XLVI. Abschied.

[185] »Und heute soll ich sterben! Soll! Muss! Die Zeit ist aus!

So brich herein, Verderben, im Donnersturmgebraus!

Stürz' über mich zusammen, Gebäu! Brich, Mauerwand!

Loh' auf in Höllenflammen! Begrabt mich, Schutt und Brand!«


»Doch still – ganz still – erwarte die Stunde zagenfrei!

Man sagt, dass Toben kindisch, dass Dulden männlich sei.

Ob der Verzweiflung Dolchstoss das Herz mir blutig sticht,

Gescheben ist geschehen – mein Jammer – ändert's nicht.«


»Mein Wagner, komm! Noch einmal vernimm des Freundes Wort;

Nicht lang' mehr wirst Du's hören, dann geht er eilig fort.

Er geht, und kommt nicht wieder, er reiset weit, gar weit,

Und Keiner folgt dem Wandrer, und giebt ihm das Geleit.«[185]


»Ich lasse nichts zurück hier: doch, meines Namens Schall!

Der wird wohl nie vergessen, der tönt wohl überall!

So glich ich jener Nymphe, der einst Narziss so lieb,

Bis sie voll Kummer hinschwand, und nur ihr Ruf noch blieb?«


»Soll ich auch klagend scheiden? Nein! Bei mir sei's gelobt:

Mein Gram ist überwunden, mein Schmerz hat ausgetobt.

Ich will so ruhig still sein, wie fern das todte Meer.

Auch fühl' ich eine Ruhe, wie wenn ich todt schon wär'.«


»O Ruhe! Hätte früher mich Deine Brust gestillt!

O hätten Grabesschleier als Kind mich eingehüllt!

Wie sanft wär' ich geschieden, hätt' nichts vom Schmerz gewusst,

Schlief' eingelullt in Frieden still an der Mutterbrust!«


»Geh, Wagner, zu den Freunden; will sie noch einmal sehn!

Noch einmal lasst den Odem der Mutter mich umwehn!

Führt mich hinaus in's Freie, dass ich sie sehen kann;

Und sehn die Sonne sinken. – Ich bin ein kranker Mann.«


»Sehr krank – schwer krank – zum Tod krank! – Geh, guter Arzt, nach Haus,

Gieb Andern Deine Mittel, nicht mir, mit mir ist's aus!

Schwer liegt mir's in den Gliedern, schwer auf dem Herzen – oh!

Führt langsam, liebe Freunde, langsam, was eilt Ihr so?« –


»Mit Weile eile! Kennt Ihr das alte Sprüchlein nicht?

O weilt noch eine Weile, eilt mit der Eile nicht!

O hätt' ich einst gezügelt mein Eilen und geweilt!

Vom wilden Drang beflügelt hab' ich mich über eilt.« –[186]


»Genug, genug – Ihr Freunde, seht mich zum Letztenmal!

Mir dünket Eure Freundschaft ein Abendsonnenstrahl.

Wir waren oft recht fröhlich bei Wein und Becherklang;

Singt mir ein Lied zum Abschied – es ist mein letzter Gang!«


»Singt! Singt! – Warum so traurig blickt Ihr auf mich, auf mich?

Der Mund ist stumm, die Rede von Euern Lippen wich.

Ihr drückt die Hand mir schmerzlich, Ihr schweiget, weint, Ihr geht?

O Freunde bleibt noch; wartet, – es ist noch nicht so spät!«


»Ich will Euch alles sagen, und das ist bald gethan:

Mein nahes Ende fühl' ich – bin ein verlorner Mann!

Verloren, ganz verloren! Wisst Ihr, wie schwer das wiegt?

Was legt Ihr in die Waagschaal', das dieses überwiegt?« –


»Verloren, ganz verloren! Sucht doch nach mir, Ihr Herr'n!

Wer mir mich selbst bringt wieder, dem lohn' ich's herzlich gern.

Sucht, sucht! dort ist der Faustus – dort – nein, dort ist er – dort!

Betrogen, Herr'n, betrogen! Faustus ist fort – ist fort!«


»Still! – Hört Ihr nichts? Was prasselt da drinnen? Welch Gebraus?

Der Wind ist wach geworden, läuft heulend um das Haus.

Ein feur'ger Hund dort, seht Ihr? Du bist's, Prästigiar?

Willst Du hinweg! Was rollst Du nach mir Dein Augenpaar?«


»Ich bin recht müde – hört Ihr's? Es ist wohl Schlafenszeit?

Lasst uns ins Haus hineingehn! Könnt' ich nur schlafen heut!

Geht, legt Euch nieder, Freunde – schlaft, bis der Tag erwacht;

Gut' Nacht mein treuer Wagner! Fahr wohl! Ja – gute Nacht.« –[187]


»Ich bin allein, bin fertig! Das letzte Sandkorn rann!

Bin, Teufel, Dein gewärtig! Du findest Deinen Mann!

Ich bin bereit zu sterben, die Frist, die Zeit ist aus,

So brich herein, Verderben, im Donnersturmgebraus!«[188]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 185-189.
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