Eilfter Auftritt.

[241] HANS WURST steigt von der Platane herab, hebt Homer's und Virgil's Büsten auf, und stellt sie wieder auf ihre Gestelle.

Noch eine Stunde daure wenigstens

Hier Eur' Unsterblichkeit!


Sich zum Tempel wendend.


Ihr Musen alle,

Bald ist's um Euch gethan! Im Keller, ach!

Wird jetzt schon über Euch Gericht gehalten;

Und noch vor Abend stürzt, Apoll, Dein Thron!

Ach! retten kann ich Armer nicht; es treibt

Auch, wider Willen, mich, den Einzelnen,

Gewaltig fort der allgemeine Strom;

Und einen Chorus muß ich hier noch bilden

Von der gewöhnlichen Schriftstellerwelt,

Die von der bloßen Lesewelt getragen

Des Genius gestirnten Himmel trägt.


Er schlägt mit einer Peitsche auf den Boden, und ruft hinab.


Herauf, was lesen kann, und niemals schreibt!


Es hebt sich allmälig auf der Mitte des Theaters eine breite gewölbte[241] Masse, gleich einer ungeheuren

Kröte, empor. – Hans Wurst ruft in die Runde:


Hieher, was lesen, und was schreiben kann!


Es stürzen aus allen Coulissen mehrere als Schriftsteller vom zweiten Range gekleidete Personen hervor, und betreten den gewölbten Boden. Hans Wurst rangirt sie, und flicht ihnen Arme und Beine so künstlich in einander, daß sie am Ende alle zusammen einen ungeheuren Elephanten bilden. – Nachdem er sie so zusammen und auf einander gestellt, ruft er in die Höhe:


Herab, was schreiben kann, und niemals liest! –


Es sinkt von oben ein großer Luftballon herunter, der, mit schwerem Geist gefüllt, sich auf den Rücken des Elephanten lagert.


CHOR DES KRÖTENBODENS.

Ich schweige – Du schweigst –

Er schweigt –

Wir schweigen – Ihr schweiget –

Sie schweigen.

CHOR VON DEN ZUSAMMENGEFLOCHTENEN.

Weh mir stammelndem, nur im Leid

Thätigem, lückebüßendem

Literarischem Vapulo!

Weh mir unter den wortgebornen


Unglückseligstem, ohne Kraft

Strebendem, immer murrendem,

Mitseynwollendem Taugenichts!

Weh mir schriftlichem Elephanten!


Zwar dickhäutig und knochenstark

Schuf mich, eh er das Handwerk

Recht gelernt, der Naturbildhauer –

Hätte nur nicht er zugleich den Rüssel


Mir gegeben, den Uebergang

Zu dem feineren Geistesgliede,

Das so hoch in die Luft sie tragen,

Jene Drücker auf mich: die Nase!
[242]

Lieber möcht' ich die Kröte seyn:

Zahlendes, platzeinnehmendes,

Ganz stillschweigendes Passivum,

Jene Kröte, die selbst auch mich trägt.


Der Elephant stürzt mit entsetzlichem Gepolter aus einander. – Aus dem Ballon, der durch den Stoß in zwei Hemisphären zerfällt, stürzen rechts und links zwei Chöre auf die Bühne, die sich einander gegenüberstellen. –


RECHTER CHOR mit geballten Fäusten.

Schaut meinen dicken Nacken, breite Schultern hier!

Fuß steif, geballt die Faust, steh' ich, ein steinern Gott,

Einfach, und rauh, ursplitternackt, und groß,

Das All in mir begrenzend. Plastik heiß' ich. –

LINKER CHOR mit gefalteten Händen.

Einem zerflatternden Blümelein gleich, auf welkendem Stäng'lein,

Schweb' ich, die Händchen gefaltet, ein sterbendes Eng'lein;

Luftend und duftend in's All mich unendlich verlierend,

Und mit romantischer Binde mein Stirnelein zierend.

RECHTER CHOR.

Griechische Weise polirten mich, ach! Aristarchen Athenes

Feilten mich, selbst im Homer, glatt und geründet und schön,

Legten Sandalen mir an; und der Dichter römische Jungfrau

Hüllte mir mehr als den Fuß, ach! und verpfuschte mich ganz. –

LINKER CHOR.

Mir ging's erbärmlich auch in beiden Spanien;

Erbärmlich gar zuletzt in den Germanien.

Der Tasso zupfte schon mit bösem Fleiß

Mir manche bunte Feder aus dem Steiß.

Cervantes riß mir ab die wundervolle Binde –

Milton und Klopstock selber ließen mir

Von meinen hundert Flügeln kaum noch vier.[243]

Die Lümmel glaubten mit dem Mistbeetdüngen

Mein mittelaltes Blühen zu verjüngen.

RECHTER CHOR.

Feuer vom Himmel geholt blies in die steinerne Nase,

Weh mir! Göthe. Zum Glück kamen die Schüler nachher,

Pauschten die Backen und bliesen, und pusteten, pauschten und spritzten,

Bliesen von hinten und vorn, Heil mir! und bliesen es aus!

Wär' ich doch sonst vielleicht organisch nach oben geflogen,

Statt im krystallenen Schutt unten erstarrend zu ruhn. –

LINKER CHOR.

Wie nah', o Jammer! war ich Aermste dem Verderben!

Es fing schon Schiller an, mich an den Boden hier

Zu fesseln, und der Welt mich einzuwurzeln schier!

Er bracht' ein' Art von Wachsthum in mein Sterben:

Ich grünte schon als Lebensbaum am Born –

Da kam zum Glück ein Knab' mit einem Wunderhorn,

Und sah am Boden irdisch mich genesen,

Statt himmlisch in den Lüften zu verwesen;

Zerhaute mir die Wurzel zart und fein,

Und sprach: »Zerfliege wieder Schmetterlein!

Viel süßer ist romantische Verwesung,

Als plastische, gar classische, Genesung!«

Seit diesem Rettungsruf ersterb' ich immerdar

Im bloßen Aether ganz und gar. –

BEIDE CHÖRE.

O starrer, flüss'ger Segensfluch!

Polarische Gemüthstendenz!

Umarme Dich im lauten Widerspruch

Der schweigenden Indifferenz!


Sie umarmen einander, und versinken auf den sinkenden Elephantentrümmern, mit dem sinkenden Boden.
[244]


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 241-245.
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