|
Das Urteil über mich und meine Gedichte in der A.L.Z. Nro. 13 und 14 von d.J. muß meine und meines ganzen Publikums Aufmerksamkeit ganz vorzüglich erwecken. Denn mit der ehrwürdigen Miene des gründlichsten Tiefsinns, der geübtesten Urteilskraft, des raffiniertesten Geschmacks, kurz, mit der ganzen Herren- und Meistergebärde, vor welcher selbst der kühne Geist des Widerspruches andachtsvoll verstummen möchte, strebt sein Verfasser darzutun, daß wir uns seit 20 Jahren sehr übel geirret haben.[1226]
Ich meines Teils wußte nun zwar längst, und werde es in keinem Moment meines Lebens vergessen, daß weder ich selbst ein gereifter und vollendeter Geist bin, noch daß ich einem solchen in meinen Werken ausgeprägt habe. Denn wie könnte mir wohl die triviale Wahrheit entfallen, daß kein endlicher Geist jemals zur Vollendung ausreife? Dennoch glaubte ich, mein Geist, und wenigstens einige seiner Früchte, wären wohl so weit emporgediehen, um von dem reifern Ausschusse absolut unreifer und unvollendeter Geister, wie unterm Monde wir alle sind, ohne Mundverziehung genossen werden zu können. Das aber war grober Irrtum. Man muß, möglich oder nicht möglich, man muß ein reifer und vollendeter Geist sein, und nur reife, vollendete Produkte liefern. Ich aber – ach! Selbst für die Unreifen bin ich noch lange nicht reif genug.
Weit ärger noch, als ich, war mein großgünstiges Publikum von Irrtum befangen. Denn dieses hielt fast durchgehends meinen Genius für ein viel höheres Wesen, als ich selbst, sogar in den Stunden des jugendlichsten Dünkelrausches, ihn jemals zu halten vermochte; und wahrlich! an weit mehrern seiner Produkte, als mir lieb war, hatte es sein überaus großes Wohlgefallen. Mit Scham und Unzufriedenheit erfüllte mich öfters dieser Glaube, dieser Feiertanz um manche meiner Pagoden. Nicht ohne Besorgnis dachte ich daher an die Miene, mit welcher es wohl aufgenommen werden dürfte, wenn ich ihm bei einer neuen strengern Musterung wenigstens seine unwürdigsten Lieblingspuppen entziehen müßte. Jetzt täte es not, ich entzöge ihm sogar die wohlgeratensten Gestalten.
Denn siehe, aus einer höhern Sphäre ist ein reifer und vollkommener Kunstgeist auf die allgemeine Lit.-Zeitung heruntergestiegen; aus einer Sphäre, wo die Poesieströme lieblich flöten; aus einer Sphäre, wo die jugendlichen Blüten des Geistes in der Fruchtzeit nicht absterben, das ist, wo das Vorhergehende und Nachfolgende als eins und in einem Zeitmoment gedacht und im Bilde angeschaut werden kann; aus einer Sphäre, wo man nicht so genau und bestimmt als hienieden sich auszudrücken braucht, und die Redensarten, etwas mit einem einzigen Schönheitsgenuß- oder Schönheitsverlust erkaufen, als Synonyme verwechseln darf; aus einer Sphäre, wo ein verjüngendes Licht ebensogut als eine verjüngende Wärme der Erstarrung eines frühzeitigen Alters wehret; aus einer Sphäre, wo die menschlichen Geisteskräfte vereinzelt und getrennt wirken; wo die Poesie die Sitten, den Charakter und die ganze Weisheit ihrer Zeit, geläutert und veredelt, in ihren Spiegel sammelt; mit einem Wort, aus einer Sphäre, wo man nach ganz andern Gesetzen denkt, anschaut, empfindet, kombiniert, tropisiert, bildert, bezeichnet, als wir unreifen unvollendeten Geister hierunten zu tun uns für schuldig erachten. Diesem Herabgestiegenen geziemt es, kraft obiger statistischen Nachrichten, unverzagt zu behaupten, daß er unter allen Bürgerischen[1227] Gedichten, selbst den am reichlichsten ausgesteuerten, keines zu nennen wisse, das ihm einen durchaus reinen, durch gar kein Mißfallen erkauften Genuß gewährt habe. Ein langes Register von Ursachen ist unmittelbar hierauf dargelegt. Ich bitte, man vergleiche dies doch mit der obigen Statistik. –
Zu unserer nicht geringen Verwunderung erfahren wir samt und sonders, was bisher weder ich selbst mir noch vollends mein ganzes verblendetes Publikum sich träumen ließ, daß ich nicht bloß – ein unreifer unvollendeter Dichter? – oh wenn es das nur wäre! – nein, daß ich ganz und gar kein Dichter bin, daß ich diesen Namen gar nicht verdiene. – Man glaubt hier doch nicht etwa, daß ich den Kunstgeist nur schikaniere? Bewahre! Hier ist der Beweis: Eins der ersten Erfordernisse des Dichters ist Idealisierung, Veredlung (ob dies wohl Synonyme sein sollen? –), ohne welche er aufhört, seinen Namen zu verdienen. Nun aber vermißt man bei mir diese Idealisierkunst. Also! –
Vermöge dieses Mangels bin ich nun freilich schon so viel als gar nichts. Aber wie noch weit weniger als nichts müsset nicht vollends ihr sein, meine geliebten und hochverehrten Brüder im Apollo, die ihr mit mir um den lyrischen Lorbeerkranz ringet! ihr, Asmus, Blumauer, Gleim, Goeckingk, Goethe1, Herder, Jacobi, Langbein, Matthisson, Ramler, C. Schmidt, Schiller2, Schubart, Stäudlin, Stollberg, Voß und – oh verzeihet oder vielmehr dankt mir, daß ich nicht euch allen das Herzeleid antue, euch hier zu nennen! Denn euch alle erblickt der reife und vollkommene Astralgeist so tief unter mir, als ich selbst seiner Meinung nach bisher noch unter dem höchsten Schönen geblieben bin. Welchen Erdensohn muß nicht Schwindel befallen bei solcher höchsten Höhe der Schönheit und des neben ihr schwebenden Kunstgeistes! –
Meine Elegie, als Molly sich losreißen wollte, so werden wir weiter belehrt, gehört zu meinen mattesten Produkten. Ganz einleuchtend tun dieses schon die kaum zur Hälfte ausgezogenen dicta probantia dar, ohne daß es nötig gewesen wäre, nur noch ein Wort darüber zu verlieren. Merkt es euch, ihr vielen rohen, unreifen, unvollendeten Männer- und Weiberseelen, die ihr euch von den Naturtönen dieses Liedes so innig durchdringen, so tief rühren ließet! Ihr steht betäubt und wißt nicht, wie euch geschieht? Oh glaubt mir, ich weiß es noch weniger. Aber tilgen aus dem künftigen Buche der Lebendigen werde ich ja nun wohl auch dies Lied müssen. –
Kunstrichter auf andern Stühlen, die ihr doch, meinem eigenen Wunsche gemäß, mir ebenfalls nichts geschenkt habt, vernehmt es von meinem und eurem Oberrichter, daß euer so hoch gespriesenes Blümchen Wunderhold, freiheraus gesagt, Tändelei ist! Und was alsdann anders als alberne Tändelei? –[1228]
Priester und Laien, durch Horazens: Si vis me flere – verführt, glaubten bisher immer, die Empfindungen, welche der Dichter darstellt, müßten wahr, natürlich, menschlich sein. Sie glaubten, alsdann gelänge die Darstellung am besten, wann der Dichter sie nicht sowohl erkünstelte, als vielmehr wirklich im Busen hegte. Der reife vollkommene Kunstgeist aber weiß es besser. Idealisiert – ja, idealisiert! – müssen sie sein. O Engel, Garve, Herder, Wieland, ich bitte euch, kommt doch herbei, diesen wundersamen aus Ariosts Monde heruntergefallenen Fund mit mir zu betrachten! – Ha, daß nicht die Lessing, die Mendelssohn, die Sulzer in ihren Gräbern sich noch umwenden! Meine neuern Gedichte, sonderlich die an Molly, taugen nichts. Denn so unnachahmlich schön in den meisten Diktion und Versbau ist, so poetisch sie gesungen sind, so unpoetisch sind sie empfunden! Das nenne ich mir doch eine scharf- und tiefsinnige Antithese! Sicherlich hat sich der Kunstgeist darin weit mehr, als ich mir in der Erfindung des Blümchens Wunderhold gefallen. Des hatte er aber auch Ursache. Denn man denke nur den herrlichen Sinn, der daraus hervorgeht. Nicht meine, nicht irgendeines sublunarischen Menschen wahre, natürliche, eigentümliche, sondern idealisierte, das ist keines sterblichen Menschen Empfindungen – Abstraktionen – man denke! – Abstraktionen von Empfindungen müßten jene Gedichte enthalten, wenn sie etwas wert sein sollten. – O Petrarca, Petrarca, der du eigentümlicher, als je einer, sangest, was du eigentümlicher, als je einer, für deine Laura empfandest, Sonne der lyrischen Dichtkunst, die du Jahrhunderte durchstrahltest, wo bleibst du nun vor dem höhern Glanze dieses ätherischen Kunstgeistes? Bei dem allen findet es der tiefsinnige Richter seiner Theorie nicht widersprechend, wenn er behauptet, daß alles, was der Dichter uns geben könne, nur seine Individualität sei. –
Solche und noch mehr ähnliche Merkwürdigkeiten sind mir und unstreitig dem ganzen ästhetischen Publikum zu – merkwürdig, als daß ich nicht von einer sonst immer beobachteten Weise abgehen sollte. Noch verlor ich in meinem ganzen Leben auch nicht das kleinste gedruckte Wort über irgendeine Rezension meiner Werke. Aber bei dieser muß es mir selbst von dem stolzesten und edelsten Taciturn gut geheißen werden, wenn ich den Verfasser laut und dringend auffordere, uns seine unbegreifliche Weisheit irgendwo ausführlicher, als hier geschehen konnte, mitzuteilen, und so eine Menge Widersprüche aufzulösen, mit denen wir andere durchaus nicht fertig werden können. Besonders wünschte ich dem Begriffe einer idealisierten Empfindung, diesem mirabili dictu, nur eine einzige interessante Anschauung aus irgendeinem alten oder neuen, einheimischen oder fremden Dichter, der das mirabile so recht getroffen hätte, untergelegt zu sehen. Mit Vergnügen biete ich zu dieser Ausführung meine Akademie der schönen Redekünste an. Denn da ich ohnehin schon so sehr mit Wunden bedeckt[1229] bin, so mag der zürnende Kunstgenius nur vollends, sogar auf eigenem Grund und Boden, mich zum Ecce homo machen, wenn ich wirklich und überall, auch in dem gelungensten meiner Produkte, mich so schwer an der Kunst des Schönen versündigt habe, als es aus dieser Rezension das Ansehen gewinnet.
Ich übrigens, wenn ich einmal Beruf und Mut genug in mir gefühlt hätte, einem alten Günstlinge des Publikums so, wie der Verfasser mir, mitzuspielen, ich – ja, ich würde auch Tapferkeit genug besitzen, mein Visier aufzuziehen, wenn ich darum gebeten würde. Wohlan denn! Gestrenge und vermutlich ebenso tapfere Maske, ich bitte Dich, wer bist Du? Ich frage nicht deswegen, um nur meine und des Publikums eitle Neugier zu befriedigen. Auch dürste ich nicht etwa nach vergeltender Rache an dem Beurteiler und seinen vermutlich ebenfalls, wenn auch nur wie der große, der göttliche Achill an der Ferse, verwundbaren und sterblichen Geisteskindern. Denn vielleicht hat er, wie Macbeth, keine Kinder. – Vielleicht, sag ich? Nein, er hat zuverlässig keine! Er ist kein Künstler, er ist ein Metaphysikus. Kein ausübender Meister erträumt sich so wichtige Phantome, als idealisierte Empfindungen sind. Hätte er aber dennoch wider allen meinen Glauben jemals ein Kind mit einer Muse erzeugt, so hätte er ihm zuverlässig schon ohne mein Zutun in einer solchen Rezension das Todesurteil gesprochen. Daher muß ich auch nur lachen, wenn ich sie ein Meisterstück nennen und keinem geringern als einem Engel oder Schiller beilegen höre. Wenn Männer, die Phöbus Apollo mit Geisteskindern gesegnet hat, fremder Leute Kindern Gift zubereiten wollen, so würden sie es so tun, daß wenigstens ihre eigenen nicht mit bis zum Tode daran erkrankten. Vielmehr darum wünschte ich, daß mein Richter sein Angesicht enthüllte, damit jedermann gleich beim ersten Anblick wüßte, wonach er sich in seiner fernern Geschmackskultur zu richten hätte. Denn man sage, was man wolle, in Geschmackssachen, wo nicht, wie bei Gegenständen der Verstandeserkenntnis, feste Begriffe und Formeln, sondern so manche αρρήτα des Gefühls das Urteil leiten, muß auch nicht selten das bloße Ansehn eines erkannten und erklärten höhern Genies gelten, und durch sein Beispiel Geschmacksnorm festzustellen befugt sein. Wäre nun mein Beurteiler kein höheres, sondern ein Kunstgenie bloß meinesgleichen, so würden unsere einander entgegenstehenden Autoritäten, wie zwei gleiche unabhängige Kräfte sich wenigstens die Waage halten, und sein Geschmack müßte von dem meinigen, wie ein Souverain von dem andern, wo nicht mit schüchterner, doch mit bescheidener Achtung sprechen. Zeigte sichs aber gar, daß er an Kunsttalent und Kultur noch unter mir wäre – o so dürfte ja sein Geschmacksurteil sichs noch weit weniger anmaßen, dem meinigen und dem Urteile des mir gleich gebildeten und gestimmten Publikums zum herrschenden Kanon dienen zu wollen. Dann müßte er vielmehr seinen[1230] abweichenden Geschmack, den ich einen Verschmack nennen möchte, wornach er das Blümchen Wunderhold für ein unwürdiges und geistloses Symbol der Bescheidenheit erklärt, an dem Urteile seines Erfinders und der andern gebildeten Geister, denen es nicht also vorkommt, bescheiden und demutsvoll zu berichtigen, und also seinen Verschmack in Geschmack umzubilden suchen. So viel kommt also darauf an, zu wissen, wessen die Stimme sei, die so anmaßend hinter dem Vorhange hervortönet! –
Ich muß hier, wiewohl ungern, abbrechen; hoffe aber sowohl diesen als auch andern Rezensenten nächstens in der Akademie, wo es wohlfeiler zehren für mich ist als hier, reichlicher zu bewirten. Denn ich bin willens, etwas über mich selbst und meine Werke, nicht mir, sondern der Kunst zuliebe, zu schreiben.
1 Im 8. Bande seiner Schriften.
2 In seinen lyrischen Produkten.
Buchempfehlung
Der Erzähler findet das Tagebuch seines Urgroßvaters, der sich als Arzt im böhmischen Hinterland niedergelassen hatte und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch begann, dieses Tagebuch zu schreiben. Stifter arbeitete gut zwei Jahrzehnte an dieser Erzählung, die er sein »Lieblingskind« nannte.
156 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro