Dritter Auftritt.

[258] Keit vor dem Spiegel, im Begriff, sich selbst ganz zu zerstören. Pinsel springt herein mit einem Säbel in der Hand.


PINSEL.

Keit! Keit! wo bleibst Du? Während wir da draußen rasch

Die ganze Welt vernichten. Herrlich, herrlich geht's! –

Doch wie? was Teufel machst Du hier noch? siehst ja aus

Wie 'n alter Galgen, wovon eine Hälfte schon

Herabgefallen ist!

KEIT.

Das gebe Gott! – Noch nicht!

Doch balde hoff' ich –

PINSEL.

Aber sag', was machst Du hier?

KEIT.

Ich ruinire mich ein wenig selbst allein.

PINSEL.

Wie so? – Bist nicht schon längst hinlänglich ruinirt?

KEIT

Ich meine die Gestalt nur noch. O, leihe mir

Für einen Augenblick Dein scharfes Schwert![258]

PINSEL.

Wozu?

KEIT.

Nur um den rechten Arm mir abzuhauen schnell.

PINSEL.

Bist Du rein rasend toll?

KEIT beide Arme in die Seiten stemmend.

Bist Du ein Holbein? sprich!

PINSEL.

Das bin ich, wenn es Einer war! ich könnte wohl

Des Holbein's Vaters Vaters Vater seyn, zumal

In Zeichnung!

KEIT.

Und begreifest nicht, wie besser baß

Mir stehen würd', einarmig unter Trümmern, schief

Einherzustolpern, wie ein Kreuzwegzeigerstrunk,

Als doppelarmig, gleich dem ersten besten Stadt-

Philister-Urnentopf umherzustehn, geformt?

PINSEL.

O! das begreif' ich gut! Allein – die Leyer Freund!

KEIT.

Die Leyer spiel' ich immer links nur, wie zuvor!

PINSEL.

Wenn nur ein Arm und eine Hand Dir übrig? Wie?

KEIT.

Die Hand mir lassend, Theurer! hau nur ab den Arm!

PINSEL.

Es wird mir nie gelingen, fürcht' ich, solcher Hieb!

KEIT.

Nie siegt, wer nie gewaget! Fürchte nicht! versuch's!

PINSEL.

Du willst's! Dir sey gewillfahrt, edler Knecht! ich hau' –

KEIT.

O, zögre nicht! ich steh' auf Gluth voll Ungeduld!

PINSEL.

Dich meiner Seele Hälfte, Dich noch theilen! weh!

KEIT.

Den Geist multiplicirt, was dividirt den Leib![259]

PINSEL.

Dir ziemt die Eil', doch mir die Weil' bei solcher That!

KEIT.

Der Hülfe Heil verdoppelt, traun! der Wohlthat Eil'!

PINSEL.

Den Freund halbiren steht ein wenig an der Freund!

KEIT.

Die Seele flickt was irdisch nur den Leib zerreißt.

PINSEL.

Wohlan! Der Himmel weiß, ich thu's nur Dir zu Lieb'!

KEIT.

Den Liebesdienst wird danken Dir mein ganz Geschlecht!

PINSEL.

Wohlan! – es muß denn seyn! grausames Lamm!

Doch – noch bevor ich haue – fällt mir ein –

Die Hand wird nimmermehr zu retten seyn –

Die Rechte nämlich!

KEIT.

Mir ist eben recht

Die Linke – wenn ich die behalte schlecht,

Zum Leyern auf dem Gottesstiefelknechte,

Vergeh' die Recht' und alles andre Rechte

Mir de- und wehmuthsvollem Troubadour

In Gottes Namen bis zur letzten Spur!

PINSEL.

Doch – noch zum letzten Mal, bevor der Säbel

Zum Pfriemen umgestaltet Deine Gabel,

Erbärmlich wunderholde Creatur!

Erlaube der Bedenklichkeit Verstärkung

Bei diesem Hieb die nüchterne Bemerkung:

Wenn abgehaun wird seyn die rechte Hand,

Wirst länger nicht die Leyer können halten;

Und also nicht zu spielen seyn im Stand!

Laß also's lieber bleiben bei dem Alten!

Auch widert mir, die Wahrheit zu gestehn,

Dein Blut in Strömen fließen sehn!

Thu's lieber selbst! da geb' ich Dir mein Schwert!

Dein Spiel, mein theurer Keit, ist mir zu werth![260]

KEIT will zuhauen.

Die Freundschaft macht Dich Pinsel ganz zum Tropf.

Sieh wenigstens doch zu!

PINSEL.

Hau lieber ab den Kopf,

Den brauchst Du wenigstens zum Leyern nicht.

KEIT.

Dein Beifall, o holbeinigster der Pinsel,

Mein Freitag auf der wüsten Todesinsel,

Ist mir von gar zu großem Urgewicht.

Ich überlasse Dir, zu wählen,

Was mir am Leibe jetzt soll fehlen.

Nur möcht' ich eben jetzt, da mir geglückt,

Ihn ganz und gar zu ruiniren,

Den Kopf gerade nicht verlieren.

Er ist mir lieb geworden.

PINSEL.

Hau Dir sonst

Was Andres ab; nur nicht den Leyerträger!

KEIT.

Was meinst Du? Du hast gothischen Geschmack!

Betrachte mich! Urtheile, was mir noch

Zum Zerrbild fehlt – Was hab' ich noch zu viel

Von regelmäßiger Gestalt? – Entscheide keck!

PINSEL betrachtet ihn mit einem Augenglase sehr aufmerksam.

Bei Holbein's Todtentanz! ich finde Dich

Zum Malen wie Du bist! Erlaube mir,

Mit einem einz'gen leichten Säbelhieb

Dir nur ein Ohr glatt wegzunehmen!

KEIT die Haare mit der linken Hand wegschiebend.

Zu!

Hau zu!

PINSEL.

Doch unter der Bedingung nur,

Daß, so zerstört, Du gleich zur Weltzerstörung

Mir folgst, wo sehnlich alle Deiner harren![261]

KEIT entschlossen.

Mit Freuden! Hau nur zu!

PINSEL haut ihm mit einem schnellen Hieb das linke Ohr glatt ab.

Da liegt es schon!

KEIT schwankt hin, und hebt es vom Boden auf.

Ich bring' es Käthen!

PINSEL.

Heil'ger Malchus! jetzt

Sieht nichts in der gesammten Trümmerwelt

Romant'scher aus als Du! Du wirst noch Papst

Der neuen Heil'gen werden! Nimm die Leyer,

Und folge mir zu der Zerstörung Feier!


Keit nimmt die Leyer. Beide ab.


Die Scene wird geändert.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 258-262.
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