Der Autor an sein Buch

[9] Ich habe nur dem Volk, so in den Lastern wohnet,

Geschrieben, wie es mir die Tat gewiesen hat.

Mit Ruten wird doch nur der frevle Mensch belohnet,

Und solche Streiche sind die Straf der Missetat.

Hingegen hab ich euch, ihr Kinder von dem Adel,

An eurer hohen Ehr ganz nicht gegriffen an,

Ich weiß wohl, daß ihr stets ganz rein und ohne Tadel

Und daß man euer Tun nicht gnugsam loben kann.

Ob ich gleich der und der ein Laster beigemessen,

So aus des Adels Stamm und Quell entsprossen ist,

Bei frommen Leuten ist Iscarioth gesessen,

Man findet in dem Gold den allergröbsten Mist.

Ich kann auch euch hierin mit keinem Wort beschulden,

Ihr Frauen, derer Ehr die Sterne übersteigt;

Es ist ja meinem Kiel von eurer Gunst zu dulden,

Daß er der Welt nur die, so lasterhaftig, zeigt.

Es leben stets beisamm die Bösen und die Frommen,

Ich zeige, welcher gut und welcher böse sei.

Und wenn ihr meine Lehr zu eurem Nutz genommen,

Ist mein Verlangen schon von seinem Willen frei.

Ich schreibe niemand vor, wie er es solle machen

In Sünden, denn hierin wär sträflich solcher Fleiß.

Die Welt treibt ohnedem so ehrvergeßne Sachen,

Die nur ein kluges Aug zu überwinden weiß.

Ich schreibe nur zur Lehr, wie sie es hab gemachet,

In meiner ersten Blüt, zu meiner besten Zeit.

Man kann sich, ob man schon zuweilen drüber lachet,

Entfernen von dem Gift der süßen Eitelkeit.

Die bittre Medicin wird oftermals versüßet,

Damit dem Magen nicht vor starkem Ekel graut;

Ein überstrichne Stirn wird heftiger geküsset,

Ob sie schon in dem Grund ist eine faule Haut.

So bist auch du, mein Buch, mit lauter Lust gespicket,

Du bringest deinen Schatz in dem verborgnen Schoß.

Ich habe wie ein Schiff dich in die See geschicket,

Wo Tugend, Treu und Lieb nunmehr liegt segellos.[10]

Wo man nach schnödem Gift der Sünden pflegt zu schiffen,

Daselbsten schicke ich dich, schwaches Schifflein, hin.

Ich acht es nicht, ob du gleich werdest angepfiffen,

Weil ich in dieser Glut schon wohlgeprobet bin.

Wer allen recht tun will, der muß zum Toren werden,

So kommt er leichtlich nicht mit seinem Nächsten an.

Doch weil ich gerne klug will bleiben auf der Erden,

So folget, daß ich ja nicht allen recht tun kann.

Der Jupiter ist selbst so glücklich nicht gewesen,

Sein Tun gefiele ja dem Pöbel nicht gar wohl.

Drum acht es nicht, mein Buch, wie man dich möge lesen,

Die Welt ist jederzeit der Wirbelwinde voll.

Es hat mein schwangrer Kiel dich in der Trau'r geboren,

Ich finge deinen Bau in finstern Nächten an,

Drum hast du auch den Schein der Zierlichkeit verloren,

Weil aus der Dunkelheit nichts Helles werden kann.


Ihr Freunde, die mir noch zum Trost und Freude leben,

Nehmt diese meine Schrift zu euren Diensten an.

Ich weiß euch anders nichts als dieses Buch zu geben,

Darin ihr mich und ich euch wiedersehen kann.

Ich denke oftermals an jene süße Stunden,

Da wir in voller Lust beisammen konnten sein;

Die Laute ist verstimmt, die Zeit ist nun verschwunden,

Das Finstre folget stets auf klaren Sonnenschein.

Der wohnet gegen West, der andre gegen Morgen,

Der auf erhabnem Berg und jener in dem Tal,

Bald sind wir frohen Muts, bald wieder voller Sorgen,

Die Menschen sind doch nur des Glückes Wunderball.

Zu denen gehe hin, wo ich nicht hin kann gehen,

Mein Buch, und sprich, daß ich noch voller Flammen leb,

Auch, daß in solcher Glut mein Leben wird bestehen,

Bis ich der Eitelkeit mein letztes Vale geb.


Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 9-11.
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