801. Geistermette zu Karlstadt

[527] Zu Karlstadt am Main geschah es einst, daß eine fromme Magd in einer Adventsnacht erwachte und zur Mette läuten hörte. In der Meinung, es sei Zeit ins Rorate (Besprengung mit dem Weihwasser), zog sie sich an und ging in die Kapuzinerkirche. Unterwegs noch vernahm sie das Geläute; als sie an die Kirche kam, wurde darin zur Orgel gesungen, und die Fenster waren hell erleuchtet. Sie ging durch die offene Tür hinein, es war am ersten Segen, und sie kniete schnell in einen Betstuhl. Später fiel es ihr auf, daß andere Lieder als die gewöhnlichen gesungen wurden; sie schaute umher und erkannte jetzt in dem Priester und in mehrern andern Verstorbene aus dem Orte und merkte nun, daß sie unter lauter solchen sich befinde. Voll Schrecken floh sie aus der Kirche, und kaum war sie vor der Türe, so schlug es Mitternacht. Da mit einemmal verstummte in der Kirche Gesang und Orgel, die Lichter erloschen, und ein Windstoß warf die Türe zu.

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Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 527.
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