165. Das Zwergvolk im Osenberge

[130] Im Osenberge, aus dem vorzeiten die Jungfrau trat, welche dem Grafen von Oldenburg das Horn darreichte, gibt es Zwerge und Erdmännlein.[131]


Lurlei
Lurlei


Im Dorfe Bümmerstett war ein Wirtshaus, das hatte von den Zwerglein gute Nahrung. Sie liebten das Bier und holten es gern, wenn es vom Brauen noch warm aus der Bütte kam, und bezahlten es mit gutem Gelde vom feinsten Silber, obschon solches Geld kein landüblichesGepräge hatte. Da ist auch einmal ein uraltes Zwerglein zu durstiger Jahreszeit in das Brauhaus gekommen und hat Bier holen wollen, hat aber großmächtigen Durst mitgebracht und gleich etwelche gute Züge in die Hitze getan, darauf ist es eingeschlafen tief und fest, und niemand hat gewagt, es zu stören oder zu wecken. Aber als das steinalte Männlein endlich wieder aufgewacht ist, da hat es angehoben bitterlich zu weinen und zu klagen: Ach ach ach! was wird mein Großvater mir nun für Schläge geben! – Und ist so eilend davongesprungen, daß es gar seinen Bierkrug vergessen gehabt, und nimmermehr ist das Männlein oder ein anderes Gezwerg wieder in das Brauhaus zu Bümmerstett gekommen. Den Krug aber hob der Wirt gut auf, und hatte die beste Nahrung; dann heiratete des Wirtes Tochter, blieb aber mit ihrem Mann im Hause und setzte die Wirtschaft fort, und hatten auch lange Zeit Nahrung vollauf. Aber endlich wurde durch Unvorsicht der Krug zerbrochen, und von da an ging gleich die Wirtschaft den Krebsgang, und mit dem Kruge war das Glück zerbrochen, denn Glück und Glas, wie bald bricht das, oder Glück und Glas, wie bald zerbricht ein Bierkrug! Der Wirt, der die Tochter des alten Wirts gefreit hatte, wurde an die hundert Jahre alt und hat es selbst oft und viel erzählt, es ist aber schon lange her, daß er es erzählt hat, schon volle zweihundert Jahre.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 130-133.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsches Sagenbuch
Gesammelte Werke. Märchenbücher / Deutsches Sagenbuch: Zwei Theile in zwei Bänden
Deutsches Sagenbuch (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon