Dritter Auftritt.

[47] Schlicht. Auguste.


AUGUSTE. Bruder, bist du zu Hause?

SCHLICHT. Wie du siehst, was führt dich so früh zu mir liebe Schwester?

AUGUSTE. Du fragst noch? Heute vormittag ist ja die Verhandlung der saubern Geschichte mit meiner Köchin. Ich habe da eine Vorladung auf das Kriminalgericht bekommen. Es ist wirklich schauderhaft, diese Schererei um eine Lumpengeschichte.

SCHLICHT. Die Sache scheint mir höchst wichtig. Du hättest nach meiner Meinung nicht so vorschnell handeln sollen. Das Mädchen macht durchaus den Eindruck einer unschuldig Angeklagten auf mich, und ich habe auch deshalb ihre Verteidigung von Amts wegen übernommen.

AUGUSTE. Was muß ich hören! Du willst diese nichtswürdige Kreatur verteidigen, und trittst gegen deine leibliche Schwester auf? Ah, du bist mir ein netter Bruder.[47]

SCHLICHT. Das offene Gesicht des Mädchens: ihr ganzes Benehmen, das von einer innern Seelenruhe zeugt, ihre stille Ergebung haben mich zu dem Glauben gebracht, daß ihr unrecht geschieht. Vielleicht gelingt es noch, den wahren Täter zu entdecken.

AUGUSTE. Na, das fehlt noch. Damit das Frauenzimmer mir mit einer Verleumdungsklage auf den Hals rückt und ich ihr noch Entschädigung, Kost und Lohn zahlen muß.

SCHLICHT. Das wäre das Wenigste, da du ihre Ehre angetastet hast.

AUGUSTE. Also hat solches Geschöpf auch Ehre?

SCHLICHT. Jeder Mensch, der seine Pflicht tut, hat Ehre, und ein armes Dienstmädchen, das vom frühen Morgen bis zum späten Abend arbeiten muß, damit ihre Frau die Hände in den Schoß legen kann, verdient vielleicht mehr Achtung, als eben diese Dame, die dem lieben Gott die Zeit stiehlt, von einem Modegewölbe in das andere, von einer Putzhändlerin zur andern läuft und ihre häuslichen Pflichten vernachlässigt.

AUGUSTE. Schöne Grundsätze! Ich möchte vor Zorn aus der Haut fahren.

SCHLICHT. Geniere dich nicht.

AUGUSTE wirft die Vorladung weg und stemmt die Arme in die Seite. So? So sprichst du mit mir? Mit deiner reichen Schwester? Du, der sich nicht einmal so viel zusammen federfuchsen konnte, um die Schulden seines Sohnes zu bezahlen, der die ganze Welt bessern will und nicht einmal imstande ist, seinen eignen Sohn zu korrigieren? Ich sehe, die Leute haben wirklich recht mit dem, was sie von deinen Humanitätsbestrebungen sagen, und wir sind wahrscheinlich am längsten Freunde gewesen, Herr Philanthrop. Werde meinetwegen Magdalenenstifter oder Mägdeherbergsvater, aber mich verschone mit deinen Besuchen. Sie hebt die Vorladung auf und eilt fort, indem sie beim Hinaustreten mit Nünecke zusammenrennt.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 47-48.
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