698. Geisterkirche am Ochsenkopf

[460] Nahe dem Fichtelberge hebt der Ochsenkopf sein fels- und waldgekröntes Haupt, und die Sage nennt es gold- und schätzereich. Häufig haben die Walen des Berges Tiefen durchwühlt. In eine felsige Kluft droben kroch ein Bauer, da kam er an ein Stollenloch und fand vor demselben ein geschriebenes Buch in einer fremden Sprache samt einem Paar Handschuhe und einem Pistol. Er legte sich auf den Bauch und horchte hinein, hörte drinnen hauen und pochen, sah aber kein Licht; da nahm er alles Gefundene zu sich, schoß das Pistol ab und übergab seinen Fund dem Amt.

Ein alter Fichtelberger Aschenbrenner hat erzählt: An einem goldnen Sonntagmorgen regnete es, und da lief ich hinauf auf den Ochsenkopf, die Asche zu retten, und da hörte ich drunten in Bischofsgrün mit den Glocken zusammenschlagen. Da kam ich an eine Felsenwand, die stand auf, und ich trat hinein; da hat ein Altar dringestanden, der war ganz von Gold und glänzte über und über vom Schein der Kerzen, die auf ihm brannten. Da fiel mir bei, daß ich schon gehört hatte, allemal, wenn drunten in Bischofsgrün Kirche gehalten werde, so gehe droben die Geister-, Berg- und Waldkirche zugleich an; ich sah noch einmal hin! Gold und Silber hingen wie Eiszapfen am Gewölbe, Perlen und Edelsteine bambelten da wie die Zwiebelstränge in unserm Schlot, Geister sah ich keine – aber ich entsetzte mich, daß ich so mutterseelenallein war, lief fort und hörte hinter mir ein entsetzliches Krachen und Brechen, als ob der Berg in sich zusammenstürze. Ich holte meine Fraue, daß sie den Pracht auch sehen sollte, der nur am göldnen Sonntag und am Johannistage sich manchmal in der Frühe zeigt, aber wie wir hinkommen, war die Felsenwand zu und nichts mehr zu sehen, und meine Fraue sagte, ich sei selber ein Ochsenkopf, daß ich mir nicht aus der Geisterkirche so einen Goldeiszapfen oder Edelsteinstrang herausgelangt, denn wem der Schatz sich zeige, dem sei er auch beschert. Aber wenn der Bettelmann nichts haben soll, so verliert er das Brot aus der Tasche.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 460.
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