Sechste Scene

[20] Vorige. Charles. Denise, Rose. Adolph. Amélie. Fleure. Zwei junge Herren aus dem Bogen links.


DENISE hält Rose bei der Hand, zieht sie nach sich. Nein, nein, Du mußt! Mir zu Liebe mußt Du das deutsche Lied singen!

ROSE Balltoilette, elegant, nicht prächtig aber geschmackvoll und gracieuse, Blumen im Haar, ihr Gesicht strahlt von Heiterkeit. Ich muß nichts, Denise! Laß mich los!

DENISE ihre Hand mit beiden Händen festhaltend. Gewiß mußt Du, weil ich es wünsche! O wer Dich das deutsche Lied nicht singen hörte, kennt Deinen höchsten Reiz nicht!

ROSE lachend. Was schwatzt die kleine Elster! Singen müssen – gefangen singen Deutet auf ihre Hand, die Denise nicht los läßt. wie ein Kanarienvogel im Bauer, nein, Denise, das kann ich nicht! –[20]

DENISE läßt ihre Hand los, und schlingt ihr die Arme um den Hals. So, du Eigensinn! Nun bist du frei.

ROSE umschlingt sie, zärtlich. Und doch gefangen!

DENISE froh. Aber nun sollt Ihr hören wie sie singt!

CHARLES öffnet das Clavier. Wir sind ganz Ohr!

ADOLPH in ihren Anblick versunken. Das deutsche Lied, von der Alpenrose am Bergesrand, nicht wahr, Rose?

ROSE plötzlich ernst. Nein – nein, das nicht! Gewiß nicht!

DENISE. Aber gerade das singt sie so reizend!

AMÉLIE. FLEURE umringen sie. Bitte, bitte, Rose! das Lied! das deutsche Lied!

ROSE ungeduldig. O diese Quälgeister! Ich will Euch spanische Romanzen, ja, die Cavatine aus Dinorah und den Walzer aus Faust singen, wenn Ihr sie fordert – nur das Lied nicht – ich kann es nicht!

ADOLPH verletzt. Weil ich es wünsche?

ROSE mit Vorwurf. O Herr Graf!

ADOLPH. Aber warum denn g'rade heute so unerbittlich?

ROSE. Weil ich gerade heute einmal wieder so heiter, so froh, so glücklich bin, und mir diese Stimmung nicht selbst zerstören will; Zu Adolph gewendet. sehen Sie, nur der Gedanke an das Lied bringt mir fast Thränen in die Augen; es ruft das schlummernde Heimweh, die Sehnsucht nach all den Meinen so schmerzlich in mir wach; Tief bewegt. wie mit einem Zauberschlag liegt der ewig grüne Schwarzwald, das liebe Vaterhaus, unsere Felsen und unsere Thäler, mit den lustigen Bergwassern und den weidenden Heerden im Sonnenschein vor mir, und ich habe ein Gefühl, als umwehte mich plötzlich der frische Athem unserer Höhen, als müßten sich mir Schwingen an den Schultern entfalten, die mich forttragen aus der schwülen Luft dieses Häusermeers, in die helle, schöne Heimath!

ADOLPH bewegt. O, dann singen Sie das Lied niemals wieder!

DENISE. Nein, nein, ich will es nicht mehr verlangen, denn du darfst uns nicht fortfliegen, Rose, das könnte ich nicht überleben.

GRAF der sichtlich immer unruhiger wurde, laut zu Leblanc. Bitte Herr Leblanc, stellen Sie mich den jungen Damen vor.

ALLE wenden sich rasch nach dem Grafen um.

LEBLANC befremdet. Zu Befehl! Vorkommend. Seine Excellenz, der Herr Graf von Hohenfels. Allgemeine Verbeugung.

ADOLPH fährt überrascht zurück. Mein Oheim!

GRAF geht gerade auf Rose zu. Ich freue mich zu hören, daß Demoiselle Rose ihrer Heimath noch so lebhaft gedenkt, so darf ich hoffen, ihr ein willkommener Bote von dort zu sein!

LEBLANC erschrickt, und wirft einen raschen Blick auf den Grafen.[21]

ROSE sich mit Grazie verbeugend, sieht den Grafen fragend an.

ADOLPH ihm näher tretend. Sie hier, mein Oheim?

GRAF sehr freundlich. Leider nur durch einen Zufall in diesen bezaubernden Kreis geführt, in welchem Du Glücklicher, ganz heimisch zu sein scheinst.

ADOLPH bestimmt. Ich schmeichle mir von Herrn Leblanc und den Seinigen als Freund des Hauses betrachtet zu werden.

LEBLANC verbeugt sich.

ROSE hat keinen Blick von dem Grafen verwandt. Verzeihung, mein Herr! Hatten Sie nicht die Güte von einer Botschaft zu sprechen? –

GRAF freundlich nickend. Gewiß, ich stellte mich Ihnen als Bote aus der Heimath vor.

LEBLANC heftig erschrocken, für sich. Was – was?

ROSE ganz Freude. Oh! Was sagen Sie? Fast athemlos. Bringen Sie mir vielleicht einen Brief? Ich habe so lange nichts von den Meinen gehört!

GRAF gedehnt. Wirklich? Das wäre seltsam. Ich bringe Ihnen keinen Brief, aber sichere Nachrichten von den Ihrigen. Ich komme so eben aus dem Schwarzwald zurück.

ROSE in zitternder Freude. Und haben die Meinen gesehen, gesprochen?

GRAF. Sogar bei ihnen gewohnt.

ROSE. O wirklich, wirklich?

GRAF mit einem Seitenblick auf Adolph. Und war vortrefflich aufgehoben. Kein Gasthaus in der ganzen Gegend vergleicht sich dem Ihres Vaters, obschon es eigentlich nur eine Bauernwirthschaft ist, findet man doch jeden Comfort dort, der billigerweise auf dem Lande zu fodern ist.

ADOLPH fährt zusammen, und sieht den Grafen staunend an.

DENISE leise zu Charles. Was sagt er da?

CHARLES zieht die Schultern.

DIE MÄDCHEN stecken verwundert die Köpfe zusammen.

ROSE sah ihn fest an, während der ganzen Rede, vollständig unbefangen, fast stolz. Dafür ist unser Haus auch bekannt. Ganz Freude und Leben. Aber erzählen sie mir doch! War der Vater daheim, haben Sie meine prächtige Mutter »die Frau Sonnenwirthin« gesehen, vor der der ganze Schwarzwald Respect hat? Und meine Dorothee, die Schwester Kindlich heiter. man nennt sie »das Dorle« daheim! Mein liebes liebes Dorle! bringen Sie mir auch von ihr Nachricht?

GRAF. Eben von ihr, von ihr vor Allen.

ROSE. Aber warum schreibt sie nicht – warum hat sie mich so lange vergessen! –

GRAF kopfschüttelnd. Ich verstehe Sie nicht mein Kind. Niemand hat Sie vergessen!

LEBLANC hat in der äußersten Unruhe zugehört. O, Herr Graf! –

CHARLES die Verlegenheit Leblancs beobachtend, ruft. Die Musik, meine Damen!

AMÉLIE UND FLEURE laufen rasch ab, die zwei Herren folgen ihnen.

GRAF ohne auf Leblanc zu achten. Ihr Vater hat Sie verlangt, Sie zu der Hochzeit Ihrer Schwester nach Hause gerufen und Sie – Mit einem scharfen Seitenblick auf Leblanc. verweigerten es zu kommen.[22]

ROSE die ihn gespannt anstarrt. Was, was? Dorothee hat endlich Hochzeit – und sie hätten mich gerufen?

GRAF. Das wüßten Sie nicht?

ROSE energisch. Ich weiß nichts – als daß Niemand mich hier gehalten hätte, wenn ich es gewußt!

GRAF. Dann hat man Ihnen den Brief aus der Heimath unterschlagen. –

LEBLANC rasch einfallend. Oder – er ist verloren worden.

GRAF leise zu Leblanc. Ah! Ich verstehe! Laut. Ganz gewiß ist er von der Post verloren, aber die Sache bleibt für Sie Zu Rose. dieselbe. Ihre Familie ist in Verzweiflung, vor Allem Ihre Schwester, die trostlos ist, daß sie Hochzeit haben soll, ohne Sie.

ROSE hastig. Wann – wann ist die Hochzeit?

GRAF. Nächsten Sonntag. Sie haben noch zwei Tage Zeit. –

ROSE. Zwei Tage! O Gott sei Dank! Fliegt auf Leblanc zu. Wenn ich morgen mit dem Frühzug reise, so bin ich zum Abend in Straßburg, und am andern Morgen daheim. Wenn die Glocken zur Kirche läuten, die Böller donnern, die Kranzjungfern aufziehen, trete ich vor mein Dorle hin, und wir fassen uns in die Arme, wir weinen und lachen, ich drücke ihr die Brautkrone auf das liebe Köpfchen, bete das Ave mit ihr, und wir gehen selbander zum Altar, wie wir es uns gelobt! Ach Pathe, lieber, theurer Pathe, geben Sie mir Ihren Segen und lassen Sie mich ziehen!

LEBLANC in sichtlicher Bewegung. Du wolltest – Du könntest uns verlassen?

ROSE tritt einen Schritt zurück und sieht ihn groß an. Könnte ich bleiben? Haben Sie denn nicht gehört: der Vater ruft mich heim, der Ehrentag der Schwester fodert mich! Könnte ich zweifeln was ich soll? Ich reise! Und Sie mein väterlicher Freund, Sie werden mich nicht halten. Nicht wahr, Pathe?

LEBLANC wendet sich, heftig bewegt, ab.

GRAF. Wie können Sie fürchten mein Kind, daß Herr Leblanc Sie abhalte? Scharf. Er kennt die Rechte eines Vaters, der Ihrige verlangt Sie, Herr Leblanc wird nicht anstehen, seine Pflicht zu thun.

LEBLANC mit Würde. Gewiß nicht. – Du wirst morgen reisen, und Charles wird Dein Begleiter sein; ich halte Dich nicht.

CHARLES erschrickt, für sich. Was! Was?

ROSE innig. Ich danke Ihnen, Pathe, ich wußte es ja! –

DENISE an Roses Hals fliegend. Rose, Du gehst wirklich?

ROSE. Ich komme wieder, Denise, gewiß. –

DENISE. Ach nein – nein! Du kehrst nicht wieder! Haben sie Dich erst, so lassen sie Dich nie wieder los.

GRAF für sich. So hoffe ich! Laut. Es dürfte doch gerathen sein, wenn Herr Leblanc die Ihrigen durch ein Telegramm noch diese Nacht beruhigen wollte.

ROSE. Ach ja, ja theuerster Pathe! Nehmen Sie den Zweifel von den Meinen.

LEBLANC vollständig gefaßt. Das soll augenblicklich geschehen. Carles, entschuldige mich bei der Gesellschaft, und dann Mit Nachdruck. erwarte ich[23] Dich im Comptoir – Zum Grafen. wo ich Excellenz noch um einige Worte bitten werde.

GRAF. Unser Geschäft betreffend – ich ver stehe – und begleite Sie. Zu Rose. Sie sind ein wackeres Mädchen. Reisen Sie glücklich.

ROSE. Ich danke Ihnen, Herr Graf Reicht ihm die Hand. Sie haben mich für immer zu Ihrer Schuldnerin gemacht.

GRAF ihre Hand schüttelnd. Ich that nur meine Pflicht. Für sich. Sie hat Charakter, sie reist! Zu Adolph. Mein Wagen wartet, wie ist's Adolph, wirst Du mir Gesellschaft leisten?

ADOLPH der mit gewaltsam unterdrückter Aufregung die Scene verfolgte, ruhig. Entschuldigen Sie, Onkel, ich bin noch engagirt.

GRAF lächelnd. Ah, das ist ein Anderes; Zu Leblanc. zu Ihren Diensten, Herr Leblanc.

LEBLANC im Gehen. Vergiß nicht, Charles, daß ich Dich erwarte. – Beide ab, Seitenthüre links.

CHARLES für sich. Was hat er mit mir vor? Halblaut zu Denise. Komm, Kleine, Du versäumst den Tanz.

DENISE stand betrübt zur Seite. Aber Charles –

CHARLES faßt sie unter den Arm, wie oben, befehlend. Komm, sage ich, Du hast hier nichts mehr zu suchen! Vorwärts! Zieht Denise fort, die mit neugierigen Blicken auf Adolph und Rose abgeht, wo Beide kamen.


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 10, Leipzig 1863, S. 20-24.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon