Zweiter Aufzug

[24] Im Untergeschoß des Kapitols. In der Mitte nach dem Hintergrund zu der geschlossene Sarkophag. Eine doppelte Kette von Schweizergarden sucht das Volk zurückzudrängen, muß einmal weichen, drängt dann mit den Hellebarden vor.


DER HAUPTMANN.

Die Heiligkeit hat's doch befohlen: keiner

Darf weiter an den Sarkophag! »Sie treiben,«

Sprach Seine Heiligkeit, »Idolatrie!

Schließ du den Deckel!«, sprach der Papst zu mir,

»Und schließ die erznen Türen stählern zu!

Das Götzenbild, das schaff ich dann beiseit!«

STIMMEN DER ANDRÄNGENDEN eine große, im Einzelnen unkenntliche Masse, aus dem Halbdunkel rhythmisch.

Ein Mensch noch aus der großen Zeit!

Jahrtausendalt ein schlummerndes Weib!

DER HAUPTMANN.

Ei was, 's ist eine Leiche, gut erhalten.

Nichts weiter. seid ihr närrisch hierzuland?[24]

STIMMEN rhythmisch.

Ein Mensch, der Legionen sah ...

Der Rom die Völker beherrschen sah ...

Ein Weib, dem Cäsar ins Auge geblickt ...

Eine Edle, der sein Haupt genickt ...

Unsre Ahnin! Unsre Ahnin!

DER HAUPTMANN.

Sie sind verrückt, reicht euch die Hände, Buben,

Fest, wie daheim beim Lupffest in der Schwyz,

Und drängt sie weg!

STIMMEN wie vorhin.

Römer sind wir ... die Zeit ist reif ...

Öffne die Augen, öffne den Mund,

Schreit in den Tag, erwachtes Geschlecht! ...

Wir sehnen uns! Wir sehnen uns!


Die Schweizer haben die Menschen hinausgedrängt. Man hört noch einmal, verklingend, das »Wir sehnen uns!« und »Die Zeit ist reif!« Dann dröhnen die Tore zu und werden von außen verschlossen und verriegelt. Halbdunkel, Stille. Der Marmor-Sarkophag im säulengetragenen Raum im grauen Licht mitten im Hintergrund. Plötzlich steht eine rot aus dem Boden geschossene Stichflamme da – Mephistopheles.


MEPHISTOPHELES zum Sarkophag.

Du hörst es, deine Zeit ist reif, so komm!

HELENAS STIMME.

Wer höhnt mich?

MEPHISTOPHELES.

Der, dem du Gewalt gegeben,

Als du den Menelaos morden halfst.

HELENAS STIMME.

Wer bin ich?

MEPHISTOPHELES.

Weib, die, die ich brauche, bist du.

Mir paßt es nicht, wie hier die Dinge gehn,

Das schreit nach Licht – ich will den Glanz. Das schreit

Nach Wahrheit – ich will Schein. Nach Schönheit – ich

Will Reiz.[25]

Drum kirrt' ich aus den Winden deinen Staub:

Lüg Leben!

HELENA.

Geist, ich lebte wahr.

MEPHISTOPHELES.

Und kamst

Zu mir, Weib, drum befehl ich dir:

Denk wieder, wie du dachtest – mach sie meinen:

So hätten alle Griechen einst gedacht,

Und daß du's kannst, befehl ich dir: vergiß,

Wohin dich's brachte. Unbefangen sprich,

In ihrer Sprache sprich von ihren Dingen,

Bleib dennoch du, und so berücke sie:

Daß sei das Feine, daß man sei, wie du.

Vergiß, befehl ich, und noch einmal: sei,

Wie du gewesen. Helena, steh auf!


Der Sarkophagdeckel schwebt auf, so daß er steht. Helena bewegt sich starr, ohne ein Glied zu regen, wie eine aufgerichtete Statue, aus der Lage, die Füße gegen den Beschauer, zum Stand. So steht sie weiß vor dem Sarkophagdeckel. Dann hebt sie mühselig schwer die Hände, bedeckt lange die Augen, öffnet sie wie erwachend, breitet langsam die Arme aus – und lacht.


Vorhang.


Quelle:
Avenarius, Ferdinand: Faust. Ein Spiel. 3. Tausend, München 1919, S. 24-26.
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