiner Rosmarinstock, der in dem Topfe war, den einst Barfüßele auf dem Holderwasen zum allgemeinen Gebrauch bei sich gehabt hatte, besonders dieser Rosmarinstock war äußerst zierlich gebaut wie ein kleiner Baum, und Barfüßele ballte oft die rechte Faust und schlug die andere Hand darüber, indem sie vor sich hin sagte:

»Wenn's eine Hochzeit giebt von meinen Nächsten, ja von meinem Dami, dann steck' ich den an.« Ein anderer Gedanke stieg in ihr auf, vor dem sie erröthete bis in die Schläfe hinein und sie beugte sich und roch an dem Rosmarin: wie einen Duft aus der Zukunft sog sie Etwas aus ihm ein und mit wilder Hast versteckte sie das Rosmarinstämmchen zwischen die andern großen Pflanzen, daß sie es nicht mehr sah und eben schloß sie das Fenster, da läutete es Sturm.

»Es brennt beim Scheckennarren in Hirlingen!« hieß es bald. Die Spritze wurde herausgethan und Barfüßele fuhr auf derselben mit der Löschmannschaft davon.

»Mein Dami! mein Dami!« jammerte sie immer in sich hinein, aber es war ja Tag und bei Tag konnten Menschen nicht in einem Brande verunglücken. Und richtig! als man bei Hirlingen ankam, war das Haus schon niedergebrannt, aber am Wege in einem Baumgarten stand Dami und band eben die beiden Schecken, schöne, stattliche Pferde an einen Baum, und rings herum lief Alles scheckig, Ochsen, Kühe und Rinder.

Man hielt an, Barfüßele durfte absteigen, und mit einem: »Gottlob, daß dir nichts geschehen ist,« eilte[98] sie auf den Bruder zu. Dieser aber antwortete ihr nicht und hielt beide Hände auf den Hals des einen Gaules gelegt.

»Was ist? Warum redest du nicht? hast du dir Schaden gethan?«

»Ich nicht, aber das Feuer.«

»Was ist denn?«

»All mein Sach' ist verbrannt, meine Kleider und mein bischen Geld. Ich habe nichts als was ich auf dem Leib trage.«

»Und des Vaters Kleider sind auch verbrannt?«

»Sind sie denn feuerfest?« sagte Dami zornig. »Frage nicht so dumm.«

Barfüßele wollte weinen über dieses harte Anlassen des Bruders, aber sie fühlte rasch, wie durch einen Naturtrieb, daß Unglück sehr oft im ersten Anprall unwirsch, hart und händelsüchtig macht; sie sagte daher nur:

»Dank' Gott, daß du dein Leben noch hast, des Vaters Kleider, freilich, da ist was mit verbrannt, was man sich nicht mehr erwerben kann, aber sie wären doch auch einmal zu Grunde gegangen, so oder so.«

»All dein Geschwätz ist für die Katz',« sagte Dami und streichelte immer das Pferd. »Da steh' ich nun wie der Gott verlaß mich nicht. Da, wenn die Gäule reden könnten, die würden anders reden, aber ich bin eben zum Unglück geboren. Was ich gut thue, ist nichts, und doch« –

Er konnte nicht mehr reden, es erstickte ihm die Stimme.[99]

»Was ist denn geschehen?«

»Da die Gäule und die Kühe und Ochsen, ja es ist uns kein Stückle Vieh verbrannt außer den Schweinen, die haben wir nicht retten können. Schau, der Gaul da drüben, der hat mir da mein Hemd aufgerissen, wie ich ihn aus dem Stall ziehe, mein zuderhändiger Gaul der hat mir nichts gethan, der kennt mich. Gelt, du kennst mich, Humpele? Gelt wir kennen einander?« Der Gaul legte seinen Kopf über den Hals des andern und schaute Dami groß an, der jetzt fortfuhr:

»Und wie ich dem Bauer mit Freude berichte, daß ich das Vieh alles gerettet habe, da sagt er: das war nicht nöthig, ist Alles versichert und gut, hätt' mir besser bezahlt werden müssen! Ja, denk' ich bei mir, aber daß das unschuldige Vieh sterben soll, ist denn das nichts? Ist's denn, wenn's bezahlt ist, Alles? Ist denn das Leben nichts? Der Bauer muß mir was angesehen haben von dem was ich denk', und da fragt er mich: du hast doch dein Gewand und dein Sach' gerettet? und da sag' ich: nein, nein, kein Fädele, ich bin gleich in den Stall gesprungen, und da sagt er: du bist ein Tralle! Wie? sag' ich, Ihr seid ja versichert, wenn das Vieh bezahlt worden wäre, da werden doch auch meine Kleider bezahlt und es sind auch noch Kleider von meinem Vater selig dabei und vierzehn Gulden, meine Taschenuhr und meine Pfeife. Und da sagt er: rauch draus! Mein Sach' ist versichert und nicht das von den Dienstboten! Ich sag': das wird sich zeigen, und ich lass' es auf einen Proceß ankommen,[100] und da sagt er: so jetzt kannst du gleich gehen. Wer einen Proceß anfangen will, hat aufgekündigt. Ich hätte dir ein paar Gulden geschenkt, aber so kriegst du keinen Heller. Jetzt mach', daß du fortkommst! ... Da bin ich nun, und ich mein', ich sollt' meinen zuderhändigen Gaul mitnehmen, ich hab' ihm das Leben gerettet, und er ging' gern mit mir. Gelt du? Aber ich habe das Stehlen nicht gelernt, und ich wüßt' mir auch nicht zu helfen, und es wäre am besten, ich spränge jetzt in's Wasser. Ich komme mein Lebtag zu nichts und ich hab' nichts.«

»Aber ich hab' noch und will dir helfen.«

»Nein, das thu' ich nicht mehr, daß ich dich aussauge; du mußt dir's auch sauer verdienen.«

Es gelang Barfüßele ihren Bruder zu trösten und ihn so weit zu bringen, daß er mit ihr heimging; aber kaum waren sie hundert Schritte gegangen, als etwas hinter ihnen drein trabte. Der Gaul hatte sich losgerissen und war Dami gefolgt und dieser mußte das Thier, das er so sehr liebte, mit Steinwürfen zurückjagen.

Dami schämte sich seines Unglücks und ließ sich fast vor keinem Menschen sehen. Weil er sein Unglück nicht verbergen konnte und Spott darüber fürchtete, versteckte er sich selber.

Nur an den ersten Häusern des Dorfes hielt er sich auf. Die schwarze Marann' schenkte ihm einen Rock ihres erschossenen Mannes. Dami hatte einen unüberwindlichen Abscheu davor, ihn anzuziehen, aber Barfüßele, die ehedem den Rock des Vaters als ein[101] Heiligthum betrachtet und gepriesen hatte, fand jetzt eben so viel Gründe zu beweisen, daß ein Rock doch eigentlich nichts sei, daß gar nichts darauf ankäme, wer ihn einst auf dem Leibe gehabt.

Der Kohlenmathes, der nicht weit von der schwarzen Marann' wohnte, nahm Dami mit als Gehülfen beim Holzschlagen und Kohlenbrennen. Dami war das abgeschiedene Leben am willkommensten; er wollte nur noch ausharren, bis er Soldat werden mußte und dann wollte er als Einsteher eintreten und auf Lebenszeit Soldat bleiben; beim Soldatenleben ist doch Gerechtigkeit und Ordnung und da hat Niemand Geschwister und Niemand ein eigen Haus und man ist in Kleidung und Speise und Trank versorgt und wenn's Krieg giebt, ist ein frischer Soldatentod noch das Beste.

Das war es was Dami am Sonntag im Moosbrunnenwalde aussprach, wenn Barfüßele hinabkam zum Meiler, ihm Schmalz und Mehl und Rauchtabak brachte und ihn oft belehren wollte, wie er außer der gewöhnlichen Speise der Waldköhler, die in schmalzgebähtem Brod besteht, auch die Knödel die er sich selbst bereitete, schmackhafter machen könne; aber Dami wollte das nicht, gerade so wie sie auskamen, war es ihm recht: er würgte gern Schlechtes hinab, obgleich er hätte Besseres essen können und überhaupt gefiel er sich in einer Selbstverwahrlosung, bis er einst zum Soldaten herausgeputzt würde. Barfüßele kämpfte gegen dieses ewige Hinausschauen nach einer kommenden Zeit und das Verlorengehenlassen der Gegenwart, sie wollte den Dami, der sich in innerer Schlaffheit wohlgefiel und[102] sich dabei selbst bemitleidete, immer aufrichten; aber diesem schien in dem inneren Zerfallen fast wohl zu sein. Er konnte sich eben dabei recht bemitleiden, und bedurfte keiner Kraftanstrengung. Nur mit Mühe brachte es Barfüßele dahin, daß sich Dami von seinem Verdienste wenigstens eine eigene Axt erwarb und zwar die des Vaters, die der Kohlenmathes bei der Versteigerung gekauft hatte.

In tiefer Verzweiflung kehrte oft Barfüßele aus dem Walde zurück, aber sie hielt nicht lange an; die innere Zuversicht und der frohe Muth der in ihr lebte, drängte sich unwillkürlich als heller Gesang auf ihre Lippen, und wer es nicht wußte, hätte nie gemerkt, daß Barfüßele je einen Kummer gehabt oder je einen habe. Die Freudigkeit, die aus der unbewußten Empfindung floß, daß sie straff und unverdrossen ihre Pflicht that und Wohlthätigkeit übte an der schwarzen Marann' und an Dami, prägte ihrem Antlitz eine unvertilgbare Heiterkeit auf. Im ganzen Hause konnte Niemand so gut, lachen als das Barfüßele, und der alte Rodelbauer sagte: ihr Lachen töne just wie Wachtel schlag, und weil sie ihm allzeit dienstfertig und ehrerbietig war, gab er ihr zu verstehen, daß er sie einstmals in sein Testament setze. Barfüßele kümmerte sich nicht darum und baute nicht viel darauf, sie erwartete nur den Lohn, den sie mit Recht und Sicherheit ansprechen konnte, und was sie Gutes that, that sie aus einem innern Wohlwollen ohne auf Entgelt zu warten.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 1. neu durchgesehene Gesammtausgabe, Band 9, Stuttgart und Augsburg 1857, S. 84-103.
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