[105] Offener Platz vor dem Tollhause, von einer hohen Mauer umgeben. Im Vorgrund ein Balcon, mit einer Thür zur Linken, worauf die Hoheiten mit ihren Gästen so sitzen, daß man über sie wegsehen kann. Der offene Platz, oder die eigentliche Bühne, stellt einen Park voll Pappeln und Acazien vor, in dessen Hintergrunde ein Apollotempel. Zu beiden Seiten Büsten, und in der Mitte eine Platane, mit einer Bank darunter.
(Trompetenstöße.)
Die Hoheiten sitzen schon; die Andern setzen sich; nur der Tollhausinspector und der Kammerherr neben der Thür bleiben stehen.
HANS WURST tritt auf als Ankündiger. Werden die Ehre haben, und der hohen Gesellschaft die Ehr' erweisen, aufzuführen:
»Hol's der Teufel! oder der vollendete Faust« –
Declamirend.
'Ne plunderwitzige
Wohl wunderspitzige,[105]
Sehr minneliebliche,
Doch sinnetriebliche,
Natürlichmagische,
Recht lustigtragische,
Halb girrerührende,
Halb irreführende,
Theils schief poetische,
Theils tief prophetische,
Zwar sehr erweckliche,
Doch mehr erschreckliche,
Hanssachsisch sehre gothische,
Ganz shakspearsch schwerenothische,
Nichts weniger als neualt griechisch-römische,
Allein vollkommen altneu tieckisch-böhmische
Tragöthico-Komödia
(Ad modum der Mysteria)
In allerlei Aufzügen und Auftritten,
Nach Art der allerneusten alten Sitten,
Mit Echo, Chören, Teufeln und Prologen,
Hans Wurst, und Satanas, und Epilogen,
Nebst allem Zubehör, nicht gänzlich ohne Zoten,
Im kräftigen Geschmack der neuen alten Gothen.
Mehr göttlich,
Als göthisch;
Mehr spöttlich,
Als spöttisch;
Mehr dünstlich,
Als künstlich,
Gerichtet,
Geschlichtet,
Gedichtet
Von den sieben Weisen allhier.
Hans Wurst athemlos ab.
[106]
WERDER auf dem Balcon.
Das wird ganz höllisch tolles Zeug noch werden.
OPITZ.
Hm! Herr Collega, sagen Sie das nicht!
WERDER.
Mir däucht, Ihr Faust – verzeihen Sie mir doch –
War schon, nach meiner Meinung, so zu sagen,
Gewissermaßen höllisch toll genug!
OPITZ.
Doch nur gewissermaßen!
WERDER.
Allerdings!
Obgleich doch immer auf der andern Seite
Nun eben, wie Sie wissen –
OPITZ.
O! ich weiß schon
Doch, lieber Herr Collega, laßt uns jetzt
Die andre Seit' auch sehen!
WERDER.
Freilich kann man
In diesem kreuz- und quer-vielfachen Leben
'Ne Sache nimmer von zu vielen Seiten
Betrachten. Das war stets auch unmaßgeblich
Von jeher, wie Sie wissen, die Maxime,
Die niemals ich geändert –
OPITZ.
Bleiben Sie
Jetzt einen Augenblick dabei, Herr Burgrath!
WERDER.
In Gottes Namen. Da doch die Hoheiten
So närrisch sind, ein so erztolles Ding
Mit anzuhören, kann ich endlich auch
Zu dieser wahren Abderit-Ergötzung
Herab mich lassen. Doch, verzeihen Sie,
Wenn ich einschlafen sollte!
OPITZ.
Ganz von Herzen![107]
HERZOGIN zu Werder'n.
O! sprechen Sie doch lauter, lieber Hofrath!
Damit wir Andern von der Unterhaltung
Auch etwas mitgenießen!
PROLOGUS in der Person der Barbara, mit einer goldpapiernen Glorie um's Haupt, tritt auf, und declamirt.
Mir ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie zwölfhundert Säuen –
Hält inne.
HERZOG auf dem Balcon.
Schwerenoth!
Das fängt jetzt kräftig an! –
DOCTOR STIRN.
Reine Natur!
PROFESSOR BRUNO.
Schweine-Natur doch – wollen Sie wohl sagen.
DOCTOR STIRN.
Ich gebe mich mit der Metaphysik
Als Arzt nicht ab. Natur ist mir Natur –
Die ein' ist mir so rein, als nur die andre.
PROLOGUS lauter.
Mir ist ganz kannibalisch wohl,
Als wie dreihundert Säuen –
Hält wieder inne.
MAD. DAUPHIN zu Opitz.
Was sagt die Himmlische? Ich habe nicht
Verstanden –
OPITZ.
Nicht? Sie würden's übersetzen:
Je suis extrêmement charmée.
MAD. DAUPHIN.
Ah! so!
PROLOGUS.
Mir ist ganz kalibanisch wohl,
Als wie –
(Läuft nach der Coulisse, und frägt laut hinein.
Wie viel doch Schweine sind's? ich hab's vergessen.
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Fünfhundert! Aber das ist erst im Chor;
Du mußt den Prologus hersagen, Barb'ra![108]
PROLOGUS.
Ich hab' den Prologus vergessen.
STIMME HINTER DEN COULISSEN indem eine Hand ihr ein Stück Papier hinreicht.
Da!
Lies ihn vom Blatte! Das thut nichts.
PROLOGUS.
Zum Henker!
Kann ja nicht lesen! Ist es denn gedruckt?
HERZOGIN auf dem Balcon.
Das Stück geräth in's Stocken, wie es scheint.
HERZOG.
Es fing auch gar zu kräftig an.
PRINZ V. KOTBUS.
Erbärmlich!
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Stell' Dich nur hin, und thu' als wenn Du sprächest!
Mach schöne hochpathetische Geberden,
Du weißt wohl, und ich werde laut die Worte
Für Dich hersagen.
PROLOGUS gesticulirt, während die Stimme hinter den Coulissen spricht.
Ihr habt nun Alle mit Lust und Grauen
Können vernehmen, und fühlen, und schauen
In dieser Ergänzung des Opitz-Fragments
Die hunnische Wendung, und goth'sche Tendenz –
Die goth'sche Tendenz, und die hunnische Wendung;
Die breite Dehnung und lange Sequenz –
Die lange Sequenz und die breite Dehnung –
Es entsteht ein Geräusch hinter den Coulissen.
STIMME.
Halt – halt! halt! Sapperment!
Die Hand streckt sich wieder aus der Coulisse hervor, und winkt dem noch immer fortgesticulirenden Prologus, inne zu halten.
Halt inne, sag' ich. Der Narr sagt, es sey der Epilog; ich habe das unrechte Papier genommen. Aber warte nur ein wenig, und mache keine Geberden, damit[109] Du nicht wie eine Windmühle da stehst, die ohne Wind geht – wir werden gleich das rechte finden. – Pause.
MAD. DAUPHIN.
Das Stück hat Mühe
In Gang zu kommen.
WERDER.
Hab' ich's nicht gesagt?
OPITZ.
Anfang ist schwer, wie Ende, Herr Collega.
HERZOGIN.
Den Tollen wäre, meint' ich, jeder Anfang
Gerade leicht?
OPITZ.
Als Tolle fangen sie
Ja toll genug das Stück an, Eure Hoheit.
WERDER.
Es ist nicht auszuhalten; es ist ganz
Unmenschlich toll!
HERZOG.
Ja! meiner Meinung nach,
Ist dieser Anfang gänzlich unter aller
Vernünftigen Kritik.
TOLLHAUSINSPECTOR.
Es thut mir leid –
OPITZ.
Daß Tolle nicht gescheit sind? Mich hingegen
Ergötzt es; und der Anfang, wenn das Ende
Nur hält, was er verspricht –
MAD. DAUPHIN.
Sie werden, hoff' ich,
Das ganze Stück von hinten rückwärts spielen.
OPITZ.
Das, leider, wird der Narr verhindern.[110]
MAD. DAUPHIN.
Wer?
Wer ist der Narr?
OPITZ.
Der, welcher den Hans Wurst macht,
Der arme sehr gescheite junge Mann,
Mit dem wir heut am Eingang sprachen.
HERZOG.
Stille!
Die Hand der Stimme winkt; 's fängt wieder an.
STIMME HINTER DEN COULISSEN.
Jetzt, Barbara! ich hab's – agire weiter!
PROLOGUS fängt an heftiger zu gesticuliren.
Ihr seht in mir, und nicht im Bilde nur,
Die Urkraft der unendlichen Natur,
Das Mutterrad der heut'gen Weltenuhr,
Die Tilgerin der zeitlichen Cultur,
Der Zukunft und der Gegenwärtigkeit
Erzeugerin – kurz, die Vergangenheit –
Die Stimme holt Athem und räuspert sich.
ST.-PREUX.
Das nenn' ich uranfangen a priori!
PROLOGUS.
Die Gottgebärerin, die Poesie –
ECHO.
– Sie!
PROLOGUS.
Der allerneuesten Philosophie –
ECHO.
– Fie!
HERZOG zum Tollhausinspector.
Wer macht das Echo?
TOLLHAUSINSPECTOR.
Der Hans Wurst, Eur' Hoheit!
PROLOGUS.
Mit einem Wort, das heil'ge Kontrafei
Der hochehrwürd'gen alten Barbarei:[111]
Die Niebelungen und das Heldenbuch
In einem einz'gen großen Widerspruch –
ECHO.
Hei! hei!
PROLOGUS.
Das Mittelalter betete mich an,
Als Mutter Gottes; das war wohlgethan!
Denn wer ist Gottes Mutter, ist es nicht
Die Sprache, die sich selber widerspricht?
ECHO.
Hei! hei! hei! Stimme, du verplapperst Dich –
PROLOGUS.
Der Sprache Widerspruch – das Mutter-Ich –
Das All im Nichts – die Welt – versteht ihr mich?
Die Gottheit – das Genie – die Wissenschaft
Der Kunst-Natur – die leere, volle Kraft –
Das Unaussprechliche – das Groß' und Klein' –
Liegt in dem Widerspruch der Sprach' allein.
ECHO.
Läufst irre, Prologus! Lenk' wieder ein!
PROLOGUS.
Versteht Ihr meiner Dichtung Ja und Nein?
ECHO.
– Nein!
PROLOGUS.
Dringt ihr in meiner Weisheit Tief' hinein?
ECHO.
– Nein!
PROLOGUS.
Denn in der Sprache Spaltung legt ihr Ei
Die Allgebärerin, die Phantasei –
Was nicht sich widerspricht, ist platt und schlicht;
Gemeine Dichtung widerspricht sich nicht. –
Die Stimme holt wieder Athem.
ECHO halblaut.
Ich kann mit meinem Winken und Souffliren
Der Prologinne Stimme nicht regieren.
Zum Vorleser.
[112]
Such' auf dem Blatt: »Ich war, als Mutter Gottes!«
Pause.
WERDER.
Mir ist, als wenn ich alle die Poeten
Und Philosophen sämmtlich, auf einmal
In Luft und Wasser krähn und quaken hörte.
EINE STIMME UNTEN.
Thut nichts! Laß immer laufen! Klingt recht gut.
ECHO.
Ein bischen Widerspruch nicht übel thut –
HERZOG zu Bruno.
Verstehen Sie es, Herr Professor?
BRUNO.
Nein!
So wenig als die Sprache meiner Schüler.
PROLOGUS.
Ich war, als Mutter Gottes, also ja –
ECHO.
– Ja!
PROLOGUS.
Vor Ops, und selbst vor Vater Opitz da –
ECHO.
– Da!
ST.-PREUX zu Opitz.
Das Mädchen zeigt auf Sie –
OPITZ.
Gar zu viel Ehre!
PROLOGUS.
Vor aller Dichtung und Philosophie
War das poetische Naturgenie –
Vor Kirch', Altar, und Papst, und Klerisei
War die Gebärerin, die Barbarei –
Nach jenen Allen werd' ich auch bestehn!
Ihr werdet's sehn, ihr Herrn! ihr werdet's sehn!
Es sprechen Sieben hier aus meinem Mund,
Euch dies, als Prologus, zu machen kund.
Denn sieben sind die neuen Lichter,
Die großen Dichter,[113]
Die diesen Faust mit Macht
Hervorgebracht,
Zum Zeichen,
Daß ihren Kräften alle Kräfte weichen.
Gebt Acht!
Ich rede jetzt in lauter Melodie,
Als ächt poetische gewes'ne Poesie,
Die kommen wird, in ihrem Namen –
Amen!
Im alten, wohlbekannten Fauste
Hauste
Maurig,
Wie das Käuzchen in der Kirchenmauer –
Sauste
Schaurig,
Wie das Hexlein durch den Schornsteinschauer –
Brauste
Traurig,
Wie die Orgel zu Schön Gretchens Trauer,
Etwas von dem mittelalten Ur-
Sprung –
Etwas von dem neuesten Cultur-
Schwung
Unsrer kirchenmaurig –
Unsrer uhuschaurig –
Unsrer orgeltraurig –
Maurig-schaurig-traurigen Natur.
Leise Tritte, gleichsam ohne Spur,
So zu sagen, in den Lücken nur.
Manches tiefe Quellchen
Quoll;
Manches breite Wellchen
Schwoll;
Manches hohe Bellchen
Boll –
Leis' ankündend unsre tiefren Quellen,
Unsre längren, breitren, weitren Wellen,[114]
Unser überlautes hohes Bellen;
Aber – nur in ausgelaßnen Stellen.
Haben solch' auch immer unsr' Estime,
So wie mancher in dem Schakspear auch,
Wenn der Rüpel spricht, der droll'ge Gauch
(Sonderlich in Stücken nicht von ihme.) –
Denn – bis unsre letzten sieben Wochen –
Haben, seit der Monden Anbeginn,
Von der Dichtkunst wahrem Sinn
Sieben nur – in allem – was gerochen:
Shakspear, Dant', Hans Sachs, und viere noch,
Unter welchen Opitz wohl das Meiste roch –
Doch gleichsam nur im Vorübergehen –
Wir aber blieben dabei nicht stehen;
Rochen und witterten nicht allein,
Sondern steckten die Nasen hinein.
Drum haben wir jetzo gefüllt die Lücken
In unseren Schau-, Bruch- und Meister-Stücken,
Lassend das gar zu Gedachte darin,
Das allenfalls ging für den ersten Beginn,
Und hebend im Ganzen aus dem Fragmente
Nur die gewaltige Haupttendenz
Und die gediegene Quintessenz,
Die Opitz bis Dato behielt in mente:
Jede Scene,
Notabene,
Die er schuldig uns geblieben,
Und bisher, und nimmer, nie geschrieben.
Denn das Tiefste spricht nur aus sein Schweigen,
Und das Höchste malt sein leeres Blatt;
Was er dem hinzugesetzt, ist matt –
Alles Tiefst' und Höchste bleibt uns eigen.
So sprechen durch mein zartes Mündlein klein
Die sieben großen Dichterlein.
Jetzt muß ich fort von meinem Posten gahn,
Und darf, als Prologus, nicht länger stahn –
Doch, unter uns gesagt, ich kumme
Bald wieder umme –[115]
Ich spiel' im Stück noch andre Rollen fein,
Gar züchtig, wie ein Engelein –
Und wenn das Stück ist aus, wer mehr will wissen,
Bericht' ich's gar zu gern dort hinter den Coulissen – –
Die Stimme schweigt. – Prologus macht eine naive Reverenz, und läuft davon.
ST.-PREUX.
Ein ächt romantischer Prolog!
PRINZ VON ELLENBOGEN.
Recht nett!
PRINZ VON KOTBUS.
Ich habe nur den Schluß davon verstanden.
GENERALFELDMARSCHALL.
Und ich gar nichts.
HERZOG.
Ich ebenfalls gar nichts.
OPITZ.
Wer weiß, ob die Verfasser auch verstanden
Gerade wollten seyn?
MAD. DAUPHIN.
Ich ahne was.
HANS WURST tritt wieder auf.
Verzeiht, Ihr Herrn! ich muß
Als Epiprologus
Noch Eins verkünden:
Es fängt jetzt an der zweite Act;
Der erste wird nachher gemacht,
Aus guten Gründen.
Die Hauptperson, der Faust, der nun auftreten sollte,
Muß, wegen plötzlicher Kolik,
Abtreten einen Augenblick –
Ich kann's nicht ändern jetzt, so gern ich wollte.
Versich're übrigens bei meiner Ehr',
Daß gar der Gang des Stücks dabei nicht leidet sehr.
Hans Wurst klettert auf die Platane in der Mitte der Bühne, wo er während des ganzen Acts sitzen bleibt.
Ausgewählte Ausgaben von
Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer
|
Buchempfehlung
In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro