956. Die Schrettele

[615] Schrat und Schrettele sind unheimliche Wesen, in mannigfacher Beziehung abschreckend und furchtbar gedacht. Dem ursprünglichen Begriff nach ist der Schrat ein struppiger wildhaariger Waldspuk, daher ein wilder Waldschrat, und zwar für beide Geschlechter, der spätre hat sich in der verkleinernden Form Schrättlein zur Nachtmahr ausgebildet. Das Schrattele ist in Schwaben Alp, daher heißt es auch in mancher Gegend bloß Drückerle, Nachtmännle; selbst zottig und zotelig, beim Sichtbarwerden erscheinend, verpfitzt es, indem es gleich der Mahr im Niederland auch die Pferde quält, der Tiere Mähnen, flicht die Weichselzöpfe, saugt an Brüsten und Eutern der Menschen und Tiere, selbst an denen ganz junger Kinder, daß sie aufschwellen. In manchen Gegenden heißen sie Schrecksele, nach Bayern hinein Rettele. Viele denken sie auch mit den Truden überein, gegen beide wird der magisch mystische Trudenfuß, das Pentalpha, über Türen gezeichnet, dessen Gestalt also:

956. Die Schrettele Das ist das Zeichen, dessen in Goethes Faust der Held gegen Mephistopheles gedenkt: Das Pentagramma macht dir Pein! – Hauptsache ist, daß es mit einem sichern und festen Zuge gezogen werde und in allen Winkeln, an allen Spitzen schließe; da kann kein Geist unter ihm oder über ihm hinweg; schließt es nicht, so ist es wirkungslos. Das nennen die Leute in Schwaben Schrattlesfuß, anderwärts heißt es Trudenfuß. Auch Steine gibt es, welche Schrattlesfüße heißen, es sind Fährtenabdrücke von Sauriern, unters Kopfkissen gelegt, kann kein Schrettele dem Schlafenden beikommen. Als Schrattensteine werden auch in gleicher Weise in manchen Gegenden die sogenannten Donnerkeile, aber durchbohrte, altgermanische Streitkeile von Stein, gebraucht. Als Alp kommen die Schrettele durchs Schlüsselloch und ziehen durch dasselbe wieder hinweg, wie jene Flaumfeder zu Ruhla, und plagen absonderlich gern Wöchnerinnen und Wochenkinder, nehmen auch Tiergestalt an und drücken die Menschen, daß ihnen schier der Odem ausgehen möchte. Glücklich ward ein Müller kuriert, und schlecht kam eine Trude weg, die ihn schrecklich plagte. Der Gequälte stöhnte und ächzete, konnte sich aber nicht ermuntern. Der Kamrad, der bei ihm schlief, stieg auf, machte[615] Licht und sah einen Strohhalm quer über dem Schlafenden liegen, den er in die Hand nahm. Gleich wachte jener erleichtert auf, und da verbrannten sie den Strohhalm. Nie kam die Trude oder das Schrettele wieder zu dem Mühlburschen, drüben im Nachbarhause aber lag die Frau im Bett und hatte Brandblasen an allen Gliedern. – Sehr probat ist gegen solche Ungetüme ein Schreckselesmesser, das ist einfach ein Messer, auf dessen Klinge drei Kreuze eingegraben sind und das zur Nacht mit der Spitze über sich in die Höhe gehalten wird. Da sticht sich das Schrettele hinein und kommt nimmer wieder.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 615-616.
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