Erster Auftritt.

[228] KEIT auf der Bank unter der Platane, worin Hans Wurst durch die Blätter hervorguckt, sitzt und schneidet Merinosdärme der Länge nach in Faden, womit er den Stiefelknecht, der auf seinen Knieen liegt, nach und nach besaitet. Sein ganzes Geberdenspiel ist ein wechselnder Ausdruck von tiefster romantischer Wehmuth und höchster mystischer Demuth. Nach einigen schwer geholten Seufzern fängt er an zu singen.


Warme Darme, jetzt in kalten Falten,

Dünn zu schneiden jeder, einer, feiner –

Von dem seidnen Leder – keiner kleiner,

Weiche, gleiche, laßt euch alte spalten!


Laßt zu Saiten fromm euch hier bereiten,

Ihr, die sehr in Klagen bang gemurret,

Wenn ihr leer im Magen lang geknurret,

Murrt und knurrt noch lange bange Keiten!


Wehmüthig.


Denn mit Leiden schneiden seine reine

Händ' am End' euch Därmeleine kleine –


Demüthig.
[228]

Aber daß zum Sang der Strang mag klingen,

Muß sein frommes Herz den Schmerz bezwingen.


Er spannt die Saiten auf und declamirt.


Einst fand

Im Sand,

Erhellet von der Morgenröthe,

Die Schale der zerdorrten Kröte

Der alte Keit in Griechenland:

Kohlbrenner Linos

Bezog sie mit Darmsaiten auch,

Doch mit gemeinen nur. Der arme Gauch!

Es gab noch keine spanische Merinos.

Auch klang's darnach

In Metern – ach!

Ohn' Reim' erbärmlich, daß sich's Gott erbarme!

Nichts von Romanz',

Von Bar noch Stanz',

Von Assonanz

Gar nichts zu hören.

Doch ließen sich

Die Griechen von dem Ding in Chören

Bethören,

Erbärmelich!

O! wie nunmehr ganz anders ich –

Thüringens Linos,

Kohlbrenner Keit!

So weit, wie über Griechenschaf Merinos

Emporragt, wenigstens so weit

Erheb' ich meine Mittelaltrigkeit

In Dichtung über jene Fabelzeit!


Zum Stiefelknecht.


Und Du, kreuzförmig Schild mit hackenrunder Gabel,

Geheimnißvolles Bild der neuen Wunderfabel!

Erschalle feiner als der vor'gen Kröte Schild,

Und halle reiner als der Morgenröthe Bild!


Er fängt an zu klimpern und singt:


Feinohrig sing' ich, rund und schön, von wegen

Des Stiefelknechtes stummer Wunderkraft –[229]

Mein vorig Klingen und Getön dagegen

Wie schief und schlecht und dumm und plunderhaft!


Mit Verwundrung über sich selbst.


Wie mir nun schier so baß in ganzen Stanzen

Allhier mit Zier die As-sonanzen tanzen!

Das macht, es kracht mit panischer Begleitung

Das Holz schon stolz von spanischer Besaitung.


Er klatscht.


Unübertrefflich!

HANS WURST oben im Baume.

Trefflich!

EINE HOFDAME auf dem Balcon.

Ganz vortrefflich!


Klatscht.


KEIT.

Das Echo klatscht! Vortrefflich!

HANS WURST klatschend.

Trefflich!

KEIT klatschend.

Aefflich! –

Goldherz'ger Flecht! wie hatt' ich Dich mißkannt!

Gabst mir, und noch dazu schier ungebeten,

Den größten Schatz, den je die Kunst erfand,

Die Leyer aller künftigen Poeten!

Denn kenn' ich anders eine Leyer recht,

Bist eine Leyer jetzt, o Stiefelknecht!

Hast Hörner, Boden, Stuhl, und sieben Saiten,

Und alles, was 'ne Leyer haben soll,

Gereimte Reime zu begleiten,

Vom Assonanzenklange voll!


Er steht auf und declamirt mit steigender Begeisterung.


Und einst – wenn ich das große Loos erzielet,

Und Dich gehörig eingespielet,

Noch etwa funfzig Jahr' lang, unverdrossen –

Daß, wie mein eigen heiligtolles Herz,

Voll Scherz und Schmerz und wundersamen Possen,

Du klingst, als wohlbekannter Schellenklang,

Den meinem minneliederlichen Sang[230]

Allmälig angewöhnten Zeitgenossen –

Wenn vielunzähl'ge Stanzen und Romanzen

In zahllosvielen Trippel-Assonanzen

Durch dein gewürmtes faules Holz geflossen –

Wenn dies Dein Kreuz, das noch ist ohne Glanz,

Dann schimmert wie ein großer Wurm Johanns –

Wird man sich um Dich reißen, wie um Gold,

Und hold Dich nennen Leyer-Wunderhold!

Nach tausend Jahren endlich, wenn ich schlafe

Schon längst bei jenem sel'gen span'schen Schafe,

Das Deine Saiten hier fournirt –

Wenn selbst mein Jägerhorn nicht länger existirt –

Wird man die Griechenleyer, die so helle

Bisher gefunkelt an dem Himmelsring,

Herunterschmeißen, als ein klatrig Ding,

Und oben setzen Dich an ihre Stelle –

Vielleicht selbst da, wo Sobiesky's Schild,

Mit dem Du hast viel Aehnlichkeit im Bild.

Als Barbar-Lyra wirst Du dann zum Singen

Des ruinirten Himmels ewig klingen,

Begleitend ein unendlich langes Ach

Von der Natur Chriemhildens-Rach'!

Dann denke meiner, der mit herzlichem Bemühen

Durch mittelalterchristliches Erziehen

Dich nach und nach hinaufgebracht

Vom armen, niedrigdunkeln Stiefelziehen

Zu dieser Glorie voll Glanz und Pracht!


Er geht trampirend und stampfirend ab.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 228-231.
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