XIV

[254] Es war ziemlich spät geworden, als der Graf endlich die Wohnung des Obristen erreichte. Man war dort schon über sein langes Ausbleiben ängstlich geworden, und Alle[254] begrüßten ihn mit Herzlichkeit, da er in ihrer Mitte erschien. Der Graf theilte die Ursache seiner verzögerten Ankunft mit, und die Gräfin war froh, daß ein glücklicher Zufall sie begünstigt hatte, und sie, ohne daß es auffallend erschienen, die Gesellschaft des General Clairmont hatte vermeiden können. Der Obrist fragte ängstlich, ob der General nichts über den zu erwartenden Frieden geäußert habe, und als der Graf ihm nun alles mitgetheilt hatte, was ihm selbst bekannt war, rief der alte Krieger mit gefalteten Händen und den Blick gen Himmel gerichtet: Gott sei gedankt, daß doch wenigstens ein Kern des Vaterlandes bleibt, aus dem sich eine neue Kraft entwickeln kann; in unserm unsäglichen Elende müssen wir den Himmel für diese Gnade preisen. Uns bleibt doch auch unser König, kein Franzose wird uns beherrschen. Ach! fuhr er mit Rührung fort, wenn es möglich ist, daß die Verstorbenen von uns wissen, so muß es den großen Friedrich mitten in seiner Seligkeit schmerzen, zu sehen, wie das Werk seines Heldenmuthes und seiner Staatskunst untergeht, und durch wen? Durch dieselben Franzosen, die er bewunderte und bei allen Gelegenheiten seinen deutschen Unterthanen vorzog.

Der Graf bemerkte, daß er nur das Allgemeinste über den bevorstehenden Frieden wisse, daß er aber gewiß mit Opfern aller Art werde erkauft werden müssen, und daß zu befürchten sei, daß, wenn die eigne Kraft zu sehr geschwächt[255] würde, dann auch von Rußland für die Zukunft nichts zu hoffen sei. Dieß Unglück, rief der Obrist, mag ich gar nicht denken, ich betrachte jeden Frieden mit Frankreich nur wie einen Waffenstillstand, um neue Kräfte zu sammeln, und der Kampf wird sich immer wieder erneuern, bis endlich der gemeinsame Feind erliegt.

Da der Graf bemerkte, wie peinlich für St. Julien die Unterhaltung wurde, so suchte er die Aufmerksamkeit auf einen andern Gegenstand zu lenken und fragte den Obristen, ob er sich nicht freuen würde, vielleicht nach dem Frieden den jungen Grafen Hohenthal wieder zu sehen, da er gehört habe, er sei früher mit ihm bekannt gewesen? Dem Obristen fiel bei dieser Frage alles das Nachtheilige ein, was der junge Graf so oft über seinen Oheim und dessen Gemahlin geäußert hatte, und er antwortete daher mit Befangenheit, wohl würde es ihn freuen, mit dem jungen Manne wieder zusammen zu treffen, der so oft die trüben Tage seiner Einsamkeit erheitert habe. Der Graf fragte über den Charakter seines jungen Vetters, und obwohl der Obrist nur lobend sich über ihn äußerte, so geschah dieß doch mit so vieler Zurückhaltung, daß der Graf mißtrauisch wurde und glaubte, der Obrist wollte nur aus Schonung für ihn nichts Nachtheiliges über seinen Verwandten sagen.

Theresens Wangen glühten, sie konnte die Zurückhaltung[256] ihres Vaters nicht begreifen; sie schien ihr gar nicht mit der Wahrheit seines Charakters vereinbar zu sein; sie wußte, wie er über den jungen Grafen dachte, und nun war sein Lob so kalt, so gemessen, daß es beinah wie Tadel klang. Ach, hätte sie das Bild des jungen Mannes entwerfen dürfen, wie es in ihrer Seele lebte, der Graf würde dann nicht ein so gleichgültiger Zuhörer gewesen sein. Wie oft in den Stunden der bittersten Noth hatte ihre Phantasie ihn vorgespiegelt, wie auf einmal der junge Held erscheinen, und durch ihn alles unsägliche Elend in Glück und Freude verwandelt werden würde, und nun, da sie ihn mit solcher Kälte mußte loben hören, schien es ihr, als ob die zärtlichen, sinnigen Augen ihres Freundes zu ihr hinüber blickten und von ihr Gerechtigkeit forderten.

Die Gesellschaft trennte sich spät und kehrte in einer schönen, warmen, mondhellen Nacht nach Schloß Hohenthal zurück. Hier erfuhr der Graf, daß der Prediger dagewesen sei und ihn dringend zu sprechen gewünscht habe; auch berichtete Dübois, daß der geistliche Herr versprochen habe, des andern Tages in der Frühe wieder zu erscheinen. In der That war die Gesellschaft am andern Morgen auch kaum versammelt, als der Pfarrer eintrat, und nach den ersten kurzen Begrüßungen den Grafen bei Seite nahm und hastig ihn um die Nachrichten fragte, die General Clairmont mitgebracht[257] habe, dessen kurzer Besuch auf dem Schloß dem Pfarrer schon bekannt war. Der Graf mußte das schon öfter Mitgetheilte wiederholen, und weder der Prediger noch der Arzt, der auch hinzugetreten war, konnten viel Tröstliches in diesen Nachrichten finden. Der Krieg, sagte der Prediger endlich, hat uns viel Unglück gebracht, und von dem Frieden, scheint es, dürfen wir wenig Gutes hoffen; indeß wird doch wenigstens dann wieder ein geregelter Gang der Geschäfte eintreten; die Menschen werden sich doch regen und wieder erwerben können, und das ist bei der jetzigen allgemeinen Noth immer schon ein großer Trost. Ich werde dann auch wieder für Manche etwas thun können, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, und auch unserem Schulzen hier kann ich dann doch vielleicht zu seiner Erbschaft verhelfen, wenn alle Behörden erst wieder in Thätigkeit sind. Recht! rief der Arzt, nicht die Sache der Menschheit aufgegeben, durch keine Noth, durch kein Drangsal darf ein edler Geist dahin gebracht werden, auch ich will meine Studien fortsetzen, und wenn der Friede eintritt, werden mir doch wenigstens die Mittel dazu nicht mehr fehlen; der Verkehr der Geister wird wieder frei.

Der Graf bewunderte schweigend, welche Armseligkeiten die meisten Menschen zu trösten und zu beruhigen vermögen,[258] und durch welche unbedeutenden Gegenstände ihr inneres Auge von den großen Ereignissen der Zeit abgelenkt wird.

Der vielbesprochene Friede wurde endlich bekannt, und jeder Preuße konnte nicht anders als mit heißem Schmerz die tiefe Herabwürdigung des Vaterlandes betrachten, die in diesem Frieden lag. Er war so drückend, daß es beinah wie Spott klang, diese Uebereinkunft Friede zu nennen. Beinah unerschwingbare Summen mußten bezahlt werden, die Hauptfestungen blieben in Französischen Händen, eine Besatzung im Lande, und das Preußische Heer mußte bis zur Unbedeutenheit vermindert werden.

Ueber die gefurchten Wangen des Obristen Thalheim flossen heiße Thränen, als er die Bedingungen dieses Friedens las. Es ist vorbei, rief er dem Grafen zu, Preußen ist verloren, die Bedingungen können nicht erfüllt werden, dann haben die Franzosen einen Vorwand und bleiben unsere Herren, und wenn durch ein Wunder Alles sollte erfüllt werden können, so bleibt es immer der Großmuth der Feinde überlassen, ob sie gehen wollen, denn wir behalten keine Armeen, sie zu vertreiben.

Obgleich der Graf selbst niedergeschlagen war, suchte er doch seinen alten Freund aufzurichten, indem er ihn darauf aufmerksam machte, daß gerade aus dieser Verzweiflung sich eine Kraft entwickeln könne, die Niemand noch ahnete. Die[259] nächste Sorge, schloß er, wird sein müssen, die Summen herbei zu schaffen, die den raubgierigen Feinden zu zahlen sind, und dieß, mein theurer Freund, fürchte ich, wird noch vieles Unglück herbeiführen, denn durch diese Anstrengung werden unzählige Familien verarmen, und doch sind sie durchaus nothwendig, damit die Feinde aus Berlin weichen und der König wieder in der Mitte seiner Unterthanen sein kann.

Ach mein armer König! rief der Obrist, wie muß sein edles Herz bluten, wenn er all das Elend betrachtet, das auf seinen Kinder ruht, denn er liebt sein Volk; er hat das Herz eines Vaters für unsere Leiden, und mit welchen Schmerzen fühlt gewiß die Königin die allgemeine Noth.

Wir müssen, sagte der Graf, das edle Beispiel nachahmen, das unser Königshaus uns giebt. Der König hat seinen Haushalt auf's Aeußerste beschränkt, um die allgemeine Last so viel als möglich zu erleichtern. Wenn wir Alle uns auf das Nothwendigste beschränken und alles Ueberflüssige zum Besten des Staats verwenden, so läßt sich hoffen, daß vielleicht den drückenden Verpflichtungen genug gethan werden kann.

Der Obrist betrachtete den Grafen mit einem traurigen Blick, faßte dann seine Hände und sagte mit bebender Stimme: Der König kann nichts mehr für den Einzelnen thun, es wäre Wahnsinn, es noch zu hoffen; also, theurer[260] Graf, werden Sie niemals den kleinsten Theil aller für mich gemachten Auslagen zurückerhalten.

Sind wir denn noch so kalte Freunde, sagte der Graf in dem Tone sanften Vorwurfs, daß Sie an diese Armseligkeit denken und sich darüber Sorge machen? Lassen Sie uns jetzt den Kummer über unser Vaterland theilen, aber auch die Hoffnung für die Zukunft nicht ganz aufgeben.

Die Freunde trennten sich, und obwohl der Obrist tief über sein Vaterland trauerte, so segnete er doch sein Geschick, das ihm einen Freund zugeführt hatte, der ihn mit starker Hand von dem Abgrunde zurückgezogen hatte, in welchen er beinahe versunken wäre, und dessen Liebe nun sein Alter mild schirmte. Unwillkührlich wurden seine Gedanken Worte, und er rief, indem er die Hand der Tochter drückte: Ja, er handelt gegen mich wie ein liebender Sohn! Die Tochter verstand sein Gefühl und drückte einen Kuß auf die väterliche Hand.

Wenige Tage, nachdem der Friede allgemein bekannt geworden war, erschien der Baron Löbau auf Schloß Hohenthal, um den Grafen, seinen Nachbar, wie er sagte, freundschaftlich zu besuchen. Man bemerkte aber bald, daß mit diesem Besuche noch eine Absicht verbunden sei, und daß er das Gespräch mannigfach wendete, um mit diplomatischer Feinheit seinem Zwecke näher zu rücken; endlich äußerte er, da[261] doch nun der Friede dem Lande wiedergeschenkt sei, so schiene es ihm passend, eine anständige Freude darüber zu bezeigen.

Und aus welchem Grunde, fragte der Graf, kann uns dieser Friede erfreulich scheinen?

Einmal, sagte der Baron mit Verlegenheit, ist doch das Blutvergießen geendigt, und dann, theurer Graf, bester Nachbar, die Klugheit fordert es, daß wir uns erfreut darüber zeigen, daß wir unsern König behalten. Welcher preußische Unterthan, entgegnete der Graf, hat hierüber wohl ein anderes Gefühl, und welcher Mann von Ehre wird ein anderes bei uns voraussetzen?

Ganz gut, sagte der Baron mit wichtiger Miene, aber leider trifft man nicht auf lauter Männer von Ehre. Ich muß es sagen, ob es mich gleich schmerzt, man hat nur zu viel darüber gesprochen, daß Sie, mein bester Nachbar, ein heimlicher Anhänger der Franzosen wären, des guten Herren St. Julien wegen, der bei Ihnen im Hause lebt. Mir ist der Zusammenhang dieser Sache zu genau bekannt, ich habe also allenthalben widersprochen, überall Ihre Partei genommen, aber was ist die Folge davon gewesen? Nichts anderes, als daß man mich für Ihren Mitschuldigen erklärt. Wir müssen also durchaus etwas thun, die Gemüther zu versöhnen, wenn uns diese Ansicht nicht höchst nachtheilig sein[262] soll; kurz, wir müssen ein Friedensfest veranstalten, zuerst mag dieß bei Ihnen geschehen, dann bei mir.

Ich bin gern bereit, sagte der Graf mit Heftigkeit, alle meine Nachbaren und Freunde bei mir zu sehen, aber unmöglich kann ich sie unter dem Vorwande versammeln, als wolle ich mich mit ihnen über einen Frieden erfreuen, der mein Herz mit dem tiefsten Kummer erfüllt.

Thun Sie es unter welchem Vorwande Sie wollen, sagte der Prediger, der zu der Gesellschaft hinzugekommen war, aber ich glaube selbst, daß es gut ist, wenn Sie sich Ihren Nachbarn mehr nähern, denn ich kann nicht läugnen, daß die nachtheiligen Gerüchte, welche der Herr Baron erwähnte, wirklich bestehen, und es ist das letzte Mittel, um zu zeigen, daß man nichts Verdächtiges in seinem Hause hegt, wenn man es einer großen Gesellschaft öffnet.

Wenn es denn sein muß, sagte der Graf empfindlich, daß ich, um mich von Verdacht zu reinigen, meine Nachbarn bewirthe, so mag ein solches Reinigungsfest in des Himmels Namen stattfinden, ich will mich nicht weigern; aber als Freudenfest wegen dieses Friedens will ich es nicht betrachtet wissen.

Bedienen Sie sich eines andern Vorwandes, sagte der Prediger, man wird Ihnen auf jeden Fall dankbar sein, wenn Sie anfangen, die Gesellschaft wieder zu vereinigen,[263] wodurch den Menschen ein Uebergangspunkt von der langen drückenden Traurigkeit während des Krieges zu neuer Heiterkeit gegeben wird.

In einigen Tagen, sagte der Graf, fällt der Geburtstag der Gräfin ein; ich werde also an diesem Tage ein Fest veranstalten, so gut es auf Hohenthal gehen will.

Schön, sagte der Baron; dabei kann auf jeden Fall unter Trompetenschall die Gesundheit des Königs getrunken werden, der Lärm, das Jubeln dabei muß so laut als möglich getrieben werden, um eine bedeutende Wirkung hervorzubringen. Bei mir bleibt es ein Friedensfest, ich beabsichtige damit Mancherlei, worüber ich mich jetzt noch nicht erklären kann. Mit schlauem Lächeln entfernte sich der Baron, nachdem er seine Absicht erreicht hatte. Der Graf hatte nur ungern nachgegeben, ihm schien es nicht anständig, eine laute Freude zu bezeigen bei so viel Ursache zum Kummer; auch glaubte er, selbst die Summe, die für ein solches Fest aufgewendet werden müßte, könne im gegenwärtigen Augenblick besser benutzt werden; indeß, da nun einmal das Versprechen gegeben war, so wurden Einladungen weit und breit versandt. Die Gräfin und Emilie ordneten mit Dübois an, wie die Genüsse dieses Festes aufeinander folgen sollten, und der alte Haushofmeister sorgte viel zu eifrig für die Ehre[264] des Hauses, als daß nicht durch ihn die Wirthschafterin und die Köche gehörig in Thätigkeit gesetzt worden wären.

Während der Beschäftigungen des Schlachtens, Backens und aller anderen Vorbereitungen, die ein großes Fest auf dem Lande erfordert, konnte es der Graf nicht lassen, seinem Mißmuthe dadurch Luft zu machen, daß er zuweilen mit St. Julien darüber scherzte, wie mühselig diese Anstalten zur Freude wären, bei denen doch am Ende Alles auf Essen und Trinken hinaus liefe. Der junge Mann gab ihm Recht, und die Gräfin bemerkte: Es giebt überhaupt sehr wenige Festlichkeiten, bei denen der Genuß im Verhältniß zu der Mühe stände, die die Anstalten dazu verursachen.

Die Aufmerksamkeit wurde auf einen andern Gegenstand gelenkt, als der Prediger kam und dem Grafen einen Brief brachte. Ich kann es mir nicht erklären, sagte der Geistliche, ich habe hier noch einen Brief, der ist von dem alten Lorenz, worin er mich ersucht, ihm seine Pension, die Sie ihm auszahlen, zu übermachen; er fügt zu diesem Zwecke auch die Quittung bei, und mit demselben Boten kommt der Brief an Sie, und dieser Bote ist ein Bauer von dem Gute Ihres Herren Vetters, der mir versichert, der alte Lorenz sei dort auf dem Schloß; auch ist der Brief an Sie mit dem Hohenthalschen Wappen gesiegelt.

Der Graf öffnete dieß Schreiben, und es fand sich, daß[265] es von seinem Vetter, dem jungen Grafen, war, der ihm meldete, daß er schon lange das Verlangen gehegt habe, ihm, als seinem Verwandten, seine Hochachtung zu bezeigen, und da nun durch die große Reduktion der Armee er für jetzt verabschiedet sei, so glaube er, die Muße, die ihm dadurch geworden, nicht besser benutzen zu können, als wenn er diesen lang genährten Wunsch befriedige, und so kündigte er sich hiemit für einen der nächsten Tage auf Hohenthal an.

Der Brief war mit so großer Zurückhaltung und trockner Kälte geschrieben, daß er keine gute Meinung für den Verfasser bei dem Grafen erregte, denn er dachte: Ist es für ihn ein so lästiger Zwang, mich zu besuchen, so hätte er es ja unterlassen können, da ihn Niemand dazu aufgefordert hat; macht er aber die Reise trotz seines Widerwillens, so muß eine Absicht damit verbunden sein. Indeß verschwieg der Graf diesen Gedanken und äußerte bloß gegen den Prediger, daß es ihn freue, seinen jungen Vetter kennen zu lernen, der ihm seinen Besuch ankündigte. Ich konnte nicht darauf kommen, setzte er hinzu, ihn zu unserm Feste einzuladen, da ich nicht wußte, daß er schon bei seinen Eltern ist, und auch die Entfernung zu groß ist, als daß man ihn zu den Nachbaren rechnen könnte; der Weg, den er zu machen hat, muß schon eine Reise genannt werden, und ich[266] hoffe deßhalb, er wird sich länger bei mir aufhalten wollen, wenn er auch noch zu unserm Friedensfeste kommen sollte.

Ich begreife nur nicht, was der alte Lorenz dort macht, sagte der Geistliche. Da er kein Dokument mehr verkaufen kann, sagte der Graf mit einiger Bitterkeit, so lassen Sie ihn treiben, was er will. Er händigte hierauf dem Geistlichen die halbjährige Pension des ehemaligen Kastellans gegen dessen Quittung ein, der darauf den Boten am andern Tage zurückzusenden versprach.

Es war am Vorabende des großen Festes, alle Anstalten waren beendigt, und man konnte nun dem verständigen Dübois die Ausführung ruhig überlassen. Jetzt, sagte die Gräfin scherzend zu Emilie, die eben etwas erhitzt und ermüdet eintrat, fängt das Fest für uns schon an; nun brauchen wir für nichts mehr zu sorgen, jetzt ruht die Bürde allein auf Dübois Schultern, der das große Werk gewiß zu unserer Zufriedenheit ausführen wird; also setze Dich nun zu uns und laß uns einmal wieder ein vernünftiges Gespräch führen, wozu seit gestern kein Mensch hat kommen können.

Emilie wollte eben antworten, als man einen Wagen vorfahren hörte. Um Gottes Willen! rief St. Julien, es kommt doch wohl nicht ein voreiliger Gast schon heute. Man[267] eilte zu den Fenstern; der angekommene Fremde war schon ausgestiegen, indeß der leichte, kleine, mit zwei unansehnlichen Pferden bespannte Reisewagen, der Knabe von funfzehn bis sechszehn Jahren, der zugleich Kutscher und Bedienter zu sein schien, dieß Alles deutete auf keinen vornehmen Gast. Die Gesellschaft wendete sich eben nach dem Saale zurück, als Dübois die Flügelthüren öffnete und mit ehrerbietiger Stimme in den Saal hinein rief: der Herr Graf von Hohenthal. Der Angekündigte trat ein, und Aller Augen waren auf einen jungen Mann gerichtet, dessen edler Anstand für ihn hätte einnehmen können, wenn nicht dem schönen, ausdrucksvollen Gesichte alle Freundlichkeit und Milde gemangelt hätte. Er war blaß und mager nach überstandener Krankheit und Anstrengung. Zwischen seinen Augenbraunen ruhte ein Zug, den man hätte feindlich nennen können, wenn nicht die Augen einen Trübsinn ausgedrückt hätten, der zuweilen bis zur wilden Verzweiflung gesteigert schien.

Er näherte sich dem Grafen und sagte, indem er sich mit Kälte verbeugte, er habe den Wunsch nicht unterdrücken können, ihm seine Aufwartung zu machen, und sei schon so frei gewesen, ihm diesen Vorsatz in einem früheren Briefe anzukündigen. Der Graf erwiederte eben so kalt, daß es ihn herzlich freue, einen Verwandten bei sich zu sehen, dessen[268] Bekanntschaft er sich schon lange gewünscht habe; er stellte ihn hierauf der Gräfin vor und machte ihn mit den Hausgenossen bekannt.

Der Gräfin verursachte das Feindliche in der Stellung, welche die beiden Verwandten gegen einander annahmen, die größte Pein, und durch einige herzliche Worte suchte sie sich dem jungen Manne zu nähern, auf die dieser indeß zwar höflich aber mit schroffer Kälte antwortete. Vor St. Julien, als der Graf ihn nannte, beugte er sich kaum merklich, ohne ein Wort zu sagen, der junge Franzose erwiederte den Gruß, wie er ihn empfing, und in wenigen Minuten war eine allgemeine und gründliche Verstimmung entstanden.

Um ein Gespräch anzuknüpfen, erkundigte sich der Graf nach dem Vater seines neuen Gastes und bedauerte, daß er so viele Jahre außer aller Verbindung mit seiner Familie gelebt habe, so daß ihm alle Verhältnisse derselben fremd geworden wären. Der junge Graf schoß einen feindlichen Blick auf die Gräfin und sagte, die Trennung des Grafen sei von seinem Vater oft als ein großes Unglück beklagt worden.

Ich wüßte nicht, sagte der Graf, dem der Blick nicht entgangen war, empfindlich, welch Unglück ich dadurch für Verwandte herbeigeführt hätte, die ich kaum in meiner Jugend gekannt habe. Ich fühle wohl, erwiederte sein Vetter,[269] daß diese Erklärung nur mein Vater geben könnte, und daß er sie nicht in Gegenwart von Fremden geben würde. St. Juliens Auge glühte, er stand auf und wollte den Saal verlassen. Wo wollen Sie hin, mein bester St. Julien, sagte der Graf, indem er ihm mit Zärtlichkeit die Hand bot, Sie wissen, wie lieb mir Ihre Gesellschaft ist, warum wollen Sie uns also verlassen? St. Julien setzte sich wieder, der junge Graf hatte die Augen zu Boden gesenkt, und es entstand ein drückendes Schweigen.

Die Gräfin versuchte es von Neuem, das Gespräch wieder zu eröffnen, aber alle ihre Fragen wurden so einsylbig von dem jungen Grafen erwiedert, wie es der Anstand nur irgend erlaubte. Der Graf verlor beinah die Geduld, doch da er dachte, daß das Kommen seines jungen Vetters gewiß einen Zweck habe, so that er sich selbst Gewalt an, um wo möglich diesen kennen zu lernen. Es waren nach und nach alle Gegenstände vergeblich berührt worden, durch die man hoffen konnte, ein Gespräch einzuleiten, und der Graf that nun als letztes Hülfsmittel einige Fragen über den Krieg.

Ein schmerzliches, fast höhnendes Lächeln zuckte um den Mund des jungen Grafen. Wie glücklich, sagte er, daß Sie hier den Krieg nicht erlebt haben, daß Sie sich hier in Ruhe und Wohlstand von dem Kriege können erzählen lassen, und abwechselnd[270] Freunde und Feinde bewirthen. Ich will Ihnen nur eine Geschichte aus dem Kriege erzählen, und Sie werden für Ihre Ruhe dem Himmel danken. Ein junger Offizier, mein Freund und Waffenbruder, ging mit mir zugleich zum Regiment, und machte mich auf dem Wege mit seiner Mutter und drei liebenswürdigen Schwestern bekannt, die auf ihrem Gute wohlhabend mit Anstand lebten. Wir hatten uns kaum entfernt, so hörten wir, die Franzosen hätten es genommen und geplündert. Mein unglücklicher Freund erfuhr nichts von den Seinigen; bald darauf wurde das Schloß von den Preußen genommen, welche die Noth zwang, ohne Rücksicht für die Bewohner die noch übrigen Vorräthe zu benutzen. So zogen fünfmal abwechselnd Feinde und Freunde hindurch, bis auch unser Korps wieder in die Nähe gedrängt wurde. Auf dem väterlichen Boden meines Freundes zerstampften unsere Rosse die Saaten bei einem blutigen Scharmützel; die Feinde zogen sich zurück, aber mein Freund sank von einer feindlichen Kugel in der Brust getroffen, auf seinem eigenen Boden. Ich brachte den sterbenden jungen Mann in das Haus seiner Väter und fand es öde, aller Mobilien beraubt, die Fenster zerschlagen, von allen Bewohnern verlassen; endlich entdeckte ich in einem Winkel zusammengekauert eine weiße, bleiche Gestalt, die die abgemagerte Hand erhob und mit wahnsinnigem Lächeln auf die Leiche[271] ihres Bruders deutete, der schon gestorben war. Es war die jüngste Schwester meines Freundes; die Mutter und die beiden älteren waren todt, und diese durch Hunger und jede Mißhandlung wahnsinnig geworden. Dies ist der Krieg, schloß der junge Graf, von dem sich hier freilich keine Spuren zeigen.

Die Gräfin verhüllte bei dieser gräßlichen Geschichte das Gesicht, Emiliens Thränen flossen unverborgen, und auch die männlichen Zuhörer waren tief erschüttert. Der Graf glaubte, daß die allgemeine Theilnahme, die sein Vetter bemerken mußte, diesen geneigter machen würde sich anzunähern, aber im Gegentheil schienen durch die erzählte Begebenheit Gefühle in ihm erregt zu sein, die ihn noch feindlicher stimmten. Er äußerte sich in so starken Ausdrücken über die Franzosen, daß es der Graf nicht mehr hinderte, als St. Julien den Saal verlassen wollte, und sich selbst mit den übrigen Hausgenossen sobald als möglich zurückzog, um Gespräche mit seinem Vetter zu endigen, die zu leidenschaftlich von diesem geführt wurden.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 1, Breslau 1836, S. 254-272.
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