[1] Den Goldfischteich bestreuten dicht die pfirsichfarbenen Blüthen der Kastanienbäume, welche ihr dunkelgrünes Haupt beschaulich in dem schmutzigen Wasser spiegelten, das mit Laich punktirt aussah, als habe sich ein Mückenschwarm wie ein Schleier darauf geklebt. Der ganze Thiergarten troff noch von dem erquickenden Regen, gleichsam durchsaugt von fruchtbarer Feuchtigkeit. Und jetzt sickerte das Sonnenlicht überall durch, bis der Wald von eitel Licht getränkt und von glänzendem Goldstaubregen zu riefen schien. Die Dämmerung wandelte sacht heran und könte dies goldgrüne Sommergewand der Natur zu stilleren sanfteren Farben ab. Die zackigen Firste um den Ziethenplatz her hoben sich dunkel in den lichten Horizont, welchen fern nach Nordwesten ein schwüler brenzeliger Schein umwob. Ein Sternlein blinkte am Himmel wie[1] eine schläfrige Nachtkerze in lichter Mittsommernacht, die kein eigentliches Dunkel gestattet. Alles zerfloß in ein liebliches gedämpftes Halblicht. Nur die Feldherrnstatuen am Ziethenplatz postirten sich schwer und massig umher und sogen allen Schatten in ihre Bronze ein.
Leonhart und Krastinik schritten langsam, aus dem Thiergarten kommend, durch die Wilhelmstraße, dann am Café Kaiserhof vorüber ins Innere der Friedrichstadt.
»Die Juden können weder noch sollen sie assimilirt werden. Sie nützen so den Deutschen, weil sie Eigenschaften haben, die uns abgehn. Und gerade durch den Kampf gegen sie sollen uns die eigentlich germanischen Eigenschaften zum Bewußtsein kommen. Das Judenthum ist eine uralte Weltmacht wie die römische Kirche und hat sein ›non possumus‹. Es wird nie untergehn. Selbst wenn es sich äußerlich ganz assimilirte (wobei die viel empfohlene Racenmischung übrigens nur den Deutschen schaden könnte, weil die jüdische Race bekanntlich die stärkere ist), so würde es dennoch einen Geheimbund weiterbilden.«
Krastinik, ein eifriger Antisemit, schüttelte zu diesen Worten Leonhart's ungläubig den Kopf. »Eine Macht wie die römische Kirche?«
»Ja gewiß! Uebrigens ist der Katholicismus seinem Wesen nach ein semitischer Cultus.«
»Was! Wie?«
»Ja freilich! Meine Freunde, die Antisemiten, halten immer schöne Reden, wir müßten zum Wodan-Cultus zurückkehren, um echte Germanen zu werden, und mit[2] dem semitischen Christenthum aufräumen. Das ist aber grundfalsch. Das eigentliche Christenthum ist durch und durch arisch. Christus selbst, dessen Abkunft ja übrigens mythisch bleiben wird, hat ja erwiesenermaßen nur an indische Lehren angeknüpft, vielleicht auch an baktrische, und diese nun auf den Talmud reinigend aufgeimpft. Und die Apostel sind doch andrerseits ganz hellenistisch, Neuplatoniker wie Johannes mit seinem: ›Im Anfang war der Logos‹. ›Und der Logos ward Fleisch und wandelte unter uns‹. – Das ist wieder ganz braminisch gedacht: So wandelten Bramah, Wischnu und der Messias Buddah leiblich auf Erden. Der Sieg des Christenthums über die Welt war ein arischer und speciell ein hellenischer Sieg, gewiß kein jüdischer.«
»Aber erlauben Sie,« bemerkte Krastinik sehr weislich, »die zelotische pharisäische Strenge gegen alle Fleischessünden gegenüber der heidnischen Auffassung ist doch ganz alttestamentlich?«
»Das wohl. Nur vergessen Sie nicht, daß man das Eifern eines Paulus gegen alle unnatürlichen Laster doch vor allem historisch betrachten muß. Das Christenthum bildete eine revolutionäre Sekte, welche die Welt reformiren wollte. Uebrigens ist's mit der Strenge nicht gar so schlimm, wenn man das spätere Geheuchele damit vergleicht – ganz abgesehen davon, daß die Urquelle Christus selbst ja die humane Toleranz so weit trieb, Maria Magdalenen mit seinem Um gang zu begnadigen. Wenn aber Paulus z.B. meint, daß Heirathen immerhin eine Schädigung[3] der reinen Hingebung aus Ideale sei, so kann man ihm das wohl weder verübeln noch bestreiten.«
»Somit vertheidigen Sie also das Cölibat der römischen Kirche?« folgerte Krastinik sinnend.
»Unbedingt. Der große Papst Gregor wußte, was er that. Gerade dadurch kräftigte er dies gewaltige System dermaßen, daß es noch heut hundert Jahre nach der französischen Revolution und fast vierhundert nach der Reformation unerschüttert besteht. O die römische Kirche – Hut ab! Mit der wurde selbst Napoleon nicht fertig und wurde ausgenutzt, wo er auszunutzen dachte. Und überhaupt, Rom allein ist eine wahre Weltmacht und das einzig Positive in diesem allgemeinen Chaos und Krawall von staatlichem und nationalem Größenwahn.«
Leonhart redete offenbar aus tiefster Ueberzeugung heraus. Der österreichische Katholik sah ihn verwundert an. »Das aus Ihrem Munde? Und sind doch Protestant?«
»Ich – ich bin gar nichts, höchstens Christ nach der unverfälschten Urlehre. Aber als geschichtlich denkender Mensch urtheile ich anders. Und auch sonst ... wissen Sie wohl, wenn man dies haltlose moderne Treiben so gründlich satt hat ... ich könnte als Mönch enden!«
Krastinik fuhr ordentlich zurück. Die Worte gruben sich unauslöschlich in sein Gedächtniß ein. Leonhart brach jedoch ab und lenkte das Gespräch auf den Herrschergeist Hegels, diesen philosophischen Tyrannen, der tausendarmig alle Gebiete an sich zog. Es klang,[4] als fühle er in Jenem einen Wahlverwandten, wie denn Krastinik in Leonhart längst eine geistige Despotennatur erkannt hatte.
In der Alten Jacobsstraße trennten sie sich. Leonhart wollte noch nach der Dresdener Straße.
»Ach, da sollen Sie ja ein Verhältniß haben?« fuhr es dem Grafen heraus.
»So? Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Ach, ich weiß nicht, – Mehrere. Alle Welt mokirt sich darüber. Sie sollen schon seit langen Jahren in Ihrem Stammlokal, einer Mädchenkneipe, da eine Wirthin anschmachten, die auch sonst Verhältnisse hat. Ich sage Ihnen das ganz offen, damit Sie sich vorsehn gegen das dumme Gerede. Was geht's mich an! Adieu, lieber Freund.«
»Und Sie wohin?«
»In den Verein ›Drauf‹. Sie kennen ihn ja.«
Leonhart lachte herzlich. »Verein der ›Größenwahnsinnigen‹; wer die meisten Pseudonyme hat, wird Weltpräsident – ja, den kenn ich. Na viel Vergnügen! Ich trau' mich nicht mehr hin, weil ich über die idealen Waffenbrüder Edelmann-Haubitz, die dem Jahrhundert den ›Stempel‹ aufdrücken, einiges Vitriol ausgoß. Also adieu.«
In der That hatten Ambrosius Sagusch und einige andere Sendboten des Himmels an Leonhart einen versteckten Drohbrief gesendet: was er mit seinen Anzüglichkeiten meine. Sie hofften nämlich, daß sie ihm correspondenzlich unvorsichtige Aeußerungen entlocken könnten, was – verbunden mit consequenter Undankbarkeit – zum[5] System des »Jüngsten Deutschland« gehörte. Da Leonhart's Combinationsvermögen jedoch die Absicht einer Skandal-Reclame und irgend eine planvolle Tücke von Seiten jener messianischen Weihepriester witterte, so antwortete er mit boshafter Ironie: Er empfehle den geschätzten Herrn sein Benehmen als Thema psychologischer Studien, wie schwach und widerspruchsvoll die arme Menschennatur. Derselbe, der sich für seine Freunde und auch Feinde manchmal aufopfere, taste die persönliche Integrität solcher Ehrenmänner an! Man möge seine Animosität bemitleiden und sich den schönen Glauben bewahren.
Krastinik wanderte also in den »Drauf« und wurde ehrfurchtsvoll empfangen.
Der ambrosianische Sagusch hielt grade einen begeisterten Vortrag über Ibsen. Was dieser Norweger mit einer kritischen Würdigung der deutschen Gegenwartsliteratur eigentlich zu schaffen hatte, vermochte nur Der zu würdigen, dem es nicht unbekannt blieb, wie leicht dem deutschen Litteraten die hingebend selbstlose Anerkennung alles Fremden fällt, von welchem man ja freilich keine Concurrenz zu fürchten hat. Diese jüngstdeutschen Kritiker mit ihrem »idealen Streben« unterschieden sich von denen der Tagespresse, gegen deren Corruption sie donnerten, eigentlich gar wenig. Doch ein bedeutsamer Zusatz mußte als Fortschritt gelten. Denn ob auch erbärmlicher Neid und niedriges Cliquenwesen sie nicht minder beherrschte als Grundmotiv all ihrer kritischen, Handlungen und Grundsätze, so trat doch außerdem[6] noch eine pedantisch-philologisch-formalistische Nörgelei hinzu, zwar unfähig je durch die äußere Schale in den Kern der Dinge zu dringen, aber dafür argusäugig für jedes Stolpern des Federkiels und unfehlbar auf dem Korpus Juris der Vischer'schen Aesthetik thronend.
Sodann verlas Dichterling Haubitz eine schauderhafte Verreißung über die »Modernen Realisten«. Obschon er seine olympische Geringschätzung Schmoller's überall betont und von Leonhart deswegen heftige Grobheiten eingeheimst hatte, besaß er die geniale Frechheit, hier Schmoller mit spärlichem Lob gegenüber Leonhart auszuspielen, den er einen Nachahmer Schmoller's nannte. Ueberhaupt sei Leonhart (»der junge Dichter«, wie er ihn krampfhaft ununterbrochen betitelte) nur ein Eklektiker von trostloser Unreife, welcher jedem Einfluß folge, den ihm ein Anderer zutrage. Eine gewisse dramatische Begabung wolle er ja nicht verkennen; doch sei das Ganze immer verfehlt und reich an Dilettantischem. Das Widersprechendste, das grade an der Mode sei, ahme er nach, weil ihm offenbar mehr an augenblicklichem als an nachhaltigem Erfolg gelegen sei.
Krastinik staunte, als rede man chaldäisch. Die unmögliche Frechheit des obscuren Dichterlings, der aus solchen Winkeln seine vergifteten Pfeile schoß, verblüffte ihn gradezu. Der handgreifliche Blödsinn dieser kecken Behauptungen ließ doch wirklich bezweifeln, ob der Klugschwätzer jemals Leonharts Werke gelesen habe.
Als Folie las Haubitz dann einen Akt seines Dramas »Ein Morast« vor, worin trotz seines feschen Geschimpfes[7] auf Zola der Schmutz faustdick aufgetragen war. Die Hauptheldin, Timandra Harteran (ihre Zofe trug den in Berlin gewiß recht häufigen Namen: Medora) ließ den Leser im ganzen Stück über ihre Erwerbsverhältnisse im Unklaren. Nicht minder der genialische Held des morastigen Dramas, welcher immer von Austern und Champagner redete, obschon er eine edle Verachtung wider alle Brotarbeiten entwickelte. – So schwebte Rafael über den seichten Gewässern der Modelitteratur und seinem – Moraste herablassend als Jehova dahin, ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen.
Die Versammlung wurde immer zahlreicher. Wer zählt die Völker, zählt die Lumpen! Einer erzählte, daß von seinem neuen Buch 365 Besprechungen erschienen seien, für jeden Tag im Jahre eine – worauf sich Sagusch erbot, fürs Schaltjahr noch eine extra zu liefern. Ein Andrer meldete Jedermann, man habe bei ihm eingebrochen. »Der Executor nämlich!« dachte Krastinik, dem schlimme Befürchtungen einer Collekte schwanten. Ein Dritter, der wie eine betrunkene Eule aussah, hatte dem Edelmann, welchen er auf dessen Redaction (Lokaltheil der »Privilegirten Fortsschrittszeitung«) heimgesucht, als parthischen Pfeil ein philosophisches Lehrgedicht in XII Cantos zurückgelassen. Einen Theil davon hatte er stehenden Fußes zwei Expedientinnen, die er in der Redactionsstube traf, meuchlings vorgelesen. Die armen Schlachtopfer konnten nachher nicht genug über solche Missethat klagen, was jedoch nicht die Versicherung hinderte: »Ja, Herr College, die Mädchen waren ganz[8] entzückt. Sie sehen, selbst auf ungebildete Gemüther wirkt Ihre Dichtung.« Der Mann war tief gerührt und pries den Edelsinn dieses erlauchten Dichters, der mit Recht »Edelmann« heiße, im Gegensatz zu andern Redactionen. »Ach,« rief der Fremdling, »die Kassirer brennen blos mit der Kasse durch, die Redacteure mit der Moral!«
»Und manchmal nicht blos mit der Moral!« bemerkte Krastinik trocken. »Nun, Herr Sagusch, Sie grüßten mich ja unvollkommen – wie geht's Ihnen?«
»Danke,« erwiderte dieser Denker mürrisch, der die »blos« 20 Mark Pump, welche der gräfliche Anfänger bisher erst als Taxe zahlte, noch nicht verziehen hatte. »Man wird altersschwach vor Litteratur!«
»Pfui, pfui!« ermahnte aber Edelmann würdig. »Beherzigen wir Schleiermacher's schönes Wort: ›Bewahren wir uns ewige Jugend!‹ Nicht wahr, Herr Graf, wir werden die Litteratur schon retten? Reichen Sie mir doch die Hand!«
»Verrathen wir also mitsammen das Vaterland!« lächelte dieser.
»Wie machen wir's aber?«
»O vor allem zusammenhalten als natürliche Verbündete wider den gemeinsamen Feind!« Edelmann mogelte mit seinem Kneifer unterm Tisch und eine unheimliche Erregung zitterte in seiner Stimme. »Wir, dem Vertreter des Idealismus, haben vor allem den Erzderber niederzumachen: diesen Leonhart.« Allgemeine Zustimmung. Jaja, das sei ein schlauer Strategem[9] rege Wirrwar wie Staubwolken und wühle die Wogen auf, – um urplötzlich dahinter selbst als Offenbarung emporzutauchen. Sei ein Diplomat der Grobheit.
Krastinik schwieg. Ihm schien das Alles, als ob Flöhe einen Löwen stächen. Der Floh ist freilich mit der Löwentatze kaum zu erreichen, aber er juckt eben so lange, bis er sich vollgesogen hat, und dann kriecht er aus der Mähne wieder wo anders hin. Denn des Flohes Beruf ist zu jucken. Man zerdrücke ihn ja nicht: das stinkt zu sehr. – Faulheit und Unfähigkeit ärgern sich über Fleiß und Talent, weil letztere einen lebendigen Vorwurf bilden, der überall den Neid steckbrieflich verfolgt.
Es wurde so spät, daß Krastinik sich empfahl, um noch die letzte Pferdebahn zu erreichen.
Die beiden Waffenbrüder fielen unisono über die günstige Gelegenheit her: »Ach, es ist schon so spät. Wie werden Sie sich da den langen Weg nach Hause zurückfinden! Gestatten Sie, daß wir Ihnen bei uns Gastfreundschaft anbieten!«
»Hehe,« setzte Rafael verlockend hinzu. »Bei uns steht Ihnen alles zu Gebot – sogar Mienchen, eine kleine Freundin von uns.«
Dies mystische Mienchen bildete eine geheime Trumpfkarte der auf Tod und Leben verbrüderten Idealisten. In ihrem Hause in Moabit befanden sich nämlich einige Zimmer-Mietherinnen sehr eindeutiger Natur, unter ihnen das berühmte Mienchen, jene ihnen auf Tod und Leben verschwisterte Idealistin. Biß nun einer auf den Köder an, wie dies früher dem halbverrückten Henry Francis[10] Annesley passirte, so mußte er unmäßig bluten. (Bei Annesley, welcher trotz aller Maul-Schwärmerei nicht einer gewissen versteckten Aalglätte entbehrte und nur bei seiner krankhaften Sinnengier gepackt werden konnte, hatte sogar ein angebliches Heirathsversprechen herhalten müssen, welches die Waffenbrüder leider zu ihrem tiefsten Schmerz als Zeugen Mienchens auf ihren Eid nehmen wollten.) Gewöhnlich mußte der Hereingefallene Mienchens »Schulden« bezahlen. Die Waffenbrüder und die Waffenschwester sammelten nämlich für einen darbenden Freund, einen idealen Märtyrer.. für ihn hatte Mienchen sich in Opfer gestürzt, die edle Seele. Wer den Vorzug dieses eidgenössischen Umgangs genoß, lernte auch bald den idealen Zweck kennen, der sie bei ihrem Pump-System beseelte. Einige wollten zwar behaupten, der Name des mystischen Freundes sei Spiegelberg und seine monatliche Taxe 20 Mark – er spiele gleichsam die sogenannten Strohmanns bei diesem Whist-Kleeblatt. Uebelwollende fügten hinzu, daß dieser Kerl von Verdauungsfähigkeit sein müsse, neben welchen die Danaidenfässer als reine Spundlöcher erscheinen.
Man erkennt hieraus, wie wenig die Welt sich zu dem idealen Schwunge der verbrüderten Eidgenossen zu erheben vermochte. Sie trösteten sich jedoch mit dem herrlichen Verse des haubitzigen Rafael:
»Und ist die Welt auch nur ein Lappen,
Der bald in Fetzen morsch zerfällt,
Mein großes Herz ist Gottes Wappen,
Es thront in Mir der Gott der Welt.«
[11]
– – Mit Mühe und Noth machte sich Krastinik von der übertriebenen Zärtlichkeit der Waffenbrüder los. Am andern Tag aber erhielt er einen Brief von Edelmann:
»In einer furchtbaren Lage bitte ich Sie, lieber Herr Graf, mir umgehend per Rohrpost 200 Mark zu senden. Alle meine Bekannten, die eine solche Summe erübrigen können, sind momentan verreist und ich habe so viel von Ihrer Liebenswürdigkeit gehört, noch ehe ich Sie kannte. Wozu sollte ich mich jetzt an einen Fernerstehenden wenden!«
Was sollte Krastinik thun! Er hatte zwar wahrlich keine 100 Mark als Geschenk (denn darauf lief es ja hinaus) übrig. Aber da er standesgemäß d.h. über seine wirklichen finanziellen Verhältnisse wohnte, gerieth er natürlich doppelt in den Verdacht gräflicher Wohlhabenheit. In einer Anwandlung falscher Scham packte er die Hälfte der erbetenen Summe ein und sandte sie an die Adresse Heinrichs des Vogelstellers.
In dieser Weise war es schon geraume Zeit hergegangen. Sagusch erbat umgehend 500 Mark, wofür er denn auch 20 Mark per Postanweisung erhielt, was er mit schweigender Grandezza in die Tasche steckte und über solche Unwürdigkeit kein Wort des Dankes verlor.
Jeden Augenblick kamen reisende Schriftsteller, die entweder aus der Charité entlassen waren oder ihre Frau dort liegen hatten (diese Angaben wechselten ab), bei ihm angestiegen. Einer, der stark nach Schnaps roch[12] und 3 Mark empfing, erklärte noch in der Thür, er hätte von einem Grafen etwas Anständigeres erwartet.
Ein Mensch in guten Verhältnissen sollte aus Weltklugheit immer vermeiden, mit Leuten von schlechten Verhältnissen in ein näheres Verhältniß zu kommen. Denn abgesehen vom »Pumpen«, dem man sich unvermeidlich aussetzt, lauert dort stets heimlicher Neid. Ideale Unterstützung wird für nichts geachtet, so sehr man auch vorher darum bettelt und mit dem Mund dafür dankt. Auch jede indirekte materielle Unterstützung (Verschaffung von Arbeiten und Arbeitgebern) wird sofort vergessen. Ewig herrscht die fixe Idee, welche von einer Art Irrsinn des Egoismus zeugt: der Unglückliche, dem man Vermögen andichtet oder der es wirklich besitzt, sei verpflichtet, »Collegen« direkt aus seiner Tasche zu unterstützen.
Im Grunde befinden sich überhaupt nur Wenige in der Lage, Anderen pekuniär unter die Arme zu greifen. Diese aber werden meist durch Verpflichtungen aller Art vorweg mit Beschlag belegt. Nur ganz junge und unabhängige Leute können mit gutem Gewissen solchen Anforderungen genügen.
Wer aber die Früchte seines Fleißes, statt diese zur Weiterförderung seiner eigenen Laufbahn zu verwenden, dem Lüderlichen und Faulen in den Rachen wirft, scheint ein Sünder gegen sich selbst. Jeder gutmüthige Mensch sammelt eine zeitlang Erfahrungen dieser Art. Dann tritt der Rückschlag ein und jeder Pump-Brief wird als verschleierte Erpressung aufgefaßt.[13]
Und im litterarischen Leben läuft die Sache auch immer darauf hinaus. Eine »Anleihe« bedeutet Anerbieten der Bestechung. Setzt sich doch das litterarische Leben hinter den Coulissen nur aus Bestechung und Händewaschung zusammen. Daher endeten auch die Pump-Circulare der Waffenbrüder Haubitz und Edelmann mit dem steten Postscriptum: Sie würden sich übrigens revanchiren, indem sie in den ihnen nahestehenden Blättern eine empfehlende Recension über den geehrten Herrn Collegen brächten. Um jedoch ganz gerecht zu bleiben, muß zugestanden werden, daß sie dies schöne Versprechen niemals hielten oder höchstens in Erwartung eines neuen Darlehns. Hierin zeigte sich eben wieder ihre vornehme Gesinnung, die unausrottbare. Tribut empfangen darf der Messias, aber andere loben – nun und nimmermehr. Das wäre doch eine gar zu schnöde Verletzung seiner Integrität.
Es giebt kaum etwas Trostloseres, als das Loos eines armen Aristokraten. Und nun gar, wenn man an seine Armuth nicht glaubt. Fortwährend spielt er eine falsche Rolle.
Auf der einen Seite verstärkt es das Ansehen und dadurch den Erfolg eines Menschen, wenn man ihn für vermögend hält. Auf der andern Seite setzt er sich der Gefahr aus, von Jedermann angepumpt zu werden. Entspricht er diesem Vertrauens-Wechsel auf sein angebliches Vermögen, so begeht er einen Leichtsinnstreich. Entspricht er ihm nicht, kommt er in den Ruf eines gemeinen Geizhalses.[14]
Jetzt wurde es Krastinik innerlich klar, warum Leonhart jeden Versuch übergroßer Familiarität, wenn ihm z.B. der Graf vertraulich über seine Verhältnisse Aufklärungen gab, mit kühler Reservirtheit ablehnte. Wenn er sonst wohl einfach »Krastinik« gesagt, wendete er dann plötzlich die steife Redeformel »Herr Graf« an. Krastinik begriff diesen wahren Stolz, welcher stets die äußeren gesellschaftlichen Schranken berücksichtigte und den bekannten Anwandlungen von Liberalismus-Verbrüderung, die grade den hochmüthigsten Aristokraten oft belieben, nur ein ablehnendes Lächeln entgegenbrachte.
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