Zwanzigste Szene

[36] Karl. Therese.


KARL tritt rasch ein. Käthchen!

THERESE sieht sich um. Was wollen Sie?

KARL erschrickt. Verzeihen Sie, ich suchte –

THERESE. Meine Tochter? Was wollen Sie von ihr?

KARL. Sie betrachten mich mit solchem Unwillen.

THERESE. Muß ich das nicht? Ich kenne Ihre Absichten!

KARL. Meine Absichten? Oh, wenn Sie die kennten, so würden Sie mich nicht so behandeln! Ich will Käthchen heiraten – das ist ehrlich.

THERESE. Käthchen ist schon Braut.

KARL. Braut? O nein, das ist sie nicht. Wenn sie nicht die Meinige wird, so reicht sie ihre Hand keinem andern, das hat sie mir versprochen, und sie wird es halten.

THERESE. Wenn sie kann.

KARL. Liebe Madame Redlich, sie wird können. Treue, herzliche Liebe kann viel, wenn sie in solche Versuchungen geführt wird wie durch den saubern Müller.

THERESE. Er will sie ja heiraten.

KARL. Oh, wehe der Frau, die diesen Schurken zum Manne bekommt!

THERESE. Hören Sie auf! Sie können ihn nicht leiden, weil er Ihr Nebenbuhler ist, oder woher wissen Sie denn gar so viel Schlechtes von ihm?

KARL. Woher? Von ihm selbst! Ich sah sein Benehmen, ich habe das Unglück, mit ihm in einem Hause zu wohnen und Beobachter aller seiner häuslichen Niederträchtigkeiten zu sein. Wissen Sie, woher er seinen Reichtum hat? Ich will es Ihnen sagen: Witwen und Waisen hat er bestohlen! Ein Mensch, der ein schlechtes Herz besitzt, kann keine Frau glücklich machen, fühlen Sie das nicht?

THERESE. Das ist freilich wahr.

KARL. Und Sie zaudern, ihm Käthchen zu versagen? Ihm,[36] der so elend ist, daß die ganze Stadt von ihm mit Verachtung spricht.

THERESE. Ach Gott, ja, es ist zu spät. Mein Gott, was hab ich getan?

KARL. Erschrecken Sie mich nicht, was ist geschehen?

THERESE. Viel! Schrecklich viel! Eilen Sie! Retten Sie Käthchen! Müller hat sie unter einem betrügerischen Vorwand entführt – ach Gott, ich selbst ließ mich betören.

KARL. Ich fliege, Käthchen, ich muß dich retten! Eilt fort.

THERESE folgt ihm nach. Eilen Sie gegen die Franzensbrücke zu, dort werden Sie beide finden! Mein armes Kind! Mein armes Kind!


Quelle:
Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig 1960, S. 36-37.
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