XIV

[279] Das Leben war auf dem Landsitze des Grafen nach der Abreise der Freunde wieder in seine gewohnten Gleise zurückgekehrt. Die Tage verstrichen gleichmäßig unter ernsten Beschäftigungen, oder im Genusse der Natur, der Poesie und Musik, und dieser einfache Gang des Lebens wurde nur durch[279] erhöhte Heiterkeit unterbrochen, wenn Briefe von Evremont eintrafen. Man hatte nun nichts mehr für ihn zu fürchten, seine Lage nicht mehr zu beklagen; also gewährten seine Briefe reine Freude, nur mit der kleinen Beimischung von Schmerz, daß die sehnsüchtige Erwartung immer noch getäuscht wurde; er konnte immer noch nicht seine Abreise aus Rußland melden. Obgleich es bekannt war, daß die kriegsgefangenen Franzosen ohne Schwierigkeit Erlaubniß erhalten sollten, nach Frankreich zurückzukehren, so war es doch natürlich, daß bei der weiten Ausdehnung der russischen Provinzen manche Zögerung für viele Einzelne eintrat, und Evremont besonders wollte nun bei seiner Abreise doch einen Paß erhalten, in dem sein wahrer Rang in der französischen Armee verzeichnet wäre. Er hatte sich zum Theil in dieser Absicht nach Petersburg begeben, weil er dort mit Gewißheit hoffen konnte, mehrere Franzosen anzutreffen, denen er persönlich bekannt wäre, und die also sein Gesuch unterstützen könnten. Aber auch in der kaiserlichen Residenz mußte er seinen Aufenthalt länger ausdehnen, als er wünschte, ehe er sein Ziel erreichen konnte, und er schrieb seinen Freunden über diese merkwürdige Stadt:

»Wer Petersburg sieht, wird sich des Staunens nicht erwehren können über das Ungeheure, was menschliche Anstrengung in wenig mehr als hundert Jahren hervorzubringen[280] vermochte. Wenn man die demüthige Hütte besucht hat, die sich Peter der Erste errichtete, von wo aus er sein Riesenwerk leitete, und wirft dann einen Blick auf die unermeßlichen Straßen, auf die kolossalen Palläste, die seitdem entstanden sind, oder auf die herrliche Einfassung der majestätischen Newa, und die großartigen, reich verzierten Thore und Gitter des Sommergartens, so kann sich die Phantasie nicht daran gewöhnen, sich dieß alles als kürzlich entstanden zu denken. Betrachtet man die ungeheuern Säulen aus Granit, jede aus einem einzelnen Block und wie Edelgestein polirt, die in der Kasanschen Kirche prangen, so darf man diese Werke dreist mit den Werken der Römer vergleichen, und hätte immer ein richtiger Geschmack diese ungeheuern Kräfte geleitet, daß wir eben so wohl den edeln Styl der Baukunst immer bewundern könnten, wie den großen Kraftaufwand, so wäre Petersburg beinah ein Wunder zu nennen, aber nicht zu läugnen ist es, daß sich dem Beschauer oft ein Gefühl aufdrängt, das ihn zwingt, eine solche Verwendung so ungeheurer Kräfte zu beklagen. Auch war es mir, nachdem das erste Anstaunen dieser Schöpfung vorüber war, störend, das lebendig-frohe Gewühl anderer Städte zu vermissen. Die Straßen sind so unermeßlich lang und breit, daß sie immer leer scheinen; die Plätze sind so groß, daß sich Alles darauf verliert, und ich weiß nicht, ob es vielleicht aus[281] diesem Grunde war, daß die Statue Peters des Ersten nicht den Eindruck auf mich machte, den ich erwartete. Sie sieht in dieser Umgebung klein aus, und selbst der Felsen, auf dem sie steht, kann nicht Bewunderung in dem Beschauer erregen, wenn er es nicht weiß, daß dieser ungeheure Granitblock aus Finnland hieher versetzt wurde, denn hier, wo er jetzt steht, sieht er bei Weitem nicht so groß aus, wie ich ihn mir nach Beschreibungen dachte. Einigermaßen mag der Sommer Schuld sein an dem todten Ansehn, das jetzt Petersburg hat, weil dann Alles eilt, für diese wenigen Monate die reizenden Landhäuser zu beziehen, die die Stadt von allen Seiten umgeben, und in der That, hier kann man es ganz vergessen, daß man im Norden lebt. Diese verschwenderische Pracht von Blumen und blühenden Stauden entzückt das Auge; die sich auf dem Wasser schaukelnden, bunt geschmückten Gondeln rufen südliche Bilder in unserer Seele hervor. Die schattigen Baumgänge gewähren anmuthige Kühlung bei dem Brande der Sonne und schützen gegen die rauhen Winde, die tückisch oft auf einmal an den Norden erinnern. Ist man so glücklich, an einem schönen Tage denn auch die nur in Rußland einheimische Hornmusik im Freien zu hören, so muß auch der eigensinnigste Kritiker gestehen, daß die große Kaiserstadt und ihre Umgebung die edelsten Genüsse zu gewähren vermag. Ich habe niemals Instrumentalmusik gehört,[282] die auf mich einen so tiefen, unerklärlichen Eindruck gemacht hätte. Es ist ein lebendiges aus Menschen zusammengesetztes Instrument, das wir hier hören. Jeder bläst nur einen Ton auf einem der an Größe verschiedenen Hörner, und wenn auch diese Musik ihrer Natur nach wohl nur dazu geeignet ist, ernstere Sachen in gedehnten Tönen vorzutragen, so ist es doch auf's Höchste zu bewundern, wie dieß Menscheninstrument eingeübt ist, denn sie machen die schnellsten Läufe auf und ab mit einer Genauigkeit, die an's Unglaubliche gränzt. Nachdem mir diese Musik den höchsten Genuß gewährt hatte, drängte sich mir doch ein schmerzliches Gefühl auf, denn es drückte mich hart, den Menschen in dem Grade zur Maschine erniedrigt zu sehen.

Noch ergreifender aber und unendlich erhabener ist der Eindruck, den die russische Kirchenmusik auf jeden Menschen hervorbringen muß, dessen Seele für solche Eindrücke überhaupt empfänglich ist. Bekanntlich verbannt der strenge griechische Ritus alle Begleitung der Instrumente, auch verbietet dieselbe Strenge bei Besetzung des Soprans sich der Hülfsmittel zu bedienen, die die lateinische Kirche gestattet, also wird die Diskantstimme von Knaben gesungen, die für die Kapelle zu diesem Behufe ausgewählt werden. Die Seele wird getroffen und das Herz in seinen Tiefen bewegt, wenn diese göttlich schönen Stimmen sich himmelan schwingen, darum,[283] weil eine so süße Kindesunschuld in ihnen tönt, das man unwillkührlich an die den Thron Gottes umschwebenden Engel denken muß. Freilich, wenn der Gesang verstummt ist und die Bewegung des Herzens sich beruhigt hat, behauptet dann der alte Fehler des Menschen, immer urtheilen und vergleichen zu wollen, sein Recht, und ich mußte mir gestehen, als ich die Kapelle verlassen hatte, daß die lateinische Messe kunstreicher ausgebildet ist, auch liegt die Ursache, warum dieß so ist, glaube ich ganz nahe. Da nämlich die Oberstimme in der griechischen Kirche immer von acht- oder zehnjährigen Knaben gesungen werden muß, so kann nie ein Virtuose die echte Kunst des Gesanges oder die ganze Tiefe des religiösen Gefühls darin entfalten, alle andern Stimmen müssen mit bescheidener Mäßigung behandelt werden, damit die Oberstimme nicht unterdrückt wird; deßhalb bewegt die rührende Unschuld in diesem himmlischen einfachen Gesange vorzüglich das Herz, wenn wir bei der kunstreicher gebildeten lateinischen Messe oft noch Gelegenheit haben, die große Virtuosität einzelner Sänger zu bewundern. Vielleicht würden diese Betrachtungen meinen griechischen Christen viel zu weltlich dünken, denn ich glaube, es fällt nur wenigen ein, den Gesang in der Kirche als Kunst zu betrachten; es scheint ihnen bloß unerläßlich zum Gottesdienst zu gehören. Ueberhaupt, glaube ich, hat die Kunst hier noch wenig Eingang gefunden,[284] obgleich die Kaiserstadt viele herrliche Kunstwerke besitzt. Kunstgenuß ist hier ein Luxus, den sich nur Wenige erlauben, keineswegs ein Bedürfniß der Seele. Deßhalb durchwandert man die Säle, in denen die Kunstschätze sich befinden, beinah immer einsam, und auch ich habe mir nur einen flüchtigen Ueberblick zu verschaffen gesucht, freilich aus andern Gründen. Die Kunstwerke sind so zahlreich, die Sammlungen so großartig, daß ich nicht lange genug hier verweilen kann, um einigermaßen mit Nutzen sehen und das Gesehene im Gemüth ordnen zu können. Schon allein die Sammlung geschnittener Steine ist so groß, daß ein Studium dazu erforderlich ist, um sie einigermaßen kennen zu lernen, und ich habe mich während meines Hierseins oft darüber gewundert, daß bis jetzt so wenig über Petersburg und seine Kunstschätze geschrieben worden ist, wodurch der Fremde einigermaßen geleitet werden könnte.

Da ich also auf ein Studium der hier befindlichen Kunstwerke mich nicht einlassen kann, so gewährt es mir ein großes Vergnügen, die Stadt nach allen Richtungen zu durchstreifen, und wenn ich auf diesen Wanderungen in der Nähe großartiger Palläste noch hin und wieder armselige Häuser erblicke, so stellt sich mir dadurch die noch nicht lange entschwundene Zeit neben die Gegenwart, und die riesenmäßige Kaiserstadt mit ihren endlosen Straßen, ungeheuern Plätzen[285] und kolossalen Gebäuden ist, glaube ich, kein übles Bild des ganzen Rußlands überhaupt, dessen schnelle Entwickelung erst künftige Geschlechter ganz unparteiisch werden bewundern können. Bin ich von diesen Wanderungen und den Betrachtungen, die ich anstelle, ermüdet, dann schiffe ich mich auf einer Gondel ein, und die majestätische Newa trägt das leichte Schiffchen auf ihrem glänzenden Rücken; nach dem Takte der Ruderschläge gleitet das Fahrzeug dahin, und ich umkreise die blühenden Inseln, die sich mit ihren Blumen, Bäumen und freundlichen Häusern in der silberhellen, sie umfangenden Newa spiegeln. Fällt mir dann ein, daß dieß Duften und Blühen, dieser dunkle Baumschatten, diese schwebenden Gondeln nur wenige Monate das Auge entzücken, und den größeren Theil des Jahres alles dieß unter Schnee und Eis begraben liegt, so kann ich mir denken, daß es mir wie die Zaubereien in den Märchen der Tausend und Eine Nacht erscheinen würde, wenn ich nach einem hiesigen endlosen Winter alle diese Pracht für eine kurze Zeit auf einmal neu entstehen sähe, denn die Natur muß hier eilen, wenn sie etwas leisten will, und der Frühling wird beinah ganz übergangen; die dürren Bäume sind in wenigen Tagen belaubt, und der Winter geht beinah unmittelbar in den Sommer über.

Alle äußerten nach dieser Beschreibung, daß es ein großer Genuß sein müsse, Petersburg zu sehen, und der Graf[286] machte im Scherze den Vorschlag, dorthin zu reisen und Evremont abzuholen – ein Gedanke, aus dem vielleicht Ernst geworden wäre, wenn man nicht hätte befürchten müssen Evremont zu verfehlen, der leicht schon abgereist sein konnte, ehe seine Freunde die Kaiserstadt erreichten.

Unter diesen Erwartungen verschwand der Herbst und der Winter. Evremont fand mehr Schwierigkeiten, als er geglaubt hatte. Sein Aufenthalt in Petersburg dehnte sich in die Länge, Napoleon landete unerwartet in Frankreich, ehe er nach Deutschland zurückgekehrt war, und seine Freunde besorgten, daß die Wendung, die die öffentlichen Angelegenheiten nun nahmen, vielleicht auf's Neue seine Rückreise verzögern dürfte.

Evremonts letzte Briefe hatten gemeldet, daß er endlich seine Pässe, so wie er es wünschte, erhalten habe und nun Petersburg verlassen würde, um noch auf wenige Tage nach dem Hause zurückzukehren, das ihn so wohlwollend aufgenommen hätte und dessen menschenfreundlichen Besitzern er gewiß die Erhaltung seines Lebens zu verdanken habe – eine Wohlthat, die er jetzt erst nach ihrem ganzen Umfang zu schätzen begann, da sich das Leben mit allen seinen Reizen von Neuem vor ihm ausbreitete. Dieß waren die letzten Nachrichten, die man von Evremont erhalten hatte, und die, wie sie eintrafen, die ganze Familie in Entzücken versetzten.[287] Sein Schweigen nun gab Allen die traurige Ueberzeugung, daß er neue durch die eingetretenen Umstände veranlaßte Hindernisse gefunden haben müsse.

In solchen traurigen Betrachtungen saßen die Glieder der Familie an einem schönen Sommerabend bei einander im Saale des Hauses. Die Thüren nach dem Garten waren geöffnet und der Duft der Blumen strömte in den Saal; aus dem Garten hörte man den Gesang der Nachtigall und das Plätschern des Springbrunnens. Jeder saß in Schweigen versenkt, halb auf diese Töne lauschend, halb seinen kummervollen Gedanken hingegeben. Eine Bewegung in den nächsten Zimmern erregte endlich die Aufmerksamkeit, und indem Alle die Augen dahin richteten, erblickten sie zugleich Evremont, der hineinstürmte und abwechsend, ohne zu sprechen, Vater, Mutter, Gattin und seine gütige Tante an die Brust drückte. Thränen der Freude erstickten Anfangs alle Worte, und als diese erste Erschütterung vorüber war, machte sich Evremont Vorwürfe darüber, seinen Lieben seine Ankunft nicht vorher gemeldet zu haben, denn seine Mutter und selbst der Graf waren auf das Heftigste von der Bewegung der Seele ergriffen. Doch die Erschütterung der Freude wirkt selten schädlich, und als sich die Eltern ein wenig erholt hatten, blickten seine Augen suchend umher. Emilie verstand den Blick, sprang eilig nach dem[288] Garten hinaus und kehrte nach wenigen Augenblicken zurück, Adalbert an ihrer Hand, den sie dem entzückten Vater zuführte. Evremont konnte nicht aufhören abwechselnd seinen Knaben, seine Gattin und seine Eltern zu liebkosen; er tadelte sich selbst, in Thränen lachend, über seinen kindischen Ungestüm und begann doch stets von Neuem. Seine Familie hielt ihn in den Armen und blickte ihm wie selig träumend in die Augen. Man konnte kaum daran glauben, daß der lange Schmerz der Sehnsucht nun wirklich endlich gelöst sei, und es vergingen einige Tage, ehe man sich mit dem Gefühle der Gewißheit des Glücks recht vertraut gemacht hatte.

Nachdem endlich die stürmische Bewegung in jeder Brust gemildert war, nachdem alle Fragen erschöpft und alle Antworten gegeben, und selbst Dübois befriedigt war, dem Evremont alle die Liebe und Achtung bewies, die der Greis verdiente, und für die liebende Aufmerksamkeit den innigsten Dank sagte, die er seinem Knaben gewidmet, fanden ruhigere Gespräche Statt, und die Blicke der Männer richteten sich auf die öffentlichen Angelegenheiten. Aber ehe noch die wichtige Frage zwischen Vater und Sohn entschieden war, ob es Evremonts Pflicht sei oder nicht, sich den französischen Kriegern anzuschließen, war die Schlacht bei Waterloo geschlagen, und Napoleons zweite Abdankung machte jeden Streit hierüber überflüssig.[289]

Der neue Friedensschluß war für Frankreich drückender als der erste, und indem Evremont darüber trauerte, daß seinem Vaterlande Provinzen entrissen wurden, lag ein tröstendes Gefühl darin, daß sein Interesse nicht mehr von dem seiner Eltern verschieden war, denn seine Güter jenseits des Rheins, die er fortan unter preußischer Regierung besitzen sollte, machten ihn wie den Grafen zum Bürger dieses Staates.

Evremont hatte das Leben in so vielfacher Gestalt kennen gelernt, daß er, obwohl noch jung, dem öffentlichen Antheile daran gern entsagte, und sich und seiner Familie zu leben beschloß – ein Entschluß, der Emilien in Entzücken versetzte und von den Eltern höchlich gebilligt wurde, und nur Adele, ob sie gleich erfreut war, alle Gefahr für den geliebten Neffen geendigt zu wissen, empfand es doch schmerzlich, daß sie die still genährte Hoffnung, Evremont noch einst als französischen Marschall zu sehen, aufgeben sollte. Der Graf machte sie auf die Unmöglichkeit aufmerksam, als preußischer Unterthan in der französischen Armee zu dienen. Ja, ja, bemerkte sie seufzend, ich sehe es ein, das sind die traurigen Folgen von Frankreichs Unglück.

Es war noch eine kurze Trennung Evremonts von der Familie nothwendig. Er mußte nach Paris reisen, um seinen förmlichen Abschied aus der französischen Armee sich auszuwirken,[290] den er leicht zu erhalten hoffte, da alle Krieger, die unter Napoleon gefochten hatten, nur zu bereitwillig von der neuerdings zurückgekehrten Regierung entlassen wurden. Aber diese Reise verzögerte sich, weil er sich nicht entschließen konnte, nach so langer Abwesenheit seine Familie sogleich wieder zu verlassen, und weil er seinen Aufenthalt in Paris auf so kurze Zeit zu beschränken dachte, daß er selbst nicht Emilie bereden mochte ihn zu begleiten, denn wenn er auch die Absicht hatte, daß sie Paris und Frankreich sehen sollte, so wollte er dieß doch aufschieben, bis Frankreich erst wieder mehr Ruhe und Würde erlangt hätte und also auch mehr Genuß gewähren könnte.

Es verzögerte sich also Evremonts Abreise von Woche zu Woche, und die Zögerung selbst wurde immer drückender, weil die Nothwendigkeit, sich endlich zu einer unangenehmen Handlung zu entschließen, täglich dringender wurde. In dieser Zwischenzeit trafen Briefe aus Hohenthal ein, an denen sich Jeder auf verschiedene Weise erfreute. Die Schwestern des Grafen Robert waren an Wertheim, dem das kleine Gut unter sehr billigen Bedingungen überlassen war, und an Lehndorf, der die gewünschte Anstellung erhalten hatte, verheirathet, und auch der Arzt hatte seine Verbindung auf's Glänzendste gefeiert, wobei seine Schwiegermutter alle Kunst des Backens und Kochens entfaltet hatte, um[291] die Gäste gehörig zu bewirthen, und, über die Maßen erhitzt durch die übernommene Anstrengung, bei der Bewirthung in ihrem bunten Pariser Putz eine seltsame Erscheinung gewährt hatte.

Die Freude des Arztes war aufs Höchste gesteigert worden, weil er wirklich das eiserne Kreuz vor seiner Hochzeit erhielt und es an diesem Ehrentage an einem möglichst langen Bande an der Brust tragen konnte. Mit Uebermuth hatte er auf den Prediger geblickt, indem er zwischen den Fingern das Ehrenzeichen hin und herbewegte, und ihm gesagt: Sie hätten es auch haben können, wenn Sie vernünftigem Rathe Gehör gegeben hätten und uns gefolgt wären, um sich wie wir dem Dienst des Vaterlandes zu weihen. Dieser Uebermuth des Arztes hätte beinah eine unangenehme Störung veranlaßt, indem die Antwort des Predigers, der seiner Empfindlichkeit Raum gab, nicht so gemäßigt ausfiel, als seiner geistlichen Würde, besonders an diesem Tage, angemessen war. Ueberhaupt theilte sich der große Kreis der Gesellschaft in und um Hohenthal seit diesen mannigfachen Verbindungen oft in zwei kleinere, wovon der eine sich um den Grafen Robert vereinigte, während in dem andern der Prediger und der Arzt einander, oft nicht ohne Heftigkeit, den Vorrang streitig zu machen suchten. Der Arzt gründete seine Ansprüche auf die Wissenschaft, sein Haus[292] mit dem Balkon, seinen botanischen Garten, seine Verdienste und vor Allem auf das eiserne Kreuz, und wurde dabei auf's Lebhafteste von seiner Schwiegermutter unterstützt. Der Prediger fühlte die Ueberlegenheit seines Geistes; er war so gewohnt den Arzt zu übersehen, und dieser hatte seine geistige Ueberlegenheit so lange stillschweigend anerkannt, daß nun dem Geistlichen die Anmaßung seines Freundes wie eine Rebellion erschien, die er durch alle Mittel beißenden Witzes und schneidender Verachtung zu unterdrücken strebte, indem er durchaus sich nicht darein finden konnte, daß der Arzt seit seinem Feldzuge ein anderer Mann geworden war. Nicht selten wurde die Spannung zwischen Beiden so groß, daß der Graf Robert vermittelnd dazwischen treten mußte, um die Versöhnung zu bewirken, die indeß niemals schwer zu bewerkstelligen war, weil beide Freunde zu sehr fühlten, wie sehr sie einander bedurften. Von den verschiedenen Nachrichten, die diese Briefe enthielten, erregte die, die den jungen Thorfeld betraf, Evremonts Theilnahme am Lebhaftesten, denn er hatte den jungen Mann in früheren Zeiten aufrichtig liebgewonnen, und so freute es ihn denn nun, daß auch er hoffen durfte, die Wünsche seines Herzens erfüllt zu sehen, denn er hatte die ersehnte Anstellung erhalten und es ließ sich erwarten, daß er nächstens auch seine Verbindung mit der Tochter des Predigers melden würde.[293]

Endlich ermahnte der Graf selbst Evremont an die nothwendige Reise, und die ganze Familie wurde auf's Höchste überrascht, als, nachdem der Tag der Abreise festgesetzt war, der alte Dübois erschien und den jungen Herrn Grafen um die Ehre ersuchte, ihn begleiten zu dürfen. Alle vereinigten sich den alten Mann zu bewegen einen Plan aufzugeben, den er bei seinem hohen Alter nur mit großer Beschwerde ausführen könne.

Ich kann es nicht, erwiederte der Greis, ich muß die heimathliche Luft wieder athmen; ich muß die Sehnsucht so vieler Jahre befriedigen und meine Gebeine dem geliebten Boden lassen.

Wie, rief die Gräfin erschreckt, Sie wollen uns ganz verlassen? Was haben wir Ihnen gethan, Dübois, daß Sie uns diesen Kummer erregen wollen?

O meine gütige, meine gnädige Herrschaft, erwiederte der alte Mann in Thränen, diese Frage könnte mein Herz zerreißen, denn sie scheint mich des Undanks zu beschuldigen, wenn sie nicht ein neuer Beweis Ihrer Güte wäre. Länger als zwanzig Jahre habe ich in alle Gebete, die ich an Gott richtete, die inbrünstige Bitte eingeschlossen, es möge der ewigen Weisheit gefallen, meinen rechtmäßigen Herrn und König auf Frankreichs Thron zurückzuführen. Der Herr hat mein Gebet und das Gebet von Millionen erhört.[294] Der achtzehnte Ludwig hat den Sitz seiner Väter eingenommen, und wird Segen und Glück über unser Frankreich verbreiten. Ich habe Niemanden angefeindet, der anders dachte als ich. Ich konnte mein Vaterland verlassen, während es in den Zuckungen der Revolution sich selbst bis zur Unkenntlichkeit entstellte, aber nun, da Glück und Frieden mit dem rechtmäßigen König wiederkehrt, nun zieht es mich gewaltsam zurück und ich muß französische Luft athmen, ehe ich sterbe.

Man sah bald ein, daß es unmöglich sein würde, den Greis zurückzuhalten, ohne ihn auf's Schmerzlichste zu kränken und vielleicht dadurch sein Leben zu verkürzen. Es blieb also nichts übrig, als dafür zu sorgen, ihm die Reise so bequem zu machen, als nur irgend möglich wäre, und Evremont ordnete alles Nöthige mit so zärtlicher Rücksicht an, als ob es sein greiser Vater sei, der ihn begleiten wolle. Die ganze Familie trennte sich mit Thränen von dem würdigen Alten, den am Meisten die Thränen und lauten Klagen des kleinen Adalbert bewegten, und lange, nachdem der Wagen, der die Reisenden hinwegführte, schon aus den Augen der nachblickenden Freunde verschwunden war, konnte die Gräfin sich nicht davon überzeugen, daß Dübois in der That ihr Haus habe verlassen können.

Evremont hatte mit seinem Gefährten Paris bald erreicht,[295] wo er vor allen Dingen seinen Zweck so bald als möglich zu erreichen suchte, denn die glänzende europäische Hauptstadt bot in diesem Augenblicke wenig Erfreuliches für ihn dar. Als Krieger schmerzte ihn die Erniedrigung, in der er Frankreich erblicken mußte, und das traurige Ende bewunderter Feldherren zerriß sein Herz. Die Schritte der Regierung konnte er als Bürger nicht billigen, und die Gesellschaft, die sich in heftig einander bekämpfende Parteien theilte, gewährte ihm keine Erholung. War es nun schon an Evremont zu bemerken, daß ihn der Aufenthalt in Paris nicht befriedigte, so klagte Dübois laut ohne Rückhalt darüber, wie sehr er sich in allen seinen Erwartungen getäuscht fühle. Er fand weder die begeisterte Freude des Volks darüber, daß ihm sein rechtmäßiger König wiedergegeben worden war, die er erwartet hatte, noch die Milde und Politur der Sitten, von der er überzeugt gewesen war, daß sie mit diesem Könige wiederkehren würde, noch von Seiten der Regierung ein ernsthaftes Streben, die Wünsche der Nation zu befriedigen, und die Art, wie die Religion nach Frankreich zurückkehrte, konnte den von Natur milden und edeln Geist des Greises am Wenigsten befriedigen. Die heftig streitenden Parteien, die er allenthalben traf, verletzten sein Gefühl für Schicklichkeit, und nachdem er jeden Tag mißvergnügter geworden war, überraschte er Evremont eines Abends mit der[296] Erklärung, daß er den andern Morgen nach dem südlichen Frankreich abreisen werde, um sich nach einigen entfernten Verwandten zu erkundigen, die sich dorthin zurückgezogen haben sollten. Evremont konnte ihn von diesen Nachforschungen nicht zurück halten und mußte mit Betrübniß den Greis scheiden sehen, denn er hatte gehofft ihn zu bewegen, mit ihm nach dem deutschen Ufer des Rheins zurückzukehren, und war durch das sichtliche Mißfallen seines alten Freundes an dem jetzigen Zustande der Dinge in Paris in dieser Hoffnung bestärkt worden, und nun mußte er ihn zu seinem Kummer gänzlich aus den Augen verlieren.

Um sich von diesen und andern unangenehmen Eindrücken durch Zerstreuung zu erholen, war er in eins der glänzenden Kaffeehäuser getreten, wo er eine zahlreiche Gesellschaft fand, die, wie dieß damals gewöhnlich geschah, laut die Begebenheiten des Tages beurtheilte und die Schritte der Regierung auf's Heftigste tadelte. Evremont bemerkte bald, daß er sich an einem Versammlungsorte der leidenschaftlichsten Bewunderer und Anhänger Napoleons befand, und nur der aufgeregte Zustand dieser Männer machte es erklärlich, wie ihnen entgehen konnte, was dem Unbefangenen sogleich auffiel, daß viele Mitglieder der Gesellschaft, die am Heftigsten sich zu ereifern schienen, im Grunde nur da waren, um die übrigen zu beobachten.[297]

Kaum hatte Evremont einige Augenblicke hier verweilt und von dem dienstfertigen Aufwärter eine Erfrischung gefordert, als er von mehreren Anwesenden bemerkt wurde, die ihn erkannten, und als einen Mitgenossen entschwundenen Ruhms und vorübergegangener Gefahren begrüßten. Es waren dieß verabschiedete Offiziere, die unter Napoleon mit ihm in Spanien gedient hatten. Zu ihnen gesellten sich mehrere Spanier, die damals die Partei der Franzosen ergriffen und dem König Joseph gedient hatten, und die nun nach der Rückkehr des Königs Ferdinand sich den Verfolgungen im Vaterlande entziehen und unter Frankreichs Himmel Schutz für ihr Leben suchen mußten. Die gegenseitige Wiedererkennung war von manchem Ausrufe der Ueberraschung und der Freude begleitet. Erinnerungen an mit einander bestandene Gefahren und kleine Abentheuer, wie ein solcher Krieg sie bietet, folgten diesen, und einige Spanier erinnerten ihn daran, daß sie ihn im Hause der Wittwe Don Fernandos kennen gelernt hätten, und in dem so fortgeführten Gespräch erfuhr Evremont, daß diese schöne Wittwe sich mit einer Verwandten gegenwärtig in Paris befinde und daß ihr Haus wieder, wie früher in Madrid, der Versammlungspunkt einer glänzenden Gesellschaft sei. Er ließ sich ihre Wohnung sagen und entfernte sich, so bald es sich thun ließ, aus diesem lauten Kreise, weil er bemerkte, daß er seinerseits ein Gegenstand[298] der Aufmerksamkeit der beobachtenden Mitglieder geworden war.

Ein gemischtes Gefühl von Theilnahme und Neugierde trieb ihn an, noch denselben Morgen einen Besuch bei Don Fernandos Wittwe zu machen. Er hörte, als er gemeldet wurde, einen Ausruf der Freude, und als er eintrat, kam ihm die schöne Wittwe mit allen Zeichen freudiger Ueberraschung entgegen und begrüßte ihn herzlich als einen Verwandten, worauf sie ihn ihrer Freundin vorstellte, die ebenfalls Wittwe geworden war und noch die Trauer für ihren verstorbenen Gatten trug, und als Evremont auch diese begrüßt hatte und sich nun im Saale umsah, bemerkte er den General Clairmont, der ihm herzlich die Hand drückte, und ihm zum Genusse der Freiheit und wiedergewonnenen Lebensfreude Glück wünschte. Doch was führt Sie hieher? fragte der General im Laufe des Gesprächs. Ich dächte, Paris könnte Ihnen jetzt nichts bieten, was Sie aus den Armen Ihrer Freunde, worunter wunderschöne Arme sind, über den Rhein zu uns hinüber locken könnte.

Evremont theilte ihm die Ursache seines Hierseins mit, und der General sagte: Sie haben Recht sich völlig zurückzuziehen, auch ich habe es gethan. Als unser Stern noch ein Mal aufleuchtete, hoffte ich, er würde von Neuem seine kühne Bahn durchlaufen, und schloß mich ihm mit vielen tausend[299] braven Herzen an; seit er aber bei Waterloo sich neigte und alsdann auf St. Helena sank, halt ich ihn für völlig untergegangen, und wenn selbst durch ein Wunder Napoleon noch ein Mal erschiene, würde ich mein Schicksal nicht mehr an das seinige schließen. Seine ersten Erfolge waren so glänzend, daß er die Mitwelt in Erstaunen versetzte und sie blendete, seine zweiten gränzten an's Wunderbare und rissen alle Herzen mit ihm fort, günstige Erfolge eines dritten Erscheinens aber halte ich für unmöglich, und da ich gewiß weiß, daß ich ihm nicht mehr dienen kann, so will ich auch meine Ruhe nie wieder aufgeben, ob ich gleich nicht so philosophisch durch den langen Aufenthalt bei Ihrem Vater, meinem alten Freunde Hohenthal, geworden bin, wie ich glaubte, denn ich habe die Einförmigkeit des Landlebens nicht lange ertragen können, und ich denke, ich werde meine beiden Knaben in Paris noch besser als in der Einsamkeit erziehen können.

Da Evremont durch den Grafen das Ende des alten Bertrand und seiner Gattin kannte, für die er lebhafte Theilnahme behalten hatte, weil er sich dankbar erinnerte, wie sehr sie sich bemüht hatten, selbst an Allem Mangel leidend ihm die Beschwerden des Rückzuges zu erleichtern, so äußerte er gegen den General seine Freude darüber, daß der verwaiste Knabe in ihm einen großmüthigen Beschützer gefunden hätte.[300]

Lassen wir die Großmuth beiseit, sagte der General. Sie wissen, was mir der alte Bertrand war, aber Sie wissen nicht, daß ich seine Frau früher unter andern Verhältnissen kannte.

Doch, sagte Evremont lächelnd, ich erinnere mich der schönen Dame recht wohl, die damals in Ihrer Begleitung war, als Sie siegreich in Schloß Hohenthal einzogen, wo ich in der Zeit ein demüthiger Gefangener war, und ich habe nicht ohne Erstaunen erst später erfahren, daß dieselbe Marketenderin – –

Lassen wir dieß alles, sagte der General, ihn ernsthaft unterbrechend; mir thun alle diese Erinnerungen nicht wohl. Genug, Sie sehen, daß es mir aus vielen Gründen wohlthut, Bertrands Knaben mit dem meinigen zu erziehen, und Sie können beide hier sehen, wenn Sie wollen. Die Verwandte unserer Freundin hat zwei Kinder, und da die Wittwe Don Fernandos oder die Baronin Schlebach Kinder sehr liebt, ohne selbst Mutter zu sein, so werden meine beiden Knaben oft hieher geführt als Spielgesellen der andern, und sie sind jetzt eben hier. Auf Evremonts Aeußerung, daß es ihm Freude machen würde, die Kinder zu sehen, die der General der Baronin, wie sie hier genannt wurde, mittheilte, erschienen die beiden Knaben, und Evremont wurde überrascht durch die kühnen Augen Bertrands, mit denen dessen Sohn[301] ihn anblitzte, und durch die große Aehnlichkeit des übrigen Gesichts mit dem Sohne des alten Lorenz.

Ist es nicht ein sonderbares Spiel der Natur, sagte die Baronin, sich an Evremont wendend und den Knaben unter Liebkosungen in ihre Arme schließend, wie sehr dieß Kind Don Fernando ähnlich sieht?

Evremont hätte ihr die Aehnlichkeit leicht erklären können, doch schwieg er darüber, und lobte nur die Schönheit und den klugen Blick des Knaben, und verrieth auch später dem General nicht, in welchem Zusammenhange dieß Kind mit dem Gemahle der Dame stehe, die sich für Evremonts Verwandte hielt, denn er traute diesem nicht Zurückhaltung genug zu, um ein Geheimniß, das ihm vielleicht komisch dünken würde, ernsthaft zu verschweigen.

Es ließ sich leicht bemerken, daß die Wittwe Don Fernandos ein zärtliches Andenken für ihn im Herzen bewahrte, trotz alles von ihm erduldeten Unrechts, und sie wußte es Evremont Dank, daß er Gefühle des Unwillens und der Verachtung, die sie ihm damals verrieth, als sie in Folge der kürzlich empfangenen Eindrücke noch ihr volles Leben in ihrer Seele hatten, die nun aber die Zeit abgeschwächt hatte, nicht weiter berührte – eine Schonung, die Evremont geübt haben würde, wenn ihn auch nicht die Zärtlichkeit, mit der[302] sie den ihm ähnlichen Knaben liebkosete, hätte bemerken lassen, daß ihr das Andenken des Gemahls noch theuer war.

Der Sohn des Generals schien die Sorgen des Vaters zu rechtfertigen, denn er verrieth in der That nicht so viel Geist und Feuer als sein ihm in allen Dingen überlegener Spielgeselle, und den sanften Charakter, der sich in dem Kinde aussprach, schien der Vater nicht gehörig zu würdigen.

Es waren alle Gemüther noch zu sehr durch die neuesten Umwälzungen in Frankreich aufgereizt, als daß eine Gesellschaft lange hätte beisammen sein können, ohne daß sich das Gespräch auf die Ereignisse des Tages gerichtet hätte. Der Tod des Marschalls Ney war damals das allgemeine Gespräch. Mit Thränen in den Augen sprach der General von der Hinrichtung des von ihm bewunderten Helden, und alle Aeußerungen, die Evremont hier über diese traurige Begebenheit hörte, waren weit von jeder vernünftigen Mäßigung entfernt, und er selbst sprach, durch sein Gefühl und das Beispiel hingerissen, seinen Schmerz darüber ohne Rückhalt aus. Endlich brach er auf, nachdem er der Wittwe Don Fernandos das Versprechen hatte geben müssen, das Recht eines Verwandten zu benutzen und ihr Haus während seines Aufenthaltes in Paris täglich zu besuchen. Der General Clairmont war mit ihm gegangen und forderte ihn auf diesen Tag ganz mit ihm zu verleben, und Evremont war bereit,[303] den Wunsch des alten Freundes seines Vaters zu erfüllen. Im Laufe des mannichfach wechselnden Gesprächs, das unter beiden Kriegsgefährten während des Tages Statt fand, bemerkte Evremont scherzend, der General sei so einheimisch im Hause der Baronin, daß die Hoffnung nicht ganz unbegründet erscheine, ihn noch dort als den Herrn des Hauses zu begrüßen. Nein Freund, das ist nichts, sagte der General. Trotz aller Liebe, die Don Fernandos Wittwe noch für den verstorbenen Gemahl äußert, scheint sie doch durch ihn die Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß die Bande der Ehe keine Fesseln aus Rosen sind, und ich, betrachten Sie mich, mein Haupt ist kahl geworden und die übrig gebliebenen Haare beginnen schon stark zu ergrauen. Nein Freund, für mich ist es nicht mehr Zeit an Liebe und Ehe zu denken, für mich ist die Zeit der Freundschaft den liebenswürdigen Frauen gegenüber eingetreten, und diese Meinung scheint die Baronin auch zu hegen.

Evremont mußte in der That bemerken, daß der General sehr alt geworden war, und daß die Beschwerden des Krieges diesen Zustand früher herbeigeführt hatten, als es die verlebten Jahre mit sich brachten. Und dennoch versicherte der General, daß er an dem heutigen Tage ungemein heiter und lebendig gewesen sei, weil ihn die Freude, einen so braven Kriegsgefährten und den Sohn seines alten Freundes[304] wieder zu sehen, außerordentlich aufgeregt habe. Auch ihm mußte Evremont, als sie sich endlich trennten, das Versprechen geben, mit ihm während seines Aufenthaltes in Paris so oft als möglich zusammen zu sein.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 279-305.
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