920. Das Rockertweible

[597] Im Murgtale hinauf ist kaum vom ewigen Jäger die Rede, auch nicht vom Wutesheer, da lebt und webt vielmehr eine wilde Jägerin, aber doch nicht gleich der Frau Holla und Perchta. Sie heißt bloß das Rockertweible, vom Walde Rockert, der ihr Lieblingsaufenthalt ist. Das Weiblein wird geschildert als ein uraltes Fräle, in altmodischer, nicht gut gehaltener Tracht, die das viele Jagen durch Disteln und Dörner ihm zerschlitzt hat. Es trägt ein großes Schlüsselbund, hat immer mehrere Hunde bei sich, lockt sie wie der wilde Jäger die seinigen und geistet so umher. Das Rockertweible soll anfänglich eine Gräfin von Eberstein gewesen sein, welche sich dadurch in den Besitz eines guten Teiles vom Rockertwalde und dem Schwann, auch einem ausgedehnten Bergwald, setzte, daß sie ihr sehr angezweifeltes Anrecht daran mit dem Schwur besiegelte: So wahr mein Schöpfer über mir ist, so wahr stehe ich hier auf meinem eigenen Grund und Boden. Sie hatte aber von ihrer eignen Erde in ihre Schuhe getan und heimlich ihren Schöpfer – so nannte man dort den Eßlöffel – unter die Federn auf ihren schwarzen Samthut gesteckt. Selbigen Hut muß sie nun auch noch alsfort tragen. Manche sagen, sie erscheine nicht mehr, und könnte wohl sein, daß sie erlöst wäre.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 597.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsches Sagenbuch
Gesammelte Werke. Märchenbücher / Deutsches Sagenbuch: Zwei Theile in zwei Bänden
Deutsches Sagenbuch (German Edition)