Fünfter Auftritt.

[52] Auguste. Spitz aus dem Seitenzimmer links.


SPITZ spähend. Fräulein Auguste! Sind Sie allein?

AUGUSTE. Nein, Herr Spitz. Meine Gedanken sind bei mir.

SPITZ. Ihre holden Gedanken mögen verzeihen, aber längst sucht' ich die Gelegenheit zu einer Unterredung.

AUGUSTE. Mit mir?

SPITZ. Allerdings. Ich möchte gerne Ihrer Gnade empfohlen sein.

AUGUSTE. Meiner Gnade?

SPITZ. Als künftiger Frau Baronin, unserer Gebieterin –

AUGUSTE. Da plänkelt schon wieder Einer! – Baronin! Das klingt nicht übel! Aber ich bin's noch nicht.

SPITZ. Wird werden, Fräulein – wird werden – wenn Sie [nicht] anders wollen.

AUGUSTE. Aber soll ich wollen? Soll ich die Frau eines unreifen Mannes werden? Rathen Sie mir's, Herr Spitz?

SPITZ. Unreif? Wer weiß! Glauben Sie mir: in dem jungen Menschen steckt bereits der fertige Mann; die Puppe wird nächstens zum Schmetterling. Im Vertrauen: der Baron ist eigentlich weit gescheidter als sein Vormund.

AUGUSTE. Als mein Herr Onkel Polonius? Sehr möglich!

SPITZ. Sein Geist wurde nur unterdrückt – durch schlechte Erziehung.

AUGUSTE. Das sagen Sie? sein Hofmeister?

SPITZ zuckt die Achsel. Ich hatte meine Vorschriften. Übrigens – unser Erziehungssystem ist doch so übel nicht: es macht Nichts aus den Menschen, und so können sie später Alles werden. Doch gruben Sie mir, mein Fräulein, ging' es nach mir, ich hätte den Baron weit lieber nach liberalen Grundsätzen erzogen.

AUGUSTE. Was Sie sagen! Sie sind am Ende selber liberal?

SPITZ. Ganz gewiß! Aber im Stillen. Als junger Mensch sprach ich frei – jetzt begnüg' ich mich, frei zu denken.[52] Das Sprechen war mir damals übel bekommen: ich ward von der Universität relegirt wegen Verdachtes der Hinneigung zu liberalen Tendenz-Annäherungen.

AUGUSTE. Und jetzt schlagen diese Tendenzen wieder vor?

SPITZ. Nach Umständen. Ich bin jeder Metamorphose fähig, denn mein Geist ist frisch und versatil; allein ich will die Richtung meines Geistes von Ihnen empfangen, Fräulein.

AUGUSTE. Von mir?

SPITZ. Ja, ja, von Ihnen. Ich bitte um meine Instruction. Doch sie steht in Ihren Augen.

AUGUSTE. Und wie lautet sie?

SPITZ. Wir befreien den jungen Mann.

AUGUSTE. Wir?

SPITZ. Sie und ich, – ich und Sie. Ein klein wenig haben Sie bereits vorgearbeitet, wie es scheint.

AUGUSTE überhörend. Also ein geheimer Bund?

SPITZ. Zu Gunsten meines Zöglings, seiner völligen Emancipation.

AUGUSTE. Wie, Herr Spitz? Und dazu wollen Sie sich wirklich brauchen lassen?

SPITZ. Warum nicht? Die Spitze lassen sich zu Allem brauchen. Sind Sie einverstanden?

AUGUSTE. Vielleicht.

SPITZ küßt ihr die Hand. Dank, mein Fräulein. Dieser Wink ist mir genug: nun hab' ich meine Instruction. – Noch Ein's, Fräulein! Trauen Sie mir einigen psychologischen Blick zu?

AUGUSTE. Ganz gewiß! Wenigstens kennen Sie die Schattenseite der Menschen.

SPITZ. Wer den Schatten kennt, kennt der das Licht nicht auch? – Sie haben gleich anfangs auf meinen Zögling keinen günstigen Eindruck hervorgebracht – allein das hat sich bald geändert. Ein neuer Geist ist in ihn gefahren seit – Sie im Hause sind. Aber nehmen Sie sich in Acht, Fräulein! Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet – Sie haben die bösen Geister heraufbeschworen – vergessen Sie das Zauberwort nicht, das sie wieder bändigt.


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 52-53.
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