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[395] Auf dem Kranichfelder Oberschlosse saßen einst zwei Brüder, Wolfer und Lütger geheißen, die gerieten miteinander in Streit, und darüber beschlossen sie, sich zu trennen und ihr gemeinschaftliches Besitztum und die Herrschaft Kranichfeld zu teilen. Ich baue mir selbst eine neue Burg! sprach Lütger und deutete auf den Berg hinüber, darauf hernach Niederkranichfeld sich erhob. Des lachte Wolfer und sprach: Wenn du dahinüber baust, will ich dir dies und das tun, was keiner kann und tut! Darauf sagte Lütger: Topp, ein Ritter hält sein Wort! und verließ seinen Bruder. Darauf hat er den Bau der Niederburg begonnen und ihn groß und stattlich aufgeführt, und ist dem Wolfer sehr bange geworden, hat sich lösen wollen mit großem Gut und Gelde, aber Lütger hat das mitnichten angenommen, vielmehr darauf bestanden, daß Wolfer dasjenige tue, dessen er sich verheißen. Und hat dieser solches auch getan, aber darüber sich das Rückgrat zerbrochen, und so fiel die Oberburg auch wieder an Lütger, der zum Wahrzeichen seines Bruders Gestalt in der übeln und nicht schönen Stellung an einem Erker der Burg anbringen ließ, das noch heute zu sehen ist.
Ein gleiches Bild ist in Arnstadt in der Liebfrauenkirche an einem Chorpfeiler zu erblicken, und wird davon erzählt,[395] daß eine fromme Gräfin von Schwarzburg diese Kirche erbaut, deren Mittel zum Bau nicht auszureichen schienen, da habe der Baumeister sich das gleiche zu tun vermessen, was jener Dynast von Kranichfeld getan, und als die Gräfin ihren letzten Heller ausgegeben, war auch der Kirchenbau vollendet, und der Baumeister mußte sich bequemen, das Allerunbequemste zu tun.
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Deutsches Sagenbuch
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