Dritter Aufzug

[68] Freundliches Landschulstübchen, Blumen und Vogelbauer vor den gereihten Fenstern, durch die man ein Dorf mit Kirche sieht, an den Wänden Bilder und Büchergestell. Der Schulmeister hat eben seine Buben und Mädel unterrichtet, als der Ritter und Faust eintreten. Alle stehn auf.


SCHULMEISTER zu den Eintretenden. Wir sind eh fertig. Zu den Kindern. Diesmal hat jedes von euch mindestens zwei Pfund Gescheitheit zu Kropf gebracht. Wißt was? Steckt Erdbeeren dazu, verdaut sich leichter!

EIN MÄDEL in die Hände klatschend. Von dem Beet am Brunnen?

EIN BUB. Bitt schön, bitt schön, von dem bei der silbernen Glaskugel!

SCHULMEISTER. Weil's heut ist: von allen Beeten, von allen, so groß der Garten ist, und daß ihr mir aufpaßt Streng tuend. keine einzige Beer darf draußen drauf bleiben. Jubel, die Kinder hinaus.

DER RITTER. Wenn das Geheimtun noch vonnöten wär, zwischen Eurem Kindervolk suchte uns keiner. Sind alle nur auf Wirtshäuser aus.

FAUST. Hat's doch Wirte genug unter den Führern, einer davon gefällt mir schlecht.

RITTER. Mir auch. Aber der hat seine Leut, und seine Leut brauchen wir.


Beide gehn miteinander auf und ab. Der Ritter bleibt vor den Töpfen am Fenster stehn.


Schulmeister, wie du deine Blumen lieb hast! Meinst dir wohl bei jedem Pflänzel was?[69]

SCHULMEISTER lächelnd. Ihr denkt's, er wird bei jedem vermeinen, das sei ein Bub, der nun verzogen ist, und pflegt er's Nelklein, geht's dem Buben gut.

RITTER. Träf ich's nit? Und bei Meis' und Rothkehlchen meint er: singen die ihm hell, singt draußen irgendwo ein Dirnel, das eh hier mitgesungen hat. Ich kenn Euch doch!

SCHULMEISTER. Hat jeder seine Blumentöpf Aberglauben in Zucht, und schlägt vom Dutzend nur einer gut an, hält er auf alle was.

RITTER. Prophezeien deine auch übern Bauernkampf?

SCHULMEISTER. Ah nein, nur vom Frieden. Wie die Welt ein Paradeisgarten schon hier drunten wird, wenn erst die Leut Korn statt Bilsenkraut, und Pflüge statt Schwerter anbaun ...

RITTER. Und all deine Buben und Mädel statt Menschenmucken im Kopf Engelsflügle am Rücken haben.

SCHULMEISTER. Grad jetzt in der Notzeit treiben die. Die Knöpfeln könnt ihr schon an manchem Schulterblatt sehn, wo's spitzig wird.


Kleine Pause.


RITTER. Schulmeister, warst du nicht einmal Priester?

SCHULMEISTER. Geschworen und geweiht. Aber die Liebe kam. Konnt' sie nit zwingen. Was tun? Gelübd' brechen? Nein! Meß lesen mit einem Lockenkopf innen im Aug vor dem Sterbenden da am Kreuz? Ging auch nit. Sie, ja, die zog in weitfernes Land. So wurden wir zwei, meine heimliche Lieb und ich miteinander, was ich bin.


Kleine Pause.
[70]

FAUST ans Fenster. Immer noch nichts zu sehn!

RITTER. Ja, kriegsmännische Zuverlässigkeit ist auch was Guts. Davon wissen nur meine Altgedienten was. Jetzt gilt's aber nehmen, wer hilft. Die Bauern haben sich nicht selber gemacht, und wenn sie kindisch sind, und wenn sie hündisch sind, ist's unsere Schuld auch mit.

FAUST. Ihr habt Schweres auf Euch genommen, Ritter.

RITTER. Man nimmt's nicht, 's wird einem aufgelegt.

FAUST. Tatet's doch aus freiem Willen.

RITTER. Nein. Wenn ihr mit eurem Volke fühlt und gegen euern Stand, müßt ihr, oder in euch zerbricht was.

FAUST. Frau und Kind, Brüder, Freunde!

RITTER. Die seh ich nit, hör ich nit, spür ich nit. Höre nur ganz im Fernen das Kindeskind, das sagt: der Ahn tat recht.

FAUST. Den Enkel hört Ihr?

RITTER. Den Urahnen auch, den Besten von uns, auch ganz im Fernen, aber auch ganz klar. Immer das Herz auch dahinten und immer das Herz auch voraus, und immer dabei doch eins – mich dünkt, das ist Adel.

FAUST. So stolz, und liebt doch dies Volk?[71]

RITTER lachend. Liebt Ihr Eure jungen Geschwister nit, ob sie auch Dummheiten machen?

FAUST. Meine jungen Geschwister? ...

SCHULMEISTER. Lug' eins! Jetzt kommen sie über den Pfad links her; und ich hab immer falsch ausgeschaut.

RITTER zu Faust, der hinaus will.

Besser nit vor die Tür! Sind eh schon da.


Die Führer, sehr erregt, Kehrbach angetrunken.


KEHRBACH.

Ei so, ihr Drei, ihr guckt schon sauer drein –

Kein Grund, beim Eid! Wir kommen spät zum Tisch,

Doch setzen wir 'nen Knödelteller drauf,

Der wird euch schmecken: Grünburg ist bei uns.

RITTER.

So schlossen Sie sich an?

KEHRBACH.

Sie selber sich?

Drei Boten ritten mit der Fahne vor,

Der Herold blies, und überm Tor stelzt' auf

Der Burgherr. Wir drehn unser Sprüchel hin,

Wir kennen's ja, auch das Gelächter drauf

»Holt's euch's, Roßmucken!« Da ...

BEHNDORF.

Ja, Hauptmann, s' ist ein neuer Mann bei uns ...

Mit Narrenspossen, doch der Kopf voll Grips,

Ein toller Kerl, sie heißen ihn den Deix.

Denkt: wie nun unsre Reiter wenden, taucht

Der Deix schon droben auf der Mauer auf,

Brüllt: »Her, sie übergeben!« Wir gehn dran –

Die Brücke, holterpolter, rasselt nied,[72]

Erschlagen plauzt der Burgherr klirrklapp hin,

Und eh sich einer recht versehn hat, wie,

Ist alles gar.

KLEINMAIER.

Ja, Gott weiß, wie's geschehn!


Lebhafte Gespräche unter sich, der Ritter-Hauptmann tritt vor.


RITTER.

Ich bitt euch, nehmt nun Platz! Ich spreche nicht nur

Für mich, nein, als Vertrauensmann des Rats,

Und so läßt der euch künden, hört drum gut:

Die zwölf Artikel sind uns A und O,

Und unsre Einheit sind sie, unsre Kraft,

Sie sind gerecht, da ist nicht Baur, noch Bürger,

Noch Pfaff, noch Ritter oder Fürst, der nicht

Zugeben müßte, wenn er ehrlich spricht:

Sie sind gerecht. Und darum müssen sie

Anziehn zu sich, was in der Welt gerecht,

Und diese Welt ist ja von Gott gemacht.

Drum spricht der Volksrat: meidet, wo ihr könnt,

Blut, Brand, Gewalt. Zu Bürger, Ritter, Pfaff

Hintretend sprecht: wenn meist wir Bauern sind,

Wolln wir doch nit bloß für die Bauern sein,

Haltet zu uns, so treten wir zusammen

Vor Kaisers Majestät und sagen: Herr,

Das ganze Volk als Eines spricht zu Dir,

Richt mit uns neu ihm Glück und Größe auf!

Er ist ja auf dem Reichstag in der Näh,

Die Schranke hält kein Schranze, kommt das Volk.

KEHRBACH.

Und wo sie sich nicht fügen, wo sie höhnen,

Gelt, solln wir betteln: seid so gut, wo nicht,

So ziehn wir eben ab?

RITTER.

Nein, denkt der Rat, wo's sein muß, braucht Gewalt!

Des Rechtes Grundsatz, der ist sonnenklar,

Wer Fall auf Fall nicht untersuchen mag[73]

Mit Ehrlichen aus anderm Stand, wer meint,

Ein Göttlein sei er, das halt kommandiert –

Weg mit dem Göttlein aus der Macht! Das solln

Sie wissen. Auch der Kaiser soll's.

KEHRBACH macht eine ungeduldige Bewegung, Faust will sprechen, der Ritter legt jedem von ihnen eine Hand zurückhaltend auf den Arm.

RITTER.

Jetzt handelt sich's um Grafenstein, die stärkste,

Die Burg der Burgen birgt den schlimmsten Feind,

Den mächtigsten, den unversöhnlichsten,

Ich kenn den Mann, auf den jetzt alle schaun:

Sein Will ist Eisen, sein Gedanke Trotz.

Ein Bund mit uns?


Gebärde.


Und übergeben? Nie!

Also gilt Kampf. Wer stürmt den Grafenstein?

KEHRBACH höhnisch zu ihm.

Ei du!

RITTER sich beherrschend.

Du weißt, ich darf nicht dran:

Der Rat hat anders über mich bestimmt,

Ich soll gen Feldstein und gen Seeberg hin,

Die Städt für uns gewinnen.

KEHRBACH.

Dann der Deix!

RITTER.

Noch ist die Fahne mit dem Bundschuh rein ...

KEHRBACH.

Ihr kennt den Deix ja nicht.

RITTER.

Ich kenn ihn nicht.

FAUST.

Nehmt die Studenten, die den heiligen Mut

In Bischofsburg mit ihrem Blut bezeugt ...[74]

KEHRBACH.

Und die man schlug bei ihrem ersten Putsch?

FAUST.

Mann, fünffach war die Übermacht, sie wagten's

Trotzdem, um ihren Meister zu befrein ...

KLEINMAIER.

Privatsach! Was geht uns ihr Meister an?

KEHRBACH.

Ein Narr, wer mit dem Kopf rennt gegen Stein!

FAUST.

Wer zwang das Mögliche, der nicht zunächst

Unmögliches versucht?

RITTER.

Doktor, die hundert

Aus unkriegskundger Jugend zwängen's nicht.

KEHRBACH.

So nehmt den Deix.

RITTER.

Es ist noch einer da,

Bachmüller mit den Seinen.

KLEINMAIER.

Nein, der fiel.

KEHRBACH.

Den Deix – und jedem doppelt sich die Kraft!

RITTER.

So stimmt denn ab!


Alle Führer außer dem Ritter, Faust und dem Schulmeister heben die Hand.


RITTER.

Die Mehrheit für den Deix!

Zur Arbeit also!


[75] Die später Gekommenen erheben sich und gehn hinaus. Der Ritter, Faust und der Schulmeister bleiben noch. Der Schulmeister geht zu seinen Bildern, nimmt eins herab und gibt es dem Ritter.


SCHULMEISTER. Nimm's, »Ritter, Tod und Teufel«. Hat ein Nürnberger gemacht, was für dich!


Zu Faust.


Er hat auch noch eine Melancholie gemacht, die hab ich nicht, hätte ehdem für Euch gepaßt, jetzt, hoff ich, nit mehr. Aber das da ist auch von ihm, das nehm ich mit: den heiligen Hieronymus im Gehäus. Den leg ich mir unter's Wams, da hab ich die Heimat bei mir.


Zu den Töpfen, die er noch einmal durchsieht.


Euch pflanz ich noch aus, daß ihr Regen und Sonnenschein habt, wie's Gott gefällt.


Nimmt einen Vogelbauer nach dem andern und öffnet sie durchs Fenster.


Da fliegt! Pfeift sich doch wohl besser im Freien. Fliegt weit! Fliegt hoch! Durchs Fenster zu den Kindern draußen. Und ihr geht heim, Kinder, brav graden Weg, heut ist's besser, und grüßt mir all eure Leut recht schön, und wenn wieder Schule sein kann, sag ich's an. Ade! Ade! Sie kommen zu ihm und geben ihm von draußen die Hand. Ade! Kleine Pause, er sieht ihnen nach, dann zu Faust und dem Ritter. Nun gehör ich zu euren Leuten. Nehmt mich mit. Nütz ich Alter nit viel, werd ich nit schaden.

Vorhang.


Quelle:
Avenarius, Ferdinand: Faust. Ein Spiel. 3. Tausend, München 1919, S. 68-76.
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