Dritter Auftritt.

[124] FLECHT Klingel grimmig anblickend.

Das hab' ich Dir zu danken.

KLINGEL.

Was?

FLECHT.

Ei was?

Daß jener tolle Tropf mich so beschimpft –

Ich möchte rasend werden, daß ich ihm

Die Hand gereicht, die mit drei Fingerstrichen

Drei Millionen seinesgleichen rein

Zernichtet!

KLINGEL.

Höre mich!

FLECHT.

Der Pudelnarr!

Der Wicht! Der Schwanz vom Unding! Der Kolai –

Der Lai von Nikolai!

KLINGEL.

Höre mich!

Es ist ein unbedeutend Mißverständniß!

Er hat nicht Dich beleidigt. Merkt' ich's doch

Den Augenblick. Er nahm für Bruno Dich;

Und diesen haßt er, wie das Leben, grimmig.

FLECHT.

Und warum nahm der Esel mich für Bruno?

KLINGEL.

Du hast von ihm im Aeußern manchen Zug –

FLECHT.

Das heißt, der Bruno hat 'nen Zug von mir.

KLINGEL.

Gleichviel! Ihr seyd im Ton und in Geberden

Einander ähnlich. –[124]

FLECHT.

Warum sieht der Schuft

Nicht auf das innre Wesen?

KLINGEL.

Weil er blind,

Halb von Natur, und halb durch freie Kunst.

Er sieht nicht scharf, zumal bei Tag; und stößt

Ihm etwas auf, macht er die Augen zu.

Das ist es grade, was mir ihn zum ersten

Der Weltanschauer macht, nächst mir und Dir.

Er hat was Indisches, was Weltentferntes,

Was Uranfängliches im höchsten Grade:

Er hört, sieht, fühlt, und riecht, und kostet nicht –

Er ahnet alles.

FLECHT.

Und nicht mich?

KLINGEL.

Es war

Ganz Deine eigne Schuld! Du kamst ihm mit

Vernunst und Wissenschaft – ich selber stutzte –

Was wolltest Du damit?

FLECHT.

Ich gebe zu,

Das hätt' ich können bleiben lassen. Doch

Ich blieb aus Schonung bei der alten Sprache,

Nicht träumend, daß ein Dritter, neben mir

Und Dir, darüber weg –

KLINGEL.

Das ist er sehr –

Selbst über Dein' und Mein' ist jener weg –

Weg über alle Sprache. Grade drum

Ist er geschickt, uns, die wir beide noch

Gar zu sprachrichtig sind, zu offenbaren.

Gestehen wir's nur immer! Die Cultur

Hat viel an uns verdorben; manche Kenntniß

Hängt uns noch an, Orthographie, zum Beispiel.

Du hast den Ficht' studirt, und ich den Lessing,

Jacobi beid' – Er nicht nur nichts, sogar[125]

Unendlich weniger als nichts! Begreifst Du jetzt

Sein edles Zürnen?

FLECHT.

Allerdings! Das ist

Was Andres; wenn dem so ist, ganz was Andres!

Er hatte völlig recht. – Doch sage, wie

Das wieder gut zu machen? Denn wir müssen

Zumal, um's Niederreißen anzufangen,

Durchaus ihn haben. – Aber wie nunmehr?

Er wähnt mich seinen Feind – und ach! zum Unglück

Ist's nur ein Wahn, der uns getrennt! Denn sieh,

Ich habe mir den Kerl schon construirt –

Und wünschte, daß er nicht sich irrte; denn

Er kehrte so viel leichter um.

KLINGEL.

Gewiß! –

Doch sey nicht bang! Ich weiß ein Mittel, wieder

Ihn zu gewinnen. Kennst Du den verrückten

Schuhflicker Jakob Pilz?

FLECHT.

Wie sollt' ich nicht?

Er hat mir diese Stiefel jüngst besohlt.

KLINGEL.

Sind sie bezahlt?

FLECHT.

Noch nicht.

KLINGEL.

Bezahle sie!

Und gieb ihm doppelt Trinkgeld; allenfalls

Ein tüchtig Glas Ratafia dazu –

Du hast Ratafia – nicht wahr?

FLECHT.

Ich trinke

Des Morgens nur Ratafia. Doch, sprich,

Wozu das Alles? –

KLINGEL.

Unsern Geist zu fangen.

Du weißt, der Pilz, der schon verrückt, sobald[126]

Er nur ein Glas zu viel getrunken, wird

Ganz jakobböhmisch, und sein Wahn, er sey

Der große Schuster, bis zur Täuschung, Wahrheit.

Ich bring' ihn mit dem Keit zusammen, der

Ihn nie gesehn; und diese wird gewiß

Für Jakob Böhm ihn nehmen, wie er Dich

Für Bruno nahm. Weil eben Du die Sohlen

Ihm rund bezahlt, wird er von Dir mit Lob

Unfehlbar sprechen, und es giebt von selbst

Das Weitre sich. – Geh jetzt nach Deiner Wohnung;

Ich schicke Dir den Pilz.

FLECHT.

Wo treffen wir

Uns wieder?

KLINGEL.

Bist Du heute nicht bei Faust

Auch eingeladen, wo das große Werk

Beginnen soll, im Auerbach'schen Keller

Wenn alle trunken?

FLECHT.

Eben.

KLINGEL.

Also dort.

FLECHT.

Doch apropos von Faust – der Bursch fängt an

Bedenklich mir zu werden. Niemand weiß,

Was er im Schilde führt. Begreifst Du ihn?

Mir ist unheimlich oft bei ihm zu Muthe.

Er ist's hauptsächlich, der mich zwingt, ein Ich

Noch außer meinem anzunehmen –

KLINGEL.

So

Geht's eben auch mir selbst. Er trinkt mich oft

Ganz unter'n Tisch – und im Duell

Besteht ihn Keiner, seit er aus der Hand

Mir hundert Fuß weit meinen Degen schlug –

Er säuft Dir Gloria, wie Wasser – und[127]

Es ist ein Ungeheuer (unter uns)

Von Kraft!

FLECHT.

Ein schaffendes Genie –

KLINGEL.

Zugleich

Ein tilgendes, befürcht' ich. Esel nennen –

Wir Alle, die nicht Wir. – Er prügelt aber

Als Esel Alle, die nicht Er. – Wir schimpfen zwar

Auf die Aufklärer – was thut aber er?

Er schlägt sie todt!

FLECHT.

Doch nur die Leiber! Das

Will nicht viel sagen.


Vor sich seufzend.


Greth'! ich habe Dir

Die Seele todtgeschlagen! als ich Dich,

Unschuldige, verführte! –

KLINGEL ohne zu hören.

Haben sie

Denn mehr? – Und nun sein Tisch! sein Wein! sein Brenz!

Wodurch er alle Dirnen, alle Bursche,

Sogar uns selbst, in seinen Strudel zieht!

O Jammer! wenn er wirklich mehr als bloß

Ein Traumbild unsrer kräft'gen Phantasie,

Die schöpferisch ihr Ideal vom Ich

Sich ausgebildet, und nun außer sich,

Als militairischen Studenten, wirft.

Ich hoff', er ist nicht da – ganz unerträglich

Ist mir der Zweifel bloß an seinem Nichtseyn.

FLECHT nachdenkend.

Er ist nicht da. Sey ruhig, sag' ich Dir –

Denn – wär' er da, unmöglich wären wir.

Die Gottheit kann die Gottheit nicht verletzen;

Das Größte kann das Größere nicht setzen.

KLINGEL.

Das gebe Gott![128]

FLECHT.

Will sagen, Ich!

KLINGEL.

Versteht sich.

FLECHT.

Das hindert aber nicht, daß wir noch heute

Zusammen trinken seinen guten Wein.

KLINGEL.

Was neben uns, ist Wir; was unter, unsre Beute;

Was gegen uns, ein Nichts; was über uns, ein Schein. –


Beide ab.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 124-129.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon