[180] Zwölf Knaben, jeder mit einem alten Posthorn, gehen Paar und Paar langsam dreimal um die Bühne. Ab und zu stoßen sie in die Hörner.
MAD. DAUPHIN während sie vorüberziehen.
Die Handlung rückt auf einmal eilig vorwärts.
WERDER.
Es ist gar keine Handlung in dem Stück.
Nur Wort' und Töne, weiter nichts.
ST.-PREUX.
Wo Dichter
Und Philosophen nur auftreten, ist
Schon Singen bloß und Reden Handlung. Mir
Scheint's Stück sehr ordentlich, voll ächter Einheit.
Hörnerstoß unten.
MAD. DAUPHIN.
Ja, der Prolog nur ausgenommen, ließ'
Es, glaub' ich, sich auf unsrer Bühn' aufführen.[180]
HERZOG.
Es freut mich sehr, Madam, daß Sie es nicht
Ganz unter Ihren Tragédies finden.
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Nur Großmuth!
MAD. DAUPHIN.
Freilich ist's ein Melodrama.
WERDER zu Opitz.
Was ich am wenigsten dabei begreife,
Ist, wie man das entsetzlich tolle Ding
Nur den vollend'ten Faust hat nennen können?
Es kömmt ja gar von Ihrem Fauste nichts
Darin zum Vorschein, bester Herr Collega!
ST.-PREUX.
Lucus a non lucendo!
Hörnerstoß unten.
OPITZ.
Meinen Sie? –
Und die fünfhundert Säue?
WERDER.
Das ist erstlich
So viel als nichts; und zweitens haben sie
In Schweine sie verwandelt; drittens endlich
Sind sie allein durch ein Versehen
Drin angebracht.
OPITZ.
Und vollends nun die Lücken –
Die ausgelaßnen Stellen?
WERDER.
Haben sie,
Nach meinem unmaßgeblichen Erachten,
Höchst wunderbar und seltsam ausgefüllt.
Es ist, als wenn ein Philolog die Lücken
Im Livius mit etwa der Geschichte
Des Hanse-Bunds ausfüllen wollte – oder,
Als wenn man die Auslassungen im Shakspear
Mit Griechen-Skolien ersetzen würde.
Hörnerstoß unten.
[181]
HERZOG.
Ich bin des Herrn Hofburgraths Meinung ganz –
Zu Bruno.
Was sagen Sie dazu, mein Herr Professor?
BRUNO.
Ich habe keine Stimm' in angewandter
Aesthetik. Die Streitfrage scheint mir auch
Nicht scharf genug bestimmt fixirt.
Die Knaben unten ab.
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