[126] Constanze, dann nacheinander Backes, Hahnenbein, Moritz, Gustchen.
CONSTANZE erschrocken. Herr Gott was ist das?!
BACKES erscheint im Fenster; er trägt einen blauen Kittel ohne Gürtel, helle Beinkleider, ein rothes Halstuch und eine Schirmmütze. Dabei hat er vollen starken Bart, ohne Schnauzbart. Schreien Sie nicht, wir thun Ihnen nichts.
CONSTANZE. Um Gotteswillen was wollen Sie?
BACKES. I was Sie brauchen keine Angst zu haben Springt ins Zimmer, nimmt die Mitte und sieht sich überall um. Donnerwetter, hier ist es hübsch!
CONSTANZE. Aber so sagen Sie doch nur –! Mein Gott, noch jemand![126]
HAHNENBEIN erscheint im Fenster. Er trägt eine wollene Aermeljacke, eine lange blaue Schürze vom Halse bis zu den Füßen, ein schwarzes Sammetkäppchen; Gesicht ohne Bart; furchtsam und zitternd. Ich bin unschuldig, weiß Gott, ich bin ganz unschuldig!
CONSTANZE. Im Hause sind Leute, ich rufe um Hülfe. Will nach der Thüre.
BACKES immer derb, ohne grob zu sein, vertritt ihr den Weg, halb bittend. Sie werden doch nicht? So nehmen Sie doch Vernunft an!
HAHNENBEIN ist hereingestiegen, ängstlich. Verrathen Sie uns nicht, ich bin ganz unschuldig, sie haben mich gezwungen – ich habe sieben Kinder zu Hause.
CONSTANZE immer ängstlicher. Gustchen! Gustchen!
BACKES. Ei in's Teufels Namen so lassen Sie doch mit sich reden!
GUSTCHEN kommt von links. Was gibt es denn?
CONSTANZE. Gustchen, zu mir, komm her zu mir! Fremde Männer, sie kommen durch das Fenster gestiegen.
GUSTCHEN. Da wollen wir bald helfen, das ganze Haus wird eben mit Bürgerwehr besetzt, ich hole Hülfe Will nach der Thüre.
BACKES. So hören Sie doch, Jungfer, wir sind ja ehrliche Leute Hält sie.
HAHNENBEIN kläglich. Grundehrlich sind wir, wenigstens ich, für die andern kann ich freilich nicht stehen.
MORITZ erscheint im Fenster; er ist in feiner Kleidung. Pst! Pst!
CONSTANZE. Noch mehr? Erkennt ihn. Ah!
MORITZ. Himmel und Hölle, wo sind wir hingerathen! Springt herein.
GUSTCHEN. Na das wird lustig!
MORITZ eilt auf Constanze zu. Ah mein Fräulein, hätte ich das ahnen können – wie stehe ich beschämt vor Ihnen, Sie werden mir nie verzeihen.
BACKES steht an der Mittelthüre, um Gustchen nicht hinauszulassen, und horcht zuweilen nach draußen.
HAHNENBEIN ist aufgestanden und steht mit gefalteten Händen flehend gegen Constanzen.[127]
GUSTCHEN hinter Constanzen.
CONSTANZE. Mein Herr, – so spät – und auf so ungewöhnlichem Wege – und in dieser Gesellschaft –?
MORITZ. Zwei Worte lösen Ihnen das Räthsel, dann sprechen Sie das Urtheil über mich Strafbaren. Es gab einen kleinen Aufstand, wir errichteten eine Barricade.
HAHNENBEIN. Mich haben sie gezwungen!
MORITZ. Indessen ehe sie fertig war, wurden wir von zwei Seiten angegriffen, die meisten liefen davon, an ernstlichen Widerstand dachte niemand – und so wurden wir verhaftet. Man führte uns nach dem Gefängniß, unterwegs aber gelang es uns dreien zu entkommen. Wir wurden verfolgt, geriethen in ein Seitengäßchen, in einer offnen Gartenthüre stand da ein Mann und horchte. Dieser würdige Proletarier Auf Backes zeigend. packte den Mann mit raschem Entschlusse, zog ihn auf die Straße, wir schlüpften in den Garten und warfen die Thüre hinter uns in das Schloß. Allein wir waren noch nicht gerettet. Die Bürgerwehr umstellte den Garten und durch das Haus konnten wir nicht entkommen, da die Thüre, die aus dem Garten in das Haus führte, verschlossen war und wir keinen Lärm machen durften. Endlich erblickten wir das Licht in Ihrem Zimmer und mit Hülfe des Weingeländers stiegen wir herauf, vielleicht hier einen Rettungsweg zu finden. Das ist das ganze Abenteuer.
BACKES. Na also, Jungfer, sind wir keine Spitzbuben, wir haben ehrlicher Weise nur ein bischen Barricaden gebaut.
HAHNENBEIN. Ja und mich haben sie gezwungen mitzuhelfen, da der Kaspar Backes am meisten, mich, einen Familienvater von sieben Kindern.
MORITZ. Und nun – wir verursachen Ihnen Unruhe – wir verlassen Sie.
GUSTCHEN horcht mit Backes an der Thüre. Still, ich höre Stimmen im Hause!
BACKES. Gewehre stampfen auf den Boden!
HAHNENBEIN jammernd. Sie kommen, sie holen uns, wir müssen vor Gericht, am Ende gar in's Zuchthaus![128]
GUSTCHEN. Sie vertheilen die Wachen.
MORITZ. So bleibt uns nichts übrig; um keinen Preis dürfen Sie belästigt werden; vorwärts Kameraden, wieder zum Fenster hinaus!
CONSTANZE. Aber im Garten werden Sie sicher ergriffen?
MORITZ. Gleichviel, Sie sollen keine Unruhe durch uns haben. –
CONSTANZE. Nicht doch – bleiben Sie –
MORITZ. Wie? Sie wollten uns retten?
CONSTANZE zögernd. Ich wollte wol gern, aber wie?
GUSTCHEN. Durch's Haus können Sie nicht mehr.
BACKES. So verstecken Sie uns!
HAHNENBEIN. Ach ja, verstecken Sie uns.
CONSTANZE. Das wird nicht gehen, meine Zimmer bieten keinen Versteck! Wenn man sie durchsuchte –
MORITZ. Das wird jedenfalls geschehen. Unsere Verfolger haben uns gesehen, sie wissen daß wir im Hause oder im Garten sein müssen.
GUSTCHEN ist ans Fenster gelaufen. Der Garten wird durchsucht, Bürgerwehr mit Laternen!
CONSTANZE. Mein Gott was fangen wir an?
HAHNENBEIN. Und ich komme so unschuldig in die Geschichte!
MORITZ. Wenn man in Ihr Zimmer kommt, behandeln Sie uns als Ihre Gäste!
CONSTANZE. Herrlich, herrlich, das geht! Sie trinken Thee bei mir. Gustchen, rasch, besorge alles! Sieht Backes und Hahnenbein an. Ja, – aber –
MORITZ. Ich verstehe, meine Kameraden sehen nicht darnach aus um an Ihrem Theetische Platz nehmen zu können. Könnte man ihnen nur andere Kleider –
CONSTANZE. Das geht – Gustchen führe den Herrn in das Nebenzimmer, im Schranke hängt noch ein Anzug meines Bruders.
BACKES. Das wird lustig! Na meinetwegen, kommen Sie, Jungfer! Will mit Gustchen fort.[129]
HAHNENBEIN. Aber was wird denn mit mir? Ich in meiner Arbeitsjacke passe doch auch nicht auf Ihr Sopha!?
GUSTCHEN. Kommen Sie nur mit, ich gebe Ihnen eine Livrée von des Herrn Bedienten, sie ist ganz neu in Schnitt und Farbe.
HAHNENBEIN beleidigt. Bedienter? Na höre Sie, Jungfer, ich bin ein Seifensieder, Bürger und Familienvater. Livrée? Ne!
GUSTCHEN. Wollen Sie lieber verhaftet sein?
HAHNENBEIN. Verhaftet? Ne ne, Sie haben Recht, her mit der Livrée!
Backes, Hahnenbein, Gustchen (links ab.)
Ausgewählte Ausgaben von
Die Lügnerin
|
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro