Zweiter Auftritt.

[50] BRUNO betroffen. Bitt' um Verzeihung! – ich habe, wie ich sehe, mein Zimmer verfehlt.


Er will wieder hinausgehen.


PR. V. ELLENBOGEN aufspringend. Erlauben Sie – daß ich den berühmten Doctor Stirn, den Kopf der Physiker –

OPITZ ebenfalls aufstehend, und Bruno vorführend. Und ich den Herrn Professor Bruno, das Haupt der Metaphysiker, Ihnen vorstelle.

MAD. DAUPHIN. Wie glücklich! Sehr willkommen, meine Herren! Doch verzeihen Sie, alle zusammen, daß ich hier den romanischen Parnaß so schlecht empfange.


Verbeugungen.


PR. V. ELLENBOGEN. Wo die Göttin sich zeigt, da ist der Olymp.

OPITZ. Dergleichen fühlt man, und schweigt.

EIN JUNGER GELEHRTER halb vor sich. Ich möchte Midasohren haben, wenn lange besser, als kurze, hörten.

EIN ALTER GELEHRTER mit einem Hörrohr. Ich höre deutlich jedes Wort – zumal Vormittags.


Er setzt das Horn an.


PR. V. ELLENBOGEN nachdem sich Stirn und Bruno gesetzt haben. Wir sprachen eben von unserm armen, unglücklichen Romanien. Zu Bruno. Aus Ihren Schriften hab' ich viel gelernt. Zu Stirn. Den Türkenschädel habe ich zu Hause jetzt. Zu Madame Dauphin. Sie lieben uns? Ach, liebenswürdig sind die rohen Germanen wohl nicht!

MAD. DAUPHIN. Wie können Sie das sagen? Sind sie denn nicht unglücklich?[50]

PR. V. ELLENBOGEN küßt ihr die Hand. Herz wie Geist!

EINER DER GELEHRTEN. Was halten wohl Euer Gnaden von der Literatur im Reich?

MAD. DAUPHIN. Das darf ich wohl in diesem Kreise nicht sagen.

DER GELEHRTE mit dem Hörrohr. Wir lieben wohl motivirten Tadel, gründliche Kritik gar sehr – zumal von einer Philologin wie Euer Gnaden. Er steht auf und herbeugt sich tief. Habe mit unendlichem Vergnügen Dero vortreffliche Version des Homer, vorzüglich der Noten wegen, durchstudirt.

MAD. DAUPHIN. Sie scheinen in einem Irrthum zu seyn, Herr Professor!


Alle die Anderen sehen ihn mit großen Augen an.


DER GELEHRTE. Habe ich die Ehre nicht, die weltberühmte Madame Dacier –


Einige lachen.


MAD. DAUPHIN. Es thut mir leid, diese Ehre mir und Ihnen, Herr Professor, entziehen zu müssen – ich bin nur Frau von –

DER GELEHRTE unterbrechend. Oh! Eure Gnaden brauchen Dero werthen Namen mir nicht auf Deutsch zu übersetzen! Also zwei Mesdames Dacier? Ich wußte nicht, daß mehr als Eine in der Literatur berühmt geworden.

MAD. DAUPHIN lachend. Sehe ich denn so schrecklich großmutteralt aus, Herr Professor? –

DER GELEHRTE. Ich weiß wohl – allein es giebt ja französische Damen, die niemals altern, wie zum Beispiel die berühmte[51] gelehrte Ninon de l'Enclos. Da dacht' ich, es wäre mit Euer Gnaden auch der Fall.

PR. V. ELLENBOGEN lachend. Gestehen Sie – gestehen Sie, meine Gnädige!

DER GELEHRTE sich wieder setzend. Wußt' es wohl. Er setzt sein Horn wieder an.

ST. PREUX zu Madame Dauphin. Sie sind und bleiben die Repräsentantin der französischen Literatur, man mag es wenden, wie man will. Der Irrthum auch, der es verfehlt, verkennt Sie doch nicht.

OPITZ. Artig genug! Die Uebersetzerin Homer's wird, wenn man sie in's Deutsche übersetzt, Original.

ST. PREUX. Der schönste Sieg der deutschen Sprache über die französische. Denn wer gäbe nicht gern zwölf Mesdames Dacier für eine halbe Sie? –

DER ERSTE GELEHRTE unterbrechend. Es hat, wie ich bemerke, der Faden des Gesprächs sich verloren. Wenn ich nicht irre, so war von der Reichsliteratur die Rede. Euer Gnaden wollten Dero Meinung nicht in diesem Kreise sagen. Doch erführen wir gerne die Kritik.

MAD. DAUPHIN. Die überlasse ich Ihnen. Was Dichtkunst und Philosophie betrifft, Romaniens einheimische Producte, so möchte ich vielleicht nur ein gar zu enthusiastisches Lob aus voller Seele darbringen – und –

OPITZ vertraulich. Geniren Sie sich nicht! das horen wir noch lieber, meine Gnädige!

MAD. DAUPHIN. Ich glaubte, die Romantiker wären in Allem verschieden von den Philistern. Freilich die Dichter an der Seine –[52]

EIN STUDENT. Dichter? – Also Dichter haben Sie wirklich in Frankreich?

PR. V. ELLENBOGEN. Zu Hause schwerlich, denn die Muse ist ja davongegangen.

MAD. DAUPHIN. Zu den Musageten.

PR. V. ELLENBOGEN klatschend zu Opitz. Was sagen Sie dazu?

OPITZ. Ich höre.

PR. V. ELLENBOGEN zu Dr. Stirn. Und Sie?

DOCTOR STIRN. Ich sehe.

PR. V. ELLENBOGEN zu Bruno. Und Sie, mein werthester Professor?

BRUNO. Ich denke.

ST. PREUX vor sich. Mir bleibt nichts übrig, als zu fühlen – und allenfalls zu schreiben. Leider genirt mich die Gesellschaft.


Trinkt seine Tasse Chocolade.


PR. V. ELLENBOGEN unterhält flüsternd Madame Dauphin. Die Gelehren Paar und Paar sprechen leise mit einander. Der Bediente stolpert mit Tassen über die Bache bei'm Herausgehen.

MAD. DAUPHIN. Apropos! Wie kömmt es, daß der Hof hier in dem Wirthshause logirt, und nicht im großen alten Schlosse, das zwar entsetzlich gothisch aussieht, das aber doch bewohnbar zu seyn scheint.

OPITZ. Der Hof mag in diesem Augenblick nicht gerne viel Aufsehen machen, der Herzog liebt die Pracht nicht – und ohnehin ist jenes große Schloß das hiesige Tollhaus.[53]

MAD. DAUPHIN. Was sagen Sie? Ist hier im Lande der Weisheit, der Dichtkunst und der Wissenschaft ein Tollhaus?

OPITZ. Ich wüßte kaum – die Wahrheit zu sagen – daß hier in Jauer etwas Anderes wäre.

EIN JAUERSCHER GELEHRTER. Allein, mit Verlaub, Tollhaus und Tollhaus sind zweierlei, wie Schule und Schule. Eine hohe Schule nennt man eine Universität, und ein hohes Tollhaus eine Irrenanstalt, Herr Baron!

OPITZ. Verzeihen Sie, wenn ich dem Palladium des Ortes zu nahe trat. Ich meinte es nicht so böse. Denn ich hege viel Respect für's Institut, Herr Irren-Anstalts-Bibliothekar!

BIBLIOTHEKAR. Es ist die größte Anstalt dieser Art in Europa.

OPITZ. Das ist unstreitig.

BIBLIOTHEKAR. Und ohne sie möchte ich wohl wissen, was aus allen unsern übrigen Anstalten wohl werden sollte.

ST. PREUX. Nur gar zu wahr!

MAD. DAUPHIN. Sie machen mich höchst neugierig.

BIBLIOTHEKAR voll Eifer. Madame! hören Sie! Es ist der Stolz Romaniens. Sie haben nichts Aehnliches auf Ihren Reisen noch gesehen. Was irgend Fleiß, was achte Kunst und wahre Wissenschaft, durch landesväterliche Gnade und Fürsorge gehörig unterstützt, nur immer leisten können, das ist an der hiesigen, ächt nationalen Anstalt verschwendet worden, ohne es zu verschwenden. Sie müssen es sehen, meine Gnädige! sonst glauben Sie es nicht. Der Büchersaal allein schon hat seines Gleichen nicht. Es ist eine Welt im Kleinen; ich möchte fast sagen, im Großen.[54]

DOCTOR STIRN. Bin eben da gewesen, hab' es gesehen.

BRUNO. Ich auch.

ST. PREUX. Ich auch.

MAD. DAUPHIN zu Doctor Stirn. Und nun, was sagen Sie davon? Sie sind ja ein Kenner, Herr Hirninspector!

DOCTOR STIRN. Der Herr Bibliothekar sagt nicht zu viel.

MAD. DAUPHIN. Ich werde, fürchte ich, selber verwirrt vor Erstaunen und Neugier.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 50-55.
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