Zehnte Szene

[10] Käthchen. Die Vorigen.


KÄTHCHEN. Liebe Mutter, hier ist ein Brief vom Herrn Vetter, er gehört an den Vater. Der Tiroler Hans hat ihn gebracht; er will Antwort, was soll ich ihm sagen?

THERESE. Er soll warten. Gut, daß du da bist. Tröste nur den Herrn von Müller, er hat um dich angehalten, du sollst seine Frau werden. Der Vater nur willigt nicht ein.

KÄTHCHEN. Wie? Herr Müller hält um mich an und kennt doch meine Gesinnung. Habe ich Ihnen nicht erklärt, daß ich nie die Ihrige werden will? Wie können Sie meine Hand begehren?

THERESE. Wie? Davon weiß ich ja nichts!

KÄTHCHEN zu Müller. Glauben Sie, weil Sie ein so kurzes Gedächtnis haben, ich denke auch nicht länger? Sie sind kein Mann für mich. Ich bin jung, Sie sind alt, ich sehe auf das Herz, Sie auf das Geld, ich lebe mit der ganzen Welt in Frieden, Sie mit allen Leuten in Zank. Wir passen nicht füreinander.

MÜLLER. Larifari! Redensarten! Sie stellen ja alle Worte so, als wenn sie Ihnen jemand eingelernt hätte. Worte klingen gut, doch Geld klingt besser. Kennen Sie diesen Schmuck? Er holt einen Schmuck aus der Tasche. Er ist von der ehrsamen Jungfrau Fanny Stiller, von Ihrer hochmütigen Feindin aus der Nachbarschaft, sie hatte auch immer hohe Worte im Munde, verstieg sich stets hinauf in die Wolken, aber der Papa konnte die Schulden da unten nicht bezahlen, deshalb hab ich ihn ausgepfändet. – Hier ist der Schmuck der[10] Demoiselle Fanny – ich lege ihn in Ihre Hände, tragen Sie ihn! Sie sollen mit den Kleinodien Ihrer Feindin glänzen, Sie sollen sie durch diese Brillanten demütigen. Nun, ist das weniger als schöne Worte?

THERESE. Kind, der Schmuck ist tausend Gulden wert!

KÄTHCHEN. Pfui, Herr Müller! Vorher haßte ich Sie, nun verachte ich Sie. Glauben Sie, ich sei so elend, daß ich um einen Schmuck meine ehrlichen Gesinnungen verkaufen könnte? Denken Sie besser von mir; nehmen Sie Ihren Schmuck augenblicklich zurück und lernen Sie ehren, was für eine Wienerin der größte Schmuck ist: Tugend und Bescheidenheit!

MÜLLER kalt. Ei, Sie deklamieren ja allerliebst!

THERESE. Ich spielte Komödie, wenn ich wie du wäre!

KÄTHCHEN. Liebe Mutter, diese Anmerkung habe ich nicht verdient. Ich muß Herrn Müller die reine Wahrheit sagen, die feinen Stiche fühlt er nicht.

MÜLLER. Mit einem Wort, es muß heraus! Diese Phrasen kommen alle von dem saubern Dichter her, der ihr die Cour macht. Der Kerl hat keinen ganzen Groschen im Sacke.

KÄTHCHEN. Er hat Herz und Kopf, und das ist etwas, was Sie mit all Ihrem Geld nicht erkaufen können.

THERESE. Das Mädel red't wie ein Buch, aber ich wünschte, sie spräche doch lieber wie ich. Hastig zu Käthchen. Jetzt sei mir gleich still mit deinen Schwachheiten, oder ich laß meine mütterliche Hand auf dir ruhen. Faßt sich schnell. Sie verzeihen schon, Herr von Müller, daß ich einen Augenblick die schickliche Achtung verletzt hab; aber wenn man sich so zusamm'nimmt, so gibt es doch Ereignisse, wo man die feine Erziehung vergessen muß, man mag wollen oder nicht.


Quelle:
Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig 1960, S. 10-11.
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