I. Innerer Drang.

[10] Es sass ein schöner Jüngling in stiller Einsamkeit,

Sein volles Herz den Tiefen der Wissenschaft geweiht;

Sein heller Geist erhoben, nicht sonder Zuversicht,

Sein Flammenblick nach oben, wie dürstend nach dem Licht.


Im Morgenpurpur glühte der junge Frühlingstag,

Gleich einer Rosenblüthe er auf den Bergen lag;

Gleich einem Strom der Freude vom Himmel niederfloss,

Gleich einem Liebesengel die ganze Welt umschloss.


Die Tempelglocken schallten, weit drang ihr Ruf hinaus,

Und fromme Beter wallten in manches Gotteshaus.

Geschmückt mit Blumenkränzen stand Kanzel und Altar;

Vom Lenzkuss war die Erde verjüngt, der Himmel klar.


Der Jüngling hörte rufen der Glocken Feierklang,

Der Jüngling hörte tönen der Menge frommen Sang,

Ach, um ihn war es stille, da rang kein Klang sich los,

Und in ihm eine Sehnsucht, so flammenheiss und gross.[10]


Und seine Seele schwingt sich voll Andacht himmelwärts,

Durch all' sein Denken schauert ein wehmuthvoller Schmerz.

Zwei heisse Thränen rollen ihm über's Augesicht,

Er hebt empor die Hände, wie zum Gebet, und spricht:


»Urgeist, dem alles Leben und alles Licht entquillt!

Urgeist, der sich in Dunkel geheimnissvoll verhüllt!

Gott, der den Sonnen vorschreibt unwandelbaren Gang,

O wolle mich erleuchten, und stillen meinen Drang!«


»Lass einen Strahl von oben in meine Seele ziehn;

Die Blume der Erkenntniss, o lass sie mir erblühn!

Noch hält mich Nacht umfangen; o weihe mich dem Glück!

In Deine Zauberwerkstatt nur einen, einen Blick!«


»Was ist des Menschen Denken? Ein Labyrinth voll Nacht!

Was ist des Menschen Können? Ach, eines Kindes Macht!

Was ist des Menschen Wissen? Von Deinem Meer ein Schaum,

Was ist des Menschen Leben? Ein kurzer bunter Traum!«


»Warum kann ich nicht schweben empor zum Himmelszelt?

Nicht diese Hülle wechseln, die mich am Boden hält?

Den Vogel, ach, beneid' ich, der findet seine Bahn,

Hochaegelnd in des Aethers tiefblauem Ocean.«


»Warum kann ich nicht tauchen hinab zur Meeresfluth,

Den Schatz der Wunder schauend, der in den Tiefen ruht?

Den Fisch muss ich beneiden, die Muschel, still im Grund,

Sie sehn den Hort der Wogen, und thun es Keinem kund.«[11]


»Warum kann ich nicht dringen zum tiefsten Erdenschacht,

Ans Herz der alten Mutter, Licht tragend in die Nacht?

Dort ihrem Schaffen lauschen, die Ströme zeugen sehn,

Und unter Flammenherden der Feuerberge stehn?«


»O wär' ich in den Nadir des Polsterns hingestellt,

Und flöge dann im Nordschein lichtflammend durch die Welt!

Mit Blitzen möcht' ich sprühen, und wehen mit dem Sturm,

Doch solche Mächte höhnen den staubgebornen Wurm!«


»Du Macht, die tausend Welten am Himmel wandeln beisst,

O, einen Strahl nur sende dem Geist von Deinem Geist!

Und hast Du kein Erhören für mein inbrünstig Flehn,

So sende – Deinen Blitzstrahl, und lass mich schnell vergehn!« –


Er sitzt, ein schöner Jüngling, in stiller Einsamkeit,

Sein volles Herz den Tiefen der Wissenschaft geweiht.

Doch ach, sein Geist umdunkelt, und aller Freude fern,

Sein Trauerblick nach unten, wie zweifelnd an dem Herrn.[12]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 10-13.
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