[13] Nachdem der Arzt die Wunden des Kranken untersucht hatte, die von verschiedenen Säbelhieben herzurühren schienen, bemerkte er, daß er sie an sich nicht für tödtlich hielte, daß ihm aber der Zustand des Kranken dennoch gefährlich schiene, durch die starke Verblutung sowohl, als durch seine heftige Erkältung, da er wahrscheinlich lange hülflos im Walde gelegen hätte, der rauhen Jahreszeit und der unfreundlichen Witterung Preis gegeben. In der That gab der Verwundete nur schwache Zeichen des Lebens und schlug erst nach langer Zeit die großen dunkeln Augen auf, doch[13] ohne daß er irgend etwas von den Gegenständen um sich zu bemerken schien. Der Pfarrer leistete dem Arzte alle mögliche Hülfe in der Behandlung des Kranken und verrieth eben so viel Theilnahme für den Verwundeten, als Kenntniß der Wundarzneikunst. Nachdem der Kranke versorgt war, und der Arzt die nöthigen Verhaltungsregeln gegeben, vor Allem verordnet hatte, daß man den Kranken auf keine Weise zum Sprechen reitzen müsse, eine Verordnung, die dem Pfarrer sehr unangenehm war, obgleich er ihre Nothwendigkeit einsah, kehrten Alle in das Gesellschaftszimmer zurück. Die Gräfin zeigte nichts von der trüben Stimmung, der sie sich überlassen hatte, als sie mit Emilie allein war, und fragte mit Theilnahme nach dem Verwundeten.
Der Graf unterrichtete sie von seiner gefährlichen Lage und sagte, es wäre wohl gut, wenn Dübois die Sorge für ihn übernehmen wollte; es würde dem alten Manne zwar beschwerlich sein, indeß bei seiner Gutmüthigkeit und Theilnahme für alle Unglücklichen, glaube ich, würde er es gern thun, besonders da der Verwundete sein Landsmann ist, der wahrscheinlich keine andere, als die französische Sprache zu reden versteht und sich folglich keinem von der Dienerschaft verständlich machen kann. Die Gräfin zog die Klingel, und der Pfarrer sagte vorschnell: So sollten der Herr Graf ihm befehlen, die Nacht bei dem Kranken zu wachen. Ich[14] befehle nicht gern einem alten Manne, sagte der Graf höflich, doch ein wenig verdrüßlich, der mehr aus Anhänglichkeit an uns in meinem Hause lebt, als aus einem andern Grunde, und den ich niemals wie einen Bedienten betrachte. Man konnte überhaupt bemerken, daß sowohl der Graf, als die Gräfin ein uneingeschränktes Vertrauen zu dem alten Dübois hatten, der die Verrichtungen eines Kammerdieners und eines Haushofmeisters, wie es schien, freiwillig übernahm, denn wenigstens der Graf richtete nie einen Befehl an ihn, sondern drückte seinen Willen als Wunsch aus und ließ ihn so gewöhnlich durch die Gräfin an den alten Mann gelangen, der auch bei aller Ehrerbietung, die er gegen den Grafen zeigte, doch eigentlich nur die Gräfin als seine Herrschaft betrachtete. Dem Bedienten, der auf den Ruf der Klingel eingetreten war, sagte die Gräfin, er solle Herren Dübois bitten, einen Augenblick zu ihr zu kommen.
Der Pfarrer, ein Mann ohne feine Erziehung, der in seiner Umgebung sich zu beherrschen nicht gelernt hatte, ließ durch seine Mienen, die eine schlaue Verwunderung ausdrückten, und durch das halbe Lächeln, mit dem er den Arzt ansah, deutlich merken, wie sehr ihn diese Art, mit seiner Dienerschaft umzugehen, befremdete.
Nach wenigen Augenblicken trat der alte Haushofmeister mit einer höflichen Verbeugung ein und hielt sich ehrerbietig[15] nah an der Thüre. Es war unmöglich, beim ersten Blicke, den man auf ihn richtete, dem alten Manne Wohlwollen und Zutrauen zu versagen. Seine hohe Stirn zeugte von einer so einfachen Redlichkeit des Gemüths, die grauen Augenbraunen beschatteten so gutmüthige Augen, die wenigen grauen, sorgfältig gepuderten Haare erweckten Theilnahme für sein Alter, und eine Trauer in seinem Gesichte, die niemals verwischt wurde, obgleich er bei jeder Rede ein wenig lächelte, verrieth mehr Tiefe des Gemüths, als man bei gewöhnlichen Dienern findet. Es war bekannt, daß er die französische Revolution mit allen ihren Folgen verabscheute, und er dehnte diesen Abscheu auf Alles, sogar auf die jetzige Kleidertracht aus, die, wie er meinte, auch eine Folge der Revolution sei. Er also war der alten guten Zeit getreu geblieben, wie in seinem Innern, so auch in seinem Aeußern, und ihn schmückte noch ein brauner Rock mit seidenem Futter und goldgesponnenen Knöpfen, wie es sich für einen Haushofmeister aus dieser guten Zeit ziemte. Seine Haare waren frisirt und gepudert und hinten in einem zierlichen Haarbeutel vereinigt, er steckte, wenn er vor seine Herrschaft trat, drei Finger seiner rechten Hand in die mit Seide und ein wenig Gold gestickte, atlaßne Weste, indeß er den Hut unter dem linken Arme hielt, auch erlaubte er sich nie anders, als in seidnen Strümpfen, vor der Gräfin zu[16] erscheinen. So belehrte er die Bedienten des Hauses, mit solcher Ehrerbietung behandelte man ehedem seine Herrschaft und zeigte dadurch öffentlich der Welt, daß man Leuten von hoher Geburt diente, die durch ihre edeln Eigenschaften unsere tiefste Verehrung verdienten. Aber jetzt, seufzte er dann oft, jetzt ist freilich Alles anders, seit der unglücklichen Revolution kümmert sich kein Diener mehr darum, von welcher Geburt seine Herrschaft ist, auch sind ihm ihre Eigenschaften gleichgültig, Geld und Lohn wird jetzt allein berücksichtigt. Wahrhaft gekränkt konnte der alte Mann sein, wenn auf solche Rede ein leichtsinniger Bedienter antwortete: Natürlich, was geht mich die Herrschaft an, Wer am Besten bezahlt, dem diene ich am Liebsten, und mich kümmert es wenig, was er ist oder wie er ist. Wenn er solche Antworten auf seine wohlgemeinten Reden erhielt, dann zog er sich gewöhnlich auf sein Zimmer zurück und las Anekdoten aus der guten alten Zeit, von treuen Dienern und edeln Herren, und Niemand würdigte so sehr, als er, den bekannten Haushofmeister des großen Condé, der sich in Verzweiflung selbst entleibte, weil er glaubte, er würde den König nicht so bewirthen können, wie es die Ehre seines Herren erforderte.
Diesem Dübois näherte sich nun die Gräfin und fragte, indem sie ihn mit ihrem gewöhnlichen durchdringenden Blick ansah, mit etwas leiser Stimme: Haben Sie den verwundeten[17] Officier schon gesehen? Ja, gnädige Gräfin, erwiederte der alte Mann, indem er sich verbeugte, ich habe ihn gesehen. Er richtete einen schnellen traurigen Blick auf die Gräfin, indem er diese wenigen Worte sagte, der Niemand sonst auffiel, der aber die Gräfin so bewegte, daß sie mit wankender Stimme sagte: Der Graf wünscht, lieber Dübois, Sie möchten die Sorge für den Kranken übernehmen, wenn es Ihre Kräfte und Ihre Gesundheit erlauben, das heißt, fügte sie erklärend hinzu, Sie möchten die Oberaufsicht führen, damit ihm nichts mangle, und da er wahrscheinlich nur französisch reden wird, und folglich Niemand von der Dienerschaft ihn verstehen kann, seine Wünsche von ihm erfahren und dann den Bedienten die nöthigen Befehle geben. Ich habe den gnädigen Herren Grafen schon um die Erlaubniß bitten wollen, antwortete der alte gutmüthige Mann, für die Pflege des Kranken zu sorgen; denn, sezte er mit einem Seufzer hinzu, wenn ich auch sonst keine Theilnahme für ihn hätte, so ist er doch ein Franzose, zwar ein Franzose aus der jetzigen Zeit, aber doch immer ein Sohn meines Vaterlandes, und das ist für mich hinreichend, um für ihn wie für einen eigenen Sohn zu sorgen. Ich wußte, daß Sie so denken, sagte der Graf, indem er ihm freundlich auf die Schulter klopfte, und Sie erzeigen mir eine wahre Gefälligkeit dadurch, daß Sie die Pflege des jungen[18] Mannes übernehmen, denn nun kann ich völlig sicher sein, daß nichts versäumt wird, und in seiner gefährlichen Lage alle Vorschriften des Arztes genau befolgt werden. Dieser war nun auch hinzugetreten, und da er vernommen hatte, daß Dübois die Krankenpflege übernehmen wollte, so behandelte er ihn von diesem Augenblicke an halb als einen Amtsgenossen, halb als einen Untergebenen; er gab ihm ohne Umstände eine Menge Aufträge, was er alles für den Kranken thun sollte, und fügte bei jedem Auftrage die Ursache hinzu, warum Dieses und Jenes geschehen müsse. Dübois hörte Alles geduldig an und blieb in seiner höflichen Fassung, doch als der Arzt endlich im Eifer der Rede einen Knopf der atlaßenen Weste faßte, und indem er heftig daran zog, ihm einschärfte, alles Sprechen des Kranken zu verhindern, wurde der alte Mann ungeduldig, entzog sich mit einer geschickten Bewegung den Händen des Arztes und verließ mit einer Verbeugung das Zimmer, indem er sich kaum enthalten konnte zu bemerken, daß ehedem, vor der Revolution, auch die Aerzte besser erzogen gewesen wären, und nur die eigene gute Lebensart ihm die Kraft gab, diese unfeine Bemerkung zu unterdrücken.
Der Graf wendete sich nun an den Prediger mit der Bitte, die Nacht auf dem Schlosse zu bleiben, um ihm am andern Morgen beizustehn, den nöthigen Bericht an die[19] Regierung über den Verwundeten aufzusetzen; mein Beamter, sagte er, ist in diesem Augenblicke abwesend, und ich, fügte er lächelnd hinzu, bin erst seit so kurzer Zeit hier, daß ich völlig fremd in den Geschäften bin. Der Prediger war sehr gern bereit, allen Beistand zu leisten, und nachdem auch seine Sache abgemacht war, und man den Befehl ertheilt hatte, den Schulzen und die Bauern auf's Beste zu bewirthen, begab sich die Gesellschaft nach dem Speisezimmer, um sich nach den Beschwerden des Tages bei einer wohl zubereiteten Abendmahlzeit zu erholen.
Da wir nun ein wenig zur Ruhe gekommen sind, sagte die Gräfin, so bitte ich Sie, uns doch mitzutheilen, wo Sie den Verwundeten in so kläglichem Zustande gefunden haben.
Sie wissen, erwiederte der Graf, daß unser guter Nachbar, der Baron Löbau, nicht mit mir über die Grenzen unserer Besitzungen einig ist, und daß ich, da mir der Zustand der Ungewißheit im Großen, wie im Kleinen zuwider ist, und ich Streitigkeiten verabscheue, mich entschloß, trotz der ungünstigen Witterung, mit ihm nach der Gegend hinzureiten, um wo möglich an Ort und Stelle Alles auszugleichen. Wir machten den Ritt mit einander, und auf einer kleinen, von waldbewachsenen Hügeln umgebenen Fläche, mitten im streitigen Grenzlande, fanden wir den unglücklichen jungen Mann; wir entdeckten, da wir untersuchten, noch[20] Spuren des Lebens, ich hüllte ihn in meinen Mantel und ritt nach dem nächsten Dorfe, um Hülfe herbei zu rufen; der Herr Prediger war so gut mich zu begleiten, wir boten den Schulzen und die Bauern auf, und eilten, so schnell es sich thun ließ, nach dem Walde zurück. Der gute Baron war indeß bei dem Verwundeten geblieben, er hatte ihn mit Hülfe des Bedienten auf eine trockene Stelle gebracht und suchte ihn gegen den Regen so viel als möglich zu schützen. Der Kranke hatte die Augen einigemale aufgeschlagen, und ein dumpfes Stöhnen zeigte, daß er noch lebte; der Herr Pfarrer verband in der Eile seine Wunden, wir legten ihn auf Kissen und hüllten ihn in Decken, und ich nahm meinen Mantel zurück. Als der Verwundete auf der Bahre lag, trat der Baron davor, und indem er feierlich um sich blickte, fragte er, wohin nun mit ihm? Es käme dem zu, für ihn zu sorgen und der Regierung darüber zu berichten, auf dessen Grund und Boden er gefunden worden, allein wessen ist der Grund und Boden? Ich bemerkte, da meine Wohnung näher liege, als das Schloß des Barons, so wollte ich mich der Pflege des Verwundeten annehmen. Sehr wohl, erwiederte der Baron, aber ohne daß dadurch ein Recht auf diesen Grund und Boden entsteht; wenn Sie es bloß als eine Handlung der Menschlichkeit und nicht als eine Posseß-Ergreifung betrachten wollen, so bin ich zufrieden,[21] daß Sie ihn fortbringen lassen. Ich gab feierlich mein Wort, auf die Handlung kein Recht zu begründen; der Herr Pfarrer war Zeuge unseres Vertrags, und danach sezte sich der Zug in Bewegung. Wir hielten im Dorfe an, der Herr Pfarrer suchte dem Kranken einige stärkende Mittel einzuflößen, wir versahen uns mit Lichtern, und so erreichten wir endlich nach manchen ängstlichen Augenblicken das Schloß.
Und hier, rief der Arzt mit Hastigkeit, wird nun der junge Mann unter meinen Händen entweder genesen oder sterben.
Eines von beiden, erwiederte der Graf, wird wahrscheinlich eintreten, doch hoffe ich von seiner Jugend und Ihrer Geschicklichkeit das Beste.
Es steht schlimm um ihn, bedenklich schlimm, sagte der Arzt, indem er die Augen fest zudrückte und den Kopf auf die linke Schulter senkte. Aber warum, fuhr er nach einem kurzen Schweigen den Pfarrer an, warum haben Sie ihn nicht lieber in ihrem Hause behalten? Der lange, beschwerliche Weg über das Gebirge hat die Kräfte des armen Kranken noch vollends erschöpft und gewiß seinen Zustand sehr verschlimmert.
Ich dachte, sagte der Pfarrer mit einiger Verlegenheit, da Sie hier im Hause sind, und ärztliche Hülfe das Wichtigste für den jungen Mann ist, daß es am Besten sei, wenn er unter Ihren Augen wäre.[22]
Nichts, nichts! rief der Arzt, Sie selbst verstehen recht viel von der Kunst, Sie hätten ihn gut pflegen können, Sie hätten die Einsichten gehabt, alle nöthigen Mittel richtig anwenden zu können, es wäre dem Kranken nichts bei Ihnen abgegangen.
Aber, sagte der Pfarrer verdrüßlich, Sie hätten nicht so oft nach ihm sehen können, und das ist doch das Wichtigste.
Ich hätte mir, rief der Arzt, mein Pferdchen satteln lassen, schnell wäre ich des Morgens bei Ihnen gewesen; was mach ich mir aus Beschwerde! Und hätte ich hier keinen Kranken gehabt, und das Wetter wäre zu schlecht gewesen, so wäre ich die Nacht bei Ihnen geblieben, das hätte sich Alles machen lassen, und Sie haben immer unrecht daran gethan, den armen Menschen so weit, auf so schlechten Wegen, bei solchem Wetter und in einem so elenden Zustande fortschleppen zu lassen.
Der Arzt ahnte nicht, wie sehr er den Pfarrer quälte, denn er wußte nicht, daß dieser zwar höchst dienstfertig war und alle Hülfe leistete, so lange bloß seine Thätigkeit in Anspruch genommen wurde, daß er sich aber augenblicklich zurück zog, wo seine Hülfsleistungen ihm Kosten verursachten oder Verantwortlichkeit zuziehen konnten. Als man deßhalb vor seinem Hause mit dem Verwundeten anhielt,[23] kämpfte er in der That mit sich, ob er ihn nicht aufnehmen sollte, denn er sah das Gefährliche seines Zustandes wohl ein, indeß die Furcht vor Kosten und Verantwortlichkeit trug den Sieg über seine Menschenliebe davon, und er folgte dem Zuge mit banger Sorge, denn ihn quälte die Furcht, der Kranke möchte unterwegs sterben, und es war ihm eben so peinlich, daran zu denken, was auf den Fall alle seine Pfarrkinder von ihm sagen möchten, als wie sehr ihn sein eigenes Gewissen beunruhigen würde. Der Graf suchte den Pfarrer von den Vorwürfen des Arztes zu erlösen, indem er erklärte, er, als der Grundherr, würde es nicht wohl haben zugeben können, daß der Verwundete, der ein feindlicher Offizier scheine, sich anderswo, als unter seinen Augen aufhielte, so lange, bis eine Bestimmung über ihn von der Regierung einträfe. Der Arzt schwieg zwar einen Augenblick, wendete sich aber gleich wieder zum Pfarrer und rief: Ich hätte mir den Kranken nicht entgehen lassen, Sie haben immer unrecht gethan!
Nach aufgehobener Tafel zogen sich die Frauen in ihre Zimmer zurück, und der Graf, begleitet vom Arzt und Prediger, besuchte noch einmal den Kranken; sie fanden ihn schlafend, und Dübois berichtete, er sei in so weit zu sich gekommen, daß man ihm einige Arzneien und auch einige Nahrungsmittel habe einflößen können, darauf sei er eingeschlafen.[24] Gut, sehr gut, rief der Arzt, nun gewacht, darauf geachtet, wenn er aufwacht, dann gleich zu mir gekommen und mich gerufen, damit wir sehen, was alsdann zu thun ist; nur den Schlaf des Kranken nicht gestört, der Schlaf stärkt und beruhigt alle Nerven. Der Arzt hatte die Gewohnheit, alle seine Verordnungen entweder in so abgerissenen Sätzen zu geben, oder sehr weitläuftig auseinander zu setzen, weßhalb dieses oder jenes geschehen solle, und die beabsichtigte Wirkung genau zu zu beschreiben, in der Regel wendete er aber die lezte Art, seine Verordnungen mitzutheilen, nur bei Gebildeten an, von denen er voraussetzte, daß sie ihn verstehen könnten.
Der Graf sagte freundlich zu dem alten Haushofmeister: Sie werden doch, lieber Dübois, nicht die Nacht aufbleiben wollen? Es würde Sie bei Ihrem Alter zu sehr angreifen?
Der gnädige Herr Graf bemerken, sagte der alte Mann, daß ich es mir schon in dieser Absicht bequem gemacht habe. (Er hatte einen weiten braunen Oberrock angezogen.) Es wird mir nichts schaden, einige Nächte aufzubleiben, und ich habe denn doch, wenn Gott den Kranken zu sich nehmen sollte, ein ruhiges Gewissen. Er sah in diesem Augenblicke auf das bleiche Gesicht des Verwundeten und konnte seine Thränen nicht zurückhalten, ob er es gleich nicht schicklich fand, in Gegenwart des Grafen zu weinen. Dieser drückte[25] ihm gerührt die Hand und sagte: Sie sorgen stets so treu für Andere und so wenig für Sich selbst, denken Sie daran, wie sehr es die Gräfin und mich schmerzen würde, Sie zu verlieren, und schonen Sie sich.
Der alte Mann hielt einen Augenblick die Hand des Grafen, und sah ihm mit Dankbarkeit und Entzücken in die Augen. Er kam sich in diesem Augenblicke vor wie der Diener eines hohen Fürsten aus der guten alten Zeit vor der französischen Revolution, dessen Treue und Ergebenheit öffentlich von seinem Herren vor den Edeln des Reichs anerkannt wird. Der Graf drückte noch einmal seine Hand und sagte mit großer Güte: Gute Nacht dann, lieber Dübois; schlafen Sie wohl, meine Herren, sagte er drauf mit einer Verbeugung zum Arzt und Pfarrer, und verließ das Zimmer. Dübois schwieg, aber seine Liebe für den Grafen und die Gräfin wuchs diesen Abend zu einem so hohen Grade, daß keine Opfer, welche sie auch von ihm hätten fordern können, ihm zu groß gedünkt hätten.
Der Arzt bemerkte, daß es noch nicht spät sei, und lud den Pfarrer ein, da nun die Geschäfte des Tages vollbracht wären, noch ein Stündchen ihm auf seinem Zimmer bei einer Pfeife Tabak Gesellschaft zu leisten. Diese Einladung wurde vom Pfarrer um so bereitwilliger angenommen, je mehr er sich längst darnach gesehnt hatte, seine gewohnte Abendpfeife[26] in behaglicher Ruhe bei einer zwanglosen Unterhaltung zu rauchen.
Ausgewählte Ausgaben von
Evremont
|
Buchempfehlung
»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818
88 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro