Die weibliche Krankenpflege

[233] »Gott segne Euch, die ihr bei Tag und Nacht

»Die Kranken pflegt, die von dem Sturm Gefällten,

»Die ihr an diesen Betten tröstend wacht! –

»Der Erde Segen kann's Euch nicht vergelten!«

(Rittershaus.)


Wenn wir auch vorhin die Absicht ausgesprochen, uns nicht eingehender über die verschiednen Erwerbs- und Berufszweige, welche den Frauen jetzt zugänglich gemacht werden, zu verbreiten, so erscheint uns doch der Obengenannte als so überaus wichtig, daß wir es für gerechtfertigt halten, ihm in einem Buche, das in allen Anforderungen, die es an die Frauenwelt stellt, sich bemüht stets den »rein menschlichen« Gesichtspunkt einzuhalten, einige Worte zu widmen.

So lange die Welt steht, so lange physischer Schmerz und Krankheit die menschliche Gesellschaft heimsuchten, war man darauf bedacht, ihnen durch die Heilkräfte der Natur zu begegnen. Mit heiligem Schauer wurden Jene betrachtet, welche diese Mittel kannten und anzuwenden wußten; und wo mit dem wachsenden Kulturzustand eines Volkes sich poetisch-religiöse Vorstellungen entwickelten, wurde der Heilkundige unter den Schutz eines besondren Gottes gestellt. Aber niemals wurde dieser Gott gedacht,[233] ohne Ergänzung durch eine weibliche Gottheit, die ihn unterstützte, die seine Mittel wirksam zu machen sich bestrebte. Neben Asklepios strahlt Hygeia im Glanze ewiger Gesundheit und ihre weiche Hand vollzieht des Vaters Gebote. Sie legt sich kühlend auf die brennenden Stirnen, sie lindert den Schmerz der geschlagenen Wunden, ihr Mund haucht dem Sterbenden neuen Lebensathem ein.

Wie in der Mythe, so im Leben; immerdar, wenn auch oft mit krassem Aberglauben vermischt, erhielt sich die Vorstellung von weisen Frauen, welchen die Natur ihre geheimsten Kräfte offenbart, die sie in wunderbarer Weise gegen Tod und Krankheit anzuwenden wußten. Aus Schluchten und Höhlen, in denen sie oft sich bergen mußten, zum Dank für ihre Wohlthaten, mehr denn einmal als Hexe verfolgt und verbrannt, fand die Kunst des Heilens und Pflegens eine gesichertere Stätte im Umkreis der Klöster, welche in dieser Hinsicht während der schweren Zeit des Mittelalters, der Menschheit die treuesten, aufopferndsten Dienste geleistet hat. Ja, es bildeten sich besondre Ritterorden, die hauptsächlich nur den Zweck hatten die Kranken zu pflegen und zu schützen. Wetteifernd mit dem Manne in diesen edlen Bestrebungen, stand neben ihm die Frau, die gleich ihm, um durch keine andere Pflicht behindert zu werden, die Ehelosigkeit gewählt, den Schleier genommen hatte. Aber sie war nicht nur Pflegerin, sie war auch Heilkundige, und sie bereitete in ihrer Kloster-Officin die Mittel, welche die gelehrte Schwester, der Arzt des Klosters, vorgeschrieben. Die Reformation, die Aufhebung so vieler Klöster, endlich eine weitere Zerstörung derselben durch die große französische Revolution, unterbrach solche Thätigkeiten und Bemühungen, ja brachte sie theilweise in Vergessenheit.[234] Man glaubte, daß Alles, was zur Heilung eines Kranken nothwendig sei, durch die Gelehrsamkeit und die Vorschriften des Arztes sich von selbst verstehe, man quälte und marterte ihn, statt seine Leiden zu erleichtern und wie viel eine linde, sorgsame Frauenhand hier auszugleichen vermöge, wurde wenig beachtet und berücksichtigt. Sie selbst gingen ihres schönen Vorrechts und Talentes in dem eignen Bewußtsein verlustig; sie wußten fast nicht mehr, welche lebendige Quelle ihres Innern hier verschüttet lag, da sie nur dann an den Tag trat, wo die Familie, wo die nächsten Angehörigen besondrer Aufmerksamkeit und Pflege bedurften. Man war fest überzeugt, daß man nur schwer im Stande sein werde, dieselben Liebesdienste auch Fremden zu erweisen, denn man verband mit der Krankenpflege gewöhnlich die Vorstellung des Ekels, des Abscheu's, welche nur die Familienliebe zu überwinden vermöge.

So konnte es sich nicht fehlen, daß erstens die Krankenpflege eine höchst mangelhafte, von den unsinnigsten Vorurtheilen entstellte sein mußte, wie wir dies heute noch leider zu häufig beobachten können, und daß sie zweitens vollständig in die Hände roher, unwissender und ungebildeter Menschen überging, die einzig und allein einen Erwerb daraus machten und oft in den Familien, wo man sich ihrer bedienen mußte, eine schlimmere Plage waren, als die Krankheit selbst. Standen sie aber in der Privatpflege wenigstens immer noch unter einiger Controle, so war ihre Wirksamkeit, oder ist es noch, doch oft eine wahrhaft entsetzliche in Hospitälern, Lazarethen u.s.w.

Je mehr sich dann aber im rationellen Fortschreiten der ärztlichen Wissenschaften, die Nothwendigkeit herausstellte, die Kunst des Arztes durch eine vernünftige und zweckmäßige Pflege zu unterstützen, ja, wie er oft[235] nichts weiter vermag, als den Krankheitsproceß der Natur in Schranken zu halten, und zu sorgen, daß dieselbe kräftigst unterstützt, daß ihr in jedem Augenblick das geboten werde, was ihr veränderter Zustand bedarf, um in normale Verhältnisse zurückzukehren – Luft, Reinlichkeit, entsprechende Nahrung und die richtige geistige Einwirkung auf den Kranken, da mußte er sich wohl nach einer Hülfe umsehen, die dies zu leisten vermochte, die mehr bieten konnte als die gewöhnliche Wärterin. Wieder sollte diese Hülfe zuerst aus klösterlichen Gemeinschaften hervorgehen; die barmherzige Schwester, die Diakonissin, sie übernahmen das Pflegeamt, sie bewiesen auf's Neue, wie es eines der schönsten und liebevollsten Seiten des mütterlichen Berufes der Frau ausmacht, den Leidenden zu trösten und zu erquicken, den Kranken durch Pflege heilen zu helfen und dem Leben zurückzugeben.

Bald konnten sie nicht mehr entbehrt werden; ihre Zahl wuchs, aber doch noch lange nicht genug, um dem Bedürfniß auch nur annähernd zu genügen, und – wie trefflich auch das Wirken dieser geistlichen Genossenschaften sein mag, sie ließen und lassen sich nicht mehr einfügen in den Geist des Jahrhunderts, sie vermögen nur noch Wenige in das Bereich einer Thätigkeit zu ziehen, die durch mittelalterliche Formen allzu sehr beschränkt ist.

Aber noch lange hielt man trotz dem an dem früheren Vorurtheil fest, die Krankenpflege als etwas Untergeordnetes, für welche ganz geringe Kräfte genügten, zu betrachten und war überzeugt, daß nur religiöse Schwärmerei es den Höhergebildeten möglich mache ohne sichtbaren Entgelt, sich diesem Berufe voll Aufopferung und Entsagung zu widmen.

Da war es einer edlen Frau vorbehalten mit einem Schlage, mit einer That der seltensten Menschenliebe diese[236] Vorstellung zu vernichten, und der Name von Miss Nightingale wird dafür noch nach Jahrhunderten in den ersten Reihen Derjenigen glänzen, die als Wohlthäter des Menschengeschlechts bezeichnet werden. Sie, und die Gefährtinnen, die sie mit ihrem Geiste befeuerte; sie bewiesen es, während eines mörderischen Krieges, was der Genius des reinen Menschthums zu leisten vermag, ohne Schleier, Gelübde und Ordenskleid. –

Ihr Beispiel wirkte fort, und als ein trauriger Bürgerkrieg auch Deutschlands Gauen verwüstete, da wußte auch die deutsche Frau, was ihre nächste Pflicht, ihr nächster heiligster Beruf war. – Seitdem ist die Krankenpflege wieder ein höheres, ein weihevolles Amt geworden, die göttliche Tochter des Gottes, der mit schützender Hand die Todespfeile abwehrt und abstumpft. –

Nach zwei großen Richtungen hin sehen wir jetzt diese Frauenthätigkeit mit außerordentlichem Aufschwunge sich entwickeln und ausbreiten, sehen wir die Erziehung Derjenigen vorbereiten, welche sich ihr hingeben wollen. Es handelt sich dabei erstens um eine Ausbildung für Jene, die nur freiwillig, nur in Zeiten großer Noth, bei Krieg, Epidemien u. dergl. als Pflegerinnen thätig zu sein beabsichtigen, und im Uebrigen in ihren gewohnten Verhältnissen verharren. Zweitens aber, und dies ist ungleich wichtiger, um die Ausbildung, sowie um die Feststellung des Wirkungskreises der Berufspflegerinnen, d.h. jener Frauen, welche die Krankenpflege als Erwerbszweig, als dauernden Lebensberuf ergreifen. Neu wie der Gedanke sind auch noch die Institutionen, durch welche diese Frauen für ihr Amt erzogen, durch die sie verwendet und besoldet werden. Es sind dabei große Schwierigkeiten zu überwinden, ihnen den nöthigen Zusammenhang, das Regelmäßige, die Disciplin[237] zu geben, ohne welche eine solche Gemeinschaft nicht bestehen kann, und doch dabei die persönliche Freiheit der Einzelnen so wenig als möglich zu beschränken. Von dem Grundsatze ausgehend, daß ohne irgend eine besondere Glaubensrichtung dieser Beruf ganz menschlich aufgefaßt werden könne, getragen durch feste Sittlichkeit, Pflichttreue und aufopfernde Liebe, brauchen diejenigen, die sich ihm weihen, weder von Eltern, Geschwistern und Vaterhaus, noch von lieben Freunden und geistigen oder sonstigen unschuldigen Lebensgenüssen zu scheiden. Er verbürgt ihnen dabei eine ehrenvolle bürgerliche Stellung und neben dem nöthigen Lebensunterhalt, Altersversorgung und eigne liebevolle Pflege in Krankheitsfällen. Weil er aber so überaus wichtig und so sehr in's Leben eingreifend, ist es eine der Hauptbestrebungen derjenigen Institution (Alice-Verein), welche am freisten sich in dem oben erwähnten rein menschlichen Sinne zu entwickeln strebt und bereits in allen Theilen Deutschlands eine Art von Mustergültigkeit erworben hat, den von ihr gebildeten Pflegerinnen eine möglichst gründliche, wissenschaftliche Ausbildung zu geben, damit sie ihre Thätigkeit geistig ganz zu durchdringen, sie im ersprießlichsten Sinne auszuüben verstehen. Welches Beispiel, welche Anregung dann von solchen Pflegerinnen ausgehen, wie sie dadurch auf Familien, ja auf ganze Gemeinden, denn vornehmlich auf dem Lande ist ihre Hülfe von höchster Nothwendigkeit, einwirken werden, dies ist leicht zu berechnen, wenn man nur einige Vorstellung davon hat, wie wenig noch die Regeln einer vernünftigen Gesundheitspflege bekannt sind oder beachtet werden. Gleich segensreich muß das Wirken der Berufspflegerinnen an allen öffentlichen Krankenanstalten werden, die vielfach noch, nur von Männerhänden bedient, mit Ausnahme[238] einer oft unverständigen Haushälterin, jeder feineren, liebevolleren Sorge, kleiner Aufmerksamkeiten und vor allen Dingen jener pünktlichen Reinlichkeit entbehren, wie sie nur Frauen zu handhaben verstehen, die nicht unter den rohesten Vorbedingungen des Lebens auferzogen sind. –

Es ist darum von so großer Wichtigkeit, daß gerade Frauen aus den besseren Ständen, von feinerer Bildung, sich diesem Berufe widmen; sie werden dann, wenn auch mit Solchen von geringerer Kraft zusammenarbeitend, doch immer dem Institut der Krankenpflege seinen höheren Character retten, es nicht wieder in den früheren Schlendrian und Schmutz zurücksinken lassen.

Was der erste Krieg des letzten Jahrzehnts in Deutschland zuerst hervorgerufen, dies hat die zweite, schwerere Prüfung, welche wir zu bestehen hatten, befestigt und in höherem Maße befördert. Auch die deutschen Frauen haben neben den Männern ihre Schlachten. geschlagen, ihren Freiwilligendienst gethan, in der Sorge für die Bedürfnisse des Krieges, in der aufopfernden Pflege der Leidenden. Was aber auch Tausende und Tausende geleistet, ohne Zweifel gebührt der Vorrang Jenen, welche die Schrecken des Krieges und der Schlacht nicht scheuend, den Epidemien trotzend, dem Zuge der Heere als leistungsfähige, geregelte Gemeinschaften folgten, gleich Engeln des Lichtes und der Liebe; ebenso Denen, die daheim der eigentlichen Pflege sich widmend, über Jahr und Tag, bei Tag und bei Nacht an den Betten der Kranken ihre Hülfe darbrachten.

Aus ihren Reihen werden wiederum die barmherzigen Schwestern des Friedens, die Berufspflegerinnen sich verstärken, und wir können nur wünschen und hoffen, daß dies in großer Anzahl geschehe. – Mädchen[239] oder Frauen reiferen Alters, nicht unter 25 Jahren, von kräftiger Gesundheit und mit praktischem Talent – wie könnten sie, wenn keine nähere Pflicht sie bindet und die Nothwendigkeit sie darauf hinweist, sich einen Wirkungs-, einen Erwerbszweig zu wählen, wie könnten sie zugleich dem Bedürfniß ihres Herzens schöner genügen, als in der Ausübung des Pflegeamts, in der nur theilweise beschränkenden Gemeinschaft von Gleichwirkenden und unter der freundlichen Obhut gebildeter Frauen und Männer. Wie schwer auch der Beruf, er ist nicht minder lohnend, durch die häufige Liebe und Dankbarkeit Derer, denen ihre Hand wohlgethan, und mit Denen auch noch in gesunden Tagen zu verkehren, sie kein Zwang und kein Gelübde abhält. –

Möge es unsern Worten gelingen, manche Frau, die noch unentschieden zwischen der Wahl eines Berufes schwankt, dafür zu gewinnen, und möge sie dann bei dessen Ausübung, immer festen Muthes und unbeirrt durch die Schwierigkeiten, welche jeder Beruf mit sich bringt, des Dichters Wort gedenken:


»O, Gott, dein reinster Dienst ist hier,

Der Gottesdienst der edlen Menschenherzen!« –[240]


Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. CCXXXIII233-CCXLI241.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Bjørnson, Bjørnstjerne

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.

70 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon