Vierter Auftritt.

[29] Vorige. Auguste.


AUGUSTE. Herr Onkel, ich bin fertig.

SCHMERL. Aha! meine Braut. Lorgnirt.

BLASE vorstellend. Herr Schmerl – ein alter Hausfreund. Meine Nichte Auguste.

SCHMERL. Sehr erfreut, mein Fräulein – Zu Blase. Hübsch – recht hübsch – es bleibt dabei. Und häuslich ist sie auch –

AUGUSTE. Meinen Sie mich, mein Herr?

SCHMERL. Allerdings, mein Fräulein. Die Schürze, der Schlüsselbund – die Dinger da – die Attribute der Häuslichkeit –

BLASE der zwischen Beide tritt. Vielleicht sind's eben nur[29] Attribute; oder verstehst Du wirklich etwas von der Hauswirthschaft, Nichte?

AUGUSTE. Das will ich meinen! Wofür war ich denn in einer Hausfrauen-Bildungsanstalt? Dort lernt man alles Mögliche: Geographie, Gurken einlegen; Astronomie, Wein abziehen; vaterländische Geschichte, Komödie spielen; Ästhetik, Hühner abstechen – o Herr Onkel, ich bin abgerichtet wie ein Vogel im Kunstkabinet: ich kann Alles, Alles.

SCHMERL. Sie kann Alles! Charmant, charmant!

AUGUSTE. 'S ist aber doch nichts mit dem Institut. Ein Mädchen-Institut – br! Wissen Sie, was das heißt, meine Herren? Da gibt's alle Jahre einen Ball, wo wir unter einander tanzen müssen – unter einander – ohne Mann. Ein Ball ohne Mann – das ist gar kein Ball. Und dann die täglichen Promenaden in corpore, mit trippelnden Schritten und niedergeschlagenen Augen – man sieht aber doch so zwischen durch, und wird gesehen. Da wird der Neid der Gespielinnen rege; das zischelt, das drängt sich vor – das will Einem den Rang ablaufen – es setzt spitze Worte, giftige Blicke, bisweilen auch kleine Püffe. – »Observez les dehors, mesdemoiselles!« ruft die magere, näselnde Madame. Alle fahren zusammen, wie die Schafe vor dem Dampfwagen – aber ich weiß doch, was ich weiß! Der artige junge Herr, ganz schwarz, nichts als Bart – wissen Sie, Onkel, so was von der jeune France, – er ist unserm Zuge gefolgt – er faßt mich auf's Korn – er lorgnirt – er grüßt ehrerbietig – er ist schon mein. Beim nächsten Spaziergang bewegt sich dieser Trabant in der schönsten Ellipse um seinen, ihn beherrschenden Planeten – um mich. Sehen Sie, Herr Schmerl, so studiren wir die Astronomie.

SCHMERL. Sehr gut, sehr gut! Zu Blase. So studiren sie die Astronomie!

BLASE. Laß Deine Possen, Nichte! – Lachen Sie nicht, Herr Schmerl! – Nimm Dich zusammen, sag' ich. In meinem Hause herrscht ein solider Ton.

AUGUSTE wie oben. »Observez les dehors!«

SCHMERL. Sehr gut, sehr gut! – Ohne Sorge, schöne, schöne – Amalie –

AUGUSTE. Auguste.

SCHMERL. Auguste! Rasch wiederholend, wie um sich[30] den Namen zu merken. Auguste, Auguste, Auguste! – Wenn Sie lachen wollen, wenden Sie sich nur an mich. Zu Blase. Sie ist ein Engel, eine Göttin – Zu Auguste. Mein Fräulein, Sie sind eine wahre – Dings da – eine – eine –

AUGUSTE. Grazie.

SCHMERL. Grazie! Richtig.

BLASE. Grazie! Pah! Sie ist meine gehorsame Nichte, und weiter nichts.

SCHMERL. Nur Geduld! Wir wollen sie zu ganz etwas Anderem machen.

BLASE. Ja, das wollen wir – aber ohne Ihre Beihilfe Sieht nach der Uhr. Wo Hermann nur so lange bleibt? Du wirst sehen, Nichte: er ist ein sehr hübscher junger Mann geworden.

AUGUSTE. Hübsch! Ist er nicht blond?

BLASE. Blond! Allerdings –

AUGUSTE. So? Ich kann die Blonden nicht ausstehen, Herr Schmerl.

SCHMERL richtet an seinen Haaren. Hören Sie's, Papa Blase? Sie kann die Blonden nicht ausstehen.

BLASE. Die Grauen vermuthlich auch nicht.

SCHMERL sucht den Spiegel. Die Grauen!

BLASE zu Auguste. Hermann hat sich überhaupt zum Manne ausgewachsen.

AUGUSTE. Wirklich? Damals kam er mir mehr wie ein Riesenkind vor – wie eine Art großes Wickelkind –

SCHMERL. Riesenkind! Wickelkind! Sehr gut! Sehr gut!

BLASE. Still doch, Herr Schmerl! Zu Auguste. Keine Possen, sag' ich.

SCHMERL zu Auguste. Kehren Sie sich nicht an den alten Onkel! Wir jüngeren Leute halten zusammen; wir machen Dings da – Opposition.

AUGUSTE. Wenn man mich am Lachen hindern will – von Herzen gern.

SCHMERL. Also eingeschlagen!

AUGUSTE. Zu Schutz und Trutz!

SCHMERL. Es lebe die Opposition!

BLASE. Mit Ihrer Opposition! Gegen was wollen Sie denn opponiren?

SCHMERL. Ich? gegen Alles.[31]

BLASE. Freilich! Sie sind der Mann dazu! Sie, der Sie nichts thun.

SCHMERL. Das ist gar nicht nöthig. Die Opposition hat nichts zu thun, als zu opponiren.

BLASE. Siehst Du, mein Kind, das sind die modernen Bestrebungen, die destruktiven Tendenzen. Zum Glück gibt es noch Leute, die fest am Bestehenden halten, wie Dein Onkel Blase.

SCHMERL. Nichts da! Ich bin für den Fortschritt – hab' ich nicht recht, schöne Ama – schöne Auguste? hab' ich nicht recht, schönes Gustchen? Fortschritt, nur immer Fortschritt! Wir leben in einer höchst bewegten Zeit – Alles geht vorwärts – Einer stößt den Andern –

BLASE. Und Einer purzelt über den Andern – besonders auf der Börse.

SCHMERL. Dann die viele Humanität, die Industrie, der Zollverein, die emanzipirten Juden, die gebesserten Sträflinge – das sind jetzt die bravsten Leute. In meinem Hause lass' ich mich von lauter vormaligen Spitzbuben bedienen. Mein Barbier ist ein Todtschläger, mein Bedienter ein Dieb, meine Köchin ist eine Giftmischerin.

BLASE. Die meinige auch.

SCHMERL. Kurz, die Menschheit nähert sich dem Ideal. Wann erst die Landenge von Suez durchstochen sein wird, wenn der Kölner-Dombau fertig ist, wenn die deutsche Flagge auf allen Meeren weht, und die deutsche – Dings da – die deutsche Zukunft – o meine deutsche Zukunft laß ich mir nicht nehmen – denn der Deutsche hat eine Zukunft.

AUGUSTE. Etwas muß er doch haben.

SCHMERL. Nur etwas? Er muß Alles haben, Alles. Darum Opposition, nur Opposition!


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 29-32.
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