Erster Auftritt.

[251] Lichter brennen. Umher an den Wänden Weinfässer. Rings in Gruppen um kleine Tische zechen die Philosophen und Dichter. Baron von Wicht hat die Lucinde, Till die Barbara, und Keit das Kätchen auf dem Schooß. Einige taumeln schon hin und her. Die Fenster sind bereits zum Theil ausgeschlagen.


FLECHT singt.

»Nun mach' ein Jeder so oft als ich

Den Wein im Glase kapott;

Am Ende findet er sich, wie mich,

Den wahren einzigen Gott!

Dann ist verschlungen der Wein –

Und gleichsam ein Ich, der das Nicht-Ich verschlang, sitzt man trunken da,

Halleluja!

Das wahre Nicht-Ich ist Wein!«

EINIGE IM CHOR.

»Ja, gleichsam ein Ich, der das Richt-Ich verschlang sitzt man trunken da,

Halleluja!«[251]

ANDERE.

Pfui! ein behostes Lied! Weg, weg damit!

FAUST.

Kann's Keiner besser? Keine Spuren

Seh' ich von Euren Urnaturen!

Armsel'ge Kerls! Ihr zecht ja nur

Wie die bisherige Cultur!


Entreißt dem Herrn von Wicht die Lucinde.


Komm her, mein Kind!

LUCINDE.

Und wenn's die Grethe säh'?

FAUST.

Was Grethe? Laß die Grethe!

MEPHISTOPHELES durch ein ausgeschlagenes Kellerfenster.

Bravo, Faust!

KLINGEL zu Faust.

Du bist der Wirth! bring was herbei

Von genial'scher Schwelgerei!

FAUST wirft ihm ein volles Glas Wein in's Gesicht.

Da hast Du was! –

Kein Wein mehr! Schnapps nur eingeschenkt!

ANDERE.

Brenz!

ANDERE.

Opium!

WIEDER ANDERE.

Gloria!


Alle springen auf, schenken sich ein, und taumeln mit gefüllten Gläsern unter einander. Sie sagen unsägliche Dinge, und thun allerhand unthunliche Thaten.


KEIT betudelt.

Der Geist kommt über uns! Es glühn die Zungen!

POZ illuminirt.

O Fluth!

FLECHT begeistert.

O Sündfluth der Begeisterungen![252]

HÖCHENER gedeckt.

Ein hoher Wind aus allen Tiefen weht –

SCHRELLING halbsieben.

Ich wundre mich, daß stets die Welt noch steht –

EINBEIN fettig.

Der ganze Keller rund mit mir sich dreht –

KLINGEL selig.

Mir gar der sechste Sinn beinah vergeht.

FAUST die Lucinde loslassend.

Das ist der Anfang nur von unserm Zechen.

VON WICHT geliefert.

Verzeiht! ich muß mich dennoch schon erbrechen.

BOMBASTUS unter'm Tische.

Du bist ein jämmerliches Halbgenie!

FAUST zu Till, dem er die Barbara wegschnappt.

Trompete Deine neue Melodie!


Zu den Uebrigen.


Die Gurgeln sind gestimmt – ich gurgle vor –

Ihr Andern grunzet und hoyahnt im Chor!

Er singt mit der Barbara auf dem Schooße:


»Ein freches Leben führen wir,

Ganz schweinisch genialisch:

Der Zahmste flucht für Zweie hier,

Und schwelgt für Drei, und säuft für Vier,

Unmäßig kannibalisch.«

CHOR.

»Unmäßig kannibalisch!«

FAUST immer von der Trompete begleitet.

»Und haben wir mit Erdensaft

Die Herzen ausgebadet,

So schwören wir, voll Teufelskraft,

Selbst mit dem Schwarzen Brüderschaft,

Der in der Hölle bratet!«

CHOR.

»Der in der Hölle bratet!«[253]

FAUST.

»Dann geht's im vollen Saus und Braus

Erst recht barbarisch munter –

Die Stirne heiß, den Schädel kraus,

Die Faust geballt, die Fuchtel h'raus,

Frisch in die Höll' hinunter!«

CHOR.

»Frisch in die Höll' hinunter!«


Mephistopheles öffnet die Thür, und guckt in die Versammlung hinein.


FAUST der ihn gewahr wird.

Nur herein!

Du kömmst uns wie gerufen!

EINIGE.

Was? Ein Pferd'fuß?

ANDERE.

Wer ist der Hörnerträger dort?

FAUST.

Was Teufel!

Kennt Ihr ihn nicht?

KEIT zu Till, der noch immer trompetet.

Kennst Du ihn nicht?

TILL mit gelähmter Zunge.

Zum Henker!

Wie sollt' ich alle Grafen kennen, denen

Ich Hörner aufgesetzt.

FLECHT.

Du Prahlhans!

KLINGEL.

Faust!

Wer ist der Lümmel dort?

FAUST.

Der Meistersänger!


Zum Teufel.


Setz' Dich in unsre Mitte! mach' den Herren

Durch Deine Stimme Dich bekannt!

POZ.

Er wird uns schwerlich übertrumpfen, Faust![254]

FAUST.

Wer weiß?


Zum Teufel.


Du hast gehört die letzte Strophe –

Setz' eine noch hinzu!

TILL.

Wir wollen sie

Vorher noch wiederholen; denn ich weiß,

Hab' ich sie nicht gemacht, ich könnt' sie machen.

ALLE.

»Dann geht's im vollen Saus und Braus

Erst recht barbarisch munter –

Die Stirne heiß, den Schädel kraus,

Die Faust geballt, die Fuchtel h'raus –

Frisch in die Höll' hinunter.«

CHOR.

»Frisch in die Höll' hinunter!«

TILL während der Wiederholung des Chors.

Mich übertrumpfen wird ihm halten schwer –

Gebt ihm doch einen kleinen Schluck vorher!

MEPHISTOPHELES nimmt ein volles Faß an der Wand, hebt es auf, setzt es an den Mund, und leert's in einem Zug.

TILL während die Anderen große Augen machen.

Bei'm Dichterborn, deß Quell ich einmal austrank,

Das war ein Schluck!

FAUST.

Halt's Maul Du!

EINIGE.

Gut gesoffen!

CHOR.

»Frisch in die Höll' hinunter!«

MEPHISTOPHELES mit so entsetzlichem Gebrüll, daß alle noch übrigen Fensterscheiben springen, und keine Flasche mehr ganz bleibt.

»Dann kollern wir, trotz Sünd' und Mord,

Von da zur Himmelsschwelle,

Und packen wild die Engel dort,[255]

Und schleppen lustig sie mit fort

Zum Walzer in der Hölle.«

CHOR mit wüthendem Enthusiasmus.

»Zum Walzer in der Hölle!«

FAUST läßt die Barbara fahren – sie und die übrigen Mädchen laufen davon – und ergreift seine Knallpeitsche.

Genug geengelt! Jetzt gebengelt!


Er knallt allen Besoffenen um die Ohren.


Folge,

Wer ächt begeistert, mir!

ALLE außer Keit, der in tiefen Gedanken verloren dasteht.

Wir folgen Alle!


Faust und Mephistopheles gehen hinaus; alle die Anderen raffen ihre rings im Keller zerstreuten Knotenstöcke und übrigen Waffen zusammen, und stürzen ihm nach. Keit bleibt auf der verlassenen Bühne zurück.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 251-256.
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