[138] Vorige, Bürgerwehrhauptmann in Uniform.
Man sieht vor der Thüre einige Bürgerwehrmänner.
HAUPTMANN. Sie entschuldigen, mein Fräulein, daß ich Sie belästige.
CONSTANZE. Bitte, Herr Hauptmann, ich bin auf Ihren[138] Besuch vorbereitet. Gustchen, leuchte dem Herrn, daß er die anstoßenden Zimmer nachsehen kann.
GUSTCHEN nimmt das Licht und öffnet links. Hier, Herr Hauptmann.
HAUPTMANN geht hin und sieht in das Zimmer. Hier ist niemand!
CONSTANZE. Auch das andere Zimmer werden Sie leer finden.
GUSTCHEN leuchtet in das Zimmer rechts.
HAUPTMANN sieht hinein. Auch hier ist niemand.
BACKES ißt und trinkt tüchtig.
HAHNENBEIN bedient und ist sehr ängstlich.
MORITZ spricht Constanzen leise zu.
CONSTANZE lachend. Sie sehen, Herr Hauptmann, die Verfolgten sind nicht zu mir geflüchtet.
HAUPTMANN. Ich sehe. Sie müssen mich entschuldigen, ich that meine Pflicht.
CONSTANZE liebenswürdig. Sie bedürfen keiner Entschuldigung.
HAUPTMANN Backes und Moritz in's Auge fassend. Sonderbar, Haus und Garten sind sorgfältig umstellt, es ist unbegreiflich wie sie entkommen sein könnten – und doch ist im ganzen Hause keine Spur von ihnen zu finden.
CONSTANZE. Vielleicht über das Dach?
HAUPTMANN. Das Haus steht frei und stößt an kein Nachbarhaus.
CONSTANZE. Haben Sie schon alles durchsucht?
HAUPTMANN. Ihre Zimmer sind die letzten, die ich nachsehe.
CONSTANZE. Und auch hier suchen Sie vergebens.
HAUPTMANN. Mein Fräulein, meine Pflicht heischt noch eine Frage.
CONSTANZE. Und die ist?
HAUPTMANN. Ich leugne es nicht daß es mich einigermaßen überrascht bei Ihnen Gesellschaft zu finden.
CONSTANZE. Mein Gott, ich werde doch das Recht haben jemanden zum Thee bei mir zu sehen?[139]
HAUPTMANN. Unzweifelhaft.
CONSTANZE. Was finden Sie Auffallendes an meiner Gesellschaft?
MORITZ. In der That, das ist ein wenig sonderbar.
HAUPTMANN. Mein Fräulein, ich bin ein vertrauter Freund Ihres Vormunds und kenne Ihre Verhältnis se ziemlich genau. Demnach weiß ich daß Sie in Abwesenheit Ihres Herrn Bruders niemals Gesellschaft bei sich sehen. Sie werden mir also erlauben daß ich durch die Anwesenheit dieser Herren wirklich etwas überrascht bin. Zudem sagte mir Frau Greiner, Ihre Hauswirthin, die ich bat Sie auf meinen Besuch vorzubereiten, es wäre ein junger Mann bei Ihnen und jetzt finde ich zwei Herren hier.
CONSTANZE. Als Frau Greiner bei mir war, befand sich dieser Herr im Zimmer meines Bruders, um nachzusehen was auf der Straße vorginge.
HAUPTMANN. Das ist sehr möglich – ich muß aber doch die Herren bitten mir ihre Namen zu nennen.
CONSTANZE. Herr Hauptmann, erlauben Sie, daß ich diesem Auftritte etwas von dem Anstrich eines polizeilichen Verhörs nehme und Ihnen meine Gäste vorstelle. Zudem versteht dieser Herr Ihre Fragen nicht, da er kein deutsch kann. Sie sehen hier Mister Steffenson, einen Kaufmann aus London, der mir einen Gruß von meinem Bruder gebracht hat und das ist auch die Veranlassung, daß ich ihm eine Tasse Thee angeboten habe. Is it not, Sir?
BACKES. No, no!
HAUPTMANN. Ah so.
CONSTANZE. Dieser Herr ist mit Mister Steffenson von der letzten Station hierhergereist und mit ihm in einem Gasthofe abgestiegen. Da er englisch versteht, Mister Steffenson aber kein deutsch, so hat er die Gefälligkeit gehabt ihm zum Führer zu dienen.
MORITZ. So ist es, mein Herr. Es thut mir leid daß unsere Anwesenheit dem Fräulein Unruhe macht und hätten wir ahnen können –[140]
HAUPTMANN. Ihr Name?
CONSTANZE rasch, ihn vorstellend. Herr Heinrich Beier.
HAUPTMANN. Und wo sind Sie abgestiegen?
MORITZ. In der Stadt London.
HAUPTMANN. Schön. Und diese Herren waren bereits bei Ihnen, als der Lärm auf der Straße ausbrach?
CONSTANZE. Sie kamen beinahe um dieselbe Zeit.
HAUPTMANN. So waren sie doch hier, ehe das Haus besetzt wurde?
CONSTANZE. Ja.
HAUPTMANN. Und Sie haben von den Verfolgten nichts bemerkt? Ein junger, fein gekleideter Mann und zwei Leute im Kittel?
CONSTANZE. Nicht das Geringste.
HAUPTMANN auf Hahnenbein zeigend. Und das ist Ihr Diener?
CONSTANZE. Ja.
HAUPTMANN. Ich bin befriedigt. Sie verzeihen wenn ich Ihnen lästig gefallen bin.
CONSTANZE. Bitte, Herr Hauptmann. Gustchen leuchte dem Herrn. Für sich. Gott sei Dank!
HAUPTMANN will ab. Schlafen Sie wohl.
GUSTCHEN nimmt das Licht.
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