Zweiter Auftritt.

[256] Der blinde Jude Mendel sitzt neben seiner Harfe in einer Ecke eingeschlafen. Zerschlagene Flaschen und Gläser, zerbrochene Stühle und umgestürzte Tische liegen am Boden.


KEIT.

Welch feierlich Verstummen! Welch ein Kirchhof

Voll Geisterhüllen um mich her!


Die Weinfässer anblickend.


Ihr Särge

Schon auferstand'ner Trauben, seyd mir Zeugen,

Daß ich alleine, treu dem Tode lebend,

Umringt von blut'gen Leichen, unter Gräbern,

Hier in des stillen Auerhofs Ruinen

Verwese! – Halber Mond! wie minnehold

Dein blasses Wunderhorn auf meine Leyer[256]

Durch jenes ausgeschlag'ne Fenster blickt! –

Mir wird unendlich ruinirt zu Muthe –

O! Kätchen! grausam holdes, von der Minne

Zerstörtes Himmelskind! mondgleiche, halbe,

Verblühte Maid! o hast Du mich verlassen?

Bin ich Dir noch zu ganz?


Er bleibt schwebend vor einem Spiegel stehen.


Wie minneblaß,

Wie wadenlos! ein halb Gerippe schon

In meinem jugendlichen Mittelalter!

O! wär' ich ganz ein Trumm! Was hindert mich?

Ich will es seyn! Laß jene draußen toben,

Gleich Enten, wenn es wetterleuchtet, laut

Die Oberwelt zerstörend – ich indessen

Zertrümmre stille hier die Unterwelt!

Sey Hippe mir, verwesungschwangre Leyer!


Er nimmt den Stiefelknecht, taumelt herum und zerschlägt damit alle auf den Tischen übrig gebliebenen Flaschen und Gläser. – Drauf zerbricht er im heiligen Eifer alle Tische und Stühle, und kömmt endlich vor den Spiegel wieder, dem er mit der Leyer einen tüchtigen Hieb versetzt, so daß er in drei Stücke zerspringt.


So! – Doch indem ich, Alles um mich her

Romantische Ruin', mich selbst genau

In dem zerschlagnen Spiegel ernst betrachte,

Find' ich mich zu modern, zu rund, zu ganz,

Die Nase zu correct, zu regelmäßig

Die Zähn' im Mund, und meine Zwiegliedmaßen

Am Leibe zu symmetrisch. Pfui! zum Teufel!

Ich seh' am Ende classisch aus! O Kätchen!

Mich wundert nicht, daß Du dem blinden Juden

Mich treulos opferst! Doch ich werde balde

Dein und der andern Trümmer würdig seyn.


Er schlägt sich mit dem Stiefelknecht einige Zähne ein.


So! – Jetzt hat schon der fromme blut'ge Goldmund

Mehr Aehnlichkeit mit Goslar als mit Mannheim!

Mit Cöln als mit Vicenza! Weiter nur!


Er schlägt sich keck das rechte Auge ein.
[257]

Das machte mich die Sterne sehen! Thut nichts!

Jetzt noch ein guter Nasenstüber!


Er versetzt sich einen gewaltigen Hieb quer über die Nase, wodurch diese eine ganz andere Figur bekömmt.


Trefflich!

Gerade wie ich's wünschte, wie der Schnauz

Des Meister Jacobs! Göttlich gothisch! – –


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 256-258.
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