Zweiter Auftritt.

[121] KEIT, DER KOHLENBRENNER mit ellenlangen Schnabelschuhen, an deren Spitzen kleine Glöckchen angebracht sind, ganz altfränkisch gekleidet, mit einer Kette um den Hals, und einem Jägerhorn an der Schulter, tritt stampfend auf, und singt.

Mit Ahnsinn Wahnsinn, lächelndweinend,

Einend –

Mit schiefe Tiefe, dunkelmeinend,

Scheinend –

Der Enge Läng' entflammt in weiten Breiten,

Muß licht der Dichter durch die Zeiten gleiten.
[121]

Ein Zwitter von Gewitter, bebend,

Schwebend –

In Luft und Kluft, dem Tode lebend,

Webend –

Bald himmelschwimmel, bald am Grabe Rabe,

Bringt Licht er dicht, und Matten Schatten abe.


Im Dunkeln funkeln seine spitzen

Blitze –

Daß er das Herz im Scherz mit Witzen

Ritze –

Er sprengt mit Macht zur Nacht der Moore Thore,

Daß er in's Herz den Schmerz durch's Ohre bohre.


Doch muß als Kuß er auch bisweilen

Eilen –

Von Mund zu Mund, und trotz dem Eilen

Weilen –

Wenn Mäulchen-Knäulchen, zartumschlingend, zwingen

Den Wetter-Schmetterling, deß Schwingen ringen.


Von fernen Sternen kommen süße

Grüße –

Und Rosen sprossen in der Wonne

Sonne –

Die Lippen nippen ihm der Küsse Süße;

Das Knäulchen-Mäulchen schlürft der Sonne Wonne.


Zerfließend, sich ergießend, windet – bindet

Der Gruß den Kuß, der Kuß den Gruß im Gusse;

Es fällt die Welt; doch wenn sie schwindet, findet

Er bieder wieder sie als Nuß im Kusse. –


Flecht und Klingel treten hervor.


O Witz! Blitz! Wonne! Sonne! – –


Er wird sie gewahr, und hält plötzlich inne mit dem Gesang, verdrießlich murmelnd:


Teufelsdreck![122]

KLINGEL zu Flecht.

Ist das nicht Poesie? Hast je gehört

Was Höheres, was Tieferes?

FLECHT.

Ich staune!

Wenn mit dem Kuß die Freiheit er versteht,

Das Ich, das Absolute – mehr, weit mehr

Als Poesie! Schlechthingesungne Selbstich-

heitslehre!

KLINGEL.

Sollte meinen.

FLECHT zu Keit, der ein schiefes Maul macht und stampft.

Ich zum Gruß!

Ich hab's gesagt, geschrieben, und gedruckt –

Wir sind schon alte Freund' im neuen Ich;

Schlag' ein! Der Geist erkennt den Geist sogleich

Bei'm ersten Blick. Du kennst mich. Ich bin Ich.

KEIT höhnisch.

Ich ebenfalls.

KLINGEL sich die Hände reibend.

Ich ebenfalls.

FLECHT.

Macht Eins!

Macht Alles! Wie gesagt, es steht geschrieben.


Zu Keit.


Nicht wahr, Dein Kuß ist A gleich A? Die Nuß

Ist die Vernunft, die Wissenschaft –

KEIT spuckt aus.

Der Teufel

Mag's seyn und nicht mein Kuß! Was geht Dein A

Mich an, Dein Ich, der ganze Plunder von

Vernunft und Wissenschaft? Ich hasse die

Philosophie. Mein Weg geht weit von ihr,

Von Deinem Wege, Setzer! –


Er reißt aus; Klingel will ihn halten –


Laß mich! Laß mich!


Er läuft davon.
[123]


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 121-124.
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