222. Sankt Nikolaus in Greifswald

[168] Zu Greifswalde hat in einer der Kirchen daselbst ein hölzern Bildnis des heiligen Nikolaus gestanden. In diese Kirche brach nächtlicherweile ein Dieb ein, wollte den Gotteskasten erbrechen und das darin befindliche Geld enttragen. Da erhob St. Nikolaus Bild drohend den Arm gegen den Dieb. Der aber war unerschrocken und sprach: Lieber Herr Sankt Nikolaus, ist das Geld im Kasten dein oder ist es mein? Weißt du was? Wir wollen darum laufen, wer zuerst an den Kasten kommt, dem soll das Geld sein. Und lief also stracklich durch das lange Schiff der Kirche dem Chore zu, aber siehe da, das Bild lief auch und stand am Kasten, als der Dieb hinzukam. Ei, Sankt Nikolaus! rief der Dieb, du könntest fürwahr beim Herzog oder Markgrafen Laufer werden, du hast gewonnen, aber was in aller Welt nützt dir das Geld? Wäre ich, wie du, von Holz und hätte nimmer Durst noch Hunger, wollt ich keines Geldes begehren! Darum habe ein Einsehen und ein Nachsehen und gönne mir das Geldlein. – Damit brach er den Gotteskasten auf, nahm kecklich das Geld und trug es von dannen.

Aber bald darauf starb dieser Dieb[168] und wurde ehrlich begraben, denn niemand wußte, daß er ein Kirchenräuber war. Da sind die Teufel aus der Hölle heraufgestiegen, haben seinen Leib aus dem Grabe geholt und ihn bei den beraubten Gotteskasten niedergeworfen, darauf aber ihn draußen vor der Stadt an die Flügel einer Windmühle gehenkt. Von diesem Augenblicke an drehten die Flügel dieser Windmühle sich links und liefen links herum, solange sie stand, zum Wahrzeichen des Unrechts und des Unrechten.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 168-169.
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