IV

[57] Nach der Abreise ihrer geliebten Freunde wurde die dadurch entstehende Lücke in der gräflichen Familie in Berlin sehr fühlbar, und der Trübsinn wurde gesteigert, weil keine[57] Nachrichten von St. Julien eintreffen wollten. Es war nur zu deutlich, daß die Freude der Spanier über einen Herrscher aus Napoleons Geschlecht nicht so groß war, als dessen Bulletins der Welt verkünden wollten, und die Sorge um den Sohn und Geliebten senkte sich schmerzlich in die Brust der einsamen Freunde. Jeder suchte den Andern zu schonen und wollte deßhalb seine Sorgen nicht bekennen, aber der verschwiegene Gram nagte sichtlich an Aller Herzen. Wie ein elektrischer Schlag zuckte daher die Freude durch jede Brust und lähmte für einen Augenblick die Kraft der Glieder, als endlich ein großes Paket eintraf, welches außer den Briefen voll zärtlicher Liebe für die Mutter und glühendem Gefühl für die Braut noch eine Art von Tagebuch für den Grafen enthielt, worin sich auf jeder Seite das kindliche Gefühl eines guten Sohnes aussprach und welches zugleich eine kurze Darstellung der Begebenheiten in Spanien enthielt, so weit sie ohne Gefahr für den Schreiber und Empfänger berührt werden durften. Nachdem er die weltgeschichtlichen Begebenheiten, die unter seinen Augen sich ereignet, flüchtig angedeutet hatte, sagte er unter Anderem: Bald nach des Königs Joseph glänzendem Einzuge in die neue Hauptstadt seines Reiches, wurde ich von Vittoria mit Depeschen an ihn gesendet und ich läugne nicht, daß ich gern die Gelegenheit ergriff, die sich dort neu gestaltende Welt[58] in der Nähe zu sehen, und ein poetisches Gefühl ließ es mich höchst reizend denken, an den Ufern des Manzanares zu wandeln, obgleich es mir bekannt war, daß die Lage der Hauptstadt in Ansehung ihrer malerischen und poetischen Umgebung weit hinter der anderer Städte des Reichs zurück steht.

Ich fand den König Joseph von einem glänzenden Hofe umgeben, der freilich zum großen Theil aus Franzosen bestand. Aber es ist auch nicht zu läugnen, daß viele vorzügliche Geister sich ihm anschließen, die durch seinen Einfluß und Napoleons mächtige Hülfe die Fesseln des Geistes abzuwerfen hoffen, unter deren Druck Spanien so lange schmachtet, so daß die edelsten Kräfte einer großherzigen Nation seit lange einer großen Theils unwürdigen Geistlichkeit zur Befriedigung eigensüchtigen Verlangens dienen. Ja, der aufgeklärte Theil der Geistlichkeit selbst seufzt nach der Erlösung von diesem Joche. Um so sorgfältiger aber sucht der bei Weitem größere Theil derselben den beschränkten Sinn des Volkes vor jedem eindringenden Lichtstrahle zu bewahren, denn sie fühlen natürlich, daß die Wurzel ihrer Macht erschüttert werden muß, wenn das Volk aufhört zu glauben, daß Seligkeit und Verdammniß unmittelbar in den Händen der Priester ruht. Wir werden also nicht bloß den Kampf zu bestehen haben, der durch ein verwundetes Nationalgefühl[59] erregt ist, sondern unser furchtbarster Feind ist der Fanatismus, den die Priester zu ihrem eigenen Vortheile sowohl, als zu Gunsten Ferdinands im Volke erregen, und durch alle Mittel, die ihnen zu Gebote stehen, stärken und nähren.

Diese Betrachtungen drängten sich mir auf, so flüchtig auch nur die Beobachtungen waren, die ich anstellen konnte, denn kaum hatte ich am Morgen meine Depeschen abgegeben und mich dem Könige vorstellen lassen, der mich mit großer Huld empfing, als ich auch schon von so vielen Bekannten umringt und in so viele Zerstreuungen verwickelt wurde, daß mir keine Zeit zu ernsten Beobachtungen blieb. Als die Seele aller Gesellschaften hörte ich einen liebenswürdigen deutschen Baron allenthalben nennen, der sich dem Hofe des Königs angeschlossen hatte, und von diesem selbst als ein geistreicher und unterrichteter Mann, und angenehmer Gesellschafter besonders ausgezeichnet wurde. Auch bei den Damen hatte dieser Fremde viel Glück, und eine reiche, vornehme und schöne Frau, die der König selbst oft mit seinem Besuch beehre, habe sich ganz offen für ihn erklärt, hieß es, so daß man erwartete, die große Neigung werde Beide zu einer ehelichen Vereinigung bestimmen und der König werde dann den aus einem alten Geschlecht abstammenden Deutschen mit sehr bedeutenden Ehrenstellen bekleiden.[60]

Da ich diesen gefeierten Mann von allen Seiten als ein Ideal der Liebenswürdigkeit preisen hörte, so wurde endlich meine Neugierde erregt und ich fragte nach seinem Namen. Viele wußten diesen gar nicht. Er war ihnen bloß als der liebenswürdige deutsche Baron bekannt oder als Don Fernando. Endlich nannte ihn mir ein besser Unterrichteter als Baron Schlebach, und mir fiel ein, daß ein solcher ja unser Verwandter sein müsse, weil ja dieß auch der Name meiner Mutter ist, und ich beschloß mich mit ihm bekannt zu machen.

Der Tag war mir unter mannichfachen Zerstreuungen verschwunden und am Abend war Cirkel bei Hofe, wo auch ich erscheinen mußte. Es war eine glänzende Versammlung, die sich vereinigte, und es hätte mir wohl mancher der Anwesenden wichtig sein können, wenn nicht meine Aufmerksamkeit auf einen einzigen Gegenstand wäre gelenkt worden. Dort steht der deutsche Baron, flüsterte mir ein Bekannter zu. Meine Augen folgten dem Winke der seinigen und trafen auf einen Blick, dessen Schärfe und Kälte mir ein bekanntes Bild hervorriefen, das ich doch nicht festzuhalten vermochte. In dem Augenblicke redete der König den Baron freundlich an, und das anmuthige Lächeln des in der That schönen Mundes verbreitete einen eigenen Reiz über das blasse, von dunkelm Haar umlockte Gesicht. Die Kälte und Schärfe schwand aus den dunkeln Augen, und die[61] schlanke, reichgekleidete Gestalt erhöhte den angenehmen Eindruck, und doch wurde, indem der König sich von ihm wendete und er zurücktrat, ein gemeiner Hochmuth in seinen Mienen und Gebehrden sichtbar, der auf einmal meinem Gedächtnisse zu Hülfe kam und mich an den Sekretair des Kommandanten der Festung * * * erinnerte, der uns damals so übermüthig behandelte, und den Sie mir als den Sohn eines Ihrer ehemaligen Beamten bezeichneten. Ich wollte mich eben diesem unbekannten Verwandten nähern, als der König mich erblickte und mich an meine Stelle fesselte, indem er sich mir näherte und auch mich durch eine freundliche Anrede auszeichnete. Die Unterhaltung hatte einige Minuten gewährt. Als sich der König darauf zu Andern wendete, suchten meine Blicke den Baron vergebens. Ich weiß nicht, hinter welche Gruppe er sich zurückgezogen hatte, denn spät erst, als der Cirkel sich auflöste, sah ich ihn noch einen Augenblick, indem er mit vielen Andern die Appartements verließ, und zwar in solcher Entfernung, daß ich eine in den königlichen Sälen unschickliche Eile hätte anwenden müssen, um ihn zu erreichen.

Meine Neugierde war durch diese kleinen Umstände erhöht worden, und ich ließ mich bei der Dame seines Herzens des andern Tages vorstellen, einer schlanken, edel gebauten Spanierin, deren dunkle, gebietende Augen eine Glut[62] ausströmten, die entzücken oder erschrecken mußte. Sie lud mich mit aller liebenswürdigen Gastfreundschaft der Spanier ein, an ihren Abendgesellschaften Theil zu nehmen, und versicherte mir, daß ich in diesen Kreisen manchen Mann antreffen würde, der der Stolz seines Vaterlandes sei, wie auch manchen bedeutenden Fremden. Ich dankte für ihre gütige Einladung, indem ich sie annahm, und sie erwiederte, daß sie jedem Franzosen mit Vergnügen ihr Haus öffne, weil sie von dem französischen Einfluß hoffe, daß er Spanien von dem geistigen Druck befreien werde, unter welchem es so unwürdig schmachte. Ich machte die schöne, für ihr herrliches Vaterland mit Recht begeisterte Dame darauf aufmerksam, daß sich doch ein kräftiger Widerstand und zwar nicht bloß vom Volke aus gegen unsere Einwirkung zu offenbaren anfange. Das ist unser Unglück, sagte sie schmerzlich seufzend. Der Stolz der Spanier weist die fremde Hülfe zurück und würde das unermeßliche Unglück beweinen, das daraus entspringen müßte, wenn die Versuche gelingen sollten, sich dem fremden Einflusse zu entziehen, denn die ganze Masse des Volkes wird von der Geistlichkeit in den Fesseln des dumpfen Aberglaubens gehalten, und es wird diese Kette, die es in seiner Blindheit für sein Heil und seinen Ruhm hält, bis auf den letzten Blutstropfen mit der Tapferkeit ächter Spanier vertheidigen, und viel zu gering ist die Zahl der Einsichtsvollen,[63] das Bessere Erkennenden, als daß sie nicht der Masse erliegen müßten. Deßhalb bedürfen wir der fremden Hülfe, um das murrende Volk wider seinen Willen zu seinem Heile zu leiten, und wenn uns dafür die Flüche des jetzigen Geschlechts treffen, so wird der Segen des künftigen diese Last wieder von uns nehmen. Ich fand mich berufen, politische Streitfragen mit der schönen Dame zu erörtern, und verabschiedete mich in der schönen Hoffnung, die Bekanntschaft eines mir etwas räthselhaften Verwandten bei ihr zu machen.

Es war natürlich, daß ich noch denselben Abend von der Erlaubniß Gebrauch machte und den glänzenden Kreis vermehrte, der sich um die schöne Frau versammelte. Aber wenn ich am Morgen die gebietende Hoheit ihrer Miene bewundert hatte, die doch auf eine wunderbare Weise mit Zärtlichkeit und selbst Schalkheit gemischt war, so lag am Abend Schmerz und Trauer unverkennbar auf der edeln Stirn; der Mund zwang sich zum Lächeln, um die freundlichen Reden der Gäste zu beantworten; aber selbst dieß Lächeln hatte einen schmerzlichen Ausdruck. Ich gestehe indeß, daß ich keinen lebhaften Antheil an dem sichtbaren Kummer der schönen Frau nahm, meine Augen suchten in dem glänzenden Kreise den deutschen Baron und suchten ihn vergeblich.

Endlich richteten einige nähere Bekannte die Frage gerade[64] zu an die Dame des Hauses, wie es komme, daß man den liebenswürdigen Don Fernando diesen Abend vergeblich erwarte. Es schien, seine liebenswürdige Freundin hatte nur diese Frage erwartet, um ohne Rückhalt den Schmerz ihres Busens zu entfesseln. Sie theilte den Freunden mit, daß er sie noch diesen Morgen vollkommen gesund besucht habe; kurz nachdem Sie mich verlassen hatten, sagte sie, indem sie sich an mich wendete. Ich theilte ihm meine Freude über meine Bekanntschaft mit Ihnen mit, und er schien lebhaften Antheil daran zu nehmen, aber bald darauf wurde er von heftigem Schwindel befallen. Er fuhr nach Hause, und nun erfahre ich auf meine Erkundigungen, daß er ernstlich krank ist und das Bett vielleicht in mehreren Tagen nicht verlassen kann.

Die ganze Gesellschaft bewies die lebhafteste Theilnahme für Don Ferdinand, und Jeder versicherte, ihn des andern Morgens besuchen zu wollen, um sich von seinem Befinden zu unterrichten. Ich war nicht der letzte, der diesen Entschluß faßte, denn ich wollte die Zweifel, die immer lebendiger in mir aufstiegen, auf jeden Fall aufzuklären suchen.

Ich säumte also nicht, mich in Begleitung eines Bekannten, der mich vorstellen sollte, nach seiner Wohnung zu verfügen, sobald es am andern Morgen die Schicklichkeit erlaubte, zu einem Kranken einzudringen. Aber meine Hoffnung[65] wurde getäuscht, denn wir wurden an der Thüre höflich mit dem Bescheide abgewiesen, daß Don Fernando sich so übel befände, daß er Niemand empfangen könne. Drei Tage nach einander setzte ich hartnäckig meine Belagerung fort. Endlich gab ich die fruchtlose Bemühung auf, in der Meinung, daß der Kranke doch endlich wieder sichtbar werden müsse. Nach einigen Tagen aber wurde mir angezeigt, daß ich meine Depeschen beim Minister in Empfang nehmen und meine Rückreise nach Vittoria antreten könne. Ich zögerte natürlich nicht, meine Pflicht zu erfüllen, und war in derselben Stunde bereit, abzureisen, als mir der König melden ließ, ich möge meine Abreise bis zum andern Tage verschieben, weil er mir den Morgen um neun Uhr noch einige Aufträge selbst ertheilen wolle. Ich mußte diesem Befehle gehorchen, und ich hatte am andern Morgen die Aufträge des Königs vernommen, die es ihm besser däuchte, mir mündlich zu vertrauen, als sie in Depeschen mitzutheilen, deren Beförderung immer unsicher ist, weil es tausend Möglichkeiten giebt, sie dem Ueberbringer zu entreißen, da im Gegentheile ein Mann von Ehre die ihm anvertrauten Dinge wenigstens mit in sein Grab nimmt, ohne sie zu verrathen, wenn selbst Tod oder Gefangenschaft ihn hindern sollte, sie gehörigen Orts mitzutheilen. Der König hatte mich sehr freundlich, sehr wohlwollend entlassen, und ich dachte in diesem Augenblick[66] am Wenigsten an unsern sich räthselhaft verbergenden Verwandten, als ich im Vorsaale plötzlich auf ihn stieß und wir uns ganz nahe gegenüber standen, indem er in demselben Augenblick durch eine Thüre in den Saal trat, während ich mich durch dieselbe entfernen wollte. Er war bei meinem Anblick sichtbar überrascht, doch hatte er im Augenblick seine Fassung wieder gewonnen und schien eben so schnell den Entschluß gefaßt zu haben, mir nicht mehr ausweichen zu wollen, da dieß, ohne sehr auffallend zu handeln, nicht mehr geschehen konnte. Dieß alles war die Sache eines Augenblicks, und ich wollte ihn eben anreden, als sein gutes Geschick ihn abermals und vielleicht auf immer von mir erlöste, denn indem ich ihn anreden wollte, winkte ein Kammerherr des Königs ihn in die inneren Zimmer desselben hinein. Sichtbar beruhigt schlüpfte der Verlegene mit einer leichten Verbeugung bei mir vorbei, um dem ihn befreienden Winke zu folgen, und ich trat meine Reise nach Vittoria an, ohne etwas Näheres von diesem räthselhaften Baron erfahren zu haben.

Als der Graf diese Mitteilung St. Juliens aufmerksam gelesen hatte, wurde ihm seine frühere Vermuthung zur Gewißheit, daß nämlich in jenem dem alten Lorenz gemeldeten Duell nicht dessen unwürdiger Sohn, sondern der Baron geblieben sei, dessen Name nun von dem jungen Lorenz benutzt[67] worden sei, um sich in Verhältnisse zu drängen, die ihm auf andern Wegen wahrscheinlich unerreichbar geblieben wären. Der Graf überlegte, ob es nicht seine Pflicht sei, Schritte zu thun, um einen Betrug zu enthüllen, der vielleicht eine liebenswürdige Frau zur Beute eines Abendtheurers machte, denn dieß war doch eine ausgemachte Sache, daß dieser Don Fernando der Bruder seiner Gattin nicht war, wenn er selbst nicht der junge Lorenz sein sollte. Um aber ganz sicher zu gehen und Niemanden ohne Noth zu beleidigen, beschloß er auf jeden Fall vorher genaue Erkundigungen einzuziehen, ob etwa noch ein anderer Baron Schlebach lebe und sich in Spanien aufhalte, der Gräfin aber nichts davon zu sagen, daß er überzeugt sei, der Bruder, dessen Rückkunft sie zuweilen fürchtete, ruhe schon längst im Grabe.

Die Sorge um den geliebten Sohn schob bald jede andere Betrachtung in den Hintergrund der Seele zurück, denn in Spanien entwickelten sich Kämpfe und Gefahren, die für sein Leben täglich zittern ließen, und wenn die Freude das Herz auf kurze Zeit bewegte und die Augen entzückt auf den Zügen der geliebten Hand ruhten, so wandelte die Betrachtung gar bald die Tropfen der Freude in Zähren der Wehmuth, denn wenn sich auch die Eltern und die Geliebte an diesen Briefen erfreuten, die heitere Gesundheit und zärtliche[68] Liebe athmeten, so war doch schon ein langer Zeitraum seit ihrer Abfassung verstrichen und in dieser langen Zeit konnten Gefechte genug vorgefallen sein, die das theure Leben gefährdet hatten. So nahte der Winter trübe und traurig. Der Herbst hatte die Hoffnung gewährt, daß wenigstens die dumpfe Ruhe des drückenden Friedens in Deutschland bestehen könne, aber auch diese Hoffnung war entschwunden und Oestreich rüstete sich zum erneuerten Kampfe. Napoleon entwickelte eine bewundernswürdige Thätigkeit. In kurzer Frist war ein sieggewohntes Heer vereinigt, und das traurige Schauspiel sollte sich erneuern. Deutsche sollten wieder gegen Deutsche kämpfend erblickt werden, und die deutsche Erde sollte von Neuem das Blut der eigenen Kinder trinken und in ihrem Schooße die Leichen ihrer von deutscher Hand erschlagenen Söhne verbergen.

Nicht alle französischen Truppen hatten aus Spanien hinweg gezogen werden können, aber unter denen, die an den Rhein beordert waren, befand sich das Regiment, in welchem St. Julien diente, und Eltern und Geliebte hatten wenigstens den Trost, ihn sich näher zu wissen.

Niemals war die Hoffnung so allgemein, so lebendig gewesen, als nach Oesterreichs Kriegserklärung; vielleicht nur, weil der Druck, unter welchem die Völker seufzten, immer lästiger, ihr Unglück immer schmerzlicher wurde. Aber[69] wie dem auch sei, es konnte dem Beobachter nicht entgehen, daß es nur einer siegreichen Schlacht bedurft hätte, und ein großer Theil Deutschlands hätte sich schon damals dem österreichischen Heere wider Napoleon angeschlossen; aber die Schlachten gingen verloren, und unaufhaltsam, wie ein reißender Strom, drangen Napoleons Heere vorwärts.

Alle Hoffnungen, die man damals auf Oesterreich setzte, gingen unter, und auch die laut mit Frankreich Krieg verlangende Berliner Jugend verstummte, denn ihr Held, in dem sie den Erretter, den Befreier Deutschlands zu sehen wähnte, war gefallen, mit Heldenmuth zwar, aber für sein Vaterland völlig nutzlos, und die Ueberreste seiner tapfern Schaar, die nicht so glücklich waren, entfliehen und sich verbergen zu können, fielen einem Feinde in die Hände, der sie nicht mit großmüthiger Schonung behandelte, sondern sie das härteste Schicksal erdulden ließ.

Wer auch von Schills gewagtem Unternehmen nicht die Hoffnungen hegte, die seine lauten Bewunderer aussprachen, mußte dennoch das unglückliche Ende eines Mannes schmerzlich beklagen, der Gutes und Großes wollte, aber seine Zeit mißverstand und deßhalb der Zeit vorgriff.

Die Gräfin und Emilie lebten in dieser Zeit in qualvoller Angst. Dem Grafen selbst bangte für den geliebten Sohn, und alle Gründe, die er anführte, um die Frauen zu[70] beruhigen, verloren ihre Kraft, weil man zu deutlich fühlte, daß er die Hoffnungen, die er erregen wollte, nicht theilen konnte. Auch Dübois ging trostlos umher. Der letzte Sprößling des Hauses Evremont! seufzte er oft für sich; Herr erhalte ihn, setzte er jedes Mal hinzu, indem er die gefalteten Hände flehend zum Himmel erhob. Jedes Zeitungsblatt erhöhte die peinliche Unruhe der Familie; beinah ein jedes enthielt Nachrichten von Gefechten und Schlachten, und man wußte, St. Juliens Regiment focht in den meisten, und von ihm selbst gelangte keine Nachricht zu der trauernden Familie. Endlich war der Waffenstillstand geschlossen und es ließ sich voraussehen, daß der Friede auf denselben folgen würde, und zwar ein Friede, der Napoleons Macht nur noch höher heben und das unglückliche Deutschland noch tiefer niederdrücken mußte. Diese Ueberzeugung verbreitete eine schmerzliche Trauer über Deutschland, die auch der Graf empfand, aber die plötzlich gemildert wurde und der höchsten Freude im Kreise dieser Familie Raum gab, denn ein Paket von St. Julien traf ein und meldete nach allen überstandenen Gefahren, bis auf eine leichte Verwundung, seine vollkommene Gesundheit. Zugleich theilte er die Nachricht mit, daß er zum Obristen ernannt worden sei, beklagte aber, daß er in dieser unruhig bewegten Zeit noch nicht habe Mittel finden können, die Anerkennung des Namens Evremont zu bewirken. Sein Brief[71] war im Taumel der Siegesfreude geschrieben, denn nur Frankreichs Ruhm und sein eigner, den er noch zu erreichen hoffte, hatten ihm vorgeschwebt, indem er schrieb; und er dachte nicht daran, welchen schneidenden Gegensatz sein Gefühl zu der schmerzlichen Trauer seiner Freunde über ihr Vaterland bilden mußte. Die Frauen sahen über die Ausdrücke jugendlicher Begeisterung hinweg; sie suchten in St. Juliens Briefen nichts, als Zeichen fortdauernder Liebe, zärtlicher Treue, und fühlten nach langer Zeit schmerzlichen Grams und zerstörender Angst Ruhe und Hoffnung im beseligten, zärtlich bewegten Herzen. Des Grafen Freude war nur in den ersten Augenblicken rein. Er fühlte es in den nächsten Minuten schmerzlich, daß Männer doch nur dann ganz in Liebe verbündet sein können, wenn ihre heiligsten Interessen dieselben sind, und er wünschte sehnlicher als je, St. Julien bewegen zu können, Frankreich zu verlassen und sich als Bürger deutscher Erde zu betrachten; diese recht im Genusse des Sieges und des Ruhmes geschriebenen Briefe aber ließen ihn fürchten, daß der junge Mann schwer zu bewegen sein dürfte, eine Laufbahn aufzugeben, die seinem Ehrgeize so viele Befriedigung versprach. Man beantwortete St. Juliens Schreiben sogleich und der lang gestörte Briefwechsel wurde nun wieder regelmäßig fortgeführt.

Noch war die Freude in allen Herzen lebendig, als der[72] Graf von Neuem lächelnd die Bemerkung machte, daß der Mensch im Gefühle des hohen Glücks oder eines großen Unglücks zunächst an sich denkt, und daß dann alles andere, was er sein Höchstes und Heiligstes immerwährend genannt hat, in den Hintergrund tritt und nur erst wieder beachtet wird, wenn die Freude oder das Leid, welches uns persönlich trifft, durch Zeit und Gewohnheit gemildert wird. Der Graf in seinem milden Sinne fand diese Empfindungsweise menschlich und natürlich, und meinte, wir wären noch weit von schnöder Selbstsucht entfernt, wenn wir auch die ersten Augenblicke des Glücks oder des Kummers ungetheilt uns selbst widmeten, sobald wir nur dann wieder auch auf andere Menschen und ihre Schmerzen uns besännen. Sein Vetter aber, der Graf Robert, hatte mit strengerem Sinn oft gegen ihn den Ruhm der Spartanertugend bewundernd anerkannt und behauptet, ein ächter Sohn des Vaterlandes werde dessen Unglück und Erniedrigung auch im höchsten eigenen Glücke stets empfinden; ja, er hatte behauptet, daß es für ihn gar kein Glück geben könne, das im Stande wäre, sein Herz so ganz zu erfüllen, daß er seines Vaterlandes nicht gedächte, und nun hielt der Graf einen Brief von ihm in der Hand, in dem er ihm mit dem höchsten Entzücken die Geburt eines Sohnes meldete und des trauernden Vaterlandes mit keiner Sylbe gedachte. Ja, man fühlte es diesem[73] Schreiben an, daß alle übrigen Verhältnisse der Welt dem Herzen des Vaters gleichgültig schienen, der den neugebornen Sohn in seinen Armen hielt, und dessen zärtlich geliebte Gattin die Schmerzen und Gefahren der Geburt glücklick überstanden hatte. Der Graf fand diese reine, ungetheilte Freude natürlich, aber er nahm sich doch vor, seinen Vetter darauf aufmerksam zu machen, daß er nun nie mehr von der menschlichen Natur erwarten dürfe, als was er selbst geleistet habe.

Auch der Obrist Thalheim hatte mit zitternder Hand dem Grafen sein Glück gemeldet, und er sowohl als der Graf Robert baten ihn, mit seiner Familie der Taufe des Neugebornen beizuwohnen, und diese Bitte verstärkte der Graf Robert dadurch, daß er seinem Oheim vorstellte, wichtige die Verwaltung der Güter betreffende Geschäfte machten eine mündliche Unterredung durchaus nothwendig.

Der Graf theilte den Damen die empfangenen Nachrichten mit, und freudige Theilnahme bewegte Aller Herzen. Auf die Frage aber, ob sie ihn nach Hohenthal begleiten wollten, folgte ein ernstliches Bedenken. Die Gräfin bemerkte, daß es ihr schwer fallen würde, sich wieder allen neugierigen Fragen des Geistlichen und der Nachbaren auszusetzen, und Emilie sagte leise und erröthend, daß dann auch[74] wieder der regelmäßige Briefwechsel, der kaum mit St. Julien eingeleitet wäre, gestört werden müsse, wenn man sich von Berlin, wohin nun alle Briefe gerichtet würden, entfernen wollte. Es wurde also bestimmt, daß nur der Graf allein nach Hohenthal reisen sollte, von den besten Wünschen der Zurückbleibenden begleitet. Er meldete seinem Vetter diesen Beschluß nebst dem Tage seiner Ankunft.

Auf den dritten Tag nach dem Empfange dieses Briefes war die Abreise nach Hohenthal festgesetzt, und in dieser Zwischenzeit war eine emsige Geschäftigkeit der Frauen bemerklich, und als der Tag der Abreise erschien, erstaunte der Graf über die Menge der Schachteln, Kartons und Körbchen, die er mitnehmen sollte, welche die Geschenke für die junge Mutter und den Neugebornen enthielten, die die Freundinnen sendeten. Ich bin doch oft, sagte der Graf lächelnd, mit Frauen gereist und habe es immer unwahr gefunden, wenn sie beschuldigt werden, so unermeßlich viele kleine Bedürfnisse in kleinen Behältern mit sich zu führen, daß sich das Reisen mit ihnen leicht in eine Qual verwandeln könne, und nun soll ich allein reisen, und werde zum ersten Mal so mit Schachteln und Körben umgeben, daß es nur Dübois Genie möglich sein wird, dieß alles so zu ordnen, daß noch ein völlig erwachsener Mensch Raum daneben im Wagen findet.[75]

Ist es nicht ungerecht, sagte die Gräfin lächelnd, die kleine Beschwerde nicht ertragen zu wollen? Hat uns nicht selbst, wie wir das Leben bewußtlos und hülflos betraten, die liebende Sorge zärtlicher Freunde begrüßt? Liegt nicht etwas Rührendes darin, wenn wir uns vorsorgend um ein neugebornes Wesen beschäftigen, so daß alles bereit ist, dessen es in der Zukunft in seiner Hülflosigkeit bedarf? Ich wenigstens kann mir nichts Traurigeres denken, als wenn der Mensch schon beim Beginne seines Lebens Liebe und Theilnahme entbehrt.

Wohl, sagte der Graf ernsthaft, ich werde dem Neugebornen die Geschenke überbringen und ihm nichts von dem entziehen, was sein aufdämmerndes Leben verschönern soll und ihn doch oft nur quält, indem Mutter und Amme ihn mit Dingen zu putzen streben, die er gar nicht zu würdigen versteht.

Dübois hatte während dieser Unterredung Alles geordnet, und der Graf fand zu seiner eigenen Verwunderung für Alles hinreichenden Raum in dem vorgefahrnen Wagen, der ihn bald aus dem Gesichtskreise der Frauen entführte und den Bergen entgegen rollte, die den alten Sitz seiner Ahnen umgaben.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 57-76.
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