X

[193] Endlich war der entscheidende Schlag gefallen. Die große, blutige, folgenreiche Schlacht bei Leipzig war geschlagen. Die Franzosen mußten der von Vaterlandsliebe erregten Begeisterung weichen und wurden über den Rhein zurückgedrängt. Doch ehe sie diesen Strom erreichen konnten, mußte Napoleon noch ein blutiges Gefecht bestehen, wo Tapferkeit mit Tapferkeit sich maß, und endlich sahen die deutschen Völker ihren Boden von fremden Bedrückern befreit, und im Taumel der Siegesfreude vergaßen sie willig die schweren Opfer, die sie für diese Befreiung dargebracht hatten.

Seit dem letzten Kampfe bei Hanau fielen noch täglich kleine Gefechte vor mit versprengten französischen Truppen, die noch nicht über den Rhein zurück gekonnt hatten, und viele dieser kleinen Corps wurden von den Deutschen weit seitwärts gedrängt, und mußten oft mit einer überlegenen Macht kämpfen und zuweilen fast untergehen, ehe sie einen Punkt fanden, wo sie durch erkaufte Schiffer oder andere Mittel über den Rhein nach Frankreich zurück gelangen konnten. Auch in der Nähe des Landsitzes, wo der Graf Hohenthal mit seiner Familie lebte, hallten oft die Berge den Donner des Geschützes zurück, und als dieser endlich schwieg, hörte man doch noch täglich kleines Gewehrfeuer, oft ganz in der Nähe des friedlichen Wohnsitzes. Unter solchen Umständen[193] fand es der Greis Dübois angemessen, alle Pforten und Thore wohl verschlossen zu halten, und es war sein strenger Befehl, Niemandem, der klopfen möchte, zu öffnen, ohne ihn vorher zu rufen, damit er erst vernehmen könne, ob Freund oder Feind Einlaß begehre. In den ersten Tagen des Novembers war die Familie des Grafen wieder geängstigt worden, weil man gegen Abend ganz in der Nähe hatte schießen hören, und Dübois hatte an diesem Tage seine Vorsicht verdoppelt. Die Dämmerung des Abends wich beinah der Dunkelheit der Nacht; ein leichter Nebel schwebte über dem Rhein und deckte die Häupter der gegenüber liegenden Berge. Die Familie des Grafen war in einem Saale versammelt, dessen bis auf den Boden reichende Fenster nach dem Garten zu gingen. Die milde Luft lockte zuweilen ein Mitglied derselben hinaus auf eine kleine Terrasse, die längs den Fenstern hinlief, und wenn die Thüre zu diesem Zweck geöffnet wurde, strömte der Duft von Reseda und spät blühenden Blumen in den Saal, wo ein schwaches Kaminfeuer brannte. Der Antheil, den Alle an der Befreiung Deutschlands nahmen, erfüllte doch, wie lebhaft er auch sein mochte, nicht so ganz ihr Herz, daß nicht auch die Trauer über den abwesenden Sohn und Gatten, über dessen Schicksal ein düsteres Schweigen ruhte, Raum darin behalten hätte, und so wechselten Gespräche über die nächsten Hoffnungen des Vaterlandes[194] und über Evremont mit einander abwechselnd ab, und obgleich nichts vorgefallen war, was die Sorge über sein Geschick hätte lindern können, so schlich doch die Hoffnung leise in jedes Herz; denn es ist ein im Gefühl ruhender Glaube, daß eine glückliche Begebenheit ein Unterpfand sei, durch das uns das Schicksal verbürge, daß sich nun Alles zu unserm Heile gestalten werde.

Diese friedlichen Gespräche wurden plötzlich durch ein lautes Klopfen an die äußere Pforte unterbrochen. Der Einlaß Begehrende schien ungeduldig, denn er wiederholte nach kurzen Zwischenräumen lauter und heftiger die Schläge mit dem metallenen Klopfer an das Thor, so daß der Schall weit durch die Nacht tönte.

Dübois, in dem diese Zeichen der Ungeduld Besorgniß erregten, näherte sich in Begleitung des Gärtners und eines starken, breitschultrigen Bedienten dem Thore, und gab dem Gärtner den Auftrag zu fragen, Wer draußen sei und Einlaß begehre, und er hoffte, daß dessen tiefe Baßstimme dem etwaigen Feinde Achtung einflößen würde, indem er daraus schließen werde, daß wehrhafte Männer vorhanden wären, die das Haus gegen eine geringe Anzahl zu vertheidigen im Stande wären. Um Gottes Willen macht doch auf, rief eine etwas kreischende Stimme in Thüringer Mundart von draußen, und gebt christlichen Menschen eine vernünftige[195] Antwort. Ueberrascht horchte Dübois auf diese Töne; doch wollte er seinem Ohre nicht trauen und befahl dem Gärtner leise, noch ein Mal zu fragen, wie viel Personen Einlaß begehrten. Für jetzt bin ich allein, lautete die ungeduldige Antwort, und ich begehre nichts von Euch, als daß Ihr mir aus Menschenliebe gegen gute Bezahlung einen Boten verschafft, der mich und meine Begleiter, die wenige Schritte von mir sind, nach dem Wohnorte des Grafen Hohenthal führt.

Alle Zweifel waren bei dem würdigen Haushofmeister verschwunden. Mit freudiger Eile wollte er selbst den schweren eisernen Riegel zurückschieben, doch seine schwachen zitternden Hände verursachten nur eine unnütze Verzögerung, da drängte der starke Bediente ihn hinweg und schob mit unbedeutender Anstrengung das Eisen zurück, worauf sich das Thor öffnete und der Außenstehende das silberweiße Haupt des Greises erblickte. Dübois, werther alter Freund, rief er in freudiger Ueberraschung, indem er den Haushofmeister mit solcher Gewalt in seine Arme schloß, daß der entkräftete Alte nur mühsam die Worte an seiner Brust keuchte: Bester Herr Doktor, gewiß ich bin entzückt, aber Sie werden mich ersticken. Erschrocken ließ der Arzt, denn es war Niemand anders als der würdige Doktor Lindbrecht, den Greis plötzlich aus seinen Armen los, der in Folge dieser[196] unerwarteten Befreiung beinah zu Boden getaumelt wäre, und streckte ihm die Hand entgegen. Dübois senkte seine schmale Hand in die kräftige des Arztes und empfand einen Druck der Freundschaft, der ihm Thränen des Schmerzes aus den Augen preßte. Doch überwund der höfliche Franzose dieß neue Ungemach und erwiederte das Zeichen der Liebe so stark er es vermochte.

Ist dieß der Wohnsitz des Grafen? fragte endlich der Arzt, nachdem er sich von seiner freudigen Ueberraschung erholt hatte. Gewiß, erwiederte Dübois, und den Herrn Grafen wird Ihre unvermuthete Ankunft höchlich erfreuen. Ich komme nicht allein, versetzte der Arzt mit listigem Lächeln; ich komme mit Freunden und auch mit Feinden, und sehen Sie, alter Freund, da sind sie schon. Ich war nur voran geeilt, weil ich hier Licht erblickte, wollte die nöthigen Erkundigungen einziehen und fand mich unvermuthet im Hafen. Mit einem kräftigen Schlage auf die Schulter verließ er den Alten und eilte den Ankommenden entgegen. Obgleich Dübois den Sinn der Rede des Arztes nicht verstanden hatte, so war er doch überzeugt, daß keine Gefahr zu besorgen sei, und erwartete also im offenen Thore neugierig die Ankommenden, denen der Arzt schon von fern entgegen rief: Nur hieher, hier ist das Land der Verheißung, hier ist der Wohnort des Grafen. Eine dunkle Masse[197] näherte sich und Dübois vernahm deutlich das Klirren der Schwerter, und seine Besorgnisse erwachten von Neuem. Endlich konnte man die Ankommenden unterscheiden. Ein junger Mann schwang sich vom Pferde und Dübois, der von einer freudigen Ueberraschung zur andern überging, fand sich in den Armen Gustav Thorfelds, den er in dem jungen Krieger erkennen mußte. Auch der Graf Robert drückte die Hand des vor Freude weinenden Alten, der endlich, nachdem er sich ein wenig erholt hatte, Alle einzutreten bat und dem Grafen die Freude zu gewähren, einen theuern Verwandten zu umarmen und werthe Freunde zu begrüßen.

Noch einen Augenblick gewartet, rief der Arzt, dort kommt unser Gefangener. Haben Sie einen französischen Gefangenen in Ihrem Gefolge, fragte Dübois mit Theilnahme. Freilich, freilich, sagte der Arzt, wir kommen nicht mit leeren Händen, und, fuhr er fort, indem er die kleinen Augen halb zudrückte und den Greis listig lächelnd anblinzelte, strengen Sie einmal Ihren Scharfsinn an, und errathen Sie, Wen wir bringen. Dübois dachte flüchtig an Evremont, aber überzeugte sich sogleich, daß dieß unmöglich sei, und sagte daher seufzend: Wie kann ich wissen, wer von den Franzosen in Ihre Hände gerathen ist. Wer anders, antwortete der Arzt, als der General, der sich damals auf Schloß Hohenthal so viele ungebührlichen Freiheiten herausnahm,[198] bis es sich ergab, daß er ein alter Freund des Grafen war. Wie, der General Clairmont? rief Dübois erstaunt. Derselbe, sagte der Arzt, und hier ist der junge Held, der ihn gefangen genommen hat und dem er sein Leben verdankt. Durch einen Schlag auf Thorfelds Schulter bezeichnete er diesen als den Gegenstand seines Lobes.

Während dieses kurzen Gesprächs hatte sich ein Wagen unter der Bedeckung von einigen Kriegern genähert, der in den Hof fuhr. Mühsam stieg der General Clairmont ab, wobei ihn der Graf Robert und Thorfeld unterstützten. In Folge eines starken Blutverlustes war er sehr bleich und ermattet; den Arm trug er in der Binde. Er erkannte Dübois sogleich und bat ihn, ihm ein ruhiges Zimmer anzuweisen, wo er sich erholen könne, und den Grafen zu bitten, ihn erst morgen sprechen zu wollen, weil er sich heute zu entkräftet fühle. Dübois eilte mit gewohnter Gutherzigkeit diese Wünsche zu erfüllen, und der Graf Robert sendete die militairische Bedeckung nach dem Dorfe zurück, wo seinen übrigen Truppen die Nachtquartiere angewiesen waren, und Alle setzten sich in Bewegung, um den Grafen freudig zu begrüßen.

Das verworrene Getöse im Hofe, das sich nun auch im Hause verbreitete, begann die Familie des Grafen zu beunruhigen. Der Graf hatte einige Male die Klingel gezogen,[199] um von den Bedienten Auskunft zu erhalten. Da aber die Neugierde alle um die Ankommenden versammelt hatte, so erschien Niemand auf den Ruf der Glocke, und als nun auch im Vorzimmer ein lautes Geräusch von Eintretenden und klirrenden Sporen entstand, eilte der Graf mit einiger Bestürzung auf die Thüre zu, indem sie sich eben öffnete und der Graf Robert mit inniger Freude seinen Oheim zu umarmen eilte. Kaum von seiner angenehmen Ueberraschung etwas zu sich selbst gekommen, bemerkte der Graf den jungen Thorfeld, der bescheiden seitwärts stand. Er wollte ihn eben freundlich begrüßen, als er daran durch den Arzt verhindert wurde, der sich vordrängte und in doppelter Hinsicht das Erstaunen des Grafen erregte. Er hatte es nicht erwartet, daß sich der Doktor Lindbrecht von seiner Braut trennen und an dem Kriege gegen Frankreich Theil nehmen würde; deßhalb setzte es ihn in Erstaunen, ihn in der Gesellschaft seines Vetters zu erblicken, aber mehr noch, als sein Erscheinen selbst, erregte die Art, wie er auftrat, die allgemeine Verwunderung. Der Krieg, die Gefahren der Schlachten hatten einen ganz neuen Menschen aus dem Arzte gemacht. Er hatte es angemessen gefunden, den feinen Weltton, in dessen Besitze er zu sein vermeinte, mit den freieren Sitten des Soldaten zu verbinden, wie er sich überhaupt ein kriegerisches Ansehen zu geben gesucht hatte. Ein ansehnliches[200] Schwert hatte er um seine Hüften gegürtet, einen Stutzbart hatte er sich wachsen lassen; sein von der Luft gebräuntes Gesicht trug er mit einer ihm sonst fremden Dreistigkeit emporgerichtet, und dieß alles machte einen so überraschend komischen Eindruck, daß selbst der Graf, wie ernst er auch in der letzten Zeit immer gestimmt war, sich des Lächelns nicht erwehren konnte. Dabei erhob der Arzt seine Stimme jetzt mehr, als früher, wodurch sie oft in ein unangenehmes Kreischen überging; er trat fester auf als ehedem und hatte es nicht ungern, wenn Schwert und Sporen bei jeder Bewegung klirrten.

Es waren endlich viele eilige Fragen von allen Seiten beantwortet worden. Der Graf hatte erfahren, daß sein Vetter ganz in seiner Nähe ein kleines Gefecht mit einem französischen Haufen bestanden hatte, der ihm seitwärts in den Schluchten, die die Berge bildeten, entkommen war, daß er sich während dieses Gefechtes von Thorfeld getrennt gefunden, aber bald durch schnell aufeinander folgende Schüsse wieder auf seine Spur geführt worden sei, und eben, als er hinzugekommen, habe sich ein hitziges Gefecht siegreich für seinen jungen Freund geendigt, der das Leben eines französischen Generals dabei gerettet, den eben Wertheim in der Wuth des Kampfes habe niederhauen wollen. Der General, der in Folge starken Blutverlustes beinah ohnmächtig[201] gewesen sei, habe sich ihm hierauf ergeben, und, schloß der Graf Robert seinen Bericht, nachdem die kunstfertige Hand unsers heldenmüthigen Arztes seine Wunden verbunden hatte, schafften wir einen Wagen und brachten unseren Gefangenen hieher unter Ihr gastliches Dach, weil wir um so mehr eine freundliche Aufnahme für ihn hofften, da wir Ihnen in seiner Person einen alten Freund zu führen.

Wer ist es? fragte der Graf, von Neuem in Verwunderung gesetzt.

Wer wird es sein, rief der Arzt, sich mit der Antwort vordrängend, als der unbescheidene Mann, der mit seiner lustigen Begleiterin damals das ganze Schloß Hohenthal in Besitz nahm, der mir geradezu in's Gesicht lachte wegen meiner französischen Aussprache. Ei! er dachte damals nicht, daß ihm mein Anblick noch einmal so tröstlich sein würde.

Wie, Clairmont! rief der Graf. Derselbe, erwiederte sein Vetter. Da ihn der Arzt erkannte und wir die Absicht hatten, Sie, bester Oheim, auf diese Nacht zu besuchen, so brachten wir ihn hieher, wo er hoffen darf, allen Beistand zu finden, den er bedarf.

Der Graf wollte seinen Freund sogleich besuchen; da man ihm aber mittheilte, daß der General diesen Abend allein zu bleiben wünsche, um sich zu erholen, so fügte er sich in den Willen seines Freundes und überließ es Dübois, für[202] dessen Bequemlichkeit zu sorgen. Doch befolgte er den Wink des Arztes und schickte nach einem geschickten Wundarzte, denn der Doktor Lindbrecht erklärte, daß er morgen mit den Truppen weiter rücken würde und also für den General nichts weiter thun könne, als am nächsten Morgen den Verband erneuern, denn seine Pflicht rufe ihn hinweg.

Die durch vielfache Ueberraschungen erregte unruhige Bewegung der Gemüther hatte sich gelegt. Die Freunde freuten sich ruhiger des kurzen Beisammenseins, und auch die Frauen nahmen Theil an den Gesprächen. Man erfuhr nun, daß der Graf Robert auf dem Marsche begriffen sei, um mit einer Abtheilung preußischer Truppen sich zu vereinigen, daß er hoch erfreut gewesen, als er erfahren, daß die ihm anbefohlne Richtung nah bei des Grafen Wohnsitz vorbeiführe, daß er seine Einrichtungen so getroffen, daß er einige Stunden früher hätte eintreffen können, wenn das Gefecht nicht einen Aufenthalt verursacht hätte.

Die Gesellschaft saß endlich ruhig um den Kamin und Thorfeld hatte sich des schönen Kindes bemächtigt, dessen Aehnlichkeit mit Evremont, den er aufrichtig liebte, ihn innig bewegte; doch hielt ihn seine Bescheidenheit zurück, nach dem Freunde zu fragen, der ihm auf Schloß Hohenthal so viel Wohlwollen bewiesen hatte. Aus seinen Armen nahm der Graf Robert den kleinen Adalbert, und indem er ihn[203] herzlich küßte, pries er laut seine auffallende Schönheit, worüber die Mutter aus innerer Freude sanft erröthete. Der Kleine hatte nicht die gewöhnliche Blödigkeit der Kinder; er wuchs unter Erwachsenen auf und war es gewohnt, fremde Gesichter zu sehen. Als aber auch der Arzt ihn an sich riß und ihn mit halb geschlossenen Augen anblinzte, dann einen heftigen Kuß auf seine Wange drückte, wobei der scharfe Bart ihn unsanft berührte, da verzog sich der liebliche Mund des Knaben zum Weinen und er streckte die kleinen Arme Hülfe suchend nach der Mutter aus.

Der Graf konnte seine wehmüthigen Gefühle nicht beherrschen; er dachte mit Schmerzen an Evremont, als er dessen Sohn von allen Freunden geliebkoset sah. Er war aufgestanden und trat auf die Terrasse hinaus, um sich unbemerkt seinem Kummer zu überlassen. Sein Vetter folgte ihm und fragte in leisem, ängstlichem Tone: Haben Sie Nachrichten von Adolph, bester Onkel? Seit der Schlacht von Borodino keine, antwortete der Graf, indem er die Hand des Verwandten heftig drückte. Ich fürchte, setzte er mit beinah versagender Stimme hinzu, ich fürchte, wir werden nie mehr Rachrichten von ihm hören. Um Gottes Willen, hegen Sie nicht solche Gedanken, rief sein Vetter im wahrsten Mitgefühl; der Himmel erhält ihn Ihnen gewiß. Es wäre zu hart, wenn Sie, theurer Onkel, der Sie so viel[204] Glück und Segen um sich verbreiten, so schmerzlich verwundet werden sollten. Laß uns davon schweigen, sagte der Graf sich ermannend, ich zeige seiner Mutter und Gattin nie meinen Schmerz; ich spreche zu ihnen immer nur von Hoffnungen, die ich oft selbst nicht mehr den Muth habe zu hegen. Aber Du kannst es der Mutter ansehen, ihr Leben hängt an diesem zarten Faden; die Gewißheit, daß der Sohn dahin ist, führt auch ihren Tod herbei.

Es ist wahr, sagte der Graf Robert, ich finde die Tante sehr verändert. Wir haben vielen Kummer in dieser Zeit erduldet, antwortete der Graf seufzend, indem er mit dem Vetter in den Saal zurück trat, wo er den Arzt mit auffallend lauter Stimme sprechen hörte.

Die Gräfin hatte sich während der Abwesenheit beider Grafen nach der Familie des Predigers erkundigt, und zur Verwunderung der Frauen hatte diese Frage den Arzt in so heftigen Zorn versetzt, daß die kleinen Augen funkelten und die gebräunten Wangen sich dunkel rötheten. Ich werde nie mehr ohne Zorn an meinen ehemaligen Freund denken, hatte er eben heftig geantwortet, und als er den Grafen wieder eintreten sah, wendete er sich sogleich an diesen und rief: Denken Sie, Herr Graf, welch ein schönes Beispiel von Vaterlandsliebe unser Herr Prediger gegeben hat! Ich machte ihm den sehr vernünftigen Plan, er solle uns[205] als Feldprediger in diesen heiligen Kampf begleiten. So lange er die Sache für Scherz hielt, ging er darauf ein, und da er mit verstellter Ernsthaftigkeit darüber sprach, so glaubte ich seinen trügerischen Worten. Denken Sie sich mein zürnendes Erstaunen; als es nun zum Aufbruch kam, und ich ihm dieses bekannt machte und ihn aufforderte, sich uns anzuschließen, da antwortete mir der Schalk, indem er die dünnen Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzog: Sind Sie denn so thöricht gewesen im Ernst zu glauben, daß ich meine Gemeinde verlassen werde? Ich war ganz erstarrt über diese Falschheit, nahm mich aber zusammen und sagte: Auch ich habe hier gleichsam eine Gemeinde, an die meine Pflicht mich bindet. Es kann sein, daß während meiner Abwesenheit Mancher meine Hülfe entbehren und darunter leiden wird, dieß ist ein möglicher Fall: aber mich ruft die Pflicht dahin, wo ich, wie ich gewiß kann, Hunderten, ja vielleicht Tausenden nützlich sein werde. Eben so ist es mit Ihnen. Ein bejahrter Amtsbruder, dem man nicht mehr zumuthen darf, die Beschwerden eines Feldzuges zu theilen, der mag Ihre hiesigen Pflichten mit versehen; darum auf! rüsten Sie sich, und folgen Sie wie ein Mann dem Ruf der Ehre! Sind Sie denn ganz besessen von Ihrer Thorheit? antwortete er mit beißiger Grobheit auf meine wohlgemeinte Rede. Könnte ich es vor meiner zahlreichen[206] Familie verantworten, wenn ich sie wie ein Unsinniger verlassen wollte? Da der Arzt im Laufe seiner Erzählung immer heftiger wurde, so suchte der junge Thorfeld ihn zu unterbrechen, der sichtlich bei der Anklage des Predigers litt, und sagte: Aber zu berücksichtigen ist es doch gewiß, wenn ein Vater für eine zahlreiche Familie zu sorgen hat.

Weil Sie in die Tochter verliebt sind, antwortete der Arzt ohne schonende Rücksicht, so wollen Sie Ihre falsche Ansicht zur allgemeinen erheben. Der junge Mann schwieg erröthend, und der Arzt fuhr triumphirend fort: Was hat das Vaterland mit seiner großen Anzahl Kinder zu schaffen, und hätten sie nicht alle nützlich beschäftigt werden können? Die erwachsenen Söhne hätten mit in's Feld rücken müssen und die jüngeren hätten mit den Töchtern Charpie bereiten können, wie ich diese heilsame Einrichtung mit meiner Braut und künftigen Schwiegermutter getroffen habe. Die Stimme des Arztes wurde sanfter, als er dieser Personen gedachte, und er fuhr zwar mit Selbstgefühl, aber mit einer Art von Wehmuth fort: und habe ich denn nicht größere Opfer gebracht, als ich ihm zumuthete? Ich habe eine schöne Braut verlassen, die in Schmerz bei unserer Trennung vergehen wollte, aber doch mit Stolz auf mich blickte, daß ich im Stande war, das Vaterland selbst meiner Liebe vorzuziehen. Meine Verwandte und künftige Schwiegermutter weinte, daß[207] sie im Schluchzen die Sprache verlor, und winkte mir noch tausend Grüße vom Balkon unseres Hauses herab, so lange wir uns sehen konnten. Alle meine Studien müssen unterbleiben, ausgenommen die praktischen, die ich täglich an Verwundeten mache, die mir unter die Hände kommen, und vergeblich ist meine Bibliothek in schönster Ordnung aufgestellt. Mein botanischer Garten wird in meiner Abwesenheit zu Grunde gehen. Den Jammer kann ich mir schon denken, denn die gute Frau, meine Base, versteht nichts davon, und der Schloßgärtner wird nachlässig werden, wenn er sich selbst überlassen bleibt. Und was wäre vergangen oder verloren, wenn der Prediger mit uns gezogen wäre, wie es seine Pflicht war? Würde er nicht Alles wieder gefunden haben, wie er es verließ? Und ist es nicht unendlich schwerer, sich von einer Braut als von einer Frau zu trennen?

Das kommt auf die Ansicht an, sagte der Graf besänftigend. Und wenn Sie auch darin Recht haben, daß es im Allgemeinen nur ein Vorwand der Selbstsucht ist, die keine Opfer bringen will, wenn die Pflichten für die Familie vorgeschoben und als ablehnende Antworten die Redensarten gebraucht werden: ich bin meiner Familie diese Rücksicht schuldig, oder, ich kann dieß vor meiner Familie nicht verantworten, so müssen Sie doch auch bedenken, daß nicht Jedermann[208] mit solchem Heldenmuth geboren wird, daß es ihm, wie Ihnen, möglich ist, der Pflicht jedes Opfer zu bringen.

Der Arzt wurde durch die Anerkennung seines Verdienstes besänftigt, und die wenigen Worte des Grafen, die ihm schmeichelhaft waren, machten ihn mehr zur Versöhnung mit dem Prediger geneigt, als alle Versuche Thorfelds, der den Geistlichen zu vertheidigen und so die Vereinigung der alten Freunde zu bewirken suchte; und als der Graf im Laufe des Gesprächs noch die Bemerkung machte, daß eine Gemeinde, die von ihrem Prediger verlassen sei, Gefahr laufe, moralisch zu verwildern, so gab der Arzt zu, daß sein Freund andere Pflichten zu erfüllen habe als er, und die Versöhnung ward in seinem Gemüthe beschlossen. Unter andern kleinen Begebenheiten, die der Arzt bei der nun ruhiger fortgesetzten Unterhaltung erwähnte, theilte er auch die Nachricht mit, daß der alte Lorenz wenige Tage vor seiner Abreise völlig kindisch gestorben sei, und fragte, ob der Pfarrer nicht die schuldige Anzeige gemacht habe. Der Graf erwiederte, daß er seit der ersten Bewegung der Truppen gar keine Briefe erhalten habe, und man ging leicht über das Ende eines Menschen hinweg, der durch sein Leben weder Achtung noch Theilnahme verdient hatte.

Adele fragte den Arzt, warum er sich so kriegerisch gerüstet habe, da doch sein Beruf selbst auf dem Schlachtfelde[209] nur friedlich und heilbringend sei. Meine Absicht ist, erwiederte der Angeredete, Wunden zu heilen und, wenn ich es vermeiden kann, keine zu schlagen, aber, setzte er hinzu, indem er stolz um sich blickte und den Griff seines Schwertes faßte, es ziemt sich in Zeiten der Gefahr, daß der Mann gewaffnet ist, und muß es sein, so werde ich mein Leben theuer verkaufen.

So sehr es dem Arzte mit diesen Gefühlen Ernst war, so hatte doch sein ganzes Thun etwas so Komisches, daß, als er nach seiner Meinung wie ein Held in der Mitte seiner Freunde stand, Niemand eines leichten Lächelns sich erwehren konnte.

Die vorgerückten Stunden der Nacht erinnerten endlich Alle an die Nothwendigkeit einen kurzen Schlummer zu suchen, denn mit dem frühesten Morgen mußte der Graf Robert mit seinen Begleitern aufbrechen, um zur gehörigen Zeit an dem ihm bestimmten Vereinigungspunkte einzutreffen, und man trennte sich mit erneuerten Gefühlen der Freundschaft und des Wohlwollens.

Am andern Morgen war der Arzt der erste, der sich vom Lager erhob, und nachdem er den fremden Wundarzt geweckt hatte, der in der Nacht angekommen war, führte er ihn zum General Clairmont und ließ ihn in seiner Gegenwart den Verband um dessen verwundeten Arm erneuern,[210] um sich von seiner Geschicklichkeit zu überzeugen. Als das Geschäft zu seiner Zufriedenheit beendigt war, fragte der General finster: Werden Sie mit Ihren Freunden heute noch weiter rücken? In einer halben Stunde, antwortete der Arzt. So empfehlen Sie mich dem jungen Grafen und seinem Freunde, und entschuldigen Sie es, so gut Sie vermögen, daß ich sie nicht vor ihrer Abreise zu sehen wünsche. Es ist nicht Mangel an Achtung, fuhr der General fort, als er die Verwunderung des Arztes bemerkte, es ist meine finstere Stimmung, die mich eine völlige Einsamkeit wünschen läßt, deßhalb entschuldigen Sie mich, ohne Jemanden zu beleidigen.

Der Arzt versprach seinen Auftrag auf die beste Art auszurichten, und der General fuhr fort: Da ich großmüthigen Feinden in die Hände gefallen bin, so besitze ich die Mittel Ihnen ein Andenken anzubieten. Er reichte dem Arzte einen werthvollen Ring, und auf dessen ablehnende Gebehrden setzte er hinzu: Beleidigen Sie mich nicht, indem Sie diese Kleinigkeit ausschlagen; ich will Sie nicht damit belohnen. Es soll Sie dieser Ring nur erinnern, wenn Ihnen andere Franzosen in die Hände fallen, daß ich Sie bitte, diese eben so menschlich als mich zu behandeln. Der General hatte die letzten Worte mit bewegter Stimme und abgewendetem Gesicht gesprochen, und der Arzt nahm den Ring mit dem großmüthigen Gefühl, einen besiegten Feind nicht[211] kränken zu wollen. Er erhob seine Stimme, um dem General zu versichern, daß jeder Hülfsbedürftige aufhöre sein Feind zu sein. Doch eine unmuthige Gebehrde des französischen Kriegers verschloß ihm die Lippen, und er entfernte sich, als dieser kurz und trocken sagte: Und nun leben Sie wohl, Herr Doktor, und überlassen Sie mich der Ruhe, die ich vielleicht noch durch einige Stunden Schlaf finde.

Auf dem Gange vor den Zimmern des Generals konnte sich der Arzt nicht enthalten, die blinkenden Steine des Ringes zu betrachten und zu berechnen, wie er sie zum Schmuck für seine Braut verwenden wolle, als er in diesen angenehmen Gedanken durch Dübois gestört wurde, der ihn hier erwartet hatte, um ihm dieselbe Bitte für die verwundeten Franzosen an's Herz zu legen, die der General mit einem so ansehnlichen Geschenk begleitet hatte. Aber, lieber alter Freund, rief der Arzt halb beleidigt, was quälen Sie sich und mich mit so unnützen Sorgen? Ich habe Ihnen ja den Beweis, wie ich handle, recht eigentlich in die Hand gegeben; ich habe Ihnen ja einen verwundeten Franzosen selbst in's Haus gebracht, nachdem ich auf's Beste für ihn gesorgt hatte. Sie haben sich also selbst davon überzeugen können, wie großmüthig ich unsere heillosen Feinde behandle. Dafür wird Gott Sie segnen, sagte Dübois mit bewegter Stimme, denn wenn der Krieg auch ein nothwendiges Uebel ist, so[212] ist die Grausamkeit doch gewiß nie zu entschuldigen. Der Arzt reichte dem Greise zum Abschiede die Hand und drückte dabei dessen Hand so heftig, daß er den Schmerz wieder von Neuem aufregte, der sich bei dem alten Manne seit der nachdrücklichen Begrüßung des vorigen Abends noch nicht aus diesem Gliede verloren hatte.

Als sich der Arzt von Dübois getrennt hatte, suchte diesen der junge Thorfeld auf, um in der Stille von seinem väterlichen Freunde Abschied zu nehmen. Der alte Mann hatte den jungen Krieger nicht mehr Du nennen wollen und ihn mit Sie angeredet; doch Gustav Thorfeld forderte alle Rechte der Liebe zurück, und man sah, daß es dem Greise erfreulich war, sich wie ein Vater geehrt zu fühlen und das Verhältniß früherer Vertraulichkeit zu erneuern. Ich kann es nicht tadeln, sagte er beim Abschiede dem jungen Mann, daß Du Dein Vaterland zu vertheidigen strebst; aber bedenke, daß Frankreich das meinige ist, wenn Du seinen Boden betreten solltest, und sorge dafür, daß Deine Krieger menschlich verfahren. Thorfeld versprach dieß um so bereitwilliger, da sein eigenes Gefühl ihn aufforderte, Schonung zu üben, wo es sich irgend mit seiner Pflicht vereinigen ließe.

Der Graf Robert hatte von den Frauen Abschied genommen, die noch kaum Zeit gefunden hatten, alle Fragen[213] nach seiner Gattin und seinen Kindern an ihn zu richten, die ihnen am Herzen lagen. Er umarmte noch ein Mal seinen Oheim, der ihn in den Hof begleitete, wo die Pferde hielten, reichte dem alten Dübois freundschaftlich die Hand und schwang sich in den Sattel. Ihm folgte Thorfeld, der mit derselben Leichtigkeit zu Pferde saß, indeß der Arzt etwas mehr Mühe verwenden mußte, um sein Thier zu besteigen, wobei ihm besonders das große Schwert hinderlich war. Die begleitenden Diener folgten, und bald hatte der Graf Alle aus den Augen verloren, und der kurze Aufenthalt der Freunde dünkte den Bewohnern des Hauses wie ein Traum, als dieselbe Stille nun wieder in den Sälen und Zimmern herrschte, die auf kurze Zeit so erfreulich war unterbrochen worden.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 193-214.
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