XV

[320] In der Dämmerung des Morgens hielt eine schlechte Postchaise auf dem Hofe und der Baron Lehndorf bestieg sie[320] mit seinem Freunde, nachdem dieser aus den Händen des Arztes befreit war, der dieß Mal seinen Verband noch sorgfältiger als gewöhnlich aufgelegt hatte, damit die Anstrengung der Reise die Wunde so wenig als möglich erhitzen möge. Ein kleiner Mantelsack war gepackt worden, der die nöthigsten Gegenstände enthielt, mit denen der Graf Robert die scheidenden Freunde versorgte. Eine Summe Geldes hatte er ihnen ebenfalls eingehändigt, die ihre nächste Zukunft sicherte, und ob sie ihm gleich herzlich dankten, so empfingen sie doch seine Hülfe ohne Beschämung, da er zu ihrer Verbrüderung gehörte und es die Pflicht eines jeden Mitbruders war, aus allen Kräften die Glieder des Bundes zu unterstützen, die eben Hülfe bedurften.

Da die Freunde aus sicheren Quellen wußten, daß Schill in Berlin erwartet wurde, so beschlossen sie, sich ebenfalls dahin zu begeben, und der Graf Robert hatte ihnen versprochen, dort wieder mit ihnen zusammen zu treffen, da auch er zunächst die Hauptstadt besuchen wollte und die Abreise dahin immer nur verzögert hatte, weil er sich vor dem Schmerze der Trennung fürchtete. Die beiden scheidenden Freunde hatten beinah die ganze Nacht dazu angewendet, ihn zu überreden, sich ebenfalls, wie sie es beschlossen hatten, an Schill anzuschließen. Der Graf aber war dem seinem Oheim gegebenen Worte treu geblieben, dem er feierlich versprochen[321] hatte, nichts übereilt zu beschließen und jedes Unternehmen vorher streng zu prüfen, ehe er sich zur Theilnahme bereit zeigte. Deßhalb blieb er standhaft dabei, den Freunden zu versichern, daß er, wenn ihm in der Nähe Alles so sicher und vortheilhaft für die gute Sache erscheinen sollte, wie es ihnen in der Ferne vorkäme, dann keinen Anstand nehmen würde, sich mit ihnen zu vereinigen.

Diese sehr bedingte Zusicherung war den Freunden keineswegs angenehm und sie beklagten in dieser Rücksicht ihren zu kurzen Aufenthalt auf Schloß Hohenthal, weil sie meinten, der Graf Robert würde ihrer Ansicht haben weichen müssen, wenn sie Zeit gehabt hätten öfter auf den Gegenstand zurück zu kommen. Doch trösteten sie sich damit, daß in Berlin der Anblick der Schaar begeisterter Krieger, die den heldenmüthigen Anführer umgab, auch die Seele des kälteren Freundes entzünden und ihn bestimmen würde, durch einen kühnen Entschluß in ihre Mitte einzutreten.

Die Gräfin wunderte sich über die schnelle Abreise seiner Freunde, als der Graf Robert sie ihr beim Frühstück anzeigte. Doch fand sie es natürlich, daß der Herr von Wertheim einen Aufenthalt zu verlassen eilte, der ihm unangenehme Erinnerungen aufdrängte, und sie beklagte nur, daß vielleicht seine Gesundheit durch die zu große unnütze Eile leiden könne.[322]

Der Graf meinte, in der Jugend habe man viele Lebenskraft und könne großen Beschwerden Trotz bieten. Er selbst könne die Abreise der beiden Freunde nur loben und würde an ihrer Stelle eben so gehandelt haben.

Man fand nichts Ungewöhnliches darin, als nach dem Frühstück der Graf sein Pferd zu satteln befahl, weil er dem Prediger einen Besuch machen wollte, mit dem er, wie er sagte, manche die Gemeinde betreffende Gegenstände zu berathen habe, und die Gräfin ahnte nicht, als sie ihm nachblickte, indem er von dem Hofe hinunter ritt, welcher Zusammenkunft er entgegen eilte.

Im Hause des Predigers war er schon mit Ungeduld erwartet worden, denn dem Hausherrn wurden seine Gäste überaus lästig, weil der alte Lorenz unter dem Schirme seines vornehmen Freundes den Prediger mit einer beleidigenden Vertraulichkeit quälte, die dieser nicht zurückzuweisen verstand und sich auch nicht geneigt fühlte zu ertragen. Er eilte also dem Grafen, so wie er ihn erblickte, vor die Thür seines Hauses entgegen und bewillkommnete ihn mit herzlicher Freude.

Der Graf erwiederte diese freundliche Begrüßung in merklicher Spannung, und die Eile, mit welcher er eintrat, zeigte deutlich, daß er die ihn erwartende peinliche Unterredung so bald als möglich zu beendigen wünschte. Als er[323] das Wohnzimmer des Pfarrers erreicht hatte, trat ihm der Baron Schlebach mit verbindlicher Freundlichkeit entgegen und wollte ihn mit der Vertraulichkeit eines Verwandten umarmen. Der Graf wich diesem Zeichen der Freundschaft durch eine höfliche, kalte Verbeugung aus und sagte, indem er einen strengen, verächtlichen Blick auf den alten Lorenz richtete: Da Sie mich wahrscheinlich allein und ungestört zu sprechen gewünscht haben, so denke ich, bitten wir beide den Herrn Prediger, daß er Ihrem Begleiter einen schicklichen Ort, Sie zu erwarten, anweiset; er wird uns diese Gefälligkeit nicht abschlagen, da er schon so gütig gewesen ist, uns dieß Zimmer für eine kurze Zeit zu überlassen und hier eine Zusammenkunft zu gestatten, die Ihnen unvermeidlich scheint.

Der Baron fügte sich dem Wunsche des Grafen, und der alte Lorenz hatte in der Gegenwart des Letzteren nicht den Muth, seine Unverschämtheit fortzusetzen. Er verließ also das Zimmer, und auch der Prediger fühlte, daß er der Unterredung zwischen den beiden, sich so seltsam gegenüberstehenden Verwandten schicklicher Weise nicht beiwohnen könne; auch er verließ also das Gemach, obwohl mit zögerndem Schritte, indem seine natürliche Neugierde ihn wie ein Magnet festhalten zu wollen schien.

So waren denn nun die beiden Verwandten allein,[324] und ein fragender Blick des Grafen lud den Baron zum Sprechen ein, der noch immer lächelnd schwieg, weil er, wie es schien, die rechten Worte suchte, um diese seltsame Unterredung zu eröffnen. Der Graf hatte also Zeit ihn zu betrachten und sich zu erinnern, daß der Baron in der Blüte der Jugend ein auffallend schöner Mann gewesen war. Jetzt hatte freilich die Zeit und mehr vielleicht noch ein unregelmäßiges Leben die herrliche Gestalt zerstört; aber immer noch leuchteten dem Grafen die schönen dunkeln Augen entgegen, die ihn an seine Gemahlin erinnerten, obwohl ein wilderes Feuer darin brannte. Die hohe, freie Stirn wurde durch die Beweglichkeit der Augenbraunen verunstaltet, und das süßliche Lächeln, welches den feinen Mund fortwährend umschwebte, gab diesem einen Zug von spöttischer Falschheit; aber dennoch machte noch jetzt die Persönlichkeit des Barons einen angenehmen Eindruck, der durch seine schöne, weiche und doch männliche Stimme erhöht wurde, als er endlich zu sprechen begann, so wie die edeln Gebehrden eine gute Erziehung und das Leben in der feinen Welt bewiesen.

Es ist wohl seltsam, hob der Baron mit scheinbarer Freimüthigkeit an, daß ich heute zum ersten Male das Glück habe, Ihnen als Verwandter gegenüber zu stehen, obgleich Sie schon so lange mit meiner einzigen Schwester verbunden[325] sind und man glauben sollte, daß nach dieser Verbindung unser natürliches Verhältniß zu einander das, in dem Brüder gegen einander stehn, wäre.

Es drängt sich uns im Leben, erwiederte der Graf, oft die Erfahrung auf, daß wir uns den Banden, welche die Natur zu knüpfen scheint, dennoch entziehen müssen, wie beklagenswerth uns auch diese Nothwendigkeit erscheinen mag.

Aber ist es möglich, sagte der Baron mit einschmeichelndem Lächeln, daß meine Schwester einen Groll so lange nähren kann, daß die vernünftigere Ansicht des Gemahls nicht im Stande sein sollte, ihn zu besiegen? Ich kann nicht glauben, daß sie einen so hohen Werth auf einige Summen legen sollte, die ich, ich gestehe es, von ihrem ersten Gemahl empfing und bei dem besten Willen nicht zurück geben konnte.

Wenn meine Gemahlin, versetzte der Graf mit höflicher Kälte, Gründe hat, jede Annäherung zu vermeiden, und lieber das lieblose Urtheil der Welt über sich ergehen läßt, die sie schonungslos genug tadelt, daß sie dem Wunsche des einzigen Bruders entgegen in dieser Zurückgezogenheit beharrt, so kann ich Ihnen wenigstens die Versicherung geben, daß diese Gründe nicht so niedriger Art sind.

Sollte denn also ihr Herz, sagte der Baron mit den weichsten Tönen seiner sanften Stimme, sich auf immer[326] feindlich gegen mich geschlossen haben, weil sie glaubt, daß ich freventlich, unkindlich unsere arme Mutter Preis gegeben habe? Ach, könnte sie sich nur entschließen mich zu hören, sie würde dann auch dieß gewiß milder beurtheilen und mein Unglück vielleicht beklagen, wenn ich es auch durch Leichtsinn selbst veranlaßt haben sollte.

Meine Gemahlin, antwortete der Graf, hat jeden Anspruch darauf, Ihre Handlungen zu beurtheilen, längst aufgegeben, und wenn sie sich außer dem Bereiche schmerzlicher Erinnerungen zu halten wünscht, so ist dieß, um den Frieden ihres Lebens zu bewahren, nothwendig, ohne von feindlichen Gesinnungen zu zeugen.

Sie gewähren mir einen großen Trost, sagte der Baron mit scheinbarer Herzlichkeit, indem er dem Grafen die Hand bot, die dieser, wenn er nicht geradezu beleidigen wollte, nehmen mußte; denn Sie geben mir die Versicherung, daß ich von meiner Schwester nicht gehaßt bin, und so darf ich denn nun mit größerer Zuversicht die Hoffnung einer endlichen Versöhnung hegen.

Ich bitte Sie, entgegnete der Graf mit großem Ernst, jeden Gedanken an eine Annäherung gänzlich aufzugeben. Hat das Leben Ihrer Schwester den geringsten Werth für Sie, so werden Sie sich dieser Nothwendigkeit um so eher fügen, wenn ich Ihnen sage, daß Sie auf das Haupt dieser[327] Unglücklichen ein Schicksal geladen haben, vor dem Sie vielleicht selbst schaudern würden, wenn Sie es in seinem ganzen Umfang kennen sollten. Wenn Sie aber trotz dieser Erklärung annähernde Schritte noch für angemessen halten, so muß ich noch hinzufügen, daß ich solche wie eine offenbare Feindseligkeit gegen mich betrachten würde, der ich auf gleiche Weise dann begegnen müßte.

So wäre diese Hoffnung vorüber, sagte der Baron seufzend, und ich scheide völlig verarmt im Herzen aus meinem Vaterlande. Sie sehen nur mein Unrecht, aber nicht meine Schmerzen. Sie wollen Ihre Gemahlin vor unangenehmen Eindrücken bewahren und beachten es nicht, wenn Sie das Herz des Bruders zerreißen. Doch es sei, Sie ahnen nicht das Gefühl der Verzweiflung, mit dem ich von Ihnen scheide, da ich in der Hoffnung kam, das Herz meiner geliebten Schwester zu rühren, und durch diese Versöhnung nicht bloß diese wieder zu gewinnen glaubte, sondern auch einen edeln Verwandten, einen brüderlichen Freund. Alle diese Träume sind vernichtet und ich muß freudlos, wie ich es begann, das traurige Leben enden.

Beide schwiegen eine Zeit lang, endlich sagte der Graf: Da die Absicht, aus welcher Sie diese Zusammenkunft wünschten, nicht erreicht werden kann, so werden Sie selbst es am Besten finden, wenn wir nun friedlich scheiden, da ich nicht[328] glaube, daß Sie mir noch sonst etwas zu sagen haben können.

Freilich, sagte der Baron, indem er wie aus tiefem Sinnen auffuhr, scheiden müssen wir, und ich kann Ihnen nichts mehr sagen. Und doch, fuhr er, wie sich besinnend, fort, warum sollte ich jetzt nicht über ein Geschäft wie ein Edelmann zum andern mit Ihnen sprechen können, obgleich es meine Absicht war, auch dieß freundlich und liebevoll, wie es zwischen Verwandten sich ziemt, zu behandeln.

Ich stehe zu Befehl, sagte der Graf mit höflicher Kälte.

Sie wissen, erwiederte der Baron, anmuthig lächelnd, daß unser Vaterland so gut wie vernichtet ist und daß die ungeheuern Lasten, die jeden einzelnen bedrücken, der nicht unermeßlich reich ist, wie Sie, schon viele kleinere Gutsbesitzer vermocht haben, ihr Eigenthum dem Staate gänzlich zu überlassen, weil es nicht möglich war die Forderungen dieses Staates zu befriedigen.

Ich weiß, antwortete der Graf seufzend, daß das Grundeigenthum beinah allen Werth verliert, weil der Druck der Abgaben nicht gemildert werden kann, so lange die Franzosen im Lande bleiben.

Nun, dann möchte er noch ziemlich lange anhalten, sagte der Baron mit schlauem Blick, und selbst Ihr großer Reichthum könnte am Ende nicht ausreichen.[329]

Mein Reichthum ist bei Weitem nicht so groß, wie Sie zu glauben scheinen, erwiederte der Graf trocken. Ich habe seit vielen Jahren von meinen Einkünften jährlich etwas zurückgelegt, und diese so ersparten Summen setzen mich nun in den Stand, die nothwendigen Forderungen des Vaterlandes zu befriedigen, ohne mein Vermögen zu zerstören, wie es andere, minder Beglückte leider müssen.

Das ist es ja, was ich meine, versetzte der Baron mit etwas spöttischem Lächeln. Sie haben mit bewunderungswürdiger, ja mit beneidenswerther Vorsicht die sieben fetten Kühe benutzt und können nun großmüthig die sieben magern ernähren.

Ich weiß nicht, sagte der Graf empfindlich, ob das Gespräch, wie wir es jetzt führen, die Einleitung eines Geschäftes sein kann, und ob es nicht besser wäre zu scheiden, ohne uns gegen einander zu verstimmen?

Ich denke, erwiederte der Baron, daß Sie mir, ehe wir uns trennen, noch das Zeugniß geben werden, daß ich wenigstens mein Schicksal mit Gleichmuth trage, denn auch ich bin einer der minder Beglückten, die ihr Eigenthum aufgeben müssen, um das wankende Vaterland zu unterstützen, und ich wollte nach der gelungenen Versöhnung Ihnen als Ihr Freund und nächster Verwandter meine Güter zum Verkauf anbieten. Da die Versöhnung leider gänzlich mißlungen[330] ist, so biete ich Ihnen den Handel an, wie ein Edelmann dem andern.

Sie wissen wohl selbst, sagte der Graf, daß es im gegenwärtigen Augenblicke beinah unmöglich ist, Güter zu kaufen, weil nicht allein die Aufbringung der Kaufsumme Verlegenheit hervorbringt, sondern weil man dadurch die Last der Abgaben so steigert, daß man davon erdrückt werden muß; also werden Sie es natürlich finden, wenn ich jeden Antrag der Art ablehne.

Ich weiß nicht, erwiederte der Baron höflich, ob Sie nicht diese abschlägliche Antwort zurücknehmen, wenn Sie die Sache von allen Seiten überlegt haben werden. Jedermann weiß, daß Sie Ihr großes Vermögen zu dem edeln Zwecke benutzen, alle Hülfsbedürftige zu unterstützen, daß Sie bei dieser löblichen Menschenliebe nicht einmal darauf Rücksicht nehmen, ob sie Freunden oder Feinden Ihres so hoch von Ihnen verehrten Vaterlandes zu Theil wird. Jedermann weiß, daß ich als der einzige Bruder Ihrer Gemahlin mich seit lange fruchtlos bemühe in der Jugend entstandene Irrungen mit meiner Schwester auszugleichen. Welch ein seltsames Licht müßte es auf diese Schwester und auch auf Sie werfen, wenn Ihre feindliche Stimmung gegen mich, deren Grund Niemand begreift, so weit ginge, daß Sie mich allein die Hülfe nicht finden ließen, die sonst Jedermann[331] bei Ihnen findet. Auch glaube ich, könnte es Sie bestimmen auf den Handel einzugehen, daß ich, wenn er zu Stande kommt, gesonnen bin, diese Gegend gänzlich zu verlassen, wodurch Sie gesichert wären, daß nicht wieder ärgerliche Auftritte Statt finden könnten, wenn ich zufällig mit meiner Schwester zusammenträfe.

Sie stellen Gründe auf, sagte der Graf mit Bitterkeit, die mit siegender Gewalt alle Einwendungen lähmen und die mich in der That geneigt machen, Ihren Forderungen zu genügen, wenn es meine Kräfte erlauben.

Ich dachte es wohl, erwiederte der Baron verbindlich, daß ich mich nicht vergeblich an Sie gewendet haben würde. Wir können einen Tag festsetzen, wenn wir uns in Breslau treffen wollen, wo wir unser Geschäft beendigen können. Doch muß ich bitten, diese Zusammenkunft nicht länger als eine Woche aufzuschieben, weil ich sonst in anderen Plänen gehindert würde, und muß Sie noch ersuchen, die Bedingung einzugehen, eine Summe sogleich auf Abschlag der Zahlung zu entrichten.

Wie, sagte der Graf, eh ich die Güter kenne, ehe mir einmal der Kaufpreis genannt ist?

Ich gestehe, sagte der Baron lächelnd, daß diese Bedingung etwas von der allgemeinen Regel abweicht, aber bedenken Sie, die Umstände sind auch nicht die gewöhnlichen.[332] Ein Verwandter macht Ihnen diesen Vorschlag, der sich entfernen will und dem Sie dann vielleicht nie im Leben mehr begegnen.

Dieß entscheidet, sagte der Graf. Unter dieser Bedingung bin ich bereit auch auf diese Forderung einzugehen, wenn sie meine Kräfte nicht übersteigt, denn ich setze voraus, Sie wissen den Werth Ihrer Bedingung zu schätzen, und ich fürchte, Sie haben Ihre Forderung dem gemäß eingerichtet.

Ich werde die Genugthuung haben, sagte der Baron mit einschmeichelnder Stimme, daß Sie mich bescheidener finden, als Sie vermuthen. Ich habe einem Freunde tausend Thaler zu bezahlen, der seine Rechte seinem Vater übertragen hat, dem alten Herrn Lorenz, der mich hieher begleitet hat, um das Geld sogleich zu empfangen, und ich muß deßhalb auf die Abzahlung dieser Summe dringen, weil sonst leicht eine mir nachtheilige Spannung zwischen mir und meinem Freunde entstehen könnte.

Und Sie nennen diesen Menschen Ihren Freund? fragte der Graf mit Erstaunen.

Warum nicht? erwiederte der Baron lächelnd. Wollte ich hier bleiben, so könnte vielleicht aus dieser freundschaftlichen Verbindung manche Verlegenheit für mich entstehen, aber da wir beide nach der spanischen Gränze gesendet werden, wo unser Vortheil gemeinschaftlich sein wird,[333] und wo uns Niemand kennt, so können die hiesigen engherzigen Rücksichten keinen Einfluß auf mich üben, um so mehr, da die Franzosen alles andere eher aufgeben werden, als das Gefühl einer ursprünglichen Gleichheit; daher würde es mir selbst keinen Nachtheil bringen, wenn auch die Herkunft meines Freundes bekannt würde.

Ich habe den Franzosen niemals so sehr Unrecht thun mögen, sagte der Graf, zu glauben, daß sie die Gleichheit, welche sie verlangen, so verstanden wissen wollen, daß sie keine moralische Unterschiede annähmen. Doch, fuhr er mit einem kalten Blick auf den Baron fort, ich habe hier kein Urtheil zu fällen.

Sie meinen, entgegnete dieser lächelnd, der moralische Unterschied zwischen mir und dem werthen Herrn Lorenz möchte nicht bedeutend sein, denn ich wette, Sie halten uns beide für ein Paar Taugenichtse.

Ich habe schon bemerkt, sagte der Graf, daß ich kein Urtheil über Sie habe. Nach der spanischen Gränze wollen Sie, fragte er hierauf, also muß ich vermuthen, Sie nehmen französische Dienste, und so könnte es sich fügen, daß Sie selbst einmal gegen Ihr Vaterland gebraucht würden.

Wie die Sachen jetzt stehen, antwortete der Baron, läßt es sich kaum vermuthen, denn dieß Preußen, welches Sie mein Vaterland nennen, ist zu eng, zu noth wendig mit[334] Frankreich verbunden, als daß sein Adler nicht immer mit dem französischen fliegen sollte. Aber selbst, wenn es anders wäre, so könnte dieß mein Handeln nicht bestimmen. Wie oft haben Preußen gegen Oesterreicher, Sachsen und Andere gefochten, die sich doch wohl Deutsche nennen müssen und die folglich zu dem deutschen Vaterlande gehören, denn so enge Grenzen werden Sie doch Ihrer Vaterlandsliebe nicht stecken wollen, daß Sie alles, was außerhalb Preußen liegt, Fremde und Feindesland nennen wollen. Wenigstens würden Sie, wenn Sie dieß thäten, in seltsame Verlegenheiten gerathen. Sie müßten dann mit feindlichen Augen selbst die betrachten, die Sie noch im vorigen Jahre mit Bruderliebe umfaßt haben als die Söhne des gemeinsamen Vaterlandes, die Einwohner der abgetretenen Provinzen nämlich.

Der Baron schwieg. Da aber der Graf nicht antwortete, fuhr er fort: Sie nehmen vermuthlich die Gränzen des Vaterlandes bis zum Rhein an. Ich gehe etwas weiter; ich überschreite den schönen Fluß und finde mit Weltbürgersinn überall mein Vaterland, so weit die Civilisation reicht.

Dieß ist ein Gegenstand, sagte der Graf kalt, über den sich nicht streiten läßt. Jedermann folgt darin seiner Ansicht, und es würde zu weit von dem Zwecke unserer Zusammenkunft abführen, wenn wir gegen einander unsere Meinungen entwickeln wollten.[335]

Der Baron folgte bereitwillig diesem Wink, und es wurde festgesetzt, daß beide Herren sich nach vier Tagen in Breslau treffen wollten, um den beabsichtigten Handel abzuschließen, und daß der Graf tausend Thaler dem Pfarrer übergeben wollte, der sie gegen die gehörige Quittung dem alten Lorenz abzugeben habe. Der Graf hatte sich zu diesem Opfer entschlossen, um einen Verwandten zu entfernen, dessen Nähe nur unheilbringend sein konnte. Er hatte aber den Vorsatz, in Breslau einen Rechtsgelehrten zu Rathe zu ziehen und nur dann den Kauf der Güter in der That abzuschließen, wenn er überzeugt sein könnte, daß sein unwürdiger Verwandter ihm nicht neue Nachtheile bereitete. In diesem Falle wollte er die ihm abgedrungene Summe lieber verlieren.

Als das Geschäft so weit beendigt war, wollte der Graf sogleich nach Schloß Hohenthal zurückkehren. Der Baron aber hielt ihn mit höflichen Gesprächen zurück, ohne sich durch die kurzen Antworten, welche er erhielt, abschrecken zu lassen, und ein mit allen Verhältnissen Unbekannter hätte nach der Art, wie die Unterredung geführt wurde, schließen müssen, daß beide Verwandte eigentlich im besten Einverständniß lebten, und daß der Baron mit liebenswürdiger Gutmüthigkeit sich bestrebte, die üble Laune eines geachteten Verwandten zu verscheuchen. Der Graf erfuhr auf diese[336] Weise gegen seinen Willen, daß der Baron ein genauer Freund des Obristen sei, der durch den Herrn von Wertheim war verwundet worden, daß er durch diesen mit dem Divisions-General in Verbindung gekommen sei, welcher bedeutenden Einfluß in Paris habe, so daß es ihm nicht schwer gefallen wäre, dem Baron so wie dem jungen Lorenz eine Anstellung bei der Armee zu verschaffen, die nach der spanischen Gränze geschickt werden solle. Doch erklärte sich der Baron über die Natur dieser Anstellung nicht genauer, und der Graf konnte aus dem Zusammenhange leicht errathen, daß der Baron auf die erste Sprosse der Leiter des Glücks, die er ersteigen wollte, durch die sogenannte Gemahlin des Obristen erhoben worden war, in welcher der Graf, ohne seinen Scharfsinn anzustrengen, die Tochter des alten Lorenz erkannt haben würde, wenn auch der Prediger nicht schon längst durch unumwundene Fragen die Sache außer allen Zweifel gesetzt hätte. Endlich gelang es dem Grafen, sich von dem Baron loszumachen und die wohlgemeinten Einladungen des Predigers zu beseitigen, und er eilte aus der Nähe eines Menschen hinweg, dessen Gefährlichkeit er schon in der einzigen Unterredung, die er nach vielen Jahren mit ihm gehabt, genügend erkannt hatte, und ihm däuchte das Opfer von tausend Thalern unbedeutend, wenn dadurch die Ueberzeugung erkauft werden könnte, daß er den Bruder[337] seiner Gemahlin nie wieder sehen werde. In diesen Gedanken und Betrachtungen erreichte er seine Wohnung, wo er andere Nachrichten fand, die, wie er auch dagegen kämpfte, niederschlagend auf ihn wirkten.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 2, Breslau 1836, S. 320-338.
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