[30] ST. PREUX zu einer Tollen an der linken Seite.
Sie glauben denn an keinen Gott, Mamsell?
DIE TOLLE.
Es ist kein Gott!
ST. PREUX.
Wie kommen Sie darauf?
DIE TOLLE.
Christus hat's selbst gesagt.
ST. PREUX.
Ich steh' versteint –
Wo hat er das gesagt? Wann hat er das
Gesagt? Wem hat er das gesagt?[30]
DIE TOLLE.
Mir! mir!
Mir selbst hat er's gesagt – und laut, laut, laut –
Die Todten hörten's – und die Lebenden,
Sie starben, als er's sagte – außer ich,
Die todt zwar, aber nicht gestorben bin.
Denn, sieht Er, mein jungfräulich dünner Leib
Ist eine durchgebohrte Seifenblase,
Und mein' ätherisch drin entpuppte Seele
Der Traum im Traume. Sage, kann Er mir
Im Sonnenschein aus weggeschmolz'nem Schnee
Ein tüchtig Petermännchen machen? Was?
Es ist kein Gott in aufgeklärten Zeiten –
Auch giebt es keine Wonne mehr. Dahin!
Dahin! Dahin!
ST. PREUX vor sich.
Entsetzlich!
Laut.
Haben Sie
Die Bibel nie gelesen?
DIE TOLLE.
Darin stand
Mit großen schwarzen glühenden Buchstaben
Geschrieben –
Sie sinnt nach.
Weh mir! ach! ich hab's vergessen –
Die Worte sind erlöscht; die Kohlen aber
Geblieben – lauter Kohlen!
Sie sinnt wieder nach.
Jetzt erinnr' ich's!
Es steht im Buche Richter, bei Johannes
Am Schluß des Briefes vom Apostel Paul,
Die sämmtlich abgebrannte Himmelsbürger
Zu Hof im Vogtland sind. Kann Er Fractur
Mit bloßen Augen lesen, starrer Blicker?
Da steht's noch deutlich an der hellen Wand
Mit meinem eignen Blute roth copirt –
Schrieb ein Postscriptum drunter noch mit Thränen –
Mit Thränen – aber die erst sichtbar werden
Um Mitternacht.[31]
ST. PREUX vor sich.
Mir fährt's durch Mark und Bein!
Laut.
Sie glauben aber doch an den St. Paul?
DIE TOLLE.
Wie sollt' ich nicht! Er glaubt ja auch an mich.
Ich bin, als Jungfrau, seine sel'ge Mutter,
Die schmerzensreiche! Warum betet Er
Sein Ave Magdalena nicht, und wirft
Sich vor mir auf die Kniee nieder, wie
Der Papst, und alle die gekrönten Sünder?
ST. PREUX weint.
Ich halt' es nicht mehr aus. Unsel'ges Mädchen!
Vielleicht hat Dir mein unvorsicht'ger Traum –
Ach! Wein vertragen kaum die schwachen Nerven,
Geschweige Weingeist, vollends Alkohol
In Quintessenz. Der schönen Seelen Nektar
Hab' ich, befürcht' ich – selbst davon berauscht –
Zu Gift rectificirt.
DIE TOLLE.
Was schwatzt Er da?
Warum doch weint Er? Laß die Thränen mir!
Ich will mich bis zur Seele ganz entblößen;
Ich will mein'n Schawl von Abendroth abwerfen;
Mein himmelblaues Hemd von Aether ausziehn,
Und mein Nachthäubchen von Gestirnen gerne
Wegschmeißen, wenn Er will – Was hat Er doch,
Daß wie 'ne Hopfenstang' Er auf und ab
Da steht, und's Mäulchen hängen läßt?
ST. PREUX lacht, indem er sich wegkehrt.
Ich kann's
Unmöglich lassen, trotz der inn'gen Rührung!
Der Himmel weint' und lachte laut zugleich,
Als ich empfangen wurde. Schmerz und Scherz
Heiratheten einander in dem Stern,
Worunter ich geboren. –
Laut.
Lebe wohl,
Wahnsinn'ge Heil'ge!
DIE TOLLE.
Gute Nacht, Freund Hain![32]
ST. PREUX geht nach einer andern Zelle, und schreibt, murmelnd, in seine Tafel.
Der Schawl von Abendroth – das Hemd von Aether –
Die Haube von Gestirnen – wenn hinzu
Den Gürtel noch, den brennenden, ich füge –
Von Mutter Erde welch ein Jungfraubild!
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