[329] Hubert. Baldinger. Hermine.
BALDINGER. Willkommen, Hubert! Wie geht's, Alter? Ich bin lange ausgeblieben, nicht wahr? Zu Hermine. Mach' Dir's bequem, mein Kind. Zu Hubert. Sind die Zimmer hergerichtet? Zu Hermine. Wir werden hier auf dem Schlosse wohnen: der Raum im Fabriksgebäude ist zu eng. – Was Neues, Hubert? Hilft Herminen Hut und Shawl ablegen. Mach Dir's bequem! Bist Du müde?
HERMINE. Nein.
HUBERT für sich. Du? Dir? Ei, ei!
BALDINGER. Nun Alter, sprich doch! Was Neues?
HUBERT. Nichts, als eine Menge Geschäftsbriefe, und hier zwei Visitkarten.
BALDINGER liest. »Ritter von Petermann?«
HUBERT. Unser neuer Gutsnachbar.
BALDINGER. »Malvina von Petermann, geborne von Haller.« Malvina von Haller! Zu Hermine. Eine Jugendfreundin – vielmehr Feindin, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Erblickt das Modell. Was ist denn das?
HUBERT schmunzelnd. Ein kleines Experiment.
BALDINGER betrachtet das Modell aufmerksam. Ein Wasserrad – oder nicht?
HUBERT. So etwas dergleichen. Seht, Herr, hier ist ein Saugwerk – dort sind die Kübel –
BALDINGER. Vortrefflich! Ich beneide Dich um Deinen Einfall. Zu Hermine. Sieh nur, mein Kind – – ja so! Du verstehst nichts von der Mechanik.
HUBERT für sich, etwas verächtlich. Freilich! Ein Frauenzimmer! Eine Wirthschafterin!
BALDINGER zu Hubert. Nur ein König kann Dir Deinen Gedanken bezahlen, Hubert. Laß mich Dir vor Allem herzlich dafür danken. Reicht ihm die Hand.
HUBERT. Ich bin bezahlt, Herr Baldinger. Nun merk' ich's erst! Die göttliche Mathematik[329] selbst hätte mir das Dings da nicht eingegeben, wenn nicht noch etwas dahinter stack: die Liebe zu Euch, und die Lust, für Euch zu arbeiten. – Aber sagt doch, Herr! Habt Ihr Euern Prozeß gewonnen?
BALDINGER. Ja.
HUBERT. Viktoria! Und Eure Muhme hat verloren? Doppelt Viktoria!
BALDINGER. Pfui, Hubert! Schadenfreude? Das bin ich an Dir nicht gewohnt. – Aber es scheint, Du hast den Gast gar nicht bemerkt, den ich mitgebracht.
HUBERT. Ich hab' ihn wohl bemerkt. Begreife schon. Mein Reich ist aus.
BALDINGER. Dein Reich?
HUBERT. Nun ja! Ich war bisher der Haushälter, aber nun eine Haushälterin vorhanden ist –
BALDINGER. Du irrst, Hubert. Diese Dame ist keine Haushälterin.
HUBERT. Nicht? Was ist sie denn?
BALDINGER. Meine Cousine.
HUBERT. So? Die den Prozeß verlor?
BALDINGER. Dieselbe. Und jetzt, Hubert, ist sie – Hält inne.
HUBERT zweifelhaft. Na, was denn?
BALDINGER. Meine Frau.
HUBERT. Wa –? Eure –? Sagt's noch einmal, Herr.
BALDINGER. Meine Frau – Reicht Hermine die Hand. Meine liebe Frau Hermine.
HUBERT. Eure Frau! Frau! Frau!
BALDINGER. Du kannst den Arbeitern die Neuigkeit verkünden, Hubert. Gib ihnen Feierabend. Wir kommen später hinüber, meine Frau und ich.
HUBERT kleinlaut. Schon gut. Befehlt Ihr sonst –?
BALDINGER. Nichts.
HUBERT. Empfehle mich. – Ihr habt Euer Wort nicht gehalten, Herr Baldinger. Im Abgehen. Frau – Frau –
BALDINGER. Hubert!
HUBERT. Herr Baldinger?
BALDINGER. Du hast meine Frau nicht begrüßt?
HUBERT. Ich habe der Madame mein stummes Compliment gemacht.
BALDINGER. So laß es laut werden, Alter.
HUBERT. Ein lautes Compliment? Das geht über meine Kräfte.
BALDINGER zu Hermine. Du siehst, er ist ein eingefleischter Weiberfeind.
HUBERT. Pah! Ich bin ein Mathematiker, und Liebe und Mathematik taugen nicht zu einander. War Archimedes verliebt, er hätte seine Schraube nie erfunden.
HERMINE. Sie widersprechen sich selbst, mein Freund. Erst stellten Sie die Liebe über die Mathematik.
HUBERT. Die Liebe zu meinem Herrn: das ist ein Anderes.
HERMINE. Liebe ist Liebe.
HUBERT. Dem ist nicht so. Liebe ist – die Liebe, wenn man's definiren soll – es ist das Beste, das Schönste – kurz, die Liebe ist Mathematik – wenigstens bei mir.
BALDINGER. Meine Frau gefällt Dir also nicht?
HUBERT. Gefallen? Hm! Betrachtet Hermine von der Seite. Es ist ein hübscher Mechanismus – nichts weiter.
BALDINGER. Brav, Hubert! Das war ein lautes Compliment.
HUBERT. So? Nichts für ungut. Es rutschte mir so heraus. – Also Madame Baldinger – Madame, ich muß mich erst daran gewöhnen. Gott befohlen, Madame Baldinger. Ab.
Buchempfehlung
Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro